Bastian Kienitz: STEHENDE RÜSTUNGEN

(aus der Serie Rüstkammer-Phantasien, Blankosonett)

du schweigst im Schatten, Dasein, Vielgesagtes
ALT vor den der, im Kreis der Wirklichkeit
glänzt Altes neu und neues Umkehrbar
durchleuchtet und durchdrungen, Feinabrieb



der lieben Leiden Wiederholungsmuster
und Rüstzeug, um uns wärmer anzuziehen
erst gestern war es Frühling, heute Winter
geknickte Blumen und geknicktes Gras



schon glänzt das Altmetall in trauter Runde
Gouache-Grau und Bleistift auf Papier
den Winkel alter Taten neu zu leben



Traumfolge I: Rüstkammer-Phantasien
die von der Minne bis zur Muse reichen
sang schon die Nachtigall tandaradei


Carsten Stephan: Nachlasspfleger Volker Naake

Stirbt wer einsam, pflegt den Nachlass
Naake, braucht kein’ Dr. jur.,
Aber Herzblut und natürlich
Bunges Möbelpolitur.

Er putzt auch die Silberlöffel,
Staubt die Bücher ab konform,
Setzt sich in den Ohrensessel,
Dass die Kuhle bleibt in Form.

Des Verstorbnen dritten Zähne
Wollen nachts ins Wasserbad,
Tags der Krückstock auf den Gehsteig,
Droh’n dem Knaben auf dem Rad.

Äußerlich ist nicht die Pflege,
Sieht man hier, auch ideell.
Flott ertönt der Plattenspieler
Mit einhundert Dezibel.

Spielt Soldat am Wolgastrand er,
Ist Herr Naake obenauf,
Und in schönen grauen Schlüpfern
Frischt er Nachlassstreifen auf.

Hält die Uniform in Ordnung,
Eisern Kreuz am bunten Band.
All das zählt nun endlich wieder,
Weil’s des Glückes Unterpfand!

Bastian Kienitz: THE STOREHOUSE

Vergessen liegt in alten Kartonagen
vergilbt am Grau, dass sich erinnern will
erst war es still, dann hörten wir Licht krachen
nein, eine leere Dumpfheit war es, die

dazwischen Worte suchte, ein Geräusch
das etwas blechern und eintönig klingt
erwacht aus einem hohlen Farbenraum
der monochrom im Geisterhaften steht

nie wieder, hieß das Unscharf aus den Zweifeln
der Bruchstücke, die wie ein stummer Film
vorüberziehen und sich überschreiben

die alte Schreibmaschine macht klick klick
um aus dem Staub den Untergrund zu schlucken
der brach nach Lethe schmeckt im Morgenlicht…

Bastian Kienitz: Pleasantville II

früher: das Monochrom einer gelebten Wahrheit im Dezimalrausch der RÖHREN GLAS OBERFLÄCHE bis zum kleinsten Geräusch hinein auf Nu l l / T o n gestellt und heute: die bewegten Bilder von damals wie ein Déjà-vu aus alten Begebenheiten heraus. es war der Schnee. fällt leise, weil…

Bastian Kienitz: Neujahr

Gestern war er alt, heute ist er älter geworden und sehnt sich
nach den spitzen Zweigen im Wald, dem Anstrich der ihm eben
bei Laune umso bewusster wird. Die Stachelbeeren schmecken
grün sauer und jeder Riss auf seiner Haut liegt aufgebahrt auf
bleichen Knochen und jedes Weinglas, das er trinkt, erinnert ihn
an diese Zweige, in dem er die Kratzer in den Falten bewahrt.