Lea Schlenker: «Und Kakao»

Liebling liebling liebling liebling 
gib mir meine Zigaretten zurück 
gib mir meine Tasse Kakao zurück denn 
irgendwo muss die Asche ja rein 

Dank meiner Wut  
entstehen die besten Launen und Ausreisser  
und zuckersüsse Gedankenexperimente  
verschütte heissen Kaffee in deinem Gesicht und beobachte mit Staunen die Blasen 

Ich nehme ein Bad in Wut und Zucker 
befreie meine Fusssohlen in einem sanften Peeling 
von Dreck und Bitterkeit 
Rosen Mandeln und Oliven 
Ich mache dir einen Tee aus verschiedenen Giftstoffen 

Lecke mir die Lügen aus den wütenden Gebieten 
die Liebe meines Lebens  
Ich gebe dir eine Tour durch meine imaginäre Süssigkeitenfabrik und tausche Glut und Asche gegen Lakritze und zerdrücktes Karamel stecke himmlische Biscuits 
in dein bestes Flanel 
mute mir einen süsseren Lebensabend zu  
als allen meinen Geschwistern 
dank Diabetes 
ist das nicht profan 

Honig  
und Kakao 
und wütend 
wütend 
wütend

Ned F. McCowski: Heißgetränke

Ich war komplett besoffen und der Hintergrund war, dass ich mit Kommilitonen einen kleinen Weinhachtswinterspaziergang machte.
Und dann kamen wir auf den Wintermarkt und dort gab es Feuerzangenbowle.
Feuer – Zangen – Bowle.

Und wir tranken da erst mal einen. Ich kannte das noch gar nicht, schmeckte eigentlich ganz gut.
Und irgendwie trank ich da noch einen und ja Runde, um Runde. Immer mehr Runden, die Leute wurden weniger.
Zum Schluss waren wir nur noch zu dritt und … ich hatte kein Geld mehr, also habe ich mir noch Geld geliehen für ein weiteres Getränk.
Eine weitere Feuer – Zangen – Bowle.

Und dann fiel mir irgendwie ein: Ich hab ja noch das Bewerbungsgespräch beim Callcenter bei der Meinungsforschung. Institut Soundso.
Also setzte ich mich in den Bus und fuhr die paar Stationen zum Callcenter.
Callcenter ist so: Es gibt Kohle dafür, aber man brennt irgendwann aus. Ersteres konnte ich gebrauchen, zweiteres – na ja – ist nicht so toll.

Als ich da ankam, war ich schon mit ein paar anderen Bewerbern im Raum.
Und irgendwann ging die Führung los und uns wurde die Etage gezeigt.
Wenn der Mitarbeiter was erklärte, sagte ich immer: „Aha!“ und „Ist ja interessant!“
Dann war der Rundgang zu Ende und wir kamen in so nem Raum an, da stand halt ein Computer, ne, mit nem Headset.
Und wir sollten jetzt mal unseren ersten Call machen.

Uns wurde noch erklärt, dass wir den Leuten sagen sollen „Die Nummer ist zufällig gewählt“, aber die Nummer ist nicht zufällig gewählt. Und wenn die Leute zu sehr nachfragen, leiten wir sie an den Vorgesetzten weiter.

Da nahm ich halt Platz da in den Reihen in den Reihen hinter dem Computer und der Erste oder die Erste war dran.
Ich hielt meine Klappe, schaute zu.
Dann war ich dran.
Und ja, dann habe ich da halt den Text abgelesen.
Hab so möglichst freundlich gesprochen.
Es ging bei der Umfrage um einen Katalog und welche Marken da drin vorkommen.
Ich halt gefragt: „Kennen Sie diese Marke?“ und „Würden Sie diese Marke weiterempfehlen?“.
Halt voll scheiß freundlich und höflich und so. Dann bin ich auf Seite 14 oder so angekommen von dieser Umfrage und das Gespräch ist endlich vorbei.

Der, der Mitarbeiter der Firma klopft mir dann auf die Schulter und sagt: „Sehr gut, sehr gut“ – „Ich kann mir vorstellen, dass du eine große Zukunft in diesem Unternehmen hast, und ich würde mich freuen wenn wir Freunde werden würden“…

Dann war mir auf einmal voll schlecht und ich hab vorher noch: „Ja, klar“ gesagt. Bin ich… habe ich nach dem WC gefragt, bin ich aufs Klo und hab erst mal den ganzen, die ganze Feuer – Zangen – Bowle ausgespien.

Am Ende habe ich den Job doch nicht bekommen.
Seitdem habe ich nicht mehr Feuerzangenbowle getrunken.

Theobald Fuchs: Heißgetränk.

Dieses Zeug da drinne. Gurgelt und gluckert im Glas. Es ist heiß. Heißer als heiß, (gesungen) heiß, überheiß… 

Wenn man einen Tee mit 500 Grad kochen könnte, würde er dann fünf mal stärker wärmen als? Oder würde man nur fünf mal stärker pusten müssen, damit er in der gleichen Zeit trinkbar ist in Klammern: und einen nicht tötet Klammer zu.
Trinkbar heißt: knapp unter Körpertemperatur. Besser ist das. 

Erst heizen und dann kühlen – wozu? Ich versteh’s nicht, hab’s nie verstanden, sorry.
Bin vom Typ her mehr kaltes Bier. Das ganze Thema hier, sorry, aber mir ist das zu… sagichmal: so direkt. Wäre jetzt ein Wortspiel an der Reihe, dann: zu heiß. So aber… Durchschaubar trifft’s am besten. 

Draußen ist es kalt wie ein gutes Bier, drinnen total warm, weil alle wie blöd heizen, damit sie barfuß auf dem Balkon Tiere nachtanzen können. Nackig. Weil Tiere ja auch keine Klamotten anhaben, die meisten jedenfalls. 

500 Grad im Hobbykeller, der Tee kocht von allein, bloß pusten, das musst du noch selber, und zwar fünf mal so stark, sonst dauert es fünf mal so lang. Wobei fünf noch eine Untertreibung ist, meiner natürlichen Bescheidenheit geschuldet. Sechs, sieben, das kommt schon eher an die Wahrheit hin. 

So feste pusten, dass vom Bier, das einfach nur kalt sein muss, der Schaum wegfliegt. Der Schaumfetzen im Flug gefriert, wegen des Gegenwinddingens. Irgendwohin fliegt. An eine Fensterscheibe zum Beispiel, wie eine fette Fliege zerspratzelt das, pladderadatzelt wie eine Fliege, auf die mit der Fliegenpatsche… Zosch und Patsch, voll krass! Gibt aber grad keine Fliegen, scheiß die Wand an, ist das vertrackt. Es muss in jedem Fall gefrorener Bierschaum sein, der Insektengestalt annahm. Damm it! 

Andererseits: ganz so kalt wie früher vertrage ich das Bier auch nicht mehr. Aber nicht falsch verstehen: Ich gehöre noch lange nicht zur Generation Tauchsieder. Knapp unter Zimmertemperatur, das passt, und den Schaum einfach nicht wegpusten, dann passiert auch nicht das, was. 

Und letztendlich muss ich sagen: ob heiß oder kalt – das ist dann irgendwo auch relativ.

Ramona Deniz: Abwarten und çay trinken

Du hast nie verstanden, wie wir selbst in der größten Affenhitze immer çay trinken können. Zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit. Mal mit Zucker, mal ohne.
Kaffee eher weniger. Und wenn es doch einer sein soll, dann nicht aus diesen massiven Gefässen, in denen sich das tiefe Schwarz ausbreitet wie eine sternenarme Nacht in jeder mittelgroßen Stadt.

Komische Kaffeekültür.

Dann lieber çay. Aus diesen filigranen Tulpen, die sich besser im oberen Drittel halten lassen.
Wegen der Hitze.
Kleines Hindernis neben den vielen Freuden:
Besser für das Herz. Und für die Freundschaft.

Denn während sich çay ohne Ende schlürfen lässt, von morgens bis abends, an milden und
bitteren Tagen, lässt sich das von Kaffee nicht behaupten.
Wer sich zum Kaffee trinken trifft, hat seine Zeit nicht eingepackt.
Bisschen auf Absprung. So zwischen Tür und Angel.
Sich etwas warm halten.
Sich jemanden warm halten, nur um dann wieder zu verschwinden.
Bis zum nächsten Kaffee.

Hayır. Das passiert bei çay nicht.
Nicht im Stehen trinkbar, nicht in Pappbecher befüllbar.
Du sitzt mehrere Teelängen, genießt.
Nicht zwischen Tür und Angel, mit Blick auf die Uhr.

Harald Kappel: Tasse Kaffee

auf den Schiffsrümpfen
treibende Fjorde
im Berg schleichende Kirchen
das Tageslicht als freies Segel
die kostbaren Tropfen
von ja und nein 
wie Runen auf dem Mond
auf meiner Terrasse
eine Tasse Kaffee
voller Insekten
jeder Schluck
wohltuender Schmerz
die alte Flotte
vertrieben von Diarrhoe
verlässt den Kurs
Richtung Eisberg
in der grellen Bleiche
das Zerschellen 
wohltuender Schmerz
eine Tasse Kaffee
endlich
ungebraucht

Katja Schraml: Mad mades Mangel_Material

„Ich bin satt vor der Zeit
und hungre nach ihr.
Was soll nur werden?“

Ingeborg Bachmann, Aus: Entfremdung

Vor der Tür stand das Kind <ungefragt>: Es bliebe jetzt hier – bei mir <unwiderruflich>, und ging an mir vorbei, sich an den Tisch zu setzen, der <unbefleckt ungedeckt> mittig das Zentrum uns bietet für das Gespräch, dem ich ausgewichen so lang, dass ihm bang, ich hätt alles verg_essen. Versessen ists drauf, dass ich mich für 1 heile Weile zu ihm geselle, ins Helle der Morgenröte, die <henceforth fencenorth> an uns vorbeiziehen, unaufhaltsam gewaltsam uns in ihr Licht tauchen wird. Dem komm ich nicht aus. Das Kind sucht mich aus. Und fragt immerzu: Was willst du?

Ich bleibe vorm Schlosstor, der geschlossenen Tür, von der ich nie weiß, wer sie zugesperrt zugespeert. (Was liegt in meiner Hand?) Wo sind die Schlüssel? Gabs nicht 1 Ausweg? 1 Hinterausgang? An Küche Kind Kühlschrank vorbei über den Balkon <mit BeDacht> die Belletage <mit Bewegung> hinunter auf den blanken Beton <Bruchlandung> … Ginge das nicht? (Im Traum hat das Haus stets >7 Räume, um uns als Labyrinth das Gefängnis zu bieten, in dem wir gefangen verfangen, über Treppen+Klippen hochrauf/\tiefrunter, klettern+klimmen kostet uns Kraft – ob mans wohl schafft?)

Was tust du da?, fragt das Kind gegenwärtig, während ich im Vergangen gewesen <verwesen>. Wen/was erwarten wir denn? (Was soll denn noch kommen?)

Du hast es gewusst. Wir stecken fest im Verlust. Verlustierung nicht möglich. Justieren den Schmerz, mein Herz, da fühlen wir hin, weil wir ihn kennen und wissen, wo wir ihn finden: der Zugang ist niedrigschwellig. Frag nicht warum. Um uns zu weiden am Leiden, ganz bescheiden beschneiden. Nur kein niederer Neid!

Wie kommt man dazu, 1 Verlust zu empfinden, wo nie was war? 1 fremden Besitz als 1 eigenes Fehlen diagnostizieren + reparieren ekrasieren mit Verzicht+Vernicht? Als ob kein Hab+Gut <Gut_Haben> zureichend zulänglich <zugänglich>. Über die Lücken bauen wir Belobigungsbrücken: public press release <what a relief!>, die sollen uns genügen zum selber Belügen. 7 Tage lang. Dann fällt uns ein, es fehlt uns noch 1 Verbot.

Auch dich sah ich schon im Traum, vor unserem Haus, anschreiend+beschimpfend: mich!? Wieso nur, mein Kind? Ich aber <ich?!> blieb see_lenruhig, riss mich zusammen, um dich zu besänftigen + zu beschwören: Wir wollen doch alle dasselbe. <With all your respect!> Alle Wörter mit FR: freifriedfröhfreundliche Freude <ja_wohl, frappierend!>. Da erhoben sich die 3 Löw_innen, die sich im Schein der Sonne träge im Staub der Straße gewälzt. (Wo kommen die her? Wo brachen die aus?) Dann stürmten sie auf uns los. Da liefst du zu mir, hängtest dich ein, bliebst an meiner Seite, so rannten wir: durch den Garten ins Haus (in die Küche!) hinein – und schlossen die Tür. Sicher waren wir. 

So sitzt du nun da. Still stumm + starr. Stierst <unentwegt unbewegt> auf leere Teller. Ich bin dein Bedarfshalt. Abers gibt nichts bei mir. Ich weiß. Ich bin 1 recht schlechte Gastgebende, seit ich das Wirtshaus _V/verließ. (Und wars auch schon vorher.) Bei mir muss 1 Kind hungern. (Von der Alten zu schweigen, die unten im Keller verschmachtet, seit wir das Brot auf die Dächer tragen zum Reak_tanz, du weißt, das war Schwer_T.) Natürlich tut es mir Leid. (1 Grund mehr für den Schuldberg, den wir Ge_du_ld_ich anhäufen, statt zu entwerten.) Ich kann nichts dafür. Es ist unerwünscht. (Du.)

Du krallst dich fest an mir wie im Traum, allein kannst du nicht überleben, unreifes Wesen. Du hasSt ja nur mich <Paradies_Parasit>. Du lachst mich aus, wer hält da wen? Und ich seh meine Hände um deine geklammert, die lassen nicht los. Und ich dachte, ich hätt dich längst Weg_gelaufen geschrieBen. Dabei fülle ich alles in dich hinein. <Pschtpscht!> Du bist mir der SchamSchuldSchimpfSchande_SpotT. Heut bist du mir fremd + morgen gut. Übermorgen übe ich Nach_Sicht.

Ich komm nicht zurecht mit Wunsch+Bedürfnis. Es ist alles 1. Hat der Leib 1 Bedarf, versteht der Magen nur 1 Sprache <un petit appétit>. Was ist mein Begehr? In uns lebt 1 dicke Frau, die möchte heraus, will ersichtlich <Hang+Drang> herausquellen. Sag mir, mein Kind, succidaneus: Wenn der Körper das Gefühl 1 Mangels selbst_ständig in Hunger übersetzt, was macht dann satt? <Transponiere!> 

Das Kind sucht mein Auge <insinuiert!>, es weiß, seinem Blick geb ich nach. <You know, I fall for you.> Aber noch weich ich aus. Auf meinem Schoß ist kein Platz. Ich suche die Töpfe und koche dem Kind etwas <süß warm + brei>. Gegen die Kälte der Mauern, das Grauen des Himmels, den Schatten der Schweigeinsamkeit. Ich schenk 1 Glas Wein aus, Port nur zur Stärkung, fülle 2 Schüsseln <soupçonnös> über den Rand. Teile Besteck aus, 2 Schöpfer als Löffel, danke mir selber für Speis+Trank. Dann seh ich dich an. 

Wir sch_reiben uns auf, bis wir (uns) nicht mehr (hören) können. Kippen das Ich ins Wir, um uns zu schützen. Trenne mich von dir, um euch zu täuschen. Es bleibt alles wies war. Ich darf nicht sein. Du ja. (Noch 1 Snack?)

Dem Kind aber schmeckt mein Mahl nicht. Wortlos stehts auf und geht hinaus. Durch die verschlossene Tür. Hab ich dich verdrängt? Sine_kure, ich werd dich schon schaukeln!

Und ich esse alles alleine auf, löffle in die Teller die Leere hinein, wie ichs gelernt. Aber wir werden am Leben nicht satt. Draußen das Land versinkt im Dämmer, das Licht scheint wohl nicht, abers war schon SchLimmer. Es macht mir schon nichts mehr aus. (Also nicht mehr viel.) 

Unten steht wieder das Kind und winkt, versinkt in der Dunkelheit. Sch_ade.

Natürlich vermisse ich dich jetzt.

Margret Bernreuther: twist in my sobriety

Meine Oma ist gerade gestorben. Also, ich glaube sie ist schon ein paar Tage tot. Ich hatte keinen Kontakt mehr zu ihr. 100 Jahre alt ist sie geworden.
100 und einen Monat.
Geboren wurde sie in Madrid.
Und dann als dort der Spanische Bürgerkrieg ausbrach, wurde sie von ihren deutschen Eltern, zuerst zurück ins Allgäu und dann ins karge Mittelfranken abgeschoben.

Das fleissige und sehr junge Mädchen wurde nach ihrer Zwangsarbeit auf Haus und Hof der Familie, dazu auserkoren, den fettleibigen und vor allem im Kern schon mit seinem Schicksal hadernden Gutsbesitzer vermählt.

Er hätte sich auch was schöneres Vorstellen können, denn eigentlich ein Dr. der Chemie und noch eigentlicher auch nicht für den Hof oder gar die Brauerei gemacht.

Mein Opa hat sein Schicksal dann aber doch angenommen und das Beste was ich zumindest über ihn weiß ist, das er kein Nazi war und es gibt eine hinter vorgehaltener Hand erzählte Geschichte über eine Tante die in denunziert hat und woraufhin er dann doch irgendwohin an die Front musste und dann da sofort in amerikanische Gefangenschaft kam, aber dann war der Krieg auch schon vorbei.
Die Tante, also eigentlich die Schwägerin wurde vom Hof gejagt, denn der Bruder, ist nicht zurück gekommen. Aus dem Krieg.

So, musste also der Hof und das Bier weiterhin in Schuss gehalten werden und da hat die alte Mutter, des Großvaters ihm also meine Oma ans Herz gelegt.
Bzw. alles so demnach eingefädelt, das auch niemand was hat sagen können oder sich hat trauen.

Das junge Mädchen die nun nach ihrem Zwangsdienst auf dem Hof nun gleitend hinüber wechselte. In den Zwangsdienst am Ehemann. Der hat ihr zum Geschenk dann auch gleich 5 Kinder in den Schoss gedrückt. Die alle in einer sagenhaften Lieblosigkeit herangezogen wurden. Wie man es sich schrecklicher nicht ausmalen mag. 

Nachdem die Kinder aus dem Haus, oder tot waren wurde der Großvater krank und hat sich bei einem Spaziergang nach langem Siechtum dann anständigerweise selbst das Leben genommen.

 Meine Oma hatte keine Liebe für uns. Sehr nutzlos und sinnfrei bewertete sie unsere Existenz.

Meine Mutter konnte sie schon überhaupt nicht leiden und der Vorwurf das meine Mutter sich mit ihrer reichen Kinderschar auch nur einen Platz in das gemachte Nest sichern wollte, war kein Geheimnis.

Das Wichtigste war ja das man fleißig ist und keinen Dreck macht und keinen Lärm und unsere gesamte Existenz war für unsere Großmutter eine einzige Zumutung.

An den wenigen Gelegenheiten an denen wir bei ihr sein durften oder besser gesagt sollten war meine Oma eher fassungslos. Nahezu angeekelt von unserer kindlichen Dummheit und das man uns zu nichts brauchen konnte.

Ich habe nur eine Erinnerung an sie, in der sie mir für einen kurzen Moment ihre Aufmerksamkeit geschenkt hat. 

An einen kleinen Moment an dem sie mir zugehört hat.

In ihrer Wohnung lief das Radio – Tanita Tikaram – Twist in my sobriety.

Ich liebte dieses Lied und hatte mir aus irgendwelchen Informationen folgende Geschichte zusammengedichtet.

Tanita Tikaram wollte nie ein Star werden, aber gemeine Plattenverkäufer haben sie gezwungen, als sie ihre schöne Stimme hörten und jetzt vermarkteten sie sie quasi gegen ihren Willen.

Kein Wort ist wahr von dem.

Aber ich erzählte es trotzdem meiner Oma.

Sie war ganz angetan. Ich glaube sogar das Lied hat ihr gefallen.

Und meine Großmutter beugte sich zu mir hinunter und sagte: Ja, das ist schlimm! Wenn man zu etwas gezwungen wird.

Margret Bernreuther: geist

Jeden Morgen wenn ich die Wohnung verlasse entdecke ich unten auf der Ablage bei den Briefkästen neue Figürchen oder andere Haushaltsgegenstände.
Oft sind es kitschige aber nicht besonders hochwertige Porzelanfiguren. Manchmal ein Gewürzglasrondell, gestern stand ein Kochbuch zur Anleitung für fettreduzierte Ernährung dort.

All diese Gegenstände sind sehr bunt zusammengewürfetlt. So war neulich auch mal ein aufwendig bestickter Fächer in einer mit Stoff bezogen Schachtel dort zu finden. Auf dem Fächer zwei Pandabären die unter einem blühenden Kirschbaum spielen. Die Kiste mit goldenen und roten Stoff besponnen. Auf den ersten Blick, insgesamt ein hübsches Ding, aber trotzdem konnte die Verpackung und Gestaltung dieses Fächers, dennoch nicht die mangelnde Wertigkeit der Sache verbergen.
Es wirkte bei genaueren hinschauen eher wie ein Gegenstand aus einem günstigen Souvenirladen der gar einem AsiaShop aus der Innenstadt, bei dem neben der Tütensuppe und den Gewürzsossen, das ein oder andere Handwerkszeug verscherbelt wird.

So wie all die Dinge die dort stehen keinen kostspieligen, aber im ganzen doch vielleicht ideellen Wert darstellen. 

Hinunterstellen tut sie unser Nachbar. Da bin ich mir sehr sicher. Ich habe ihn zwar noch nie direkt dabei erwischt. Aber da wir ansonsten ein sehr junges Haus haben, bin ich mir sicher, daß die Gegenstände aus seiner Wohnung stammen.
Herr Schag wohnt im Stock über uns. Er ist über 80 Jahre alt und ist derjenige der schon immer hier gewohnt hat. Unzählige WGs und junge Menschen hat er schon ein und ausziehen erlebt.
Die früher noch regelmäßigen Hoffeste hat er immer wohlwollend vom Balkon aus mit erlebt, konnte sich aber trotz mehrmaligen einladen, nie dazu aufraffen zu uns hinunter zu kommen.

Zusammen mit seiner Frau standen sie dann also manchmal für längere Zeit am Balkon und schauten sich an, was da so alles los war in unserem Hof.
Noch nie gab es auch eine Beschwerde wenn eine Feier länger dauerte, oder gar das aufräumen am nächsten Tag allen beteiligten sehr schwer fiel und es sich bis in die kommende Woche hineinzog, das alles wieder an Ort und Stelle war.

Mit der Zeit und mit den Jahren lies aber auch die Anteilnahme vom Balkon aus immer stärker nach.
Seiner Frau ging es nicht mehr so gut. Sie wurde dement und ihr gemeinsames Konstrukt fing an zu bröckeln. Wir im Haus hatten schon einiges an Erfahrung mit dementen Bewohnerinnen.
In der Wohnung nebenan wohnte eine italienische Nona, die trotz hochgradiger Demenz noch bis ins hohe Alter in Schlappen auf ihrer Vespa zum einkaufen gefahren ist. Manchmal hat sie sich verfahren und dann gab es wieder große Sorge und die Kinder haben sie mit uns zusammen gesucht.
Irgendwann wurde den Kindern klar, daß sie ihre Mutter nicht mehr in unserer Verantwortung lassen können. Und sie ist, vermutlich zum sterben nach Italien gebracht worden.

Frau Schag die freundliche Nachbarin, ereilte kein so schönes Schicksal. Ihr Mann versuchte es eine zeitlang damit, sie einzusperren. Aber nachdem sie auch in der Wohnung dann Dinge nicht mehr so hinterlassen hat, wie er es gewohnt war und man sich nicht mehr darauf verlassen konnte, dass sie das Essen richtig kocht und überhaupt die Dnige tut, wozu man doch so eine Frau hat, hat Herr Schag sie ins Altenheim gebracht. Ich verwende seine Worte.
Ich weiß nicht wieviel Liebe da jemals im Spiel war. Und auffällig fand ich es schon immer, das wir noch nie eines der 3. Kinder bei uns im Haus angetroffen haben.

Dieses alte Pärchen, deren Leben nach Erzählungen von Frau Schag nur aus Arbeit bestand. Ich kann nicht beurteilen, ob sie glücklich waren oder nicht. Und noch weniger kann ich die Dinge beurteilen die Herr Schaag nun langsam aus der Wohnung räumt.
Für ihn anscheinend wertlose Dinge, die seiner Frau gehören.
Sie wird nicht wieder zurück kommen und er hat keine Verwendung dafür. Aber direkt in die Mülltonne werfen möchte er sie auch nicht. Dafür hängt vielleicht der Geist seiner Frau zu sehr an diesen Dingen.
So machen sie vielleicht nochmal eine Zwischenstation. In einer der WG’s. Oder so wie bei uns. Der kleine Fächer mit den spielenden Pandabären.

Würde Herr Schaag in anstatt ihn zu verschenken, seiner Frau ins Altenheim mitbringen, würde sie sich vielleicht an die Reise nach China erinnern, die sie vermutlich nie gemacht haben.


 

Michael Schmidt: Professor Wuiser und der Heilige Geist

Nebenbei, hat der Professor Wuiser gesagt, ist das mit dem Heiligen Geist auch so eine Sache. Im Grunde genommen, wär dieser Geist ja gar kein Geist. Also kein Geist, wie man sich ihn vorstellt, so mit einem weißen Bett-Tüchl drüber und so weiter. Wenn man die Leut auch fragt, wie der Heilige Geist eigentlich ausschauen tät, wissen sie es nicht oder sagen, dass es eine Taube ist, wie man sie in der Kirche drin sieht, über dem Altar. Zu Pfingsten gibt es manchmal ein Spektakel dazu. Da geht oben eine Klappe auf, und dann lassen sie den Heiligen Geist von oben runter. Der hängt dann an einem Seil und wird von droben runtergekurbelt. Und dann können sich die Leut eine Vorstellung machen, wie das ist, das mit dem Heiligen Geist. Aber in Wirklichkeit hat ihn noch keiner gesehen. Zumindest keiner in der jüngeren Vergangenheit gesehen. Im Grunde genommen, hat der Professor Wuiser gesagt, geht das auch gar nicht, weil mit dem Heiligen Geist ja auch gar nichts zum Anfassen gemeint ist. Und ein Gespenst erst recht nicht. Tatsächlich heißt der Heilige Geist auf Latein nicht umsonst „spirtitus sanctus“ und nicht „larva“, von dem nebenbei gesagt auch das Wort „Larve“ herkommt. Ein Spiritus, das ist etwas ganz anderes wie ein Gespenst oder ein Phantom. Das ist eher eine Kraft, eine Seele, hat der Professor Wuiser gesagt, eine Art Hauch. Und dieser Hauch tät durch die Welt wehen und alles durchdringen und mit seiner Seele im wahrsten Sinne „beseelen“. Bloß haben die damals mit dem Heiligen Geist mal etwas falsch verstanden und dann entsprechend falsch übersetzt. Seitdem heißt der Heilige Geist im Englischen auch „Holy Ghost“, was soviel bedeutet wie: das heilige Gespenst. Denen ist aus Versehen die Beseelung zum Gespenst geworden. Und das hat sich bis heute so gehalten. Die haben gesagt, das kann man nicht mehr rückgängig machen. Weil der Heilige Geist ja auch die eine feste Garantie dafür ist, dass man ihn verstanden hat. Und wenn man den Heiligen Geist verstanden hat und mit ihm erfüllt ist, kann man folglich auch gar nichts mit ihm falsch machen. In der Theorie zumindest. Bloß haben die sich damals vertan, und darum ist der Heilige Geist heute im Englischen ein heiliges Gespenst und kein Hauch mehr. Was meinen Sie? Für was der Heilige Geist eigentlich da ist? Bei der Firmung haben sie uns gesagt: damit man im Leben ja keine Fehler mehr macht!

Margit Heumann: Nacht(un)ruhe

Tock-tock-tock. Was klopft mit dem Mitternachtsschlägen vom Kirchturm um die Wette? Pünktlich zur Geisterstunde ein Gespenst?

„Blödsinn“, denkt Alfred, „das ist mein überreiztes Gehirn.“

Tag und Nacht lassen den Waffenproduzenten seine Geschäfte nicht los. Irgendwo ist immer Krieg und es wird nicht einfacher, Exportverbote für Rüstungsgüter zu umgehen und sowohl Aggressoren als auch Verteidiger zu beliefern. Deswegen leidet er unter chronischer Schlaflosigkeit, schon seit Wochen, keine Nacht macht er ein Auge zu. Was Wunder, dass er an Halluzinationen leidet.
„Ich brauche dringend einen Arzt“, murmelt er vor sich hin.

Es klopft wieder. Diesmal an der Tür. Länger und lauter.
„Wer kann das sein?“ Seufzend wirft sich Alfred einen Mantel über und öffnet.

„Da bin ich!“ Draußen steht eine hagerer, fast durchscheinende Gestalt, Stethoskop um den Hals, OP-Maske, OP-Haube, Stirnlampe, Brille. Offensichtlich ein Arzt. In weißem Kittel mit goldenen Knöpfen, wohl ein Professor oder Primarius. „Sie haben mich gerufen?“

„Das ist … das ist ja wie Geisterbeschwörung“, stammelt Alfred. „Aber wenn Sie schon mal da sind: Ich schlafe schlecht, seit Wochen mache ich keine Nacht ein Auge zu. Ich höre und sehe schon überall Gespenster …“

„Ihnen kann geholfen werden“, antwortet der Arzt. „Schuld ist die Seele.“

„Zum Teufel mit der Seele! Ich glaube nicht an Esoterik.“

„Jeder Mensch ist von Natur aus beseelt“, erklärt der Arzt.

„Und Sie können Seelen kurieren?“

„Kurieren nicht, aber davon befreien.“

„Eine Operation?“ Der Gedanke gefällt Alfred nicht.

„So ähnlich, aber völlig schmerzfrei.“

„Ich kann es mir nicht leisten, lange auszufallen.“

„Keine Sorge! Ich verfüge über genügend Mittel, die ihre Geschäfte erst richtig anzukurbeln.“

Alfred bekommt glänzende Augen. „Solche Mittel gibt es? Her damit!“

„Moment. Sie müssen mir dafür Ihre Seele verkaufen.“

„Herzlich gern.“ Als Manager weiß er, dass es kein Geschäft ohne Gegengeschäft gibt. „Und was sind das für Mittel?“

„Kokain. Opium. Ecstasy. Speed. Sie erleichtern den Soldaten die Kriegsführung.“

Alfred begreift das Geschäftsmodell im Handumdrehen. „Genial. Je mehr Ihrer Rauschmittel ich umsetze, desto mehr Waffen werden gebraucht.“

„Und umgekehrt! Eine Win-win-Situation für uns beide. Und ohne Seele schlafen Sie trotzdem gut.“ Er hält ihm die Hand hin. „Deal?“

Alfred zögert keinen Augenblick. „Deal!“, bestätigt er und schlägt ein.
„Eine Frage noch, reine Neugier: Was wird aus meiner Seele?“

Im Weggehen macht der Mann eine gleichgültige Handbewegung. „Sie haben es ja selbst gesagt: Zum Teufel mit der Seele.“

Der Arztkittel weht hinter ihm her und das Klopfen eines Pferdehufs hallt durch die Nacht. Alfred schlottern die Knie. Er friert, als hätte ihm jemand die Kleider vom Leib gerissen.

„Da hol mich doch der Teufel“, stößt er zähneklappernd hervor und geht zurück ins Bett. „Aber das ist mir meine Nachtruhe wert.“

Das Ein-Uhr-Läuten der Kirchturmuhr hört er schon nicht mehr.