Natalia Breininger: Lotterie für alleinstehende Frauen (Ü30)

Sponsored by Life & Facebook
(Ein Mini-Drama in drei Akten)

Besetzung:
a) 1 Frau, als szenischer Monolog
b) 1 Frau & Mann 1,2,3): b1) Frau trägt Text monologisch vor, Mann 1,2,3 sagt jeweils die direkte Rede darin auf/interagiert pantomimisch b2) #Los Nr.1/2/3 wird von Mann 1,2,3 in der Ich-Form, Epilog von Frau vorgetragen

Zusammenfassung / Prolog (aus dem Off): Jedes Los gewinnt! Und auch Sie, Gnädigste, können mit Ihrer Facebook-Teilnahme bei den attraktiven Männerpreisen doch gar nicht verlieren! Greifen Sie zu, Sie werden schließlich nicht immer 30 sein!

#Los Nr.1: Das erste Los, das ich auf Facebook zog, war ein  Koet¹ namens Verse Macher, der in der Hauptstadt lebte und recht bekannt für seine Reime war. Verse stürzte sich nach meiner Freundschaftsanfrage sogleich in einen Onlinedialog, den ich zunächst für Offenheit und Lust am kollegialen Austausch hielt. Verse genoss einen grandiosen Ruf, sah gut aus und kleidete sich mit einer Prise spitzbübischer Coolness, sagte kluge Dinge, wurde beim richtigen Verlag verlegt und saß an den richtigen Hebeln. Zunächst gab er mir nur ein paar literarische Tipps, führte ein paar unverbindliche Messengergespräche, fragte nach einem Treffen, nach einem Kaffee. Ich dachte: Endlich mal einer, der alle Tassen im Schrank hat, dem Literatur und Lyrik genauso viel bedeuten, wie mir, und der ebenso sexy wie anständig ist. Mr. Makellos eben.

Ins Wanken geriet dieser Eindruck, als mir ein befreundeter Maler erklärte, dass Mr. Makellos verheiratet war. Die Kinder stammten zwar aus einer früheren Ehe, aber eine aktuelle Gemahlin gab es nichtsdestotrotz. Sie war älter, jedoch auch deutlich schlanker, schöner und erfolgreicher in der Schreibwelt als ich. Der Hansel hatte also längst schon eine, der Literatur und Lyrik genauso viel bedeuteten, wie mir; ihm fehlte lediglich die Wichsvorlage für sein Glück. Seltsam daran war nur, dass die halbe Portion Brad Pitt es bei Jennifer Aniston statt Angelina Jolie suchte.

Eines Nachmittags zog Verse schließlich die Flirtzügel an und fragte mich per Messenger, welche Art von Mann mir denn zusagen würde, schmiedete mit mir Projektpläne kreativer Art und bot mir, als ich aufgrund eines neuen Jobs zur Wohnungssuche in die Hauptstadt fahren musste, ganz selbstlos an, ein paar Nächte in seinem Gästezimmer zu übernachten – wenn die Kinder nicht da wären. Dass sich Angelina Jolie indessen auf Geschäftsreise befand und im Allgemeinen auf mehrere Städte verteilt lebte, blieb unerwähnt. Ich lehnte ab.

Zwei Wochen später hatte Mr Makellos bereits vergessen, dass ich in die Hauptstadt gezogen war und tat bei einer Vernissage, der wir beide beiwohnten, so, als würde er mich nicht kennen.

Über eines wundere ich mich allerdings nich heute: Bei wem die Ehefrau sonst so als Kind mitverbucht wird.

#Los Nr.2: Schrift Steller bekam ich das erste Mal auf seiner Lesetour zu Gesicht, die ihn fern der Hauptstadt durch den Süden des Landes jagte. Er schaute zufällig beim Signieren eines seiner Bücher hoch, während die Freundinnen, die mich mitgebracht hatten, ein Autogramm von ihm wollten, und blieb mit dem Blick an mir hängen. Der Blick hatte etwas Schockiertes.

Im Laufe der nächsten Monate liefen wir uns immer wieder auf Buchmessen und Kulturveranstaltungen über den Weg, bis diese Aufeinandertreffsequenz darin mündete, dass wir beide in der gleichen Stadt wohnten. Da Schrift jedoch trotz seiner Bekanntheit als Kautor² eine gewisse Scheu mir gegenüber hegte, blieb es lange Zeit beim Anstarren und gemeinsamen Smalltalkrunden auf Events, in denen er seine Ehefrau, seine Kinder sowie sein gesamtes perfektes Leben vor den anderen zu betonen wusste.
Dennoch schwirrten ständig junge Frauen um ihn herum, die man getrost als Groupies bezeichnen könnte und deren Flirts er lächelnd ertrug, ohne darauf einzugehen. Immerhin wäre er glücklich verheiratet und interessiere sich nicht dafür – Literatur, darum, ausschließlich darum ginge es ihm, meinte er.

Ich dachte: Endlich mal einer, der alle Hormone im Schrank hat, dem Literatur und Lyrik genauso viel bedeuten wie mir und der nicht seine Ehefrau verschweigt. Mr. Makellos eben. Vielleicht ließe sich ja eine Freundschaft etablieren, wennschon die Fronten geklärt und wir auf Facebook bereits befreundet sind.

Kurz darauf zog ich aufgrund meines Jobwechsels in die Hauptstadt um. Am Wochenende vor meinem Umzug hatten wir uns nach einer seiner Lesungen auf ein Bier verabredet und setzten den Plan, nachdem mich Schrift per Messenger kontaktiert und seine Ankunft in der Hauptstadt im Rahmen eines Filmfestivals mitgeteilt hatte, zu meinem großen Erstaunen um.

Wit trafen uns in meinem Kiez, in einer Bar um die Ecke, die hell genug für den Nachmittag und dunkel genug für einen Drink war und blieben dort acht Stunden lang. Es gab Wein, gutes Essen und Diskussionen über Literatur, die zeitgenössische wie die retrospektive, Anekdoten aus unserer Jugend und Geschichten aus seinem Dasein als literarischer Star, der alles zu haben schien, was man(n) so braucht und alles zu sein; bis mir auffiel, wie knülle er war.

Plötzlich schob Schrift seine Hand über meine auf dem Tisch. Aphrodite hielt vor Schreckt den Atem an. Sie starrte nach links, starrte nach rechts, der Ehering an Schrifts Hand machte blink blink und er zwinker zwinker – sie erinnerte sich an seinen Sohn, dem sie einmal begegnet war und zog die Hand weg. Oh, schon so spät, wollen wir nicht langsam gehen, brummelte sie, er bezahlte.

Draußen, beim Entlanggehen der halbdunklen Straße, stellte sich jedoch heraus, dass er seinen letzten Zug verpasst hatte und den nächsten erst um vier oder fünf Uhr morgens nehmen könne. Also standen wir da, vor der U-Bahn-Station, und ich spürte, wie 100 Kilogramm knülle Kautorschaft gemächlich auf meinen Schultern stiegen. Ich bekam Migräne. Auf seine Frage, ob bei mir nicht zufällig eine Couch frei wäre, antwortete ich eloquent-diplomatisch mit: Nö. Schrift nahm es mir nicht übel. Er verabschiedete sich höflich und ging, zusammen mit unserer Freundschaft, dahin, in die Abgründe des unterirdischen Verkehrslebens.

Über eines wundere ich mich allerdings noch heute: Wie es ist, eine literarisch versierte Alkoholleiche zu vögeln.

#Los Nr.3: Das dritte Lotterielos brauchte auf Facebook über ein Jahr, um sich zu rühren. Vielleicht lag es daran, dass er nicht Literat, sondern Pusiker³ war und das gesprochene Wort bis dahin nur stumm zu begleiten wusste. Nach meinem Umzug fasste Bam Bam jedoch Mut und lud mich zu einem seiner Konzerte in der Hauptstadt ein. Ich hielt mich zuerst bedeckt.
In den nächsten Tagen plauderten wir aber so locker und entspannt auf Facebook, dass ich dachte… Sie wissen schon… Endlich mal einer, der alle Noten im Schrank hat, dem Sprache und Musik genauso viel bedeuten, wie mir, und der seine Frau nicht hintergeht, weil er gar keine hat. Mr. Makellos eben. Ich sagte zu.

Am nächsten Morgen fragte mich Bam Bam voller Vorfreude im Messenger, ob wir schon soweit wären. Soweit wofür, erkundigte ich mich verwirrt. Er käme doch ursprünglich aus einer anderen Stadt und bräuchte eine Übernachtung, erklärte er, ob ich infrage käme.

Ich schloss die Augen: Ein ausgewachsener Mann, den ich noch nie in meinem Leben getroffen hatte, würde nach seinem Konzert, bei dem ich ihm die ganzen Abend zujubeln müsste, mich anschließend als Bed and Breakfast nutzen. Nein, nein, nein, nein, nein. Ich lehnte ab.

Über eines wundere ich mich allerdings noch heute: Ob er es wirklich so gut krachen lässt, wie behauptet.

#Epilog: Eine Woche später gab ich die Männer auf und bestellte mir im Onlineshop den ersten Vibrator meines Lebens. No fuss, no muss, dachte ich, als ich ihn auspackte: Endlich mal einer, dem good vibrations genauso wichtig sind, wie mir. Mr. Makellos eben. Ich schaltete ihn an. Mr. Makellos war defekt.

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¹(Koet ist ein Kompositum aus den Substantiven Kot und Poet.)
²(Kautor ist ein Kompositum aus dem Verb[wider]kauen und dem Substantiv Autor.)
³(Pusiker ist ein Kompositum aus den Substantiven Pussy und Musiker.)


Sprecher*innen: Lily Schuster
Luca Ochmonek

Regie, Schnitt: Lukas Münich

Joe Wentrup: Gezockt!

8-Bit-Monster und monotone Melodien, Joints bis fünf Uhr morgens. Noch immer zerstörte sich das Spaceplane im letzten Level. Ein exzessiver Sommer in den 80ern war mein Zocker-Einstieg. Zocken hieß es allerdings erst Jahre später, als der Meurer (möge er in Frieden ruhen) im Kölner Unicenter sein Unwesen trieb. Seine tragbare Konsole quengelte bis ins Morgengrauen. Joints inclusive, für Meurer zumindest. Und endlich kam mein Spaceplane ins Ziel: Der Mensch lernt auch im Nichtstun. Dann herrschte jahrelange Zockerruhe, lässt man die erfolglosen Versuche sich in Spielkasinos zu bereichern, außer Acht (Meine beste Methode: so langsam verlieren, dass die gereichten Drinks und Snacks die Mühe wert sind). Schließlich kam mein Sohn ins Zockeralter. Obsessiv. Einmal stand seine Konsole auch bei mir, GTA inklusive: Auf die Fresse hauen, losfahren, Musik hören, von den Bullen erschossen werden, Neustart. Bei der sorglosen Spazierfahrt gönnte ich mir eine halbe Flasche Rum. Irgendwann kannte ich die Welt, vom Junkie-Hangout unterm Highway bis zum lichten, pumaverseuchten Hochgebirge. Sogar ein Spaceplane kam vorbeigeflogen. Ach wie schön kann Zocken ohne Ehrgeiz sein! Auch beim Black Jack: Im mobilen Sauerland-Casino meines Lieblingsmoslems (treffen wir uns am Tresen, gibt er mir ein Bier aus) und Ex-Karnevalsprinzen Sead machte ich den zweiten Platz, immerhin noch vor dem lokalen AfD-Rocker und David-Duke-Kumpel. Es gewann, mit viel Erfahrung und Gespür, ein Moslembruder des Betreibers. Am Ende hielten der Sieger, ich und David Dukes Kumpel stolz unsere Veltins-Fässchen in die Kamera und erschienen am nächsten Tag einträchtig auf der Lokalseite der Westfalenpost. So geht die Zeit dahin, verzockte Jahre im Spiegel der Provinz. Gerne würde ich malwieder als PacMan durch Raytracing-Landschaften reiten. Doch allein, der Geist ist unwillig, verbleibt vor Ort und lacht den Bildschirm aus. Ich trete ins Freie und blicke in den Himmel: Kein Spaceplane weit und breit.

Mina Reischer: Der Glockenpeter

Das Haus, in dem ein Glücksspieler angetroffen wird, wird konfisziert.

Mir ist die Kehle vom Lügen trocken. Ich bin so durstig und matt, dass ich kaum sprechen kann. Das stete Kommen und Gehen in diesem Haus ertrage ich nur schlecht. 

Hört nur.

Die Charakterlosigkeit der Anderen hat auch mich zum Lügner gemacht.

Hört gut hin.

Mir fehlt es nicht an Seelensubstanz. Bloßen Beziehungen ohne Grund kann ich nichts abgewinnen. Bestimmte Zufälligkeiten, vor allem aber deren Zeitlichkeit und schmerzhafte Wiederholung haben aus einem Bächlein einen Fluss gemacht. 

Der Glockenpeter… Ding. Dong. Ding. Dong. Ding. Dong.

Jetzt saufe ich jeden Tag bis mir das Bier aus den Augen tritt. Wer mich kennenlernen will, der wird mich finden. Er muss bloß nach meinen traurigen Augenringen Ausschau halten. Wir schenken immer den Geschichten Glauben, die am widersinnigsten sind. 

Passt Du gut auf? Wachst Du über dieses Haus?

Ich frage Euch also: Was ist die Wahrheit?

Der Glockenpeter kennt die wesentlichen Grundsätze zur Bewertung von Geschicklichkeit. Er weiß von der Möglichkeit den Ausgang des Spiels durch Geschicklichkeit und nicht durch Zufall zu beeinflussen. Und doch hat er im nüchternen Zustand mit äußerstem Leichtsinn Haus und Hof verspielt. Und zuletzt sogar seine eigene Freiheit.

Ich weiß, dass Stehlen verboten ist. Das genügt mir. Ich passe auf. Sobald ich genug gestohlen habe, gehe ich nach Hause. Gott weiß wie viele unzählige Male ich so durchgekommen bin ohne einen Schaden zu nehmen. Aber jetzt passt mein Schlüssel hier nicht mehr. Er dreht sich nicht mehr um im Schloss. Ich werde allen erzählen es handle sich um ein verwunschenes Haus. Die Wahrheit würde ja doch keinen interessieren. Man wird sich dann erzählen: Von diesem Haus sind nur noch die Mauern stehen geblieben. Es wird keiner herirren, um sich vom Gegenteil zu überzeugen. Seit vorletzter Nacht habe ich hier kein Zimmer mehr. Jener alberne Tag liegt nun bereits zwei Tage zurück. Es sind die Tage, von den wir sagen: Sie gefallen uns nicht.

Man hört es laut und deutlich: Dies ist das Ticken der kommenden Zeit.

Ding. Dong.

Es stimmt doch: Jeder kann sehen, dass ich keine Zähne mehr habe, obwohl ich noch so jung bin. Manchmal habe ich Angst, dass Du Dich meinetwegen schämst.

Ding. Dong.

Das ist nicht wahr. Du hast wahrscheinlich kein gutes Herz und keinen lauteren Kopf, das kann gut sein. Aber ich will, dass Du mich auch ohne Zähne ein ganzes Leben lang küssen sollst.

Ding. Dong.

Überhaupt rede ich das Blaue vom Himmel herunter und Du unterbrichst mich nicht. Du musst mich öfter unterbrechen. Wenn ich mit Dir rede möchte ich alles, alles, alles aussprechen. Ich verliere jede Form.

Ding. Dong.

Nein, nein. Gibt es denn etwas Schöneres, wenn man voreinander keine Umstände macht, sondern offen und unverblümt handelt? Wir erleben den Sonnenauf- und -untergang nur, indem wir uns nach Osten und Westen wenden. Ich wende mich nach Dir und habe keine Angst vor dem Geschwätz der Leute. Rede mit mir, soviel Du willst.

Ding. Dong.

Töricht bist Du. Und dumm. Das Zimmer, das ich hier bewohne, gleicht einer Gefängniszelle. Ohne Fenster, fast wie ein Wandschrank. Aber es ist ein sehr gemütliches Zimmer. Was es so deprimierend macht ist allein die ständige Dunkelheit. Aber es ist auch der Ruhepol der sich drehenden Welt, dort wo der Tanz stattfindet. Die Nächte mit Dir waren schön, doch ich liebe Dich nicht. Auch als Zahnloser bleibe ich gefährlich. Du verkennst, dass ich keine Sonne bin. Aber die meisten Menschen erliegen mindestens einem Irrtum im Leben. Ich bin nicht der Adam, für den Du mich hältst.

Ding. Dong.

Gib mir den Zimmerschlüssel. Ich will Dich hier nie wieder sehen. Ich erwähne diese Zeit nicht mehr. Ich weiß nicht, wo ich mich befinde.

Lieben will er sie also nicht… Was sagt der Glockenpeter? Glockenpeter…

Sie ist eine Prinzessin in dieser Stadt. Sie gehört hier nicht her. Was in uns will eigentlich zur Wahrheit? Und warum nicht zur Unwahrheit oder zur Ungewissheit?

Es ist so rätselhaft.

Es sind die stillen Leute, die einander vertrauen.


Musik: Felix Foerster

Matt S. Bakausky: Die Person, die beim Spiel des Lebens schummelte

Die meiste Zeit verbringt man also in diesen Casinos und spielt darum am großen Rennen teilzunehmen. Doch man muss auch Zeit im Becken verbringen, um Schwimmen zu üben. Und mit viel Glück gewinnt man dann das goldene Ticket und darf an einem Rennen teilnehmen.
Jaja, das Licht am Ende des Tunnels – das sind die Glühlampen der großen Casinos. Wissen nur die wenigstens, aber ich weiß es, denn ich erinnere mich noch genau daran, als wäre es gestern gewesen.
Die Zeit vergisst man dabei, dafür sorgen die großen Casinobetreiber schon. Nirgendwo gibt es eine Uhr oder einen Hinweis darauf, ob es gerade Tag oder Nacht ist.
Wenn man dann am Rennen teilnimmt ist das was ganz großes. Aber wie gesagt, man muss auch das Schwimmen trainieren. Denn die Chance beim Rennen zu gewinnen ist gering. Zu viele Teilnehmer – manchmal gar über 100 Millionen. Man muss also eventuell tricksen.
Also ich hatte nach all der Zeit im Casino und im Schwimmbecken keinen Bock mehr darauf das Rennen zu verlieren und machte einen Deal. Ja ich weiß, nicht ganz die feine englische Art, doch wer würde sich nicht einen Vorteil verschaffen, um aus diesem öden Alltag herauszukommen? Vor allem gibt es viele Rennen bei denen man gar nicht gewinnt, wenn man der Beste ist. Da gewinnt keiner – der große Preis bleibt aus.Ich lernte einen Hacker kennen, der mir das ideale Rennen heraussuchen sollte. Ich schloss einen Pakt mit ihm. Alles Beginner außer mir und so schaffte ich es auf den ersten Platz.
Nach wie vielen Rennen? Tausenden? Nach wie vielen Stunden im Casino? Milliarden? Doch ich war noch nicht bereit ein Rennen zu gewinnen, das merkte ich erst später.
Man kann nicht wirklich betrügen. Klar ich hatte das große Rennen gewonnen, jedoch fehlt mir nun jeglicher Ehrgeiz. Hätte ich mir den im Schwimmbad erarbeitet, wäre ich in dieser Welt vielleicht erfolgreich.
Hätte mich nur jemand gewarnt, wäre ich im Schwimmbad geblieben. Ich bin einer von Milliarden Siegern und sehne mich zurück in die Stadt mit den hellen Lichtern. Doch diesmal würde ich es anders machen. Keine Rennen mehr, keine Casinos und im Schwimmbad lieber Pommes essen.

Marius Geitz: Zocken II

Oben und unten
Und stark und schwach
Vielleicht ist das die falsche Unterteilung
Geöffnet und verschlossen
Und das korrekte Maß
Vielmehr geht es doch darum bereit zu sein

Sicherheit und Sicherung
Des eigenen Tun
So viel Angst davor
Nochmal loszugeh‘n
Doch der Umkehrschluss
Ist der endgültige Stillstand
Und somit der Verlust
Tiefer zu seh‘n

Bereit für die Öffnung
Bereit für den Verschluss
Bereit dafür, dass sich was bewegt
Doch bereit zu sein
Heißt eine Lücke zu erkennen
Und diese Lücke auch zu verstehen

Der Gewinn ist rein
Der Gewinn ist klar
Der Gewinn ist was gewonnen werden will
Nur leicht zu erreichen
Ist dieser sicher nicht
Sonst wär’ das Leid auf dem Weg
Nichts wert
wenigstens nicht viel

Marius Geitz: Zocken I

Kaum ist eine Unzulänglichkeit offenkundig geworden,
fallen die Geier ein und zerfleischen alles.
Kaum ist ein kleiner Riss sichtbar geworden,
werden die Brechstangen angesetzt und heben alles aus den Angeln.
Kaum hat das Tempo für einen Moment nachgelassen,
Kommen die großen Räder und walzen alles platt.

Die Konsequenz daraus müsste sein,
jede Unzulänglichkeit zu verstecken.
Die Konsequenz müsste sein,
Jeden kleinen Riss zu verputzen.
Sie müsste sein,
Das Tempo unaufhörlich beizubehalten.
Kann das unsere Lösung sein?

Besser wäre doch,
Wir lachten die Geier aus
Besser wäre doch,
Wir schmälzten die Brechstangen ein
Besser wäre doch,
Wir fänden unser eigenes Tempo
Und am besten wäre doch,
Wir höben das Kinn und riefen:
Wir entscheiden selbst.

Untot in Gostenhof: (4) Serban zockt

Ida saß auf dem Sattel ihres schwarzen Damenrades und stützte sich mit einem Fuß an der wuchtigen Türschwelle des Gründerzeit-Wohnhauses ab. Es war Herbst, der Himmel hing graugelb wie Haferschleim über der Stadt, ein eisiger Wind blies durch die Straße und schleuderte eine Handvoll Regentropfen nach der anderen waagrecht gegen Passanten und Fensterscheiben. Auf dem Gepäckständer des Fahrrades war eine Banane festgeklemmt. Ida machte keine Anstalten, abzusteigen oder loszufahren. Stattdessen rauchte sie eine lange, dünne Zigarette in einer silbernen Zigarettenspitze. Ein kleiner Junge mit einem bunten Schulranzen auf dem Rücken bog um die Ecke und hüpfte auf die Türschwelle. 

»Hey, Alfons!« begrüßte Ida den Buben, der mit seiner Mutter und seiner Schwester im zweiten Stock wohnte. 

»Hey, Ida! Was machst du denn mit der Banane auf dem Fahrrad?« fragte der Junge. 

»Spezialdienstleistung: Lebensmittel ausliefern. Neuer Job. Ich halte gerade die Ruhezeit ein.« 

Sie blies einen Rauchring in die Luft. »Magst du schon mal hoch? Onkel Serban ist zu Hause. Er spielt bestimmt was mit dir, bis deine Mama nach Hause kommt.« 

In diesem Moment ertönte ein gedämpfter Klingelton. Ida begann, ihren rechten Arm zu schütteln. Rasch tauchte ein schwarzer Gegenstand im Bündchen ihrer schwarzen Lederjacke auf, und es dauerte nicht lange, da baumelte ein klobiger Telefonhörer an einem Spiralkabel aus dem Ärmel. 

»Lieferdienst Hotz & Partner … ja? … o.k., ich komme sofort!« 

»Muss du schon fort?« fragte Alfons. 

»Ich bin gleich bei euch! Ich muss nur schnell in die Südstadt, da braucht jemand in der Humboldtstraße dringend ein frisches Ei.« 

Ida streckte erneut ihren Arm aus und wackelte kurz mit dem Ellenbogen, woraufhin ein schneeweißes Hühnerei aus dem Ärmel in ihre Hand rutschte. 

»Ui!« sagte Alfons und machte große Augen. »Wie machst du das?«

»Übung, reine Übung!« grinste Ida und entblößte ein Paar nadelspitzer langer und schneeweißer Eckzähne. 

Sie klemmte das Ei vorsichtig neben die Banane unter den Metallbügel des altmodischen Gepäckträgers. Dann drückte sie die große schwarze Sonnenbrille fest auf ihre Nase und radelte los, während Alfons im Haus verschwand. 
Keine fünf Minuten später tauchte Ida wieder im Wohnzimmer ihrer Tante Mathilda und ihres Onkels Serban auf. Serban und die Nachbarkinder saßen auf dem Sofa und  starrten angestrengt nach oben zur Decke. Alle drei hatten eine messingfarbene Pfeife  im Mund stecken, in die sie mit aller Kraft hineinbliesen, aber kein Ton war zu hören. Oben, dicht unter der Stuckverzierung kreisten mit einem Affentempo drei Fledermäuse, die um die Wette flogen. 

»Na, ihr beiden! Spielt ihr wieder Fledermaus-Olympiade?« 

Onkel Serban spuckte die Ultraschall-Pfeife aus und schnappte geräuschvoll nach Luft. Sein großer runder Kopf glühte rot, wodurch seine weiße, in alle Richtungen abstehende Mähne besonders gut zur Geltung kam. 

»Genau! Diese kleinen Räuber hier haben mich zuvor schon beim Kirschkern-Spucken, bei ›Knochenmühle‹, Grabstein-Memory und beim ›Zombie, ärgere dich nicht!‹ besiegt!« 

»Und zwar zu Null!« jubelte Alfons‘ Schwester Emilie. 

In diesem Moment klingelte erneut das Telefon. Ida holte den Hörer aus dem Ärmel und nahm das Gespräch an: »Zwei Scheiben Salami? Scharf? Pferd – kein Problem! Ich bin in zwei Minuten bei Ihnen.« 

Sie sprang auf die Beine und schlang ein weites Tuch mit aufgedruckten Totenköpfen um ihren Kopf. 

»Lass mal Kind, ich mach das«, bestimmte Onkel Serban. »Leg du mal die Beine hoch!« 

»Aber Onkelchen! Ich bin noch gar nicht erschöpft! Den Lieferdienst habe ich doch erst heute morgen erfunden – « 

»Nichts da!« widersprach Serban energisch. »Ich bin quasi schon unterwegs!«

Er griff sich mit links und rechts hinter beide Ohren und zog jeweils eine Scheibe Salami hervor. Dann rief er »Tschü-üüs!« und machte einen Salto aus dem Fenster. 

»Na gut«, sagte Ida, »dann zock eben ich mit euch weiter. Der liebe Serban hofft doch nur darauf, dass ihm der Kunde einen Schnaps ausgibt. Was haltet ihr von einer Runde Phantom-Poker mit den Spinnen auf dem Dachboden?«


Erzähler: Carsten Striepe
Ida: Julia Gruber
Onkel Serban: Moses Wolff
Alfons: Benedikt
Emilie: Emma

Regie/Schnitt:
Lukas Münich
Titelmusik:
Andreas V. Weber

Robert Segel: LeidEchse

Ich habe die Hinterbeine entdeckt und du den Schwanz.
Einen Wimpernschlag, bevor sie in einer der unzähligen Felsspalten verschwanden.
Doch dieser Augenblick genügte, um sich das Muster einzuprägen. Ein sattes Grün, durchstreift von sandfarbenem Braun, besprenkelt mit dunklen Tropfen. Die winzig kleinen Schuppen, angeordnet in perfekter Symmetrie, erschaffen worden, um Sonnenstrahlen zu empfangen und Regentropfen abzuwehren.

Eine Eidechse, die es hier zu tausenden gab, und die bei jedem Schritt von uns flüchteten, ins Gras oder unter einen Stein und man sich immer wieder fragte: „Warum die Flucht?“
Man hätte sie niemals ausmachen können mit ihrer Tarnung.

Ein Wunder, eines von so vielen der Natur, doch man hat viel zu wenig Zeit, um die Augen zu öffnen und die Luft anzuhalten.
Hier hat man sie, hier auf dieser Insel.
Auf dem Festland hatte man uns gewarnt, die Inselbewohner wären verschroben und unfreundlich. Man hat uns dreist ins Gesicht gelogen, das haben wir gemerkt, gleich nachdem die Fähre andockte. Eine dreiste Lüge, um die Touristen auf dem Festland zu halten.
Und obwohl wir ihre Sprache nicht kannten, haben sie uns das Leben erklärt.
Das wahre Leben, das sich zwischen Leid und Glück versteckt und manchmal auch daneben.
Die Eidechsen, meinten sie, seien wie das Glück, das man versucht zu fangen, mit aller Macht. Doch je mehr man dafür einsetzt, desto eher flieht es in den nächsten Felsspalt.
Man müsse besonnen mit dem Glück umgehen und es entdecken, erzählte uns ein alter Knabe mit einem dieser atemberaubend schönen Tiere auf seiner Hand.
Sein Lächeln war zahnlos.

Und nun standen wir an der Felswand, die er uns empfohlen hatte und suchten nach der Eidechse, die uns eben aufgefallen war.
Wir durchsuchten jeden Felsspalt und verloren dort ein Stückchen Hoffnung, jedes mal, wenn unser Glück vorbeihuschte und sich ein neues Versteck suchte.
Wir jagten ewig.
Wir hatten keine Uhren und keinen Sinn für die Zeit.
Und als ich, wohl eher glücklich als gewollt,
diese Eidechse zu fassen bekam und nur ihren Schwanz behielt,
das Tier jedoch flüchten konnte,
wurden wir uns uneinig.
Denn du sprachst von Leid.

Verena Schmidt: Chiffre Glücksspiel

Socken. Ähh zocken (jiddisch „zschocken“) steht laut Wikipedia umgangssprachlich seit den 2010er-Jahren für das Spielen von Computerspielen – und bei diesem netten Zeitvertreib ist man ja meist alleine. Anders verhielt es sich in den Zeiten des Wirtschaftswunders. Hornbrille zurechtgerückt und Ohren gespitzt. Unter dem Buchstaben K findet man einen hilfreichen Leitfaden zur Vorbereitung einer Kartenpartie und im Anschluß zum gesellschaftlichen Verhalten wären des Kartenspielens. Da die Zusammenkunft in privatem Kreis stattfindet, wird der Gastgeber angehalten alles so vorzubereiten, dass das Spiel gleich beginnen kann, wenn die Runde vollzählig beisammen ist. Zur Vorbereitung gehören: ein passender, mit grünem Tuch bespannter Tisch saubere (Chiffre) Spielkarten niemandem sollte zugemutet werden mit abgegriffenen und „gezeichneten“ Karten zu spielen Schreibblock und Bleistift eventuell Spielmarken sowie geeignete Tassen. Griffbereit sollten auch Rauchzeug und genügend viele (Chiffre) Aschenbecher für (Chiffre) Raucher sein. Spielen Sie möglichst geräuschlos und schonen Sie die Karten, wenn Sie irgendwo mit von der Partie sind. Wer Karten „drischt“ gehört nicht in eine kultivierte Gesellschaft. (Chiffre) Kiebitz Nach etwa einer Stunde werden Chiffre Erfrischungen angeboten. Schließlich wäre es unhöflich gegen den Gastgeber und auch unhygienisch, diese Erfrischungen während des Zockens- ähm des Spielens zu sich zu nehmen. Also: das nette Spiel unterbrechen, eine kleine Pause wird den erregten Gemütern nicht schaden. (Chriffre) Spielschulden.

Christine Wiesel: Fritz, der Glücksspieler

Schlappernd mit Hundeblick
eingenässt und verkotet
vegetiert er der Fritz.

Er lebt noch, was denkt er?
Hat er jeweils etwas gedacht?
Oder nur alle benutzt und ausgebeutet?

Olga gebar den Manfred,
entstanden irgendwann durch den Herrn Papa,
lange vor meiner Zeit und lange nicht gewahr.

Was war ihm wichtig?
Hat er einmal jemanden richtig geliebt?
Alles nicht klar.
Die Partnerinnen waren z. Teil einfach so
fabelhaft und gingen an ihm zugrunde oder fast.

Die soziale Frage brachte selbst mich um den Verstand.
Am Lebensende hat es auch mich erreicht
und ich sehe die geöffnete Hand.