Matt S. Bakausky: Heilbringender Müll

Meine Wohnung ist voller Müll.

Ein Freund ist jemand, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Müll zu verwerten. Ich sitze mit Schal um den Kopf und einer Sonnenbrille vor den Augen, auf dem Bett und jammere. Der Freund macht sich Kaffee, ich mir Tee. Er spült ab.

Der Freund packt riesige Mülltüten. Er versucht mich zu motivieren, mitzumachen. Die anderen soll ich vergessen. Er fragt mich, was ich so denke und ich sage ihm, dass ich nur denke, wenn ich rede. Sonst ist mein Kopf leer. Wir bringen den Müll gemeinsam runter.
Die Mantras aus dem Handy waren nervtötend und wir haben sie ausgemacht. Aber manchmal ist die Stille und ein Gespräch besser ohne musikalische Begleitung.

Ich sehe meinen Freund im Müllcontainer stehen, so drückt er das Altpapier zusammen. Dann möchte er das Pfand zurückbringen. Ich weigere mich. Beklage mich, dass es mir dreckig geht, dass Licht mich blendet, dass ich voll fertig bin. Dann ist mir klar. Der gibt nicht auf.

Er meint, es würde helfen. Sich um sich zu kümmern, seine Wohnung aufzuräumen. Also muss ich wohl mit.

Im Supermarkt gibt es einen Automaten, er nimmt fast alle Flaschen an. Nur zwei große Glasflaschen bleiben übrig. Der Typ kennt mich besser als ich mich kenne, sucht mir ein Getränk aus und etwas zu essen für morgen früh. Mein Lieblingseistee vom Dönerverkäufer, Bananen, Brot, Fleischsalat und Zwiebelwurst. Bei der Zwiebelwurst frage ich ihn, ob er meinen Müll durchsucht hätte. Ich weiß es selbstverständlich besser. Er kennt mich. Nachdem alles bezahlt ist, bekommen wir sieben Euro, siebenundsiebzig Cent Rückgeld, eine Glückszahl aus der Welt des Casinos.

Die Querdenker Demo ist jetzt um die Ecke bei mir angekommen. Polizisten laufen vorbei. Der Meister hilft mir, den Querdenkern zu verzeihen, sodass sie mich in Frieden lassen. Sie schreien mit einer lauten Stimme, man sieht nur blaues Licht von der Polizei und die Stimme ist komplett unverständlich. Ich sage zum Meister, dass sie Lügen und deshalb unverständlich sind. Ich weiß natürlich besser, dass sie nicht zufällig hier sind.

Wieder zu Hause hat mir der Freund einen Sessel leer geräumt, auf dem ich sitze und ich erzählen ihm wie es mir geht. Ich fange an zu weinen. Sage, dass ich beim letzten Mal ganz alleine war und die ganze Welt gegen mich, jetzt hätte ich jedoch Freunde, die mich beschützen. Ich erzähle, dass zurzeit die Psychiatrien zu sind und deshalb die Verrückten draußen herumlaufen und hinter mir her wären. Ich weine. Er umarmt mich, ist für mich da. Ich weine noch mehr. Dann muss er los, weiter arbeiten.

Er empfiehlt mir schlafen zu gehen und längere Texte zu schreiben. Er erzählt Geschichten von jemanden, der eine Reinigungskraft hat und dass man sich gegenseitig helfen muss. Verabschiedung mit Bro-Faust.

Ich sitze vor der Schreibmaschine. Und vor mir steht der kopflose Buddha als Figur und davor ein kleines Mädchen im Kleid aus Plastik ohne Kopf.

Das hat der Meister für mich im Müll auf der Straße gefunden. Wir sprechen nicht darüber, wer wir sind, denn wir wissen es. Wir kennen das Verhältnis. Eine Hand wäscht die andere.

Auf der Handyhülle – beinahe schon entsorgt und vom Meister gerettet – steht „One Love“.

Matt S. Bakausky: Leidenschaft

Stolz präsentierte ich ihr meine Sammlung. Sie war fasziniert und stellte Fragen zu den verschiedenen Exemplaren im Ordner. Sie war willig, an meiner Sammelleidenschaft teilzuhaben, schlug sogar vor, dass wir einen Ordner für gemeinsame Kinder anlegen könnten, sodass auch bei ihnen dieses Interesse geweckt werden würde. Ich war im siebten Himmel, mir war klar, dass ich diese Frau heiraten würde und dass ich ihre Zehennägel, so wie meine, Jahr für Jahr in einen Ordner abheften würde. Und nach 9 Monaten würden wir dann einen kleinen Ordner anlegen, für die Zehennägel unseres ersten Kindes. Eine finale Prüfung würde sie noch bestehen müssen. Beim Essen stellte ich süßen Senf und Ketchup auf den Tisch. Dazu hatte Weißwürste und Brezen zubereitet. Gespannt blickte ich zu ihr rüber, versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Doch dann sah ich rot und mein Traum vom Teilen meines Lebens mit dieser Frau verschwand. Nein, nein, nein, Tausendmal nein. Kein Ketchup zu Weißwürste. Ich verabschiedete mich, ohne mir etwas anmerken zu lassen von der Dame. Nachdem sie das Haus verlassen hatte, blockierte ich ihre Nummer und installierte eine neue Dating-App.

Matt S. Bakausky (mit Alex K) – Die Schmähl-Eiche

Als Kind war ich gut im Tauchen, ich liebte die Besuche im städtischen Schwimmbad. Als ich dann mein erstes Haus mit den Millionen aus der Schriftstellerei gekauft hatte, war ich voller Freude. Nur ein Nachbar weit und breit und es gab eine wunderschöne Gartenanlage mit viel Platz. Vor meinen Augen hatte ich bereits den Swimming Pool eingeplant. Bei Brenners beauftragte ich das Schwimmbecken, zahlte in Bar. Denn Bargeld lacht.

Sie kamen vorbei und nahmen Maß. Dieser eine Baum müsste gefällt werden. Das würde ich locker in Kauf nehmen, dachte ich mir. So ein Baum mehr oder weniger würde doch nicht stören. Da irrte ich mich wohl. Herr Brenner sagte, dass man für so einen Swimmingpool-Bau im Garten bei der Behörde sich eine Genehmigung holen müsste. Eine reine Formalität.

Dienstag zwischen zehn und 14 Uhr wollte ein Herr Humpfel vorbeikommen und  ich dachte mir, der schaut sich das nur an und unterschreibt dann die Papiere. Aber Pusteblume. „Als Kind tauchte ich gerne und es war schon immer mein Traum einen eigenen Swimmingpool zu haben“, erzählte ich dem Humpfel, als er auftauchte. Er betrachtete den Bauplan und dann den Garten. Dann zeigte er auf den Baum. „Das ist eine Schmähl-Eiche, die steht unter Naturschutz.“ Ich schaue entgeistert. „Ja, kann man die nicht irgendwie woanders hinstellen?“ – „Ja ja, der Glaube versetzt Berge…“, sagt da Herr Humpfel, „aber so ne Schmähl-Eiche, die hat Wurzeln, das ist ihnen bewusst? Ne, die sind auf ihrem ganzen Grundstück.“ Ich schaue jetzt blöd.

„Das wird nichts mit ihrem Swimmingpool, sie können ja ein Planschbecken aufstellen“… Irgendwas in mir zerbrach in diesem Moment, ich konnte einfach nicht anders. Als kleines Kind war ich gut im Tauchen, ich liebte die Besuche im städtischen Schwimmbad. Es kam jetzt über mich, als ich wieder nüchterner wurde, lag da ein Herr Humpfel mit zermatschten Gesicht und in meiner Hand die verrostete Gießkanne, verschmiert mit Blut.

Am nächsten Tag kam ein Kommissar vorbei, um mich zu befragen. Ein Herr Humpfel hätte bei mir am gestrigen Tag einen Termin bei mir gehabt zu einer Begutachtung. Ich sagte, dass er irgendwie nicht erschienen wäre und dass ich mich zwar gewundert, aber nichts weiter dabei gedacht hätte. Der Kommissar notierte Dinge auf seinem Block.

Am Abend  ein Sucheinsatz. Das ganze Dorf sucht nach Herrn Humpfel von der Behörde. Mein Haus wird von der Polizei durchsucht. Kein Herr Humpfel wird gefunden. Irgendwann am frühen Morgen steht der Kommissar in meinem Garten und betrachtet den Baum.

„Wir wissen mittlerweile, dass sie gelogen haben, ein Nachbar hat Herrn Humpfel an ihrem Hauseingang gesehen“, sagt der Komissar. „Ich… ich…“ – mehr kommt nicht aus mir raus. „Wir werden jetzt ihren Garten ausgraben müssen“ – „Sehen Sie den Baum, das ist eine Schmähl-Eiche, sie steht unter Naturschutz.“

Der Kommissar beginnt zu telefonieren. Ich höre nur die Worte „Schmähl-Eiche“ und „Kann man da nichts machen?“… Dann wendet er sich mir zu: „Sie sind vorläufig festgenommen…“ Mir werden Handschellen angelegt.

Als Kind war ich gut im Tauchen, ich liebte die Besuche im städtischen Schwimmbad. Nach einem Tag in der Zelle kam ich wieder in Freiheit, das Auto von Herrn Humpfel wurde gefunden – auf dem Grundstück von meinem einzigen Nachbarn. Derjenige, der gegen mich ausgesagt hatte.

Einige Zeit später stand das Nachbargrundstück zum Verkauf. Ich schlug zu und ließ die Brenners einen Swimming Pool bauen.

Matt S. Bakausky: Die neue Nachbarin

Ich hatte noch nie eine Nachbarin auf dem Stockwerk.

Rechts von mir wohnte schon immer ein Mann um die 50, der nachts gerne Keyboard spielte, Musik hörte oder mit seiner lauten Stimme durch die Wand telefonierte.

Links von mir wohnten kurzzeitige Besucher im Haus, die teils mehr, teils weniger, kontaktfreudig waren. Da gab es den Insektenmann, der so hieß wie ein Insekt und mir manchmal auch lästig war wie eines. Dann gab es den Fahrradmann, der es häufig schaffte, sich aus seiner Wohnung auszusperren und ansonsten im Treppenhaus Fahrräder reparierte. Ich half ihn einmal mit einer Plastikkarte die Türe zu öffnen und lieh ihm auch einmal Salz. Außerdem besuchte ich ihn nachts, als er mit seiner späteren Ex noch laut Techno hörte. Den Mann, der nachts an die Heizung klopfte und herumschrie, hatte ich fast vergessen.

Meiner Wohnung schräg gegenüber wohnte lange Zeit ein älterer Herr, der mich immer freundlich mit „Hallo, Herr Nachbar“ grüßte.

Aber zu den meisten Nachbarn herrschte eine Distanz, ich betrachtete sie eher aus der Ferne. Zum Beispiel wenn ich in die Wohnung kam und aus dem hinteren Gang einen für Schwerhörige eingerichteten Fernseher, der offensichtlich Tag und Nacht lief, hörte.

Dann gab es noch den Tag, an dem ich bei der Arbeit von einem Staubsaugergeräusch gestört wurde. Das wollte nie enden, ich dachte erst jemand wäre aufgrund des Lockdowns ausgetickt.
Traf dann aber auf dem Weg zum Rauchen auf den Nachbarn, der mich lange Zeit nicht grüßte.
Er erzählte mir, dass der Eigentümer von der Wohnung hinten am Gangende die Heizung reparieren wollte und dabei ein Ventil kaputtging und er jetzt mit dem Wasserstaubsauger hilflos, da alleine drin saß und das herausfließende Wasser der Heizungsanlage absaugte.
Ich wartete mit dem Nachbarn unten auf ein Fahrzeug und einen Mitarbeiter eines Energieunternehmens. Besorgte dem Wohnungseigentümer Reklame aus dem Altpapier, um ein wenig das Wasser zu entfernen. Er schnauzte mich irgendwann in seinem schlechten, gestressten Zustand an und ich verschwand in meiner Wohnung.

Wo war ich stehen geblieben? Eines Abends als ich mal wieder runter zum Rauchen ging, kam gerade eine Frau um die 30-40 aus ihrer Wohnung, mir schräg gegenüber gelegen. Sie fragte mich, ob ich wüsste, wie man hier Fernsehen kann.

Die Nachbarschaft mit einer gewissen Distanz zu betrachten meinte sie nicht, eher diese Beschäftigung, mit der ich in den 90er-Jahren viel Zeit verbracht hatte. Sich vor einen Bildschirm setzen und sich berieseln lassen.

Ich sagte ihr, dass ich nur weiß, dass es einen Anschluss gibt in der Wand, ich aber selbst kein entsprechendes Gerät besitze. Ich hatte komplett vergessen, dass es Menschen gibt die fernsehen, seitdem die schwerhörige Person ausgezogen war. Selbst kannte ich nur Streaming-Portale und auch da schaffte ich es nicht mich regelmäßig still und aufmerksam davorzusetzen.
Ich sagte „Sorry“ und wir verabschiedeten uns, ich mit einem „Noch viel Glück“ und sie mit einem „Das macht nichts.“

Ein paar Tage später klingelte es bei mir an der Tür, ich war mal wieder beim Arbeiten. Erhoffte mir irgendwas von einem unangekündigten Besuch und ging zur Wohnungstür. Da stand die neue Nachbarin und ich sagte durch die Türe: „Ja hallo“. Sie sagte irgendwas, was mich überzeugte die Türe zu öffnen. Dann erkannte sie mich und sagte: „Ach, sie haben ja gar kein Fernsehen“. Ihr Elektriker sei da und sie sucht jetzt die Satellitenanlage. Ich wusste nichts von dieser altmodischen Technik, nur dass es ja noch Kabel oder Antenne gibt.
Konnte ihr nur empfehlen einen anderen Nachbarn zu fragen. Sie sagte, sie hätte doch keinen anderen Nachbarn. Das stimmte wohl zum Teil, denn auch ich begegnete in diesem Haus selten Menschen. Ich wünschte ihr wieder viel Glück bei ihrer Mission und machte mich wieder an die Arbeit.

Anonym und aus der Distanz, aus der Ferne betrachte ich meine Nachbarschaft. Ich weiß, dass das auch anders sein könnte, jedoch habe ich schlechte Erfahrungen damit gemacht. Mit dem Insektenmann, älteren Damen und dem Fahrradmenschen. Die kommen einem irgendwann zu Nahe und labern einen voll, wenn man sie trifft. Meine Höflichkeit interpretieren sie als Interesse an ihren Wahngedanken.
Hätte ich wirklich Interesse an Unterhaltung, würde ich mir einen Fernseher zulegen.

Matt S. Bakausky: Freiheit ohne Waschmaschine

Freiheit bedeutet für mich eine Waschmaschine, um die eigene Wäsche zu waschen. Kennst du die Bilder von den glücklichen Menschen in Indien, die ihre Wäsche im Fluss waschen? Nein, ich habe keine Waschmaschine also verbringe ich viel Zeit im Waschsalon. Aber ich drücke mich davor, da es viel Zeit kostet. Viel zu viel Zeit, aber ist eigentlich meist ziemlich entspannt im Salon.

Betrete ihn durch eine Klapptüre und spiele eine Runde Poker mit dem ein oder anderen Ass im Ärmel. Bis ich auffliege und es draußen zum Duell kommt. Dann muss ich für meine Freiheit kämpfen, aber ich bin ein guter Schütze. Und meistens rennt der Gegner weg, wenn ich ihm zack den Hut weggeschossen habe. Den Leben ist den meisten doch wichtiger als die Poker-Ehre.

Im Poker bin ich mittelmäßig und das reicht für einen mittleren Platz in der Highscore beim Briefpoker online. Früher war das Internet Freiheit für mich, mit Menschen kommunizieren, die viel Interessanter waren, als die Kinder in der Schule. Mit denen kam ich nur durch Saufen in Kontakt. Besoffen fühlte ich mich frei. Mit einer Kippe im Mund, wie ein Cowboy aus der Werbung.

Irgendwann habe ich dann erfahren, dass Freiheit gar nichts mit Zigaretten zu tun hat. Schuld war die Lektüre von obskurer Literatur. Erfuhr, dass die meisten Menschen wie Roboter ihrer Konditionierung hinterherlaufen. Da begann ich mich zu dekonditionieren, das lief immer eine Weile gut, nur kamen da Persönlichkeitsanteile zum Vorschein, die irgendwie im Konflikt mit der konformen Mehrheit standen und mir wurde die Freiheit entzogen.

Die Polizei fand mich merkwürdig und steckte mich erst mal auf Freiheitsentzug in die Klapse. Dort war ich dann wirklich frei, denn Verrückte können tun und lassen, was sie wollen. Na ja, so weit wie es die aktuelle Konditionierung zulässt. Also nur ein wenig mehr als die Normalen. Fliehen aus der Klinik war ganz ok, wurde dann irgendwie langweilig, als mir das Geld ausging.

Freiheit hat auch mit Geld zu tun. Nicht umsonst sagte mir ein Guru: Schau, dass du dich bildest und den Menschen nützlich machst, um Geld zu verdienen und mehr Freiheit zu erlangen.

Ein paar Jahre später merkte ich, dass ich es nicht schaffe, meine Konditionierung komplett abzulegen und das die eigentlich ganz ok ist. Der Drang nach Freiheit brachte mich auf die Idee, dass Gedanken mich einschränken.

Also lebte ich eine Zeit ohne Gedanken. Ließ das Leben Leben sein, ohne es zu bewerten.  Aber das war etwas problematisch, als die Emotionen mich wieder ins Denken drangen. Erwachen schön  und gut, aber die Emotionen der unteren Chakras sind trotzdem nicht weg, nur weil das Kronen-Chakra sich öffnet. Habe ich dich an dieser Stelle verloren?

Ich sitze immer noch in meiner Wohnung, die Wäsche stapelt sich. Der Waschsalon wartet, hat jedoch jeden Tag offen. Ich bin happy, aber das geht auch vorbei. Und Freiheit? Freiheit ist ein Wort. Die Bedeutung dahinter ist, was ich suche.

Matt S. Bakausky: Fliegen umkreisen seinen Körper

“Warum fliegen da fliegen um deinen Freund?”, fragt mich Sabrina.

Ich will es nicht zugeben, aber mein Freund ist tot.

“Er hat’s nicht so mit der Hygiene”, antworte ich selbstbewusst.

“Und wieso bewegt er sich nicht?”

“Er hat gerade eine außerkörperliche Reise, das macht er manchmal” sage ich halbgelogen. Damit ist Sabrina erstmal zufrieden, denke ich. Eine Sichtung der Smartphone-Uhr verrät, dass mein Freund wohl vor etwa zehn Stunden verstorben ist.

“Hast du das Geld?”, versuche ich das Gespräch wieder auf sachliche Bahnen zu lenken.

“Es müffelt ganz schön, wann kommt dein Freund wieder von seiner Reise zurück?”

Ich schreie sie an “Scheiße, er ist tot, siehst du nicht dass er tot ist?”

Jetzt fängt sie an zu weinen. “Gib mir schon das Geld, nimm den Stoff und verzieh dich”, sage ich etwas ruhiger, wobei ich ihr anfangs in die Augen starre und dann zu Boden blicke.

“Hör mal Marc, willst du nicht einen Krankenwagen holen?”

“Ich möchte keinen Krankenwagen holen” antworte ich trocken.

“Scheiße was ist nur aus dir geworden, Marc. Lässt hier einfach deinen Freund verrecken.”

“Ich weiß nicht was ich tun soll”, gebe ich schluchzend zu. “Er hatte einen Bündel Scheine dabei und wollte mehr als sonst”

“Du bist echt das Letzte”, faucht sie mich an, stürmt ins Bad und schließt die Tür von innen ab. Ich setze mich neben die Leiche, nehme seine Hand und fange an zu weinen. Sage ihm, dass er jetzt an einem besseren Ort ist. Sage mir, dass er jetzt an einem besseren Ort ist. Sabrina ist immer noch im Bad.

Ich rufe “Du weißt, dass ich keiner Fliege was zu Leide tun kann. Es war ein Unfall.” Jetzt entsteht ein Plan. Ich muss mich der Situation stellen, doch zunächst muss ich Sabrina auf meine Seite bringen. Ohne ihre Unterstützung geht hier nichts.

“Kannst du mir vielleicht helfen, Sabrina”
Sie antwortet nicht.
“Ich muss da ein paar Sachen wegschaffen, bevor ich die Sanitäter rufe”
Keine Antwort.
“Sabrina?” rufe ich. Ich gehe zum Bad und klopfe an die Tür. “Es tut mir Leid, Sabrina, aber ich könnte wirklich deine Hilfe gebrauchen”
Leises Schluchzen aus dem Bad.

“Es springt auch was für dich raus, Sabrina, mach bitte die Tür auf”

“Okay, du kannst das Zeug haben, alles, du musst es nur mitnehmen”
Sie öffnet die Tür, kommt aber nicht raus. Ich sehe das als Einwilligung. Nehme eine Plastiktüte aus dem Vorratsschrank und packe, die Sachen ein. Gehe durch die Wohnung von Geheimversteck zu Geheimversteck. Laufe mit dem vollen Beutel in den Flur und da steht sie mit rotgeweinten Augen.

“Ach Sabrina”, ich will sie umarmen, jedoch drückt sie mich von sich. Sie packt den Beutel in ihren Rucksack und verschwindet.
Jetzt ist der Moment der Wahrheit gekommen.
Mein Freund sitzt still da, Fliegen kreisen um ihn.

Ich wähle die Nummer.

Matt S. Bakausky: F wie Liebe

Dieser Text beruht auf wahren Begegebenheiten.

Ich bin verliebt. Beim Online-Dating hat es Klick gemacht. Sabine liebt mich auch, ganz bestimmt. Ich wollte eigentlich das Angebot kündigen, doch dann tauchte sie plötzlich wie aus dem Nichts auf. Ist das nicht romantisch? Ich mit 35 noch einmal die große Liebe finden! Wer hätte das gedacht. Stolz erzähle ich meinem Kumpel Bert davon. Er kann sich das irgendwie nicht vorstellen, so ganz einfach nur durch den Austausch von Worten und Fotos sich zu verlieben. Man muss doch die Person mal treffen oder zumindest ihre Stimme hören. Aber ich bin auf Wolke Sieben. Sabine will nun mal nicht Telefonieren, so sind Frauen eben  schreibt sie, ja sie ist etwas schüchtern, traut sich nicht. Ich muss sie also erst mal überzeugen, dass es sicher ist mit mir zu sprechen. Auch ihre E-Mail-Adresse will sie mir noch nicht geben, sie meint, dass sie die vor allem geschäftlich verwendet. Ich zeige mich verständnisvoll, denn sie muss ja sehen, dass ich nicht gefährlich bin. Mein Kumpel Bert fragt nach ein paar Wochen, was denn jetzt los sei, ob ich sie mal getroffen hätte. Ich sage ihm, dass sie noch nicht so weit ist, dass sie zwar ein wunderbarer, jedoch schüchterner Mensch, sei. Bert ist auf einmal interessiert an dieser Online-Dating Webseite und fragt mich, ob die kostenlos ist. Ich sage ihm, dass man da nur Nachrichten schreiben kann, wenn man zahlt. Und er fragt wie viel ich dafür denn zahle, dass ich dieser Frau schreiben kann. Und ich traue es mich nicht ihm zu sagen. Doch er lässt nicht locker. Und ich sage es ihm. Er sagt: „159 Euro im Monat, spinnst du? Und seit wann bist du da dabei?“ Ich sage ihm, dass er sich beruhigen soll. Ich bin erst seit einigen Monaten dabei und anfangs hatte ich nur einen Basic-Account und jetzt habe ich einen Pro-Account. Der Unterschied ist, dass man mit dem Pro-Account besser gefunden wird, mehr Reichweite hat und man sehen kann, wer sein Profil besucht hat. Bert ist immer noch entsetzt und meint jetzt: „Die verarschen dich doch! Für 159 Euro im Monat würde ich dir auch ein paar Nachrichten zuschicken. Schon mal dran gedacht, dass das auch ein Dude sein könnte?“ Nein, nein, so ist das nicht. Ich breche erstmal den Kontakt zu Bert ab, denn meine große Liebe –  Sabine – ein Dude, das kann nicht sein und Bert scheint sich da in etwas hinein zu steigern. Aber es nagt doch an mir, dieses Gespräch und ich spreche meine Traumfrau darauf an. Sie reagiert geschockt und ist beleidigt. Als ich mich entschuldige, reagiert sie erst nicht. Ich habe es wohl versemmelt, sie hat sich seitdem nicht mehr gemeldet. Ich habe diese wunderbare, jedoch schüchterne Frau verjagt. Ich traute mich nicht mein Profil zu kündigen, Sabine könnte jeden Tag auf mich zukommen und antworten. 

Ich kam auf die Idee nach ihr zu suchen. Und begann eine kleine Zettelkampagne in meiner Stadt … „Wer kennt diese Frau?“ … jemand fotografierte diesen Zettel ab und er landete im Internet. Ein TV-Sender rief mich an und fragte mich zu meiner Kampagne aus. Ich wurde in eine Talkshow eingeladen. Erzählte von meiner großen Liebe Sabine und wie ich sie verloren hatte. Dann als ich eine Träne vom Gesicht wischte und die Kamera darauf zoomte, in diesem Moment sagte die Moderatorin … „Wir haben die Frau auf dem Foto gefunden!“ und ich freute mich so sehr das ich zu schwitzen anfing und mir ganz warm ums Herz wurde. Ich fragte: „Ist Sabine heute hier?“ … Und die Moderatorin sagt: „Nein, aber wir haben eine Videobotschaft“. Und da war sie – meine Traumfrau – auf dem Bildschirm. Ein Reporter interviewte sie scheinbar zu dem Foto meiner Kampagne… jedoch sprach sie auf einer anderen Sprache und ein Dolmetscher übersetzte ihre Worte. „Ich bin die Frau auf den Fotos, ja“ „und wie ist ihr Name?“ „Ich heißte Tereza“… „und kennen Sie diesen Mann?“ „Nein, ich kenne ihn nicht.“ – Wie ist das möglich, dachte ich mir… sie wird sich doch an mich erinnern… „Ich habe die Fotos verkauft an eine Bildagentur vor 4 Jahren, ich weiß nicht, was die damit gemacht haben!“…. Mir ist etwas schwindelig, sie haben bestimmt nur eine Doppelgängerin gefunden! Die sieht schon etwas anders aus als auf den Fotos und die spricht Tschechisch…. Auf einmal wird alles weiß. Ich höre eine Stimme aus der Ferne … „Matt, du bist auf ein Fake-Profil hereingefallen. Das tut uns ja sooo Leid.“ Ich sehe nichts mehr, nur noch weiß. Sterbe ich?
Später sehen Bert und ich uns die Sendung im Fernsehen an, in dem Moment, in dem ich nur weiß sah, wankte ich leicht hin und her und die Moderatorin stützte mich und brachte mich auf meinen Platz zurück. Dann kündigt sie die fünf Tipps an, mit denen man seriöses Online-Dating erkennt. „Und glaubst du mir jetzt?“, fragt Bert. Ich lache ihn aus und antworte „Nein, das haben die doch gefaket, Fernsehen ist alles Fake! Sabine hat sich wieder bei mir gemeldet und sie sagt das auch!“ Da schaut Bert mich traurig an. Vielleicht hätte er auch gerne so eine Frau wie Sabine, aber ich spreche es lieber nicht an.

Matt S. Bakausky: Der Geist

Um mich kreist ein Geist. Der mir alles Mögliche zeigt.

Tolle Autokennzeichen mit Schnapszahlen, Müll auf der Straße, Polizeiautos, traurig oder böse schauende Menschen …

Der Geist ist es, der mir all das zeigt.

Mal eine Katze, die hastig über die Fahrbahn läuft, mal die roten Lichter des Turms des Energieunternehmens, mal den Mond, mal eine Straßenlaterne.

Doch der Geist ist in letzter Zeit unzuverlässig geworden.

Wenn ich Musik höre über Kopfhörer und in der Straßenbahn sitze, zeigt mir der Geist Menschen, die über mich reden, schlechte Dinge sagen.

Ich mag den Geist nicht mehr besonders, früher waren wir Freunde.

Jetzt weckt er mich mitten in der Nacht auf und ich höre einen Nachbarn meinen Namen sagen. Oder ein lautes Hämmern im Haus.

Der Geist hat angefangen zu spuken.

Ich vermisse den freundlichen Geist, der mir Schnapszahlen auf der Uhr zeigte.
Der mir zeigte was ist.

Jetzt fühle ich mich durch den Geist gemobbt.
Ich würde ihn gerne loswerden, aber ich weiß nicht, ob das überhaupt geht.

Er zeigt mir noch manchmal ein gutes Buch, meistens zeigt er mir jedoch Geräusche im Haus. Eine Klospülung, ein Bohren, Stimmen. Er lässt mich weniger schlafen.

Ich kenne den Geist seit Jahrzehnten. Er war schon immer da. In letzter Zeit ist er unzuverlässig geworden.

Aber ohne ihn kann ich nicht.

Matt S. Bakausky: Filmspiele

Ein Film. Kennst du ihn schon? Oder nur den Trailer?
Es dämmert dir. Es ist einer von diesen Filmen. Einer von vor jener Zeit. Die Ereignisse von dieser Zeit oder davor trugen dazu bei, dass Verbindungen in deinem Hirn aufgebaut worden sind. Oder wie dieser scheiß Apparat auch funktioniert. Einer dieser Filme, den du höchstens bis zur Mitte gesehen hast.
Cineastische Bildungslücken.

Der Film lief auf einem Computer im Stream. Eure vier Augen davor. Bis eure vier Hände woanders hinschauten.
Der Film wird zur Tapete für die dünnen Wände.
Eine Ummantelung für das Schamgefühl.
Es kommt zur Einführung, zum Wendepunkt zum Höhepunkt und dann zum Abspann. Kurzes Kuscheln bis sie zu reden anfängt. Post-koitale Tristesse.

Irgendwann war es vorbei.
Keine halben Sachen mehr bei den bewegten Bildern, keine dualistischen erotischen Erlebnisse von da an.

Und jetzt schaust du den Film zu Ende an.
Zum ersten Mal, denn du hast ja sonst nix zu tun.
Schließt die cineastische Bildungslücke.
Kannst dich danach in den Schlaf weinen oder betrinken.