ALS DANN DER GROSSE KRIEG KAM
WAREN SIE WIEDER BELEIDIGT
UND JAMMERTEN ALLE VON DEN SCHERBEN
IHRER BIOGRAPHIE UND WIESO DENN
GERADE JETZT WO DIE KARRIERE
SO GUT LÄUFT
UND DAS NACH MEHR ALS
60 JAHREN FRIEDEN
DA FRAGT MAN SICH JA SCHON MAL
WAS SOLL DENN DAS
NUR DIE ANARCHISTEN FREUTEN SICH
DENN DER HÄUSERKAMPF
BEKAM FRISCHEN WIND
EINER MIT NADELN IM GESICHT
SPRACH SOGAR
VON EINER GANZ NEUEN DIMENSION
UND DIE GANZEN TRAURIGEN
WAREN SEHR ERLEICHTERT
DENN SIE DACHTEN ENDLICH NICHT MEHR
ANS ÜBERLEBEN
Kategorie: Beiträge
Andreas Lugauer: Alles spült
Traurig knöpfte Winfried seinen Hosenstall zu. Die automatische Spülung des Urinals war dieses Mal sogar zweimal losgegangen, während er noch im vollen Schwange uriniert hatte.
»Tragischer Unfall bei Spaziergang« notierte man sinngemäß auf dem Totenschein, nachdem Winfrieds bleiche, aufgeschwemmte Leiche einige Zeit später aus dem Fluss gezogen worden war; eine Fischerin hatte Winfried an einer der Biegungen des Flusses gefunden, dort, wo er so verträumt durch die Landschaft mäandert, bevor er parallel zur maroden dreispurigen Bundesstraße in die Stadt fließen muss.
Der Pfarrer sprach bei der Beisetzung nur die nötigsten, unbedingt vorgeschriebenen Worte und Gebete; nein: er murmelte sie vielmehr. Die beim widerlichen Eintopf seiner Haushälterin zusammenmontierte Grabrede aus Floskeln und Gemeinplätzen verlas er nicht; die Urnenträgerin hielt es nicht für nötig zu verbergen, dass sie in einem Fall wie diesem alles über »Türchen auf – Ürnchen rein – Türchen zu« Hinausgehende für Zeitverschwendung hielt und keinesfalls als »verehrte Trauergäste« angesprochen werden wollte. »Hoffentlich mäkelt diesmal keiner am Beisetzungskostenübernahmeformular herum«, dachte der Pfarrer, als er sein Weihwasserkesselchen zur Sakristei zurücktrug.
Der Nachwelt im Gedächtnis geblieben wäre Winfried, wenn es nur irgend möglich gewesen wäre, dass jemand davon mitbekommen hätte, dass Winfried es als erster (und bis heute einziger) Mensch fertigbrachte, sein Leben zu beenden, indem er durch nichts als einen reinen Willensakt seinen Geist zum Erlöschen brachte – was noch schwieriger ist als sich unter Wasser festzuhalten, bis man ertrunken ist. Winfried gelang es an einer Stelle, an der er nach dem Verlust der Kontrolle seines Geistes über seinen Körper mit ziemlicher Gewissheit die Böschung hinunter in den Fluss gleiten würde.
»Sind ja nur 17 Euro 40, was soll ich mich lang aufregen«, dachte die allseits nur Traudl genannte Gertraud, als sie den unbeglichenen und nicht sicher zuzuordnenden Bierdeckel, den sie beim vom Amt verordneten Schänkeputzen gefunden hatte, wegwarf, »vielleicht gehörte er ja diesem einen, der doch immerzu von dieser Sekte in Delaware redete, die ihn so faszinierte. Der – nach Amerika? Dabei war der wegen der Automaten nicht mal in der Lage, ein Busticket zu kaufen, und den Busfahrer wegen einem Ticket anzusprechen traute er sich schon gar nicht, weshalb er dann bei jedem Wetter mit dem Fahrrad kam. Oh, das Immergrün ist ja kaputt.«
Anja Gmeinwieser: München-Kabul (oder in die nähe) Abflug 09:16 (morgen)
wir sitzen im Garten, in deinem garten, ein gemieteter garten. Um uns herum mäht eine frau den rasen, immer in großem abstand zu unserer decke, dennoch näherkommend. irgendwann werden wir aufstehen müssen.
das ist die vermieterin, schreist du.
dir betrachten die vermieterin beim mähen, sie mäht sehr entschlossen, so von körperhaltung her.
du schreist über das rasenmähermähen hinweg: die vermieterin ist beim bund. morgen muss sie nach afghanistan für drei monate, deshalb mäht sie jetzt nochmal rasen. ich betrachte die frau mit anderen augen, sie ist jetzt eine frau, die heute den rasen mäht und morgen nach afghanistan fliegt, weil sie morgen nach afghanistan fliegt, damit sie morgen beruhigt fliegen kann (nach afghanistan).
ich stelle mir vor, was die vermieterin vielleicht noch tut, heute am tag vor dem flug nach afghanistan. die bundeswehr nimmt keine linienflüge nach kabul, denke ich, die fliegen sicher direkt in den hindukusch, sicher ist da viel weniger flugvorbereitung als bei economy class.
beispiel-todo-liste vor drei monate afghanistan:
z.b. nachbarn schlüssel geben, damit der die yucca gießt.
z.b. nachbarn pralinen schenken, damit ers gerne tut.
z.b. alle offenen und/oder verderblichen lebensmittel checken. z.b. selbige aufessen/wegwerfen/verschenken.
z.b. handwerker beordern, für das mietshaus, dessen rasen gerade gemäht wird.
z.b. mit den mietern streiten: dürfen diese einen kompost anlegen? ( o ja, o nein, o zu folgenden bedingungen).
z.b. das pferd im stall besuchen, abschied nehmen, den leuten vom stall instruktionen und geld weitergeben.
z.b. ein letzter ritt über felder.
z.b. nochmal telefonieren. falls ihre eltern noch leben: auf jeden fall telefonieren.
z.b. einen guten braten essen, schweinebraten, das gibt es sicher länger nicht, ab jetzt.
z.b. noch einmal mit dem glas guten wein auf dem balkon stehen, ein letztes mal, z.b.rosé.
z.b. haltung annehmen auf dem balkon.
z.b. abendspaziergang.
z.b. plausch mit den nachbarn.
z.b. duschen, beine rasieren, eincremen, zähne putzen.
z.b. Unruhig schlafen.
welches Gefühl hat deine vermieterin für afghanistan? fühlt sie auch die mische aus banalität brachialität beklemmung, oder fühlt sie einfach alltag, der mir, der außenstehenden, plötzlich erst als möglicher alltag in den sinn kommen?
sie hat eine schöne körperhaltung beim mähen. gibt es gras in afghanistan? mäht da jemand rasen, bei der bundeswehr? Oder ist alles wie auf fernsehbildern ganz graslos?
ist rasenmähen ihr zeichen für daheimsein? ist vermieterin sein ihre freizeitidentität?
ich kenne diese frau nicht.
ich versuche, diese frau ein wenig zu hassen.
ich hasse sie aber nicht.
ich versuche, diese frau ein wenig zu lieben.
natürlich liebe ich sie auch nicht.
in drei Monaten liegt ja über dem rasen eine schneedecke, oder?
schippt sie dann schnee, mit der gleichen Haltung, wie sie rasen mäht?
hast du sie angesprochen auf afghanistan? Hast du die fragen gefragt du sagst, was hätte sie tun sollen und schilderst eine lebensgeschichte die ganz kausal beim bundeswehreinsatz in afghanistan endet, die abzweigungen wären hartz oder regaleräumen gewesen, da könne man sich ebenso für krieg entscheiden, da verdiene man wenigstens. in der logik mancher leute, sagst du, macht das sicher sinn.
die raseninsel, auf der wir sitzen schrumpft, das getöse um uns wird lauter, die kreise, die die vermieterin um uns herumzieht werden enger, sie beginnt schon, uns zu beäugen, wir äugen zurück und sind natürlich still jetzt.
bei anderthalb meter stehen wir auf und nehmen die decke, damit der tag weitergeht, damit sie morgen fliegen kann.
Jan Bratenstein & Jonas Hauselt: Fässerfass
Sehn Sie hier mein Fässerfass!
Kein Fass is besser als wie das.
Es fasst vierzig Fässer,
kein Fass is besser.
Bieten Sie mir einen Boddich an,
Sag ich nur: „BRAUCH ICH GAR NICH, MANN!“
Denn ich hab mein Fässerfass.
Außen trocken, innen nass.
Margit Heumann: Für den Wald ins Feld ziehen
Ich träum, ich steh im Wald. In meinem Sommerwald mit dem Duft nach Harz und Tannen und Hitze und Pilzen und Moos. Kindheitswälder voller Haselnüsse, Waldbeeren und Sauerklee. Wichtelgärten mit Buschwindröschen und Leberblümchen und Efeu. Kobolde unter Schneckenblättern. Zwergenhöhlen zwischen Baumwurzeln, ausgestattet mit Rindenmöbeln und Moosbetten, das Vieh sind Lärchen- und Föhrenzapfen hinter Steckenzäunen. Auf dem Rücken liegen im Moos und Händchen halten mit der ersten Liebe, hinter schräggestreiftem Sonnenvorhang, in dem die Stäublinge tanzen, die Blicke verloren in den Blättern und Nadeln, den Baumkronen, den Wolken und dem Himmelsblau zwischen den Wipfeln. Solcher Wald ist nicht mehr. Nun brennt der Baum.
Fakt ist: Wald ist überall. Ich war schon im Bayerischen Wald, im Wiener Wald und im Waldviertel, dem mystischen. Es gibt den Böhmer-, Oden- und Grunewald. Der Teutoburger Wald ist historisch bedeutsam. Den Nürnberger Reichswald nennt man auch Steckerleswald. Der Schwarzwald heißt in der Schweiz Bois Noir und sonst Black Forest. Filme habe ich gesehen über die Paradieswälder Papua-Neuguineas und den radioaktiv ermordeten Red Forest und über Forrest Gump, aber der ist kein Wald. Der Waldmeister auch nicht, gehört jedoch hierher wie das Reh, der Specht, der Eichelhäher, das Eichhörnchen, das Wildschwein. Ein Waldschwein gibt es nicht, aber eine Waldkatze, zumindest eine norwegische, und einen Waldkauz, wo Fuchs und Hase nicht mehr lange Gute Nacht sagen.
Fakt ist: Vor lauter Bäumen sieht man den Wald nicht. Tannen, Fichten, Föhren, Lärchen, der Nadelwald. Eichen, Buchen, Birken, der Laubwald. Monokulturen haben sich nicht bewährt, der Mischwald, das Unterholz. Der Bannwald gegen Lawinen, Felsstürze, Muren. Der Nutzwald zur Holzgewinnung. Die boreale Nadelwaldzone, besser bekannt als Taiga. Palmen, Mammutbäume, Mangroven, Affenbrotbäume, Olivenhaine. Der Dschungel. Der Tropische Regenwald. Die Urwälder, bedrohte Heimat der Berggorillas ebenso wie der letzten indigenen Völker. Überall ist die Axt am Baum.
Fakt ist: Vor lauter Bäumen sieht man den Wald nicht in Gefahr. Der Regenwald ausgebeutet und abgeholzt für Teak und Mahagoni, brandgerodet für Plantagen. Vor Augen das heimische Waldsterben. Durch sauren Regen. Borkenkäfer. Ozonloch. Skipisten. Erdrutsche und Muren. Dürren. Waldbrände. Wildverbiss durch Überpopulation. Schneelast. Lawinen. Abgase und Schadstoffausstoß. Die maschinelle Abholzung per Harvester. Wibke und Lothar und Kyrill knicken die Bäume wie Streichhölzer. Und als Krönung des Ganzen dauerhaft verstrahlter Waldboden, radioaktive Pilze, becquerel-verseuchte Wildschweine auch noch dreißig Jahre nach Tschernobyl. Auf vielfältige Weise wird der Wald zu Asche gemacht.
Fakt ist: Einen alten Baum verpflanzt man nicht. Für den Wald ins Feld ziehen. Es braucht Baumschulen für den Nachwuchs. Die Aufforstung und die Wiederaufforstung. Die Waldpflege. Die Waldarbeiter, die Jäger und Heger. Forstämter, den Staatsforst und die nachhaltige Nutzung samt Schadholzaufarbeitung und Holzrücken mit Pferden. Die Ausweisung von Naturschutzgebieten, Nationalparks, Reservaten. Es braucht Brandreden und Protestaktionen, das Kyoto-Protokoll, Kampagnen und Goodwill-Maßnahmen wie den symbolischen Regenwaldkauf, urkundlich bestätigt. Es gibt die Verantwortung. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.
Nicolai Hagedorn: Ostern
Da erzählt mir doch die mir bis dato vollkommen unbekannte dm- Kassiererin gerade folgende Geschichte: „Ich sollte neulich meinem 6-jährigen Sohn eine Ostergeschichte erzählen und da hab ich dann irgendwas mit Jesus erzählt, der den Kindern sagt, dass nach dem Tod noch nicht Ende ist und so, und da fragte der Kleine nach der Geschichte, ob man dann also nach dem Tod im zweiten Level ist.“
Heizung auf Zweieinhalb: Fünf beschissenere Feste als Ostern
Andreas Lugauer: Max Goldt liest ›zwischen den Jahren‹
Dass Max Goldt, der – man verzeihe mir den eigentlich unpassenden, aber zum Zwecke der Alliteration verwendeten Ausdruck Doyen – der Doyen der Digression, ›zwischen den Jahren‹ im Nürnberger Hubertussaal liest, das ist mittlerweile zur süßen Gewohnheit geworden wie der alljährliche grippale Infekt nach den Weihnachtsfeiertagen.
›Zwischen den Jahren‹, das sagen die Leute, weil ihnen als »Jahr« nur die Zeit ehrlicher Hände Arbeit gilt, was recht hübsch auch durch das Gegensatzpaar »unter der Woche« für die Werk- und »Wochenende« für die arbeitsfreien Tage Sams- und Sonntag illustriert wird. Denn ›zwischen den Jahren‹, da arbeiten normale Leute nicht, sondern geben sich der Erholung, der Muße, dem Skispringen und Biathlon sowie den Verwandten hin. »Biathlon«, mag jetzt jemand einwenden, »läuft doch zwischen den Jahren gar nicht!«, hat damit allerdings unrecht. Zwar findet, soweit hat der Einwender recht, zwischen Weihnachten und Neujahr kein Biathlonwettkampf statt, sehr wohl aber um den Dreikönigstag – und dieser erst beschließt die Zeit ›zwischen den Jahren‹. Wer was auf sich hält, nimmt sich nämlich bis zum Dreikönigstag frei – wenn dieser auf einen Mittwoch fällt, auch noch den darauffolgenden Donners- und Freitag – und startet dann erst ins neue »Jahr«.
Normale Menschen arbeiten ›zwischen den Jahren‹ erst recht nicht an den Feiertagen. Ihnen sind Leute suspekt, die etwa Heiligabend oder die Silvesternacht nicht ›im Kreise ihrer Lieben‹ respektive unter zum letzteren Anlass von der Kette gelassenen ›Feierbiestern‹ verbringen, sondern in Krankenhäusern, Pflege- und Kinderheimen, Polizeistationen, Gefängnissen oder Atomkraftwerken Dienst tun. Wenngleich nicht derart suspekt wie Leute, die an solchen Tagen die ebenfalls aufrechterhaltenen telefonischen Seelsorgedienste in Anspruch nehmen und trotz gemieteter Wohnung und Telefonanschluss, dem nicht die schuldenbedingte Abschaltung droht, in sozialer Hinsicht als obdachlos gelten können.
»Ob die, die zu solchen Zeiten arbeiten müssen, wenigstens um Mitternacht mit einem Gläschen Sekt anstoßen dürfen?«, fragen sich die Leute besorgt und denken »Gläschen«, weil man zu besonderen Anlässen eben kein ganzes profanes Glas hinunterkippt, wie man es im Alltag macht, wenn man sich am Wasserhahn eines einschenkt und vor lauter Durscht, den einem Heim- und Hand- und Tagwerk verursachen, in einem Zug, der freilich aus mehreren Zügen besteht, unter hör- und sehbarem Schlucken austrinkt und sich anschließend die nassgewordenen Lippen abwischen und hart ausstoßend »’aaaaahh…!« sagen muß.
Ich könnte mich jetzt freilich noch darüber mokieren, daß die Leute in solchen Zeiten auch, obwohl sie das während des »Jahres« höchstens zu Ostern, bei Beerdigungen oder Hochzeiten tun, in die Kirche rumpeln oder Dinner for One …; aber das sollen die Schmöcke tun, wie die Leut’ es ebenfalls tun und halten sollen, wie sie munter, froh und fröhlich wollen. Ich stattdessen male mir nun aus, was Max Goldt dieses Jahr wohl tragen wird. Bei einem der letzten Nürnberger Auftritte nämlich erschien er in quadratisch geschnittenem, groß und grün kariertem Flanellhemd und schwarzbraun längsgestreiften, schlafanzugähnlichen Hosen. Aus Frankfurter Kreisen erfuhr ich, dass er bei der kürzlich dort stattgehabten Lesung wie üblich in unauffällig, in Hemd, Jackett und normaler Hose, auftrat. Aber dort las er auch nicht ›zwischen den Jahren‹.
Natalia Breininger: Staubflusen
Clara, Pierre und Elvis sitzen in einer Wohnung. Leere. Staubflusen. Auszugsblicke und Licht.
Clara (fern): Hier sind wir gewesen.
Pierre: Wo werden wir sein?
Elvis: Unter dem Licht.
Pierre (schrill): Unter dem Licht?!
Clara (träumerisch): Zugedeckt davon.
Elvis: Unter dem Licht fliegen Staubflusen herum. Die Wohnung ist noch nicht leer.
Clara (panisch): Oh nein! Wir können nicht ausziehen!
Pierre (verärgert): Du bist doch nicht sauber!
Clara (empört): Heee! Keine Beschimpfungen hier!
Pierre (grantig): Ja, was denn! Wo sollen wir mit dem ganzen Staub hin?
Elvis (etwas weltfern und entzückt): Wir können ihn in Truhen sammeln! Wie einen Schatz!
Pierre (entnervt): Ich gehe.
Clara (besorgt):Wohin?
Pierre (kalt): Von euch weg.
Clara (verletzt): Du verlässt uns?
Pierre (ausdruckslos): Ja. Ich verlasse euch.
Clara (empört und wütend zu Elvis): Hast du das gehört?! Er verlässt uns!
Elvis (sinnierend): Mhm. Er verlässt uns. (Pause) Wohin willst du denn gehen?
Pierre (stolz): Bis ans Ende der Welt! (Pause. Hinzufügend) Allein.
Clara (staunend und ängstlich): So weit? Allein?
Pierre (stolz): Ja.
Pause.
Pierre (etwas über Elvis’ Schweigen gereizt): Findest du nicht, dass es weit ist, Elvis?
Elvis: Doch … (Pause) … schon. Aber Weite bedeutet mir nichts.
Pierre (verärgert): Natürlich bedeutet dir Weite nichts! Nichts bedeutet dir was! Wenn du könntest, würdest du Dreck fressen, die ganze Zeit!
Clara (verträumt): Mhhhhm, Zeit. (Pause) Oh, holde Zeit, du bist mein Eis am Stiel!
Elvis (unbeeindruckt zu Pierre): Staub bitte, nicht Dreck!
Pierre: Von mir aus auch Staub! Wo ist da bitteschön der Unterschied?
Elvis (ruhig, weise): In der Feinheit.
Clara: Lauchkuchen wäre jetzt fein.
Pierre (zu Clara gedreht): Wir haben keinen Tisch.
Elvis (schadenfreudig): Ja … keinen Tisch.
Clara (feststellend): Weil wir ausziehen.
Elvis (dramatisch): Ja, wir ziehen aus! Aus unserem alten, so sorglosen Leben!
Pierre (bitter lachend): Das war doch nicht sorglos!
Elvis (beleidigt): Für mich schon.
Pierre: Du hast ja auch das Haus kaum verlassen!
Elvis: Weil ich geschwommen bin.
Pierre (gemein lachend): Wo? In der Badewanne? (Pause. Zu Clara) Wahrscheinlich hatte er unter dem Waschbecken heimlich seinen Schnorchel versteckt!
Clara und Pierre lachen.
Elvis (beleidigt): Nicht in der Badewanne.
Pierre (belustigt): Sondern?
Elvis (glücklich seufzend): In der Materie.
Clara und Pierre schauen sich an.
Pierre (verständnislos): In der Materie?!
Clara: Lass ihn. Er ist verrückt.
Pierre (zu Clara flüsternd): Vielleicht ist er der zweite Einstein.
Clara (verwundert): Wie kommst du darauf?
Pierre (geheimnisvoll): Er hat Löcher in den Socken.
Clara (sicher): Dann ist er Einstein.
Elvis: Wer – ich?
Clara (beruhigend): Nein, nicht du. Ein anderer Elvis.
Streichelt ihm abwiegelnd über den Kopf.
Elvis (ausatmend): Ach so. Ich dachte schon.
Pierre: Warum, magst du keinen Einstein?
Elvis: Doch schon … (Pause) …Aber es ist so anstrengend, ein Genie zu sein.
(Pause. Hinzufügend) Ohne Halt.
Clara (aufklärend): Aber wir ziehen doch alle ins Licht!
Elvis (wissend): Ja. (Pause) Deshalb muss der Weg dorthin frei sein.
Pierre (versteht nicht): Aber du sammelst doch Staub …äh, ich meine (nachdenkend) … Materie.
Elvis (ruhig, weise): Ja.
Pierre: Und die Wohnung soll frei davon sein?
Elvis: Ja.
Pierre: Aber du nimmst sie doch mit?
Elvis (erhaben): Natürlich. Das Wichtige nimmt man immer mit.
Clara (ehrfürchtig): Was ist das Wichtige?
Elvis (bestimmt): Staub.
Pierre (gereizt): Und weshalb brauchst du uns?
Elvis (lachend): Ja, irgendwer muss doch tragen.
Pierre (empört): Hast du gehört, Clara?! Packesel sind wir.
Clara (fern): Mhm, Packesel.
Elvis (korrigierend): Nicht Packesel. (Pause. Euphorisch) Jünger!
Schweigen.
In der Wohnung wird es immer heller.
Alle drei treten vor zu ganz großen, sich mehr und mehr erhellenden Fenstern. Nach circa zwanzig Sekunden scheinen sie beinahe vollkommen vom Licht verschluckt zu werden.
Pierre (orgastisch): Und? UND?
Clara: Ja!
Pierre: Ja …
Clara (staunend): Das ist also das Ende der Welt!
Pierre(kopfschüttelnd): Nein … (Pause) … Das ist der Anfang!
Beide (ehrfürchtig): Ja…
Vom Zuschauerraum sieht man hinter ihnen noch eine Person (den echten Elvis Presley), auf eine Leinwand frontal projiziert, nicken. Dann wird alles weiß.
Daphne Elfenbein: O Stern, O Stern von Bethlehem
O Stern O Stern von Bethlehem
Weißt du worauf du scheinst?
Schon Ostern wird dein Kindlein gehen
Ist `s drum, dass du so weinst?
O Stern, dass hinter dunklen Wolken
der Julmond regnet vor sich hin
Ostern wird dann Blut gemolken
Vom guten Hirten – ob das Sinn…
macht, 0 Stern am Himmelszelt
wo sie vor Wiki-Weisheit schwitzen
Hinz und Kunz sich für Messias hält
Ostern verspricht man, still zu sitzen
Sieh, O Stern,wie sie einander foltern!
unter Kollegen, Brüdern, Bösewichten
Ostern zahlen wir`s ihnen heim
Der Heiland wird`s schon wieder richten
O Stern der Hoffnung nur kurze Zeit
Hat dein Kindlein lieb geflötet
Ostern siegt die Sachlichkeit
Wie geil es sich karfreitags tötet
Alle Jahre wieder siegt O Stern
Die Amtsgewalt über die Liebe
Ostern kreuzigt man fromm und gern
Zu Juul gibt´s gleich den Tod in die Wiege