Harald Kappel: Gehirnsturm

in meinem Inselmeer
tobt ein Gehirnsturm
exzentrisch
werden elementare Gedanken
qualvoll
zu totem Gelee

in meinem Nähkästchen
plaudert ein Braunkehlchen
populistisch
werden verkehrte Worte
hetzend
zu Langwaffen

in meinem Meeresgrab
will etwas gesagt werden
ertrunken
werden Störungen zu Zögerungen
bis erneut
unterm Wasser
die Öfen brennen

Andreas Prucker: Lebenselexier

Prolog zu Hörspiel auf Youtube:“ über „AI authority income – als ein Betriebseinkommen für Macht,Demokratie, Gewalt und Wer hat Anspruch auf Gestaltung!?“

Mein Wasser, mein Leben, mein Besitz
Als ein zu viel, wie ein zu wenig verteilt
Konfliktzone und Hungerleid

Erlaubt dies Tiefen beim lieben
als anders normal im Umgang
mit uns selbst

Wodurch das sterben der anderen
unsichtbar notwendig
unsere Ernährung bedankt
und Leid sich in Schönheit verwandelt
da jeder Tod ein Leben sichert

Kriege entstehen und prägen uns
beim verstehen von Autoritäten
die ein lebendes in einem Pool
aus unserem Blut bestehen

Schwimmt meine Besitzlosen
auf staubigen Böden und hofft
das Euch der Regen Leben schenkt.

Nur mein atmen wird Staub aufnehmen
der innerlich brennt
und meine Körpersprache verkrümme sich

Scheintod läuft die Zeit an mir vorbei
in der ich erkenn was ich nicht getan habe

Und das Meer als Wasser
ist schon jetzt ohne Leben und Tod

Die Körperkerntemperatur erhöht sich
und mein Blut steht kurz vorm kochen

Alles was wir wollen ist Zuckerbrause
wie Haarspray für ein extravagantes
pop-art-treiben mit Lust auf Triebe
die wir befriedigen

Ach Wasser
Meine Person ist nicht so wichtig
Ich bin auch nur ein Geist der Zeit
welcher dich benötigt
um diese Worte schreiben zu können

Doch ehren und pflegen, wie schützen
tun wir dich nicht.
Und Menschheit aus

Christian Knieps: Taeping vor Ariel vor Serica

Ein Wettrennen um die halbe Welt

Robert Steele eilte zu den Docks. Die Nachrichten hatten sich in den letzten Stunden überschlagen, und der Schiffsbauer aus Greenock an der schottischen Westküste konnte es kaum glauben, dass die ersten drei Tea-Clipper, die an der Küste gesichtet worden waren, aus seiner Werft stammen sollten.
Ein Junge hatte es ihm atemlos berichtet: es seien die Taeping, die Ariel und die Serica. Drei Schiffe aus seiner Werft! Was wäre das für ein Sieg gegen die scheinbare Übermacht der Fiery Cross unter dem erfahrenen und siegreichen Kapitän Richard Robinson! Vier der letzten fünf Rennen hatte die Fiery Cross gewonnen, und die Wetten bei den Buchmachern sahen dieses besondere Schiff auch dieses Jahr in der eindeutigen Favoritenrolle!
Für die ganzjährige Teeversorgung des Alten Europas waren diese Wettrennen nur von spezieller Bedeutung. Es ging viel mehr um die Ehre, den ersten Tee der neuen Pflückung nach Hause zu bringen, und nicht nur die Buchmacher wähnten ein gutes Geschäft mit diesen ersten Lieferungen des neuen Jahres.
Daher galt es für die Schiffsbauer, die Balance zwischen möglicher Ladung und Seetüchtigkeit zu finden, um die Tea-Clipper sicher und schnell nach England zurücknavigieren zu können. Das schien Robert Steele mit seinen Werftarbeitern gelungen zu sein.
Die Taeping und die Ariel, beide in einer Kompositbauweise, also mit einem Holzrumpf mit Eisenballast, aber auch die Serica in Eisenbauweise waren darauf getrimmt, auf den zum Teil stürmischen und hohen Wellen der offenen Meere zu segeln, ohne dass dabei die Kontrolle über das Ruder aufgegeben werden musste.
Noch war nichts an den Docks zu sehen; allein eine schnell größer werdende Menge an Zuschauern fand sich zusammen. In ihrer Mitte stand Robert Steele und wurde mit jedem vermeintlichen Aufschrei der Zuschauenden nervöser und nervöser.
Vierzehntausend Meilen waren es vom chinesischen Fuzhou, das die Englänger Foochow nennen, bis an die Londoner Docks. Die besten Schiffe schafften diese Strecke in knappen einhundert Tagen, bei voller Last zu jeder Tag- und Nachtzeit. Gestartet am Pagoda-Anchorage, durch die China-See und die Sunda-Straße, vorbei an Anjer, dem Kap der Guten Hoffnung, über den Äquator nach Norden, an Kap Verde vorbei und auf dem schnellsten Weg nach London.
Zwei Drittel der gesamten Tee-Exporte aus China, die in Foochow verladen wurden, gingen in diesen Jahren nach Großbritannien. Auch in diesem Jahr 1866 wurden fast 500 Schiffe ausklariert, die mehr als 60 Millionen Pfund Tee exportierten. Die häufigsten Sorten waren dabei Congou, Souchoung und grüner Oolong.
Langsam wurde die Menge unruhig. Auch Robert Steele ging einige Schritte an den Docks umher, um sich während des Wartens zu beschäftigen. Mit seinen geschulten Augen untersuchte er die dort liegenden Schiffe, doch keines konnte sein Interesse erwecken. Vor allem die schweren, dickbauchigen Kohlenschiffe lagen herum und waren so ganz anders als die feingliedrigen Tea-Clipper, die noch von bärbeißigen Kapitänen hart am Wind gehalten wurden.
Bei den Kapitänen war es Brauch, einen Biberfellhut zu wetten, während die Mannschaften bis zu ganzen Monatslöhnen auf ihr Schiff setzten. Auf der Taeping kämpfte Kapitän MacKinnon mit seiner Mannschaft um den Sieg, während es auf der Ariel Kapitän Kaey und auf der Serica Kapitän Innes versuchten, vor dem jeweilig anderen Clipper in den Londoner Docks zu sein.
Inzwischen war die Sonne längst untergegangen, und zum Glück für die wartende Menge waren die abendlichen Temperaturen an diesem 06. September 1866 recht angenehm. Plötzlich hörte man ein Raunen und in der Weite sah man den ersten Tea-Clipper, wie er von Schleppern die letzten Meter auf der Themse hinaufgezogen wurde. Noch wusste die Menge nicht, welches der Schiffe die Führung besaß und wie viele Längen die anderen hinter ihr waren, doch Robert Steele sah mit dem ersten Blick, dass es sich um die Taeping handelte.
Es war also tatsächlich ein Schiff aus seiner Reederei! Er dankte dem Herrn für diese erfüllte Hoffnung und sah mit leuchtenden Augen, wie nur wenige Minuten hinter dem ersten Schiff bereits das zweite am Horizont sichtbar wurde: es war die Ariel! Robert Steele ging auf die Knie und schloss die Augen vor Glück.
In den nächsten Tagen war der äußerst knappe Sieg Schlagzeile Nummer eins auf den Titelseiten der Zeitungen. Dort stand in großen Lettern zu lesen: Taeping vor Ariel vor Serica! Die Klipper bringen die ersten Tees der neuen Ernte! Alle drei Schiffe gelangen zu den Docks binnen eineinhalb Stunden!
Das Teerennen von 1866 war entschieden, und Robert Steeles Werft hatte mitgewonnen. Seit diesem Septemberanfang war sie plötzlich und unerwartet die gefragteste Adresse für Tea-Clipper, die auch in den nächsten Jahrzehnten noch für spektakuläre Momente bei der Überfahrt von Foochow nach London sorgen sollten.

Carsten Stephan: Malewitschmodell Mascha

An der großen Schönheit Maschas
Hat ein jeder sich ergötzt.
Und Malewitsch hat sie schließlich
Auch perfekt ins Bild gesetzt.

Er holt sie vom Rübenacker,
Sie posiert im Atelier,
Perlenohrring nur am Leibe,
So entstand auch dies Porträt.

Und bald kam es, wie es musste
Zwischen Maler und Modell.
War modern auch Herr Malewitsch,
Hier blieb er traditionell.

Was der Meister in ihr sehe,
Fragt verliebt sie ihn zuletzt.
Er verwies auf sein Gemälde,
Und das hat sie wohl verletzt.

Denn sie nahm ein Hackebeilchen,
Herr Malewitsch ward ganz klein,
Und ging in die neue Phase
Des Gulaschfuturismus ein.

Ja, der Mascha schwarze Seele
Zeigt das Bild hier absolut.
Bloß Banausen finden’s einfach
Nur quadratisch, praktisch, gut.

Kasimir Malewitsch: Das Schwarze Quadrat.
Malerischer Realismus einer Bauerntochter in zwei Dimensionen (1915)

bastian kienitz: Appolo und die Musen

das Ungeschriebene flüstern dieser Regen tropf tropf reden ohne Worte mit dem Augenaufschlag im Frühsommer oder lass es Frühling Winter sein auf deiner Insel hinterm Horizont das eine Blatt der Stift und das inmitten fröhlich tanzende Sehnsucht zerreißende Naturschauspiel auf der Rückseite des Mondes lass uns Blumen pflücken gehen die ich aus seiner Stille lese

Katrin Rauch: Der Musenanruf

ein versehen

ideen ohne ende
rinnen durch meine hände,
während ich nach worten suche
und die eine verfluche,
die zuständig wäre,
für jene kunst, die hehre,
die neben ruhm und ehre
erstmal eines verspricht:
ein hübsches gedicht.

wobei, „hübsch“ ist ja bekanntlich der kleine bruder von „nett“
und das die kleine schwester von … „nicht gut“
und das ist mir also wirklich auch nicht genug.
eine symphonie will ich schreiben, eine große
am besten in c-dur!
ja, aber das da, was ich bis jetzt hab da
das ist ja noch nicht mal ein lied
noch nicht mal ein ton und explizit
noch keine stocker, und auch kein fritz
und schlimmer als ein schlechter schmäh.
und überhaupt: c-dur, das ist doch auch nur französisch und bedeutet so viel wie c’est dur.

psst … du da!
du willst etwas großes schreiben, nicht wahr?
etwas mächtiges
etwas gewaltig beträchtliches
etwas, das tränen treibt
wenn einverleibt
das zwerchfell bald zum bersten neigt,
das beeindruckt
bis das bein drückt
bis aufstehen beim applaus unvermeidbar bleibt.

warte nicht länger,
denn für einen banger
ist jetzt die beste zeit,
da jene nun zur hilfe eilt,
die zuständig wäre
für jene kunst, die hehre,
die neben ruhm und ehre
erstmal eines verspricht.
entschuldige die verspätung, so bin ich eigentlich nicht.

ja, nice! ja, endlich!
jetzt wird mir auch verständlich,
dass die dauerfermate
auf deren fine ich warte,
nicht mein stumpfsinn bestellte.
es war die muse, die mir fehlte.

ja, dann! mal her mit den metaphern,
den anaphern, den trochäen,
immer her mit den chiasmen, den ellipsen,
den prolepsen und sarkasmen,
immer her mit kreuzreim, paarreim, stabreim
und hie und da ein ströphchen prosa.
nach bestem wissen und gewissen sag‘ ich:
schluss mit den verrissen, sag‘ ich:
schluss mit dem verhau!
auf zur derben putzung
der ungeputzten sau!

hä? was? bitte wie?
ja, bist du denn nicht die muse der poesie und der epischen dichtung?
nein, und du offenbar auch nicht der meister der liedkunst?
wer? schubert?
nein, dein onkel hubert, ja sicher franz schubert. …
du weißt nicht zufällig, wo der wohnt?
du, ich glaub, der ist tot…

nau geh, das ist jetzt dämlich.
der schubert, der hätt nämlich
eine große schreiben sollen
und ich hätt ja bleiben wollen,
doch beim ludwig hats auch zwickt.
jetzt bin ich doch dort pickt.
hm,… was für ein mist
so ein guter komponist
und ich hab’s einfach verpennt!
wirklich schade ums talent.

well,… du wirst es nicht gern hören,
doch der franz ließ sich nicht stören.
der hat die große schon geschrieben
neben siebentausend liedern
fünfzig opern, hundert messen
für chöre und orchester
fantasien für vier hände
symphonien mit und ohne ende
und das noch vor einunddreißig.

ja, soll das etwa heißen
der hat mich gar nicht gebraucht??
die ganze zeit hab‘ ich geglaubt
ich wäre völlig unentbehrlich.
ohne mich, wären wir ehrlich,
laufe gar nichts, was sich kunst nennt.
wenn dein werk nur durch den dunst rennt,
führte ich dich richtung lichtung!
ach … vergiss es, nicht mehr wichtig….

upps… [verlegenes lyrisches ich, kleine überlegepause]
ähm, du? muse?
ich hätt da so einen text
und es ist fast wie verhext
der klemmt mir hint‘ und vorn
und nervt mich ganz enorm
wenn ich denk dran wird mir übel
ich will ihn eigentlich längst kübeln
und den hut draufhauen,
aber vielleicht magst doch du mir da noch mal drüberschauen?

Harald Kappel: Letzte Sommertage

Im Keller der letzten Sommertage
warten vergorene Getränke
rauhe Winde quälen auf dem Acker
scheues Grün
lieblich und frisch
währt nur die Herrlichkeit der Fantasie
schwache Riesen fallen aufrecht
in Sickergruben
man hört es modern
und ist interessiert
im Jakobsmuschelmoor wabern
diesige Räume
ein Blutkuchen liegt unter hellen Birkenlaub
zerregnete Schmetterlinge
kommen aus der Traufe
in die Einsamkeit
ein leises Lachen
stört den Wald beim Wachsen
und blaue Luft
streicht dogmatisch
über einen starrköpfigen Zaun
im Keller der letzten Sommertage
freut sich der Herbst auf den ersten Schluck