Die Gesellschaft um mich herum hat sich in einen wahnsinnigen
Geschwindigkeitsrausch versetzen lassen, der alleine dazu dient, die
Gegenwart durch immerwährenden Wandel nicht zu langweilig werden zu
lassen. Die Moden wechseln derart schnell, dass man eine verpasste Mode
nicht mal bemerken muss, und ganz bestimmt muss man sich keine Gedanken
darüber machen, denn die nächste ist schon da! Solange man nicht zu viele
Moden verpasst und als outdated oder immergestrig gilt, ist alles reparabel, da
das Gedächtnis mit diesen Moden ebenso leidet wie oft der Geschmack.
Ich wage jetzt etwas Verwegenes! Ich durchbreche diesen wahnsinnigen
Geschwindigkeitsrausch und bremse mit ordentlicher Spur ab, halte kurz ein,
betrachte die Moden, die an mir unberührt vorbeiziehen, und stelle mit
leichter Freude fest, dass absolut nichts Neues dabei ist – allenfalls eine neue
Abmischung verschiedener Moden der Vergangenheit. Die Beschleunigung der
Kurzfristigkeit der Moden führt zu dem absurden Phänomen, dass
Normalaltwerdende eine Mode mehrere Male erleben können, was den
unschlagbaren Vorteil mit sich bringt, Kleidungsstücke nicht mehr entsorgen
zu müssen, da diese in wenigen Jahren wieder en vogue sein werden – wobei
jedoch der Nachteil des zu kleinen Kleiderschranks ebenso mehr als evident
wird.
Während die Moden so an mir vorbeizischen, überkommt mich das Gefühl
einer latenten Nervosität, dass ich am Ende durch meine Pause doch mehr
verpassen würde, als ich es noch vor wenigen Momenten stock und steif
behauptet hätte. Ich muss meine gesamten Übungen zu Atemtechniken
auffahren, dass ich nicht in einen Zustand der Hyperunsicherheit gerate –
denn, wenn man einmal in einem solchen Zustand ist, ist man dem Wahnsinn
ausgeliefert, ohne Macht und Widerstand, ohne Willen und Resilienz. Dann
können Populismus und Metamoden viel einfacher in das eigene Gehirn
einziehen und sich dort breitmachen, als Folge eines Abgehängtseingefühls,
das man nie wieder verspüren möchte.
Ich für meinen Teil bekomme gerade noch mal die Kurve, das Vehikel, in dem
ich mich befinde, versetzt nur kurz, bricht aber nicht aus, sodass ich dagegen
ankämpfe, gegen einen Teil meines Selbst kämpfe – und traurigerweise die
tiefere Erkenntnis habe, dass ich auch verliere, wenn ich gewinne! Was ich
aber auf jeden Fall gewinne, sind die vielen abschätzigen Blicke meiner
Mitmenschen, die bisher dachten, dass ich aktuell und hip wäre, doch jetzt
erkennen sie den wahren Kern von mir: den gestrigen, noch nicht den
Ewiggestrigen. Vielleicht ist auch bei diesem turning point die Antwort 42,
denn seit Überschreiten dieser Grenze habe ich das Gefühl, dass sich das
Hetzen nach vorne nicht mehr so lohnt, denn statistisch ist es die zweite Hälfte
des Lebens – und anders als im Fußball gibt es keine dritte Halbzeit, in der
gefeiert wird.
Ich stehe also hier und sehe die nächsten Moden an mir vorbeiziehen, trage
meine alten Klamotten auf, verhalte mich, als wäre ich in der Entwicklung
irgendwann stehengeblieben, höre mir von meinen Kindern an, dass ich super-
mega-cringe bin, weil ich die neuesten Moden im social network mit vollem
Herzen missachte, und fühle mich gut damit.
Das Lustige an diesem Morgen ist, dass sich die Moden so sehr einmal um sich
selbst gedreht haben, dass ich mit meinem Stil und meiner Art wieder ein
angesagter Sportsfreund bin, was ich inzwischen etwas peinlich finde – doch
ich ahne, dass diese Mode spätestens beim nächsten Kaffee schon wieder
cringe bin. So soll es auch sein! Metamoden, was für ein Käse!
Kategorie: Prosa
Christian Knieps: Räum auf!
Letztens kam ich in das Zimmer meines pubertierenden Sohnes und es sah aus, als hätte er den nicht ernst gemeinten Auftrag ernst genommen, jeden Quadratmillimeter seines Bodens mit irgendeinem Gegenstand zu bedecken. Zwischen dem Gefühl der Freude, dass mein Sohn etwas mit einer solchen Konsequenz betrieben hatte und dem aufwallenden Zorn, dass mein eigentlich gemeinter Auftrag wieder einmal völlig ignoriert worden war, fand ich im hinteren Bereich des Zimmers eine kleine Ecke, wo ich den Boden sehen konnte – und das Gefühl der Freude hatte keine Chance mehr. Ich nahm tief Luft und ließ den Zorn über meine Stimmbänder entweichen, doch die erwartbare Reaktion meines Sohnes zeigte mir, dass er seine Legierung mit Teflon überpinselt hatte, denn es kam nicht mehr der zarteste Hauch einer Kritik bei ihm an. Doch, o Wunder, bemerkte ich plötzlich eine Regung in seinem Gesicht und ein noch etwas unausgereifter Blick der Überlegenheit – man möchte nicht gleich sagen: Überheblichkeit! – zeigte sich.
»Dein Vorwurf, lieber Vater«, begann er mit einer viel zu freundlichen Stimme, »läuft ins Nichts, da Chaos im Griechischen weiter, leerer Raum bedeutet, und ich interpretierte das so, dass mein leeres Zimmer nicht unaufgeräumt sein kann!«
Ich gebe zu, ich war baff, aber vor allem musste ich mir selber eingestehen, dass das Gefühl der Freude plötzlich die Oberhand hatte. Mein Sohn sah und genoss seinen klaren Sieg, drehte sich um und ging zurück ins Wohnzimmer, wo er sicherlich die Momente des Bildschirmanbetens maximieren würde.
Auch ich nahm mein Handy aus der Tasche und wollte mich nicht so einfach geschlagen geben, denn ein verlorener Kampf macht noch keine verlorene Schlacht, und ich wühlte mich durch eine Vielzahl an unwissenschaftlichen Meinungstexten, ehe feststand, dass er zwar gewonnen hatte, es aber allenfalls ein Pyrrhussieg sein würde! Ich stapfte meinem Sohn hinterher ins Wohnzimmer, stellte den Ignoranten, wie er seinen Bildschirm anbetete, und fabulierte über die Zusammenhänge der griechischen Mythologie, redete über Chaos, Kosmos, Gaia, Nyx, Tartaros, Erebos, Eros und wie sie auch alle hießen, ehe ich zu dem Punkt gelangte, den ich vor allem machen wollte, und zwar den etymologischen Beweis, dass sich die Bedeutung des Wortes über all die Jahrhunderte verändert hatte und nun einfach nur Unordnung bedeutete, doch da war es wieder, das Teflon! Ich bemerkte viel zu spät, dass mir mein Sohn so gar nicht zugehört hatte, und vor meinen Augen stand das Endergebnis dieser Schlacht: 3:0 für ihn. Tief in mir sammelte sich etwas, das sich wie die Urwut anfühlte, doch bevor ich meine letzte Elternwürde aufs Spiel setzte, sollte ich ihn anschreien, sprang ich über meinen Schatten und bot an, sein Zimmer mit ihm zusammen aufzuräumen. Auch wenn ich dann sicherlich mehr als drei Viertel der Arbeit machen musste, würde unser Leben von einer großen Unordnung wieder ein klein wenig mehr in Richtung Ordnung geschoben – die Seite des Lebens, die ich einfach viel mehr mag!
Lena Speckmann: (Un)Ordnung
„Ordnung ist das halbe Leben!“
Junge, wie ich diesen Spruch hasse. Ich weiß gar nicht mehr, ob das Mama war oder Papa, aber diesen Spruch bekam ich früher ständig zu hören. Meganervig. Was ich am meisten daran hasse? Auf der einen Seite, dass er stimmt. Man spart wirklich wahnsinnig viel Zeit, wenn man immer weiß, wo was liegt. Auf der anderen Seite frage ich mich seit meiner Kindheit, woraus denn nun aber die andere Hälfte des Lebens besteht, wenn Ordnung als solche einfach mal 50% einnimmt. Aus Steuern? Bonbons? Oder am Ende ganz profan: aus Unordnung?
Ordnung ist praktisch. Sie spart allerdings nur dann Zeit, wenn man sie konsequent anwendet, „konsequent“ being the operative word. Denn wenn man – wie ich – eher zur Unordnung neigt und irgendwann ausnahmsweise mal etwas vernünftig und ordentlich wegsortiert, dann aber vergisst, dass man zur Abwechslung mal ordentlich war, tja, dann ist die Ordnung vollkommen unnütz. Wie oft mir das schon passiert ist, vermag ich gar nicht zu sagen, denn ich bin, richtig, sehr unordentlich.
Ich betreibe Ordnung auf andere Art. Ich sortiere lieber meine Gedanken als meine Gegenstände, und wenn sie sortiert sind, schreibe ich sie auf, das funktioniert eigentlich ganz gut. Auch bei Serien ist mir Ordnung wichtig. Ich kann Serien nicht so gut bei Folge zwei oder drei anfangen. Eigentlich ist das ja wurst, weil man fast immer super auch später in Serien einsteigen kann, die Drehbücher sind ja oft absichtlich so geschrieben, aber ich mag das einfach nicht. Das muss schon seine Ordnung haben. Einmal bin ich bei Staffel zwei einer Serie eingestiegen, die mein Freund schon kannte. Ich konnte die Serie aber erst wirklich genießen, als ich unabhängig von meinem Freund die erste Staffel nachgestreamt hatte. Bei so einem banalen Mist ist Ordnung auf einmal relevant, bei meiner Steuer und den gesammelten Belegen scheiß ich drauf.
Als Teenager stieß ich irgendwann auf den sogenannten „Sponti-Spruch“ „Wer aufräumt, ist nur zu faul zum Suchen“ und so hielt ich es mein Leben lang. Hab es ohne größere Zwischenfälle bis zur 50 geschafft.
Ich mag Ordnung als Konzept. Ich liebe auch Symmetrie. Sehr. Aber Asymmetrie liebe ich genau so. Allerdings nur, wenn sie ordentlich umgesetzt wird. Auch die Asymmetrie hat einer gewissen Logik zu folgen, damit man merkt, dass man es hier mit Asymmetrie zu tun hat und nicht mit irgendeinem Zufallsprinzip. Aleatorische Anordnungen machen mich verrückt, die mag ich nicht. Die erfordern zu viel Aufmerksamkeit. Zu viel Denkleistung, die vorausgesetzt wird. Asymmetrien sind als solche offensichtlich, bei Randomness versucht man instinktiv erst mal eine gewisse Ordnung darin zu finden. Selbst wenn es nur ein oder zwei Sekunden sind, die man vergeudet, diese Sekunden sind weg und über eine Zeit von fünfzig Jahren läppert sich das. In Summe zu viel verschwendete Gehirnkapazität, über die man noch verfügen könnte, wenn Dinge symmetrisch gewesen wären.
Wie gesagt, ich mag Ordnung. Aber ich möchte sie nicht selbst herstellen. Das verlangt mir zu viel ab. Geduld und Lebenszeit. Wenn ich sie brauche, bring ich die Geduld halt auf und quäl ich mich durch (Steuererklärung einfach jedes Jahr ein Drama, seit 25 Jahren…), ansonsten erfreue ich mich an einem außerordentlich unordentlichen Leben.
Und das ist völlig in Ordnung.
blumenleere: den leeren tischen & gestaden
trachte verschwenderisch nach ueberopulenten & -kandidelten trachtenpersiflagen,
auf dass diese deine dann pseudotrachten explizit nach einer dich auszerordentlich schmerzhaft vertrimmenden tracht pruegel trachteten, da du die bestehenden ordnungen kategorisch erstarrter konservativer trachtenvereine gezielt in neumodische un- & umordnungen hinein zu stuerzen suchst … eine frage, also, der blickwinkel, der weltanschauungen & perspektiven: der einen freud, der andren leid – wandel kontra bestaendigkeit. & waeren wir dem i-ging naeher als dem blanken faschismus unsrer scheinheiligen, verlogenen bibeln & vermeintlich in granit gemeiszelten, in ihren hoechst ambivalenten umsetzungen elitaere blasen behuetenden & die relativ armen mehr & mehr zermalmenden scheiszgesetze, wuerden uns – dem salz der erde …? – ganz flugs mal hier die steine von den augen rollen & wir saehen klarer, unablaessig uns veraendernd, die metamorphosen des chaos, deren inkonsistente schaumspitzen wir auch sogleich schon bildeten.
Maria Fischer: Ordnung und Unordnung
Als ich mit dem Blick flüchtig von meinem Rad auf den Boden traf,
entdeckte ich verzückt ein einsames gepinseltes Herz. Unter seiner
blutroten Schicht schimmerte tiefer, klebschwarzer Teer. Wohl ein
kreativer Geist zauberte dieses unerwartete Liebessymbol auf die
trostlosen schmutzigen Teerflecken. Von Kopf wie Fuß auswärts,
strichen noch Tropfen des damals heißen Teeres auf einem kurzen
Weg. Blutrote wie tiefschwarze Fahrradspuren verliefen
geradedurch Richtung Nord und Süd – von frischer Farbe.
Plötzlich fiel mir die Ordnung in unserem Herzen ein.
Frische Verletzungen im Herzen. Aber auch frische Liebesfreuden
senkrecht durchs Herz. Verteilt in unserem Körper, Geist wie Seele.
Diese Spuren bescheren uns Unordnung, alles ist
durcheinandergewirbelt, sobald das Herz liebt oder schmerzt. Doch
manchmal braucht es diese Wirbel um wieder eine Grundordnung zu
bekommen.
Wie sagt man doch so schön: „Du hast in meinem Herzen Spuren
hinterlassen.“
Nun liegt es an dir selbst, was macht man mit diesem Durcheinander?
Ignorieren oder daraus Lernen, Genießen und dankbar Sein?
Letztendlich bestimmt es jeder für sich selbst. Sobald du diese
frischen Spuren im Herzen spürst, lebst du. Es ist so gesehen das
sicherste Zeichen, dass du am Leben bist. (Wenn man den Herzschlag
und die Atmung ausklammert.) Jeder nimmt diese (Un-) Ordnung auf
eigene subtile Weise wahr. Es ist ein Geschenk des Universums an
das Leben. Auch wenn es sehr scharf stechen wie tief schmerzen
kann – es hört irgendwann auf wehzutun. Alles geht vorbei.
Es ordnet sich im Leben alles zu seiner Zeit. Den Zeitpunkt
bestimmen dabei nicht wir. Doch können wir es uns so erträglich wie
möglich gestalten. Wir verbringen zum Beispiel jeden Tag Zeit damit,
Ordnung in unser Haar zu bringen.
Nur wie sieht es mit unserem Herzen aus?
In diesem Moment begebe ich mich als „stiller Beobachter“ an die
Spitze des zerfahrenen Herzens. Demütig betrachtend. Es ist so
wichtig, langfristig darin Ordnung zu haben, um ganz einfach
„glücklich“ zu sein. Es bestimmt, wie du dich fühlst und somit wie du
lebst. Wie du liebst. Ob du lachst? Wie achtsam sind wir mit dem
Gleichgewicht zwischen Unordnung und Ordnung in unserer
Gefühlshochburg? Deine innere Harmonie ist aufgeräumt, wenn du im
wahrsten Sinne des Wortes mit deinem Herzschlag lebst und liebst.
Ein hilfreicher praktischer Kompass ist nur dein Eigenes ebenso wie
einmalig. Jederzeit verfügbar und immer ehrlich.
Es ist dein Bauchgefühl, deine Intuition. Gleich ob du dich
entscheiden willst, wer für dich gut ist oder wer dir eher schadet
und Energie raubt. Dein Bauchgefühl ist dein Geschenk seit deiner
Geburt und solange du lebst. Nutze es, niemals wird es dich verraten.
Das Leben ist ein Geschenk mit all seinen Facetten. Seien es
Teerspitzenflecken, rundrote Liebesreifenspuren oder tiefgraue
Gefühlsabdrücke. Alles hat seinen Sinn in der Ordnung wie
Unordnung. Wir nehmen – wohl auch ziehen wir – mit unserem Herzen
an, wie ein Magnet. Schließlich setzt der Bauch ein. Du kommst ins
Handeln und hörst auf dich selbst. Dann wird alles gut und wenn es
noch nicht gut ist, bist du noch nicht an deinem Ankerplatz im Hafen
deines Lebens angekommen.
Lena Speckmann: (Un)Ordnung
„Ordnung ist das halbe Leben!“
Junge, wie ich diesen Spruch hasse. Ich weiß gar nicht mehr, ob das Mama war oder Papa, aber diesen Spruch bekam ich früher ständig zu hören. Meganervig. Was ich am meisten daran hasse? Auf der einen Seite, dass er stimmt. Man spart wirklich wahnsinnig viel Zeit, wenn man immer weiß, wo was liegt. Auf der anderen Seite frage ich mich seit meiner Kindheit, woraus denn nun aber die andere Hälfte des Lebens besteht, wenn Ordnung als solche einfach mal 50% einnimmt. Aus Steuern? Bonbons? Oder am Ende ganz profan: aus Unordnung?
Ordnung ist praktisch. Sie spart allerdings nur dann Zeit, wenn man sie konsequent anwendet, „konsequent“ being the operative word. Denn wenn man – wie ich – eher zur Unordnung neigt und irgendwann ausnahmsweise mal etwas vernünftig und ordentlich wegsortiert, dann aber vergisst, dass man zur Abwechslung mal ordentlich war, tja, dann ist die Ordnung vollkommen unnütz. Wie oft mir das schon passiert ist, vermag ich gar nicht zu sagen, denn ich bin, richtig, sehr unordentlich.
Ich betreibe Ordnung auf andere Art. Ich sortiere lieber meine Gedanken als meine Gegenstände, und wenn sie sortiert sind, schreibe ich sie auf, das funktioniert eigentlich ganz gut. Auch bei Serien ist mir Ordnung wichtig. Ich kann Serien nicht so gut bei Folge zwei oder drei anfangen. Eigentlich ist das ja wurst, weil man fast immer super auch später in Serien einsteigen kann, die Drehbücher sind ja oft absichtlich so geschrieben, aber ich mag das einfach nicht. Das muss schon seine Ordnung haben. Einmal bin ich bei Staffel zwei einer Serie eingestiegen, die mein Freund schon kannte. Ich konnte die Serie aber erst wirklich genießen, als ich unabhängig von meinem Freund die erste Staffel nachgestreamt hatte. Bei so einem banalen Mist ist Ordnung auf einmal relevant, bei meiner Steuer und den gesammelten Belegen scheiß ich drauf.
Als Teenager stieß ich irgendwann auf den sogenannten „Sponti-Spruch“ „Wer aufräumt, ist nur zu faul zum Suchen“ und so hielt ich es mein Leben lang. Hab es ohne größere Zwischenfälle bis zur 50 geschafft.
Ich mag Ordnung als Konzept. Ich liebe auch Symmetrie. Sehr. Aber Asymmetrie liebe ich genau so. Allerdings nur, wenn sie ordentlich umgesetzt wird. Auch die Asymmetrie hat einer gewissen Logik zu folgen, damit man merkt, dass man es hier mit Asymmetrie zu tun hat und nicht mit irgendeinem Zufallsprinzip. Aleatorische Anordnungen machen mich verrückt, die mag ich nicht. Die erfordern zu viel Aufmerksamkeit. Zu viel Denkleistung, die vorausgesetzt wird. Asymmetrien sind als solche offensichtlich, bei Randomness versucht man instinktiv erst mal eine gewisse Ordnung darin zu finden. Selbst wenn es nur ein oder zwei Sekunden sind, die man vergeudet, diese Sekunden sind weg und über eine Zeit von fünfzig Jahren läppert sich das. In Summe zu viel verschwendete Gehirnkapazität, über die man noch verfügen könnte, wenn Dinge symmetrisch gewesen wären.
Wie gesagt, ich mag Ordnung. Aber ich möchte sie nicht selbst herstellen. Das verlangt mir zu viel ab. Geduld und Lebenszeit. Wenn ich sie brauche, bring ich die Geduld halt auf und quäl ich mich durch (Steuererklärung einfach jedes Jahr ein Drama, seit 25 Jahren…), ansonsten erfreue ich mich an einem außerordentlich unordentlichen Leben.
Und das ist völlig in Ordnung.
Sophie Stiller: Ein Musikchen
Musik, Musik, jubelt es in mir. Was kommt da an mein Ohr heran? Es schlecht sich ein leises Cello dicht herbei, quietschend, summend, ein warmer Klang, klug und vorsichtig tastend, fühlend.. nebenher galoppiert die EGitarre, es schrammt und dampft rhythmisch vor sich hin, wobei im nächsten Augenblick ein klarer Riff den Raum durchsaust wie ein Blitz. Von links holpert und stolpert ein Saxophon herbei, etwas clownesk und auf schöne Weise unbeholfen mault und jault es den gemeinschaftlichen Klängen zu, wird aufgefangen durch ein freundliches Stuhl-Xylophon, welches sich rhythmisch ins musikalische Gedränge tanzt und das Gejubel und Gejaule mal unter- mal übermalt. Während die hölzernen Rhythmen sich selbstbewusst und ungestüm in die vielen Klänge verweben, kommt plötzlich eine Riesenmuschel zutage und durchbricht dröhnend blasend den Moment. Dieser sehr überraschende Auftritt bringt mich zum Lächeln und Jubeln. Ein wenig später entscheidet auch die Riesenmuschel sich für trancierendes Rhythmisieren, mal rennend, mal laufend, mal summend, mal schnaufend. Prustend. Überall singt es, summt es, klingt es, brummt es, dröhnt es, stöhnt es, schwingt es, singt es, tanzende Pflänzlein und Tierlein wiegen sich dazu und dieser Dschungel der Töne und Farben füllt den ganzen Raum aus.
Dankbar sitze ich dabei und höre zu, in mir breitet sich eine Ruhe und Freude aus wie schon lange nicht mehr und das Gefühl, alles sei doch ganz in Ordnung so wie es ist.
Liebe Grüße von Sophie
Jasper Nicolaisen: Millennial Punk
Der Schlagzeuger der Killerpilze
Ist ungefähr acht
Und hat auch für acht
Radau gemacht
Er hat gedengelt und getreten
Man hat ihn nur sparsam
Darum gebeten
Mit acht ist er kein Sexsymbol
Die Trommel ist von innen hohl
Die Trommel ist von außen laut
Drauf hat der Schlagzeuger der Killerpilze
Seine Karriere gebaut
Mit ca Dreißig tritt er vor die Kamera
Was die Fans beruhigt
Er ist noch da
In einer Doku namens Millennial Punk
Sagt er den Plattenkäufern vielen Dank
Doch auch wir haben bei ihm
Dankesspesen
Ohne den Schlagzeuger der Killerpilze
Wäre das Schlagzeugspiel der Killerpilze
Nicht dasselbe gewesen
Der Gitarrist, der Sänger und der Bassist
Der Killerpilze
Haben schlagzeugerisch weniger beigetragen
Man kennt sie. Doch dazu muss man sie nichts fragen.
Sie hätten wenig oder nichts dazu zu sagen.
Ach übte doch jeder die Zurückhaltung dieser kindlichen Punkveteranen
Wer mit acht noch kein Sexsymbol ist
Und auch kein Schlagzeuger
Mag das eine oder andere davon noch werden
Gibt aber keine Interviews zu Delfinen oder Pferden
Welche zu Weltmeeren oder Ketamin sicher einiges einfiele
Weniger oder nichts jedoch zum Schlagzeugspiele
So schließt sich der Kreis
So bleibt ein jedes bei seinen Leisten
Wir wollen nun schweigen
Das will etwas heißen
Juli Kling: Moby Dick
Als Moby Dick die Essex mit seiner gigantischen Schwanzflosse getroffen hat, ging sie unter mit Pauken und Trompeten. Die Besatzung klammerte sich an alles, was sie hatte: an die Reling, an die Riemen, an die Ladeluken und aneinander. Aber es half den Männern nichts. Sie hatten keine Chance gegen den mächtigsten Wal der Welt. Sie hatten ihn jagen und erlegen wollen, denn sie waren gierig nach seinem Fleisch und dem Rat in seinem riesigen Kopf. Doch Moby Dick dachte nicht daran, sich mit den Walfängern zu beratschlagen. Er rammte die Essex mit ihren drei langen Masten, er brach sie entzwei, als wären sie aus Pappe, und mit seiner gewaltigen Fluke riss er alles in die Tiefe, was nicht niet- und nagelfest war. Die meisten Männer waren es nicht. Nur ein paar wenige von ihnen konnten sich in die verbliebenen Fangboote retten und in Richtung der chilenischen Küste treiben. Sie dachten, Moby Dick wäre fertig mit ihnen, und sie dachten, dass sie vielleicht heil aus der Sache herauskommen und zu ihren Familien zurückkehren könnten. Dabei vergaßen sie, dass auch Moby Dick eine Familie gehabt hatte, die sie ihm in ihrer Jagdlust genommen hatten, und Moby Dick vergaß im Gegensatz zu ihnen gar nichts. Er verfolgte die Fangboote und er beobachtete die Männer, während sie in ihrer Not und in ihrem Hunger begannen, sich gegenseitig aufzuessen. Er bemerkte mit Wonne, wie die Sonne ihre Haut verbrannte und wie ihr eigenes Fleisch ihnen wichtiger wurde als das seine. Er wusste, dass er gewonnen hatte und dass er niemandem einen Rat geben musste, dem er keinen geben wollte.
Daran dachte ich, als ich im Bug eines motorisierten Schlauchbootes saß und warm eingepackt über das bitterkalte Nordmeer glitt. Ich war hier, um den Nachfahren des wehrhaftesten Pottwals aller Zeiten zu begegnen. Zur Sicherheit hatte ich vorher ausreichend gegessen – selbstverständlich nur, um einer möglichen Seekrankheit vorzubeugen, welche mir von allen Seiten prophezeit worden war. Gewiss nicht zu Unrecht, denn ich leide an einem nervösen Magen und als Kind konnte ich lange Autostrecken lediglich mit einem Eimer auf dem Schoß bewältigen. Todesmutig hatte ich mich heute jedoch beim Einsteigen ganz vorne in das wackelige RIB-Boot gesetzt. Ganz oder gar nicht, lautete meine Devise und mit ihr das Gedenken an die zurückgelassene Reisetablette in meiner Unterkunft. Noch nie zuvor war ich in solch einem kleinen Boot auf dem Ozean unterwegs gewesen. Über meiner Winterkleidung trug ich einen ausladenden Kälteschutzanzug, der mir viel zu groß war und in dem ich kaum laufen konnte. Falls ich auf der Fahrt über Bord gehen sollte, was ich in Anbetracht der Historie und meiner mir vorauseilenden Tollpatschigkeit nicht unbedingt für ausgeschlossen hielt, würde er mir bestimmt gute Dienste leisten. Mit gefühlt 180 Sachen bretterte das Boot über das wogende Meer. Die Gischt schlug mir ins Gesicht und ich musste die Augen zusammenkneifen, um auf der azurblauen Unendlichkeit vor mir überhaupt etwas erkennen zu können. Trotzdem war ich die erste, die plötzlich in der Ferne das stiebende Blas eines Pottwals erblickte. Begeistert sprang ich von meinem Sitz auf und zeigte in Richtung des treibenden Wals. „Please sit down! It’s too dangerous!“, schrie mich der Walführer erschrocken an und irgendjemand zog mich am Arm zurück nach unten. Die anderen Fahrgäste redeten aufgeregt durcheinander, aber ich hörte ihre Stimmen nur noch dumpf und undeutlich, denn in mir war ein regelrechtes Konzert im Gange. Jeder Herzschlag fühlte sich an wie ein Paukenschlag und während wir uns der sechsköpfigen Walgruppe näherten, dachte ich, ich würde schlichtweg bersten vor Glück. Mehrere Meter, bevor das Boot die Wale erreichte, stellte der Kapitän den Motor aus und wir trieben schaukelnd über die rastlosen Wellen. Handys wurden gezückt und Kameraauslöser gedrückt, doch ich selbst saß ganz still da und bewegte mich nicht. So laut, wie die Trompeten in meinem Kopf gerade noch gespielt hatten, so verhalten waren meine Gedanken jetzt, im Angesicht der Urenkel von Moby Dick. Ich wusste, dass ich genau richtig war, wo ich war, und ich wusste, dass ich nirgendwo sicherer sein würde als hier draußen auf dem Nordmeer. Denn ich wollte keinen Rat von den Walen, ich wollte einfach nur, dass sie da waren und mein wildes Herz in Ruhe höher schlagen ließen.
Ella:r Gülden: Vom Urlauben
Die Holländer:innen auf Campingplätzen überall in Italien oder in Westfrankreich, in der Lüneburger Heide und an der kroatischen Adria, und die Engländer:innen in ihren Ferienhäusern auf der anderen Seite des Ärmelkanals, wo sie bruchstückhaft „Frrançais“ sprechen und „Crroissant“ und „Pain“ au chocolat reinfressen. Oder an der Nordostsee Fischbrötchen mit Bismarckhering, ja der mit den fünf Bällen spielt..
Naja und selbst die deutschen Urlaubsfreund:innen wollen häufig dorthin, wo das Essen interessant schmeckt, das Gras anders grün ist und die Badegewässer etwas klarer sind, oder wärmer, oder kälter
Oder die Berge höher…
-als in und um
Sonneberg (i. Thüringen) …
Sonniger ist es aber in Offenburg, Pforzheim, Karlsruhe, Kempten im Allgäu und Freiburg im Breisgau
Dacia datsche Fliegenklatsche
In Schland sind die Erdbeeren auf den Selbstpflückfeldern auch schon reif, manchmal gibt es neben diesen ein Labyrinth aus
Stroh
Und zum Zwetschgendatschi am Sommersonntag die Waldmeisterinnenbrause.
Kirschkernausspucken vielleicht manchmal und Himbeerenbärem
Besser als Ballaballa’rmann?! Wasserball und Frisbee am Baggerseeufer, Aufblasflamingo, Schlauchboot und der Spaß hat kein Sommerloch
Manche oder viele bleiben ja jedenfalls auch zuhause, „Urlaub auf Balkonien“ haha, wer kennt’s nicht? Terrasien klingt nicht so attraktiv, oder vielleicht Wintergartien?!
Und warten dann drauf, dass sie die Übergangsjacke endlich zum Wintermantel hängen können und die Eisdielerin durchgehend öffnet
Und die kühlschrankkalte Fruchtbowle steht dann bald bereit, mit den Ananas- und Bananenförmigen Eiswürfeln, und sangria mit dem auch eiskalten Wein und Zimt und an der abwischbar beschichteten Plastiktischdecke hängend diese lila Trauben und grünen Äpfel zum Beschweren, falls ein Sommersturm aufkommt
Für’s extremere Sichbewegen gibt’s auch bereits früher im Jahr die Sommerfrischler:innen, – die, die Anfang Mai schon bei elf Grad Wassertemperatur ihre jünger als sie gebliebenen Stahlkörper in den Voralpensee getaucht haben
Um sich unverbraucht, neu, vital und einfach kühl zu fühlen
PS: Kaltbaden ist ansonsten ja auch das geupdatete, krassere Kneippen für die jüngeren Immunboostaffinen
Und gar allen geben die gelbe Sau oben im Himmel und der lau-sachte Sommerwind hier unten Auftrieb um grundsatzentspannt und fit zu werden als auch zu bleiben für die bald lebenslange Lohnarbeit