Carsten Stephan: Möbelmäkelei

Nach Prof. Walde

Die Kommode ist ein Kastenmöbel, welches
seinen Namen nicht mit Unrecht trägt. Früher
stellte man die Kommode auf hohe Füße,
während jetzt die Schubkasten bis fast auf
den Fußboden reichen, so daß man sich bei
ihrer Benutzung zu sehr bücken muß; deshalb
ist die Kommode von heute nicht mehr so
„commode“ als ehedem.

Unter der seltsamen Bezeichnung „Vertikow“
versteht man einen Schrank oder Behälter
von zierlichen Formen zur Aufbewahrung
wichtiger oder wertvoller Gegenstände,
Kostbarkeiten, Nippes u. drgl. Der Name
soll herrühren von dem ersten Verfertiger
dieser Art von Schränken, die zumeist an
die Stelle der „Glasschränke“ unserer
Voreltern getreten sind. Von dem durch
das Eindringen des neuen Stiles veranlaßten
Umschwung der Dinge ist auch das Vertikow
nicht verschont geblieben; der moderne Stil hat
ihm das Urteil gesprochen, und dies lautete auf
Verbannung.

„Wandschrank“ ist eine wenig glückliche
Bezeichnung für ein an der Wand hängendes
Schränkchen von geringer Ausdehnung. Denn
auch der große Schrank steht jemals kaum
anders als an der Wand. Der Unterschied ist
in der Größe und darin zu suchen, daß jener
hängt und dieser steht. Der Name wird uns
erklärlich, wenn wir wissen, daß man früher
unter Wandschrank einen in der Wand
befindlichen Schrank verstand. Die Sitte,
Nischen in der Wand vorzusehen und
dieselben mit Türen zu verschließen, ist
nur langsam, erst seit der Gotik verdrängt
worden durch die Einführung beweglicher
Holzschränke.

Der Schreibtisch war ein Tisch, ehe er zu
dem heute oft so umfänglichen Schrank
wurde. Der Schreibtisch von heute hat
so gewaltige Ausdehnung angenommen,
daß zur Ausfüllung der Schränke und
Schubkasten schon ein ganzer Papierladen
erforderlich sein würde; daher bilden seine
Gelasse gewöhnlich entweder das Familien-
archiv, oder sie dienen als Bücherschrank.
Denn so viel Schreibwerk hat kaum der
Schriftsteller von Beruf, daß er die
Verschlüsse alle damit füllen könnte.

Mit dem undeutschen Namen „Salontisch“
bezeichnet man landläufig den meist für
Empfangsräume bestimmten, aber darin
ziemlich überflüssigen Tisch. Denn nur
die Gewohnheit läßt uns einen Raum ohne
größeren Tisch als unfertig möbliert
erscheinen; nimmt man diesen oder jenen
Luxusgegenstand, ein Buch, eine schöne
Bedeckung der Platte aus, so hat der Tisch
im Empfangszimmer nichts zu tragen,
infolgedessen auch keinen oder doch nur
den Zweck, daß man daran oder in seiner
Nähe Platz nehmen kann; ebensogut kann
man aber auch anderswo Platz nehmen, da
im Empfangszimmer weder gespeist, noch
gearbeitet oder gelesen wird. – Von der
früher so beliebten runden, ovalen oder
vieleckigen Form des Tischplattes macht
man neuerdings wieder gern Gebrauch.
Der runde Tisch hat den Vorzug, kein Unten
und Oben, kein Links und Rechts zu haben;
die von ihm gebotenen Plätze sind völlig
gleichwertig, es gibt keinen bevorzugten
Platz, keinen Rang am Tische, jeder Platz
ist Präsidentenplatz.

Christian Knieps: Besitzlos

Ich bin heute Morgen aufgewacht und hatte richtig hartnäckige Kopfschmerzen. Solche Kopfschmerzen, dass man ausrasten könnte, wenn es nicht so verdammt wehtun würde. Ich stelle mir die Frage, worüber ich in der Nacht alles nachgedacht habe, und ich komme zu der Erkenntnis, dass mich mein Besitz so richtig annervt! All der blödsinnige Kram um mich herum, den ich aus irgendwelchen anerzogenen Gründen seit Jahren und Jahrzehnten sammle. Also weg damit!
Ich beginne. Zunächst suche ich alles zusammen, das ich nur aus reiner Sentimentalität behalten habe: Gläser vom Weihnachtsmarkt, alte Fotos von irgendwelchen uncoolen Ereignissen aus meinem Leben, Bücher, die mir geschenkt wurden, da ich sie angeblich verschlingen würde, Kerzen, hunderte davon, Nippes und noch mehr Nippes. Ich stehe vor einer Schublade und schaue auf vierzehn Tesafilmrollen, neunzehn Kugelschreiber, vier Notizblöcke und so viele Post-Its, dass ich meine Wohnung wohl zweimal damit tapezieren könnte. Dabei mache ich mir doch Notizen auf dem Handy!
Der erste Müllsack ist in wenigen Minuten voll, dann der zweite, und als ich den dritten zuknote, stelle ich mir langsam die Frage, wie viel Müll ich zusammentragen werde und wohin ich diesen bringen müsse. Das alles würde niemals in die Mülltonne passen. Aber bloß nicht ablassen vom Ausmisten! Sonst knicke ich ein und räume wieder alles aus und in die Schränke ein. Die Kopfschmerzen werden weniger, und ich halte das Tempo hoch, indem ich nach und nach meine Wohnung entgifte.
Der Wohnzimmerschrank hat es mir angetan – das meiste habe ich bereits entsorgt, und jetzt geht es an die staubigen Bier- und Weingläser, die schon lange nicht mehr in Benutzung waren, ehe auch die allerletzten Reste in anderen Schubladen verschwinden, und ich mich ernsthaft zu fragen beginne, ob ich eine leeren Schrank im Wohnzimmer haben möchte.
Kurzerhand entschließe ich mich, im Schlafzimmer das Bett abzuschlagen – die Matratze kommt mit ins Wohnzimmer. Ab jetzt ist ein großer Teil des Schlafzimmers Ablagefläche für die Müllsäcke, aber auch nach und nach für die Möbel, die ich abbaue – beginnend mit dem Bettgestell und dem leeren Wohnzimmerschrank.
Ich merke, wie die Wohnung große leere Flecken erhält, und am Nachmittag ist der erste Raum komplett leer. Nichts, aber auch rein gar nichts habe ich aus dem Wohnzimmer als bewahrungswürdig für mein weiteres Leben identifiziert, und so führt mich mein nächster Weg in die Küche. Hier fliegen zunächst die vielen Geräte, die ich nie nutze, aus den Schränken, ehe ich die Anzahl an Geschirr drastisch reduziere. Ich brauche keine zwölf Teller oder vierzehn Kaffeebecher, je ein Set muss genügen.
Auch die Küche leert sich immer weiter; nur die Kaffeemaschine und der Kühlschrank scheinen noch eine gewisse Wichtigkeit in meinem Leben zu besitzen. Dann aber beschleicht mich ein Gedanke, der alle aufkommenden Fragen für immer und ewig beantworten könnte: wenn ich doch gar nichts so richtig besitzen muss – warum muss ich überhaupt eine Wohnung besitzen? Diese Frage arbeitet sehr stark in mir, und ich muss zugeben, dass ich einige Probleme nicht auf Anhieb lösen kann – wie zum Beispiel die Klamottenversorgung -, doch soll ich mich von diesen Unwägbarkeiten etwa abhalten lassen? Vom absoluten Besitzlosenzustand? Wobei… Ja natürlich! Ich besitze dann immer noch meine Erinnerungen, Gefühle, Leidenschaften… doch ich bin dafür wenigstens den ganzen Pröll los! Endlich!

blumenleere: burnin‘ ur furniture may lead to a celebration of life

schlag das haus auf, die wohnung. darin prothesen, dir, laut massenwahn, deine mehr bis minder alltaeglichen taetigkeiten zu erleichtern, sowie semistationaere aufbewahrungsbehaelter fuer kuenstliche abgelegte haeute & allerlei zeug, dessen scheinbare notwendigkeit deiner blanken unfaehigkeit entspringt, dich den umstaenden & dir begegnenden ereignissen ohne ein pathologisches horten von vorsichtsmasznahmen & gegengiften zu unterwerfen: du, also, verstellst dir den raum mit pervers geknechtetem material – wider seine natur mit viel aufwand zum vermeintlichen stillstand gezwungen –, seinen wandel verdraengend, abnutzungserscheinungen verfluchend … aber, wieso, nur, wo dir doch klar sein muesste beziehungsweise sollte, dass seine erosion dadurch zwangslaeufig beschleunigt wird, nutzt du es denn dann, um ruecksichtlos darauf zu liegen, sitzen, speisen, scheiszen, kopulieren? willst du in einer zeitkapsel vor dich hinvegetieren, dich in deiner nahezu grabkammer dem quirligen leben entziehen & dir die luft zum atmen von letztlich primaer industrieware rauben lassen, die das, was du zuhause nennst, mit seiner widerlich sperrigen anwesenheit verseucht …?

Bastian Kienitz: 10.11.2012 [2.00Uhr]

Auf dem Tisch liegt er, wie etwas Gezähmtes, mit Zähnen,
mit messerscharfen Blickpunkten, an ihren Schenkeln ent-
lang kleine Perlen, klitzekleine vom Regen und rotgestürzte
Unterlippen von seiner Protagonistin: er liest am Biertisch
weiter vom Schreiben….

blumenleere: schwaermerisch zertret‘ ich allzu klebrige schwaermereien …

eine muse: eine muse scheint irgendwas –beziehungsweise ein konkreter mensch – & zwar irgendwo zwischen katalysator – beschleunigung kreativer prozesse – & transistor – verstaerken inspirierender impulse – zu sein, ferner jedoch mitunter gar selbst das der so dringend kultur schaffen wollenden persona akut fehlende gegenstueck darzustellen, welches letztere unbedingt & quasi zwingend benoetigt, um pittoresk ueber sich hinauszuwachsen & in einem mehr oder minder euphorischen flieszen sie berauschende werke hervorzubringen, die sie fuer gut genug haelt, sich vor sich & anderen mit ihnen zu schmuecken – & das vielleicht blosz deswegen, weil ihre unsicherheit solch enorme ausmasze annimmt, dass sie, sofern niemand auszer ihr verantworlich waere, fuer ihr schaffen, sie sich, von erbarmungslosen zweifeln zerfressen, nicht aus ihrem schneckenhaus wagen wuerde? eine gefaehrliche allianz, ganz unabhaengig dessen, denn es manifestiert sich in ihr ein streben gen totale abhaengigkeit & sobald das ueberhoehte wesen sich rar macht, ungnaedig agiert oder verschwindet, was dann? ich fuer mich & meinen teil favorisiere dahingegen & daher nach wie vor eher den kompromisslosen, koerper, geist & psyche laeuternden waldgang – & verabscheue opportunismus, hinternkuessen, infantile schulterschluesse –: die sublime einsamkeit – eins mit allem, im oestlichen sinne …? – des anarchen – maennlich, weiblich, divers et cetera … – in memoriam ernst juenger & max stirner: voila!

Pola Ruin: musenflagge

tatsächlich hat jemand mal „du bist meine muse“ zu mir gesagt. aber eigentlich ist das doch nur ein sauber blasiertes und überkandideltes „schatzi“, wenn wir ehrlich sind. also man kann zumindest rausfinden ob’s das ist.

weil muse ist ja ein so grosses wort, dass man unbedingt und dringend diese anhaftende großwahn-artsy lack- und glitzer schicht davon abkratzen muss, um zu sehen was bleibt.

das geht auf einem weg gut, den kenn ich: dazu müsste man zum beispiel schrecklich viel fragen; hey wow wie kommt’s, was inspiriert dich an mir, welche situation, oder meinst du gar doch das aussehen oder oder. und der kontext spielt mit rein, wie es gemeint ist konkret, wo der andere drin ist, ist das gegenüber kunststudierend oder schreibt oder macht musik oder findet einfach dass ich den alltag besser mach und man sich was abgucken kann? eine praktische muse. das wär was.

es wird aber gefälligst nicht nach gefragt. das sei ein fauxpas.
der mensch (inbesondere der weibliche) soll das hingebungsvoll geehrt annehmen. zerstört ja wohl voll den moment!

ein tipp, falls dir das passiert, da weisst du sofort: dieses kompliment ist leider wie eine frische erdnuss, wo die zweite nuss drin fehlt, wenn du die schale zerbrichst und die verbleibende nuss ist eh trocken und schrumplig und schmeckt gammlig.

wenns dir dann aber erklärt wird, warum du musig bist, vielleicht noch mit freudigem blick, ja dann dingdingding! nicht weiterlesen. und vergiss das davor.

egal. was dann übrig geblieben ist von dem ganzen muse sein war so eine art pappröhre, in der mein körper kopf voran steckte. aus der ich dann langsam richtung licht rausgekrochen bin. das ging nur, weil jedes weitere genervt sein und jeder abfällige blick hat die pappe aufgeweicht, das aalglatte aufgelöst und da konnt ich mich reinkrallen.

ankommen tut erst mal weh, all das licht und die dinge auf dem weg und das leben das weitergelaufen ist ganz viel ohne einen. ich würd sogar sagen ich war noch ne weile drin in der pappe, als der musensalbaderer schon weg war.
obwohl auch viele freunde mal von links und rechts geklopft haben, die pappe is halt so dumpf und der glitzer war halt noch da. aber immerhin, immerhin war sie nicht aus beton, mein lieber scholli.

Christian Knieps: Bremsspur

Die Gesellschaft um mich herum hat sich in einen wahnsinnigen
Geschwindigkeitsrausch versetzen lassen, der alleine dazu dient, die
Gegenwart durch immerwährenden Wandel nicht zu langweilig werden zu
lassen. Die Moden wechseln derart schnell, dass man eine verpasste Mode
nicht mal bemerken muss, und ganz bestimmt muss man sich keine Gedanken
darüber machen, denn die nächste ist schon da! Solange man nicht zu viele
Moden verpasst und als outdated oder immergestrig gilt, ist alles reparabel, da
das Gedächtnis mit diesen Moden ebenso leidet wie oft der Geschmack.
Ich wage jetzt etwas Verwegenes! Ich durchbreche diesen wahnsinnigen
Geschwindigkeitsrausch und bremse mit ordentlicher Spur ab, halte kurz ein,
betrachte die Moden, die an mir unberührt vorbeiziehen, und stelle mit
leichter Freude fest, dass absolut nichts Neues dabei ist – allenfalls eine neue
Abmischung verschiedener Moden der Vergangenheit. Die Beschleunigung der
Kurzfristigkeit der Moden führt zu dem absurden Phänomen, dass
Normalaltwerdende eine Mode mehrere Male erleben können, was den
unschlagbaren Vorteil mit sich bringt, Kleidungsstücke nicht mehr entsorgen
zu müssen, da diese in wenigen Jahren wieder en vogue sein werden – wobei
jedoch der Nachteil des zu kleinen Kleiderschranks ebenso mehr als evident
wird.
Während die Moden so an mir vorbeizischen, überkommt mich das Gefühl
einer latenten Nervosität, dass ich am Ende durch meine Pause doch mehr
verpassen würde, als ich es noch vor wenigen Momenten stock und steif
behauptet hätte. Ich muss meine gesamten Übungen zu Atemtechniken
auffahren, dass ich nicht in einen Zustand der Hyperunsicherheit gerate –
denn, wenn man einmal in einem solchen Zustand ist, ist man dem Wahnsinn
ausgeliefert, ohne Macht und Widerstand, ohne Willen und Resilienz. Dann
können Populismus und Metamoden viel einfacher in das eigene Gehirn
einziehen und sich dort breitmachen, als Folge eines Abgehängtseingefühls,
das man nie wieder verspüren möchte.
Ich für meinen Teil bekomme gerade noch mal die Kurve, das Vehikel, in dem
ich mich befinde, versetzt nur kurz, bricht aber nicht aus, sodass ich dagegen
ankämpfe, gegen einen Teil meines Selbst kämpfe – und traurigerweise die
tiefere Erkenntnis habe, dass ich auch verliere, wenn ich gewinne! Was ich
aber auf jeden Fall gewinne, sind die vielen abschätzigen Blicke meiner
Mitmenschen, die bisher dachten, dass ich aktuell und hip wäre, doch jetzt
erkennen sie den wahren Kern von mir: den gestrigen, noch nicht den
Ewiggestrigen. Vielleicht ist auch bei diesem turning point die Antwort 42,
denn seit Überschreiten dieser Grenze habe ich das Gefühl, dass sich das
Hetzen nach vorne nicht mehr so lohnt, denn statistisch ist es die zweite Hälfte
des Lebens – und anders als im Fußball gibt es keine dritte Halbzeit, in der
gefeiert wird.
Ich stehe also hier und sehe die nächsten Moden an mir vorbeiziehen, trage
meine alten Klamotten auf, verhalte mich, als wäre ich in der Entwicklung
irgendwann stehengeblieben, höre mir von meinen Kindern an, dass ich super-
mega-cringe bin, weil ich die neuesten Moden im social network mit vollem
Herzen missachte, und fühle mich gut damit.
Das Lustige an diesem Morgen ist, dass sich die Moden so sehr einmal um sich
selbst gedreht haben, dass ich mit meinem Stil und meiner Art wieder ein
angesagter Sportsfreund bin, was ich inzwischen etwas peinlich finde – doch
ich ahne, dass diese Mode spätestens beim nächsten Kaffee schon wieder
cringe bin. So soll es auch sein! Metamoden, was für ein Käse!

Christian Knieps: Räum auf!

Letztens kam ich in das Zimmer meines pubertierenden Sohnes und es sah aus, als hätte er den nicht ernst gemeinten Auftrag ernst genommen, jeden Quadratmillimeter seines Bodens mit irgendeinem Gegenstand zu bedecken. Zwischen dem Gefühl der Freude, dass mein Sohn etwas mit einer solchen Konsequenz betrieben hatte und dem aufwallenden Zorn, dass mein eigentlich gemeinter Auftrag wieder einmal völlig ignoriert worden war, fand ich im hinteren Bereich des Zimmers eine kleine Ecke, wo ich den Boden sehen konnte – und das Gefühl der Freude hatte keine Chance mehr. Ich nahm tief Luft und ließ den Zorn über meine Stimmbänder entweichen, doch die erwartbare Reaktion meines Sohnes zeigte mir, dass er seine Legierung mit Teflon überpinselt hatte, denn es kam nicht mehr der zarteste Hauch einer Kritik bei ihm an. Doch, o Wunder, bemerkte ich plötzlich eine Regung in seinem Gesicht und ein noch etwas unausgereifter Blick der Überlegenheit – man möchte nicht gleich sagen: Überheblichkeit! – zeigte sich.

»Dein Vorwurf, lieber Vater«, begann er mit einer viel zu freundlichen Stimme, »läuft ins Nichts, da Chaos im Griechischen weiter, leerer Raum bedeutet, und ich interpretierte das so, dass mein leeres Zimmer nicht unaufgeräumt sein kann!«

Ich gebe zu, ich war baff, aber vor allem musste ich mir selber eingestehen, dass das Gefühl der Freude plötzlich die Oberhand hatte. Mein Sohn sah und genoss seinen klaren Sieg, drehte sich um und ging zurück ins Wohnzimmer, wo er sicherlich die Momente des Bildschirmanbetens maximieren würde.

Auch ich nahm mein Handy aus der Tasche und wollte mich nicht so einfach geschlagen geben, denn ein verlorener Kampf macht noch keine verlorene Schlacht, und ich wühlte mich durch eine Vielzahl an unwissenschaftlichen Meinungstexten, ehe feststand, dass er zwar gewonnen hatte, es aber allenfalls ein Pyrrhussieg sein würde! Ich stapfte meinem Sohn hinterher ins Wohnzimmer, stellte den Ignoranten, wie er seinen Bildschirm anbetete, und fabulierte über die Zusammenhänge der griechischen Mythologie, redete über Chaos, Kosmos, Gaia, Nyx, Tartaros, Erebos, Eros und wie sie auch alle hießen, ehe ich zu dem Punkt gelangte, den ich vor allem machen wollte, und zwar den etymologischen Beweis, dass sich die Bedeutung des Wortes über all die Jahrhunderte verändert hatte und nun einfach nur Unordnung bedeutete, doch da war es wieder, das Teflon! Ich bemerkte viel zu spät, dass mir mein Sohn so gar nicht zugehört hatte, und vor meinen Augen stand das Endergebnis dieser Schlacht: 3:0 für ihn. Tief in mir sammelte sich etwas, das sich wie die Urwut anfühlte, doch bevor ich meine letzte Elternwürde aufs Spiel setzte, sollte ich ihn anschreien, sprang ich über meinen Schatten und bot an, sein Zimmer mit ihm zusammen aufzuräumen. Auch wenn ich dann sicherlich mehr als drei Viertel der Arbeit machen musste, würde unser Leben von einer großen Unordnung wieder ein klein wenig mehr in Richtung Ordnung geschoben – die Seite des Lebens, die ich einfach viel mehr mag!

Lena Speckmann: (Un)Ordnung

„Ordnung ist das halbe Leben!“

Junge, wie ich diesen Spruch hasse. Ich weiß gar nicht mehr, ob das Mama war oder Papa, aber diesen Spruch bekam ich früher ständig zu hören. Meganervig. Was ich am meisten daran hasse? Auf der einen Seite, dass er stimmt. Man spart wirklich wahnsinnig viel Zeit, wenn man immer weiß, wo was liegt. Auf der anderen Seite frage ich mich seit meiner Kindheit, woraus denn nun aber die andere Hälfte des Lebens besteht, wenn Ordnung als solche einfach mal 50% einnimmt. Aus Steuern? Bonbons? Oder am Ende ganz profan: aus Unordnung? 

Ordnung ist praktisch. Sie spart allerdings nur dann Zeit, wenn man sie konsequent anwendet, „konsequent“ being the operative word. Denn wenn man – wie ich – eher zur Unordnung neigt und irgendwann ausnahmsweise mal etwas vernünftig und ordentlich wegsortiert, dann aber vergisst, dass man zur Abwechslung mal ordentlich war, tja, dann ist die Ordnung vollkommen unnütz. Wie oft mir das schon passiert ist, vermag ich gar nicht zu sagen, denn ich bin, richtig, sehr unordentlich.

Ich betreibe Ordnung auf andere Art. Ich sortiere lieber meine Gedanken als meine Gegenstände, und wenn sie sortiert sind, schreibe ich sie auf, das funktioniert eigentlich ganz gut. Auch bei Serien ist mir Ordnung wichtig. Ich kann Serien nicht so gut bei Folge zwei oder drei anfangen. Eigentlich ist das ja wurst, weil man fast immer super auch später in Serien einsteigen kann, die Drehbücher sind ja oft absichtlich so geschrieben, aber ich mag das einfach nicht. Das muss schon seine Ordnung haben. Einmal bin ich bei Staffel zwei einer Serie eingestiegen, die mein Freund schon kannte. Ich konnte die Serie aber erst wirklich genießen, als ich unabhängig von meinem Freund die erste Staffel nachgestreamt hatte. Bei so einem banalen Mist ist Ordnung auf einmal relevant, bei meiner Steuer und den gesammelten Belegen scheiß ich drauf.

Als Teenager stieß ich irgendwann auf den sogenannten „Sponti-Spruch“ „Wer aufräumt, ist nur zu faul zum Suchen“ und so hielt ich es mein Leben lang. Hab es ohne größere Zwischenfälle bis zur 50 geschafft.

Ich mag Ordnung als Konzept. Ich liebe auch Symmetrie. Sehr. Aber Asymmetrie liebe ich genau so. Allerdings nur, wenn sie ordentlich umgesetzt wird. Auch die Asymmetrie hat einer gewissen Logik zu folgen, damit man merkt, dass man es hier mit Asymmetrie zu tun hat und nicht mit irgendeinem Zufallsprinzip. Aleatorische Anordnungen machen mich verrückt, die mag ich nicht. Die erfordern zu viel Aufmerksamkeit. Zu viel Denkleistung, die vorausgesetzt wird. Asymmetrien sind als solche offensichtlich, bei Randomness versucht man instinktiv erst mal eine gewisse Ordnung darin zu finden. Selbst wenn es nur ein oder zwei Sekunden sind, die man vergeudet, diese Sekunden sind weg und über eine Zeit von fünfzig Jahren läppert sich das. In Summe zu viel verschwendete Gehirnkapazität, über die man noch verfügen könnte, wenn Dinge symmetrisch gewesen wären.

Wie gesagt, ich mag Ordnung. Aber ich möchte sie nicht selbst herstellen. Das verlangt mir zu viel ab. Geduld und Lebenszeit. Wenn ich sie brauche, bring ich die Geduld halt auf und quäl ich mich durch (Steuererklärung einfach jedes Jahr ein Drama, seit 25 Jahren…), ansonsten erfreue ich mich an einem außerordentlich unordentlichen Leben.

Und das ist völlig in Ordnung.

blumenleere: den leeren tischen & gestaden

trachte verschwenderisch nach ueberopulenten & -kandidelten trachtenpersiflagen,
auf dass diese deine dann pseudotrachten explizit nach einer dich auszerordentlich schmerzhaft vertrimmenden tracht pruegel trachteten, da du die bestehenden ordnungen kategorisch erstarrter konservativer trachtenvereine gezielt in neumodische un- & umordnungen hinein zu stuerzen suchst … eine frage, also, der blickwinkel, der weltanschauungen & perspektiven: der einen freud, der andren leid – wandel kontra bestaendigkeit. & waeren wir dem i-ging naeher als dem blanken faschismus unsrer scheinheiligen, verlogenen bibeln & vermeintlich in granit gemeiszelten, in ihren hoechst ambivalenten umsetzungen elitaere blasen behuetenden & die relativ armen mehr & mehr zermalmenden scheiszgesetze, wuerden uns – dem salz der erde …? – ganz flugs mal hier die steine von den augen rollen & wir saehen klarer, unablaessig uns veraendernd, die metamorphosen des chaos, deren inkonsistente schaumspitzen wir auch sogleich schon bildeten.