Bird Berlin: kadonkadonk grossgott – 8 oder 9 haikus, wie man es braucht

oh gott du lieber
schenktest uns erst franz jof strauß
und  voller gnade

dann auch noch markus
den gotterlöser söder
in voller güte

der wie sein vater,
franz jof strauss, der gottesmutter
ähnlichkeiten hat.

{wütender einschub}
es scheint als ob er
mit allem in seinem darm
ähnlichkeiten hat.
{infantiles getue}

Und es muss sich gott
für jeden nachtisch feiern
den markus kredenzt

wohlbehütete
mundschutzfarmen liegen ihm
wie wir zu füßen

was ein mann, was ein
ka donka donk booty mann
so tolles so kann

Weil mir sonst wirklich
kein grund dafür einfiele
weswegen Antlitz

und liebe auf den
großgotterlöser söder
ruhmig fallen soll

Peter Momberg: Klopapier

Was tun mit dem ganzen Klopapier? Wer kennt es nicht. Habe die Zeichen frühzeitig erkannt und in Klopapier investiert. Jetzt steht die Bude voll, was tun, ich brauche Luft zum atmen.

– Skulpturen bauen. Klopapier einweichen und das Männekel formen das euer Wohnzimmer bereichert. Könnt auch das Fensterbrett damit dekorieren.

– Die längste Küchenrolle … alter Spruch aber wenn ihr zu viel Klopapier habt lieber mal Servietten sparen, die sind keine Mangelware.

– Eine ganz tolle Idee kommt von meinem Sohn Roy. Er hat sein altes Stickeralbum geleert und sammelt jetzt verschiedene Motiv Klopapiere (hat jemand noch Motiv „Leuchtturm“ von Skymarkt?).

– Mehr verbrauchen. Ganz einfach nochmal abwischen.

– Mumie Kink. Klingt etwas gruselig. Die Tempeldienerin, die auf eine potente Mumie trifft, war als ich jung war aber ein beliebtes Spiel um wieder Joy zu empfinden.

– Auffahrt wischen. Wenn ihr Haus habt, könnt ihr eure blöde Auffahrt so von Schmutz befreien. Das freut auch eure Nachbarn, die wegen Quarantäne eure scheiß Auffahrt anstarren müssen.

– Klopapierschlacht. Ist lustig und bringt die Familie zusammen. Nebeneffekt: Angestaute Aggressionen können durch Klopapier Warrior Rollenspiele pädagogisch ausgelassen werden.

– Tapezieren. Wenn ihr Klopapier mit tollen Motiven habt (z.B. „Wald“ oder „Ente“), könnt ihr damit ein Zimmer tapezieren. Nehmt aber Tapetenkleister, sonst fällt es bald wieder auf den Boden.

Das waren fürs erste meine Vorschläge was ich und meine Familie so mit dem Klopapier machen. Wenn ihr auch tolle Ideen habt schreibt es doch einfach in die Kommentare.

Christian Y. Schmidt: Lieblings-Spam 2

Kling dein Ohrhörer auch nicht gut? Ersetze zum drahtlosen Typ, gut für Telefonieren.

Hast du Halsweh? Knüpfe die Krämpfe mit Massagenkissen auf, göttliches Gefühl.

Krümme dich nicht: Geradehalter für jeden, Schmerzen weg.


Schatz, hast das Antischnarch-Armand an? Wunderbare Erholung.

Würdest du dein Freund, Lebensgefährte beschenken? Messgerät mit LED Display.

Ständiges Schnarchen? Er soll den komfortablen Riemen anlegen, wird nie schnarchen.


Wagen verkratzt? Lackausbesserung Politurmaschine. Liebste war überrascht.

WURSTELST du morgens mit Eis herum? Glasschutzschicht für Autofahrer!

Hast du genug von Lichtgirlande? Laser- und LED-Beleuchtung sind angekommen!


Hat einer Kamel dein Auto eingedruckt? Repariere die Delle mit brandneuem Set!

PHANTASTISCHES Sichterlebnis: neue kurzsichtige Brille, vergrößert alles!

Tragödien durch Lichteffekten – Schütze deine Augen am Lenkrad auf neue Weise!

Untot in Gostenhof: (6) Ida im Büro

Ida überragte die füllige Sekretärin, die am Kopierer stand, um eineinhalb Kopflängen. Die Dame kopierte mühsam Seiten aus einem Buch und stellte sich dabei so ungeschickt an, dass die Kopien zur Hälfte komplett schwarz waren. 

»Hübsch sieht das aus«, sagte Ida, »aber brauchen Sie noch lange?« 

»Ich wollte eigentlich erst Mittag machen und danach dann fertig …« 

Ida hatte keine Eile. Sie schlenderte zurück in ihr Büro. Die Sekretärin setzte sich an ihren Tisch und begann ein Butterbrot zu kauen, wobei ihr Brösel aus dem Mundwinkel rieselten. 

Etwa zwei Stunden später machte Ida einen weiteren Anlauf. Diesmal war der Kopierer frei, aber der Papiereinzug war hoffnungslos verstopft, weil der letzte Benutzer der Maschine, anstatt den Papierstau zu beseitigen, hemmungslos immer wieder versucht hatte, eine weitere Kopie anzufertigen. Ida telefonierte mit dem Haustechniker. Sie wählte die Nummer aus dem Gedächtnis, denn die Nummer, die am Gerät angeschrieben stand, war, wie sie aus eigener Erfahrung wusste, falsch. 

»Sie wissen, weshalb ich anrufen?« sagte Ida, als am anderen Ende der Leitung jemand abhob. Damit war das Gespräch dann auch schon wieder vorbei. 

Ida ging in ihr Büro und begann zu warten. Sie kramte aus der Seitentasche ihres schwarzen Kleides eine Schachtel Zigaretten und ein Feuerzeug. Sie rauchte ungestört, denn sie war noch am selben Tag, als das runde Kästchen montiert worden war, auf den Schreibtisch gestiegen und hatte dem Feuermelder an der Decke eigenhändig die Drähte abgezwickt. 

Ida war lange genug bei der Firma, um aus den Geräuschen, die vom Flur her zu ihr drangen, schließen zu können, dass der Haustechniker kam, einen ellenlangen Fluch ausstieß, als er die Schweinerei im Kopierer erblickte, und dann das Problem innerhalb von zwei Minuten behob. Leider hörte Ida auch, wie sofort, kaum dass sich die Tür hinter dem Haustechniker geschlossen hatte, der Sachbearbeiter, der ein Büro schräg über den Gang bewohnte, zum Kopierer eilte. Sie würde noch ein wenig warten müssen. Ida langweilte sich noch einen Tacken mehr und griff zum Telefon, um ihre Tante Mathilda anzurufen. 

»Hallo, Tante Mathilda«, sagte sie. »Ich kann leider noch nichts Genaueres berichten, mir sind hier ein paar Dinge dazwischen gekommen.« 

»Ach Ida, bin ich froh, dass du anrufst! Dein Onkel Serban ist heute mal wieder kaum zu ertragen! Er will seinen schattenlosen Doppelgänger zu den Leuten ins Vorderhaus schicken, weil die gestern Nacht wieder bis drei Uhr früh gefeiert haben …«, begann Tante Mathilda zu lamentieren. 

»Aber was ist daran verwerflich? Serban will nun mal nachts in Ruhe seine Zeitung lesen, und der schattenlose Doppelgänger hat sich doch bewährt?«, fragte Ida und bemühte sich um Sachlichkeit. 

»Bei den Russen – ja, aber die von gestern sind sicher keine orthodoxen, ich fürchte, es sind sogar Italiener!« rief Mathilda in äußerster Verzweiflung. 

»Beruhige dich, Tantchen!«, sagte Ida knapp. »Ich schaue heute nach der Arbeit bei euch auf einen Sprung vorbei, und wir überlegen in Ruhe, wie wir die Leute im Vorderhaus quälen können, o.k.? Ich muss jetzt weitermachen, sonst läuft mir die Zeit davon – bis später!« 

Ida legte auf, atmete tief durch und machte sich zum dritten Mal an diesem Tag auf zum Kopiergerät. Aber auch sonst hätte sie nichts zu tun gehabt. Der Fotokopierer stand diesmal verlassen da, als ob er sich schon den ganzen Tag genauso wie Ida langweilen würde. Ida klappte den Deckel, der die Mechanik des automatischen Einzugs in sich birgt, nach hinten weg. Auf der Glasplatte für die Vorlagen lag ein Brief, den ihr Kollege von schräg gegenüber offensichtlich vorhin vergessen hatte. Er hatte es wohl eilig gehabt, dachte Ida, denn der Brief war an ihn adressiert und stammte von einem Inkassobüro, das ausstehende Spielschulden anmahnte, die er in einem Spielautomaten-Center gemacht hatte. Ida überflog das Schreiben und lächelte, als sie das Wort »Pfändungsbefehl« las. 

Sie legte den Brief auf das nebenan stehende Faxgerät, damit noch viele weitere Kollegen ihn lesen konnten, griff tief in ihr schwarzes Kleid und zog vorsichtig ihre Hand wieder heraus, die sie um etwas Kleines, Empfindliches geschlossen hatte. Behutsam setzte sie eine zerzauste Fledermaus auf die Glasplatte und breitete mit ihren dünnen, weißen Fingern die Flügel des Tieres aus. Sie klappte den Deckel der Maschine wieder herab, achtete jedoch darauf, dass zwischen diesem und der Glasplatte ausreichend Raum für das kleine Lebewesen blieb. 

Zehn Minuten später saß Ida wieder an ihrem Schreibtisch. Aus dem Aschenbecher stieg ein dünner Rauchfaden fast senkrecht nach oben, doch Ida war so vertieft in die Fotokopien der kleinen Fledermaus, die sie wieder sicher unter ihrem Kleid verstaut hatte, dass sie gerade nicht an ihre Zigarette denken konnte. 

»Da haben wir es ja schon«, murmelte sie. »Den tausend heulenden Höllenhunden sei es gepriesen!« 

Sie griff zum Telefon und wählte die Nummer ihrer Tante Mathilda. 

»Ich weiß jetzt, was dem kleinen Hermann fehlt«, berichtete Ida. »Er muss einen Zahn gefressen haben, der ihm im Magen liegen geblieben ist. Wie ich es mir erhofft hatte, hat die Lampe des Kopierers deinen kleinen Schatz wunderbar durchleuchtet. Ich konnte das Ding in der Fotokopie ganz deutlich erkennen, es ist ein menschlicher Backenzahn.« 

»Das sind wenigstens einmal gute Nachrichten«, sagte Mathilda am anderen Ende der Leitung, und Ida konnte die Erleichterung in ihrer Stimme hören. »Zwei Tage Diät werden genügen, und schon ist er wieder auf dem Damm. Bei deinem Onkel hat das bisher auch jedes Mal funktioniert, wenn er sich überfressen hat.« 

Ida verließ ihr Büro kurz nach fünf. Draußen war es schon dunkel, aber sie behielt ihre Sonnenbrille, die sie schon den ganzen Tag getragen hatte, auf der Nase. Sie fischte ihren Schlüsselbund aus der Tasche, an dem die Knochen erlegter und erlegener Geschöpfe baumelten. Dann stieg sie in ihr silbernes Auto und startete den Motor. Als sie den Rückwärtsgang einlegte, seilte sich vom Dachhimmel eine kleine schwarze Spinne ab und blieb direkt vor ihrer Nase hängen. 

»Na, Göring? War dir langweilig?«, fragte Ida. »Mir auch, aber jetzt geht’s nach Hause!«

Die Spinne wippte an ihrem Faden, als ob sie nicken wollte, und Ida fuhr los.


Erzähler: Carsten Striepe
Ida: Julia Gruber

Mathilda: Verena Schmidt
Sekretärin: Viktoria Solner

Buch:
Theobald O.J. Fuchs
Regie/Schnitt:
Lukas Münich
Titelmusik:
Andreas V. Weber


Carolin Wabra: Fidgetspinner

Etwas liegt in meiner Hand. Es ist silber glänzend mit rosa-türkisfarbenen Streifen. „Metallic“, hat die Verkäuferin gesagt. „Total angesagt zur Zeit. Das geht weg wie..naja sie wissen schon…warme Semmeln, frische Schrippen, brandneue Brötchen. Meine Neffen haben das auch fährt sie fort. Und deren ganze Klasse. Zweimal hab ich schon eine neue Lieferung bestellt. Die Leute reißen es mir aus der Hand. Nur 7,50 Euro, kostet das und ist dabei jeden Cent wert. Das beruhigt die Nerven, sagt meine Tochter auch, das ist nicht nur Spielzeug für die Kids, sondern auch was fürs Hirn. Ich hab so viele Kunden die darauf schwören, wegen dem ganzen Stress heutzutage…wird ja alles immer schnelllebiger, die neuen Medien und die Erreichbarkeit. Naja sie wissen schon.“

„Das nehm ich“, habe ich gesagt. Habe das Geld aus meinem schwarzen, durchgegessenen Geldbeutel gefischt und in ihre rauen Hände gelegt, deren Fingerkuppen schon ganz wund waren.

Jetzt halte ich es in meiner Hand. Ganz kalt ist es, aber auch wenig weich. Es liegt gut darin. Ich stupse es leicht an als es auf meiner Fingerspitze liegt. Ganz behutsam bringe ich es in Bewegung, so als würde ich den kleinen Hundewelpen meiner Nachbarin das erste Mal mit vor die Tür nehmen, um ihm diese große weite Welt zu zeigen.

Ganz tapsig dreht sich auch das schimmernde Ding auf meinem Finger. Es strauchelt etwas, fängt sich aber schnell und kommt in Bewegung. Immer schneller wird es je öfter es seine Runden auf meiner Fingerkuppe dreht. Die Geschwindigkeit zieht mich in den Bann, kleine Reflexionen die, die das Licht auf der Oberfläche zeichnet laufen die Wände meines Zimmers entlang. Es ist so schön. So unfassbar schön.

Das habe ich geschaffen. Alleine, ich, hier, in meinem Zimmer. So stolz war ich das letzte Mal nach dem Abitur. Glaube ich. Habe ich aber vergessen.

Vermutlich war ich nie wirklich stolz. Auf was denn auch. Die abgebrochene Ausbildung und den Job an der Tanke, den ich habe seitdem ich 15 bin. Stolz kann man darauf nicht sein. Vor allem nicht, wenn alle, um dich herum etwas Richtiges studieren.

Als sie noch studierten konnte ich auf sie herabblicken. Schließlich hatte ich ein festes Gehalt, arbeitete 40h. Begrüßte Kunden, füllte Regale auf, langte Kaffee und Leberkäse über die Theke und nahm mir Samstagabend die liegengebliebene Motorsport und die Zeitungen ab 18 mit nach Hause. Ein systemrelevanter Arbeitsplatz würde man wohl sagen. Damals haben sie mich noch beneidet, redete ich mir ein. Sie, die mit dem Fahrrad zu mir kamen und Bier und Zigaretten zu kaufen, sie die mit weniger als 800 Euro im Monat auskamen und den Kopf voller unwichtiger Texte hatten von Menschen die schon längst nichts mehr zu sagen hatten.

Die langen Studienjahren holen die nie wieder auf, glaubte ich. Bis ja, bis sie ihr Studium beendet hatten, ihre Haare kürzten, ihre Moralvorstellungen gegen regelmäßige Gehaltseingänge und das Fahrrad gegen die neue C-Klasse tauschten. Dann merkte ich dass ich es war der sie beneidete.

Jetzt grinsten sie mich halb feixend, halb mitleidig an, wenn sie zu mir kamen. Na, immer noch hier? Ja, ja, doch. Macht Spaß, gut bezahlt. Ja, ja. Gehört dir der Laden mittlerweile? Ne, nee. Ich bin da bescheiden, so. Ist ja auch schwierig so ohne Abschluss. Naja, der steinige Weg ist der lohnende und so…sie wissen schon. Da habe ich bemerkt, dass ich es war der die ganzen Studienjahre nicht mehr aufholte, der, der stehengeblieben war. Der, der es zu nichts gebracht hat in dieser Gesellschaft in der es doch alle irgendwie zu irgendwas bringen müssen.

Aber jetzt. Jetzt bringe ich etwas in Bewegung. Kein Stillstand mehr in meinen Händen, nur noch Geschwindigkeit, Fortschritt. Ich bin gottgleich, allmächtig. Ich bin alles. Ich bin alles durch dieses metallische Geschöpf. Der dreifaltige Kreisel in meinen Händen. Ein beruhigendes Zischen füllt die Stille um mich herum aus. Ich stelle mir vor, dass wir gemeinsam abheben. Dass sich das schimmernde Ding von meiner Fingerspitze bewegt, nach oben steigt und mich mitzieht an die Decke meines Zimmers. Dann stoßen wir beide gegen den rauen Putz. Ein dumpfes Geräusch macht das. Dann ist. der Hype vorbei.

Michael Schmidt: Wuiser und die Ausgangsbeschränkung

Ja, das mit dieser Ausgangssache tut keinem von uns so richtig gut. Trotzdem gibt’s Leut, die damit besser umgehen können als andere. Die sehen dann das alles dann viel gelassener.

Das muss noch angeblich von den Genen herkommen. Von den menschlichen Genen her. Von der Eiszeit. Da haben die Leut ja auch eine Zeit lang nicht von der Höhle rausgekonnt, wenn der Gletscher die erst mal zugeschoben hat. Die haben dann halt abwarten müssen, bis der Gletscher wieder weggetaut war. Freilich, ein, zwei Mammuts hat da auch jeder im Vorrat gehabt. Oder ein Riesenfaultier. Was halt gerade da war. Was man am Wasserloch halt noch so alles vorgefunden hat, wenn nicht die anderen Höhlenmenschen schon dagewesen war’n und alles weggeschnappt haben. Da hat man auch schnell sein müssen. Weil einen Kadaver oder ein Aas hat keiner gern genommen.

Jäger und Sammler, sagen die Forscher dazu. „Der Mensch, ein Jäger und Sammler“. Und weil das so lange gegangen ist, hat sich das Ganze dann halt in die Gene abgesetzt. Ja, freilich, das sieht man heute noch! Hat man die letzten Wochen ja gut wieder im Supermarkt gesehen. Hat man gut beobachten können: Tagsüber warn sie noch im Home Office, und am Abend dann sind alle zu Jäger und Sammler geworden. Das ist der Instinkt, der sich da einschaltet. Dann legen alle den Jäger- und Sammler-Turbo ein. Bloß, dass man heut noch an der Supermarktkasse vorbeimuss, bevor man die Beute heimbekommt. In der Eiszeit war das dann so was wie ein zugefrorener Felsspalt. Da haben sie dann auch alle so komische Laute gemacht. Das kann man heute noch an der Supermarktkasse hören, diese unheimlichen Urlaute. Wie sie mit der Beute dastehen und warten müssen, bevor sie sich damit davonmachen können.

Wie damals am zugefrorenen Felsspalt. Da hat sich nichts groß geändert. Das kann Ihnen der Herr Wuiser auch bestätigen.

Der Professor Wuiser steht die Tage nämlich öfters neben der Supermarktkasse und nimmt da mit dem Tonbandgerät auf. Ganz hervorragende Urlaute. Und wenn er zu den Leuten sagt, dass er von ihnen einen solchen Urlaut braucht, weil er ein Forscher ist, dann kriegt der den auch prompt. Und wenn er Glück hat, sogar gleich mehrere. Weil das ist eine wunderbare Gelegenheit, dass man einmal die echten Urlaute hören und aufnehmen kann, hat der Professor Wuiser gesagt und, dass wir darum heut eigentlich in einer ganz ertragreichen Zeit leben täten.“

Theobald O.J. Fuchs: Isolation

Dr. Venkatraman trat vor das Hochhaus ins pralle Sonnenlicht. Er legte seine Stirn in Falten, als er hinauf in den blauen Himmel blickte. Dort kreiste ein schwarzer Pulk Krähen. Vielleicht ein Zeichen, dachte Venkatraman. Fast unsichtbar kleine Farbpartikel, die sich vom roten Punkt zwischen seinen Augenbrauen gelöst hatten, bröselten zu Boden. Doch ein Zeichen für was? fragte sich Venkatraman. Wenn er nur mit jemandem darüber sprechen könnte! Doch Rajiv Lakshminarayanan war seit Tagen nicht mehr im Dienst erschienen, das ganze Bürogebäude war menschenleer, niemand interessierte sich mehr für die Arbeit der Behörde.

Venkatraman ging vor bis zur Ecke, wo die East Coast Road die Hundred Feet Road kreuzte. Dort stand ein alter, krummer, von Staub und Abgasen gebeutelter zementgrauer Baum. In einem Riss zwischen den steinharten Wurzeln war ein kleiner Schrein eingesetzt, welke Blumen lagen darunter, auf einen Grashalm gefädelt weiße und orangefarbene Blüten, ein feuerroter elefantenköpfiger Götze streckte seinen goldenen Handteller den Vorübergehenden zum Gruß entgegen. Wenngleich heute kein einziger Mensch außer Venkatraman hier vorüberging. Die roten Ziegelsteine, mit denen der Gehweg ausgelegt war, knirschten unter seinen Füßen. Venkatraman blieb stehen. Seine Flip-flops waren schon sehr abgelaufen und sahen schäbig aus. Würde es mir vielleicht helfen, den letzten Rest Würde zu bewahren, wenn ich mir neue Schuhe kaufte? ging es ihm durch den Sinn. Venkatraman hätte darüber gerne mit Lakshminarayanan diskutiert, doch sein Kollege hatte sich nicht einmal von der Arbeit abgemeldet. Er war spurlos verschwunden. Wie alle anderen.

Wie auch der einäugige Scherenschleifer, Giundy, der doch immer hier an der Ecke saß und auf Kunden wartete. Auch Giundys Frau Anandyanjaswinder war nirgendwo zu sehen. Für einen kurzen Augenblick stieg Panik auf in Venkatraman. Ihn packte die Angst, dass in seinem Kopf etwas nicht mehr in Ordnung sei und er nicht mehr wisse, wo er war. Vielleicht war das gar nicht die Ecke an der East Coast Road…? Vielleicht schien in Wahrheit auch die Sonne nicht und es war mitten in der Nacht? Das Herz schlug ihm bis zum Hals, hinter den Augen staute sich sein Blut, in seiner Kehle bildete sich schon ein zu seinem Gemütszustand passender Schrei.

Doch dann sah er den Fleck. Eine schwärzliche Verfärbung der Steine dort, wo Anandyanjaswinder gewöhnlich jeden Mittag einen Topf duftender scharfer Blumenkohlsuppe zubereitete, mit frischer Milch von der Kuh, deren Revier die Gasse hinter dem Amt war. Nein, Venkatraman hatte seine fünf Sinne beisammen, alles war gut, sein Kopf funktionierte. Oder dann doch wieder nicht, oder? Denn wo waren sie alle? Er zog das Handy aus der Tasche, bereit, das letzte Mittel zu ergreifen, das er sich vorstellen konnte.

Er wählte die Nummer von Krishnan Balamsubramanian, seinem obersten Chef und stellvertretendem Vizeminister für mittelschwere und leichte Sozialfragen. Venkatraman warf einen schnellen Kontrollblick in jede Richtung. Kein Mensch war zu sehen, die Straßen waren völlig verlassen. Sogar die Affen in den Baumwipfeln schwiegen. Richtig, dachte Venkatraman, die Affen? Keine Spur von ihnen… Wann habe ich das zuletzt erlebt? Habe ich überhaupt schon einmal erlebt, dass die Welt so menschenleer war, fragte er sich, während er darauf wartete, dass im Telefon der Rufton summen würde. Doch da tutete nichts. Da war nur noch das Geschrei der Krähen hoch oben und das Schaben seiner Sohlen auf den Steinen.

Venkatraman hatte das traurige Gesicht Balamsubramanians vor Augen, als er ihm zum letzten Mal begegnet war. Vor drei oder vier Tagen, auf dem Flur, beim Trinkwasserspender. Krishnan, der mit seinen dunkelblauen Augen hinter den dicken Brillengläsern noch stets jeden Bittsteller mit einem guten Gefühl im Herzen entlassen hatte. Sei vorsichtig, Venkat, hatte er ihm nachgerufen. Klar doch, hatte er geantwortet, aber dann war der Strom im ganzen Viertel ausgefallen und die Hitze war so unerträglich geworden, dass er vergessen hatte, worum sich das Gespräch überhaupt gedreht hatte und was als nächstes zu tun sei.

Venkatraman leckte über den Zeigefinger seiner rechten Hand, schloss die Augen und presste die Fingerspitze gegen den roten Punkt auf seiner Nasenwurzel. Die Energieströme schlossen kurz, er erdete sich selbst und näherte sich dem Nirwana.

Großer Ganesha, dachte er, so einfach hatte ich mir das nicht vorgestellt.

Er spürte eine wundervolle Wärme durch seinen Körper fließen und im nächsten Augenblick durchbrach er die Isolation seiner Seele…

Raphael Stratz: Der Aufzug aus Ägypten

Ob es eine Hölle gibt, wird kontrovers diskutiert. Die korrekte Antwort auf die Frage nach einer Vorhölle wechselt von Papst zu Papst. Viele sind sich nicht sicher, ob sich die Existenz eines Ortes namens „Bielefeld“ belegen lässt, sind sich aber sicher, dass dieser, so es ihn denn gibt, der Hölle am nächsten kommt. Einen Ort, dessen Existenz sich lückenlos nachweisen lässt stellt hingegen der Aufzug dar. Jener Aufzug, in dem ich gemeinsam mit Armin und Pavel stecken blieb.

Eigentlich hatten wir nur nach oben fahren wollen, um unserem alten Schulfreund Marx eine Stinkbombe in sein Büro zu liefern. Marx arbeitete im Passamt und benötigte die Bombe dringend und so schnell wie möglich. Wofür er sie brauchte konnte er uns leider nicht sagen, nur dass es wirklich dringend war und wir uns sowieso mal abgewöhnen sollten, immer alles direkt zu hinterfragen. Wir hatten also eine Stinkbombe von Pavels Bruder Jean-Rüdiger stibitzt und uns auf den Weg zum Rathaus gemacht. Dort angekommen war die Lage des Passamtes schnell erörtert, offen war nur die Frage, ob der Fahrstuhl oder das Treppenhaus schnelleren, größeren und ansehnlicheren Erfolg versprechen würde. Wir entschieden uns für den Aufzug, da Pavel uns damit drohte „spätestens bei der Hälfte zu krepieren“ und man weiß ja wie unangenehm es ist, einen Erschöpfungstoten die Treppe herunter zu tragen.

Armin forderte also kurzentschlossen den Fahrstuhl an, in welchen wir dann frohen Mutes hineinkletterten. Der Knopf für das richtige Stockwerk war schnell gedrückt, die Freude auf das Wiedersehen mit Marx wuchs. Diese Allerdings erfuhr einen leichten Dämpfer, als der Aufzug mit einem Ruck, der selbst geübte Presslufthammerbedienende hätte zusammenzucken lassen stehenblieb. Dass es so schnell nicht weitergehen würde stellten wir fest, nachdem Armin den Notknopf gedrückt hatte. Ein sehr freundlicher Herr am anderen Ende erklärte uns in warmen Worten, dass dies ein Rathaus sei und kein Wirtshaus und wir doch bitte eine Nummer ziehen sollten und warten, bis wir aufgerufen würden. Wir versuchten freilich, den guten Mann darüber aufzuklären, dass es sich hierbei um eine Art Notfall handelte, doch er würgte uns mit der Bemerkung ab, er wisse genau wie ein Notfall aussieht und solange er uns nicht sehen könne, wäre es ihm schlicht nicht möglich das einzuschätzen. Als ich fragte, wie lange es wohl dauern möge, bis er sich unserer Sache annehmen könne, fragte er uns, welche Nummer wir denn gezogen hätten.

„Die 23!“ rief Armin in seiner Geistesgegenwart, doch die einzige Reaktion, die dies unserem Gesprächspartner entlockte, war ein gluckerndes Lachen.

„Tja meine Herren“, setzte er an „da werden Sie sich wohl noch ein wenig gedulden müssen. Wir sind im Moment bei Nummer 382. Wenn wir bei 999 angelangt sind, geht es wieder von vorne los.“

Dafür, dass wir dies überhaupt nicht zu schätzen wussten, hatte er wenig bis kein Verständnis. „Wissen Sie, ich mache die Regeln nicht. Ich bin nicht derjenige, der sich diese Bürokratie ausgedacht hat.“

Mit diesen Worten unterbrach er die Verbindung und wir standen wieder allein in einem steckengebliebenen Aufzug im Rathaus.

„Naja, dann machen wir einfach das Beste draus“, schlug Armin vor „was meint Ihr, wie lange könnt ihr die Luft anhalten?“

„Über acht Minuten lang.“ Behauptete Pavel, was wir aus naheliegenden Gründen natürlich glaubten. Ein Mensch, der bei der Hälfte des Weges in den ersten Stock krepieren würde und trotzdem von sich behauptet acht Minuten lang die Luft anhalten zu können, das erschien uns in etwa so wahrscheinlich wie der Ausschank von Fritz-Kola auf einem CSU-Parteitag. Wir entschlossen uns also, dies zu testen.

Das Ergebnis:
– Pavel konnte die Luft nicht einmal 40 Sekunden lang anhalten.
– Dafür, so sagte er uns aber erst danach, wurde ihm übel, wenn er länger als 20 Sekunden die Luft anhalten musste. Oft so übel, dass er sich übergeben musste.
– Wenn Pavel übel wurde, so ging das oft mit Platzangst und Wahnvorstellungen einher.
– Der Mann am anderen Ende konnte die Verbindung gar nicht unterbrochen haben, denn sobald Pavel geäußert hatte, ihm wäre übel, meldete er sich wieder zu Wort.

„Meine Herren, ich darf Sie darauf hinweisen, dass es Sachbeschädigung ist, wenn Sie sich in den Aufzug erbrechen. Wir stellen in solchen Fällen Strafanzeige.“

„Vielen Dank, Herr Schaffner, einmal nach Alexandria bitte. Ich muss dringend noch in die Bibliothek und mir Iphigene auf Tauris ausleihen.“ Stammelte Pavel. „Sie können gerne am Eingang auf mich warten, es dauert dann nur ein paar Minuten.“

Im selben Moment, indem Pavel seine Ausführungen beendet hatte, schien Armin der Zorn zu durchfahren. Mit lautem Gebrüll warf er sich gegen die Sprechanlage des Aufzugs und forderte den Herren am anderen Ende auf, rauszukommen und sich der Situation zu stellen. Wenn er ein Mann wäre, würde er auch nach Dienstschluss mit ihm nach draußen kommen, um die Sache auf dem Parkplatz auszudiskutieren.

Das hätte er allerdings besser nicht getan. Er bereute es auch im nächsten Augenblick bitter. Nicht seine Worte, die waren aus tiefster Seele gekommen und nur ehrlich gemeint, allerdings hatte Armin vergessen, dass sich in seiner Jackentasche eine hochempfindliche Stinkbombe befand, die bei seinem Sprung an die Wand zerbrochen war.

„Ach du Sch…“ mehr brachte Armin nicht mehr heraus, bevor er in sich zusammensackte. Auch um mich herum begann sich alles zu drehen, ich versuchte, mich irgendwo festzuhalten, bekam nichts zu fassen und fiel vornüber.

Ich wachte auf, als die Sanitäter mich ins Freie schoben. Es war die dritte Staffel Sanitäter, die uns nach draußen brachte. Die Zweite hatte die Erste, die völlig unvorbereitet in den Stinkbombenqualm gerannt war retten müssen. Uns wurde gesagt, wir würden keine bleibenden Schäden davontragen. Ich gehe allerdings davon aus, dass sie damit eigentlich meinten, bei uns war nicht mehr viel zu verlieren gewesen.