Harald Kappel: FluorChlorBromJod

die Dissektion der Schlagader
unterbricht den Saftstrom
des Träumenden
in monochromer Tinktur
ertrinkt das Mitgefühl
für den kahlen Schädel
stereotomisch
werden Wünsche ausgeschält
heimlich
die Meinung geglättet
die Kritik entlaubt
jaja
im Schatten droht die Apnoe
dann macht doch
was ihr wollt
die Oberfläche bleibt stumm
schamlos vermehrt sich
im Schädeltransplantat
die alte Vaccine
der Saftstrom
des Träumenden
ertrinkt
in monochromer Tinktur

Harald Kappel: Beanstandung der Szene

in meiner Nähe
lagern
im Bahnhofslicht
in der warmen Kühlbox
ungelieferte Torten
in meiner Nähe
schimmern
unter Neonröhren
in Zeitungspapier eingeschlagen
goldgelbe Makrelen
in der gekippten Stimmung
dünsten deine Nylonstrümpfe
wie geronnene Milch
ich beanstande
die kleine Szene
unbemerkt
bedaure aufrichtig
mit halblauter Rührung
deine Tränensäcke
dann
schiebe ich den Fischen
deine Traurigkeit hinter die Kiemen
esse die warmen Torten
fühle mich obenauf
reibe dein Nylon
zum vagen Funkenschlag
unbemerkt
beanstande ich
mich selbst
und warte
warte
war
w
v
,
.

Harald Kappel: Vom Abstellen des Mangels

morgens
ist das Bedürfnis am Größten
der Vortag
ist mit feuchten Erinnerungen gefüllt
der erste Schluck
nicht vor neun
ist der Schwerste
die selbstauferlegte Beschränkung
ein täglicher Erfolg
und
ein körperliches Muß
die Erleichterung
setzt augenblicklich ein
die Freude niemals
der Tag
wird
vom Abstellen des Mangels
erfüllt

Harald Kappel: Mega Hoffnung

Am großen Schwarzen Flügel
ein kranker Junge
Hörner im Gesicht
blass von Lebertran
und Ratschlägen
er hört
Trommeln schlagen
ein schwebendes Konzert
im ächzenden Dunkel
ein phonographisches Gespiel
auf der Fieberstirn
treibende Wolken
ein Schwall von Hilferufen
ein Verband am blutigen Auge
links
die Zunge balsamiert
so still seit Beginn der Zeit
rechts
ohne Blick
ein konkaves Brillenglas
ein sonderbares Instrument
es schallt Schritte
ein Mann
oder
eine Frau
weiden sich aus
entsetzlicher Applaus brandet
die Trommeln sabbern
der Junge spielt blind
den Schwarzen Flügel
mitten im Stück
entzündet die Haut
sie juckt und nässt
das Elfenbein zerblutet
aber der Junge spielt blind
eine epileptische Melodie
schön
das muss man ihm lassen
sehr schön
und hofft
auf einen Traum

Harald Kappel: der Fährmann

Das Ufer ist in ein fahles, silbriges Mondlicht getaucht.
Du bist bereit, bereit für die letzte Fahrt.
Es ist still, so still, so ruhig, so endgültig. Vor Dir der Fluss, wie gemalt,
flüssige Farbe, zäh, tief, unüberwindlich, aber Du hast keine Angst.
Als Du Deinen Fuß hineinsetzen willst, siehst Du Ihn auf der anderen Flussseite.
Er sieht Dich an, ohne Augen, ohne Gefühl. Er ist nur ein Umriss.
Schwärzer als alle Schatten, alles Licht weicht vor Ihm zurück.
Er ist groß, größer als alles, was Du vor Ihm sahst.
Er ist klein, kleiner als alles, was Menschen sich vorstellen können.
Er lebt und Er ist tot,
und Er spricht mit gewaltiger Stimme, ohne Töne, ohne Schall.
Er dringt in Deine Gedanken. Er sagt: „Ich komme, ich bin Dein Fährmann.“
Er stößt sich ab, sich und sein Floß.
Es gleitet….nein, es schwebt über den schwarzen, glitzernden Fluss.
Es taucht nicht ein, aber es fliegt auch nicht.
Du solltest Angst bekommen, aber da ist keine Angst, nur Erwartung.
Du bist wie gefesselt. Wieder sagt Er: „Ich komme. Ich hole dich.“
Wie wird Er sein? Wie wird Es sein? Wenn Er Dich packt, mitnimmt?
Wie sieht das andere Ufer aus? Er ist so groß und so klein.
Du willst dich abwenden. Er sagt: „Bleib, ich komme.“ Und Du bleibst, ohne Angst.
Er kommt näher, und doch kannst Du die Entfernung nicht schätzen.
Sein Fährmannsstab reicht von der Hölle bis ans Licht.
Unendlich groß, unendlich klein. Er stößt sich ab, ohne sich zu bewegen.
Er kommt unendlich schnell, und unendlich langsam.
Und als Er vor Dir steht, ist Er so weit weg,
so dass Du Ihn niemals berühren könntest.
Er sagt: „Ich bin der Fährmann, ich hole Dich, Deine letzte Fähre wartet.“
Er reicht Dir seine Hand,
und alles wird anders,
ganz anders….

Harald Kappel: ohne Drachenfell

es war einmal
draußen 
im Erwachen
zogen Glasfasern gen Süden
ich rutschte auf dem Vorjahreslaub hinterher
verschluckte den Frost
mit klopfendem Herzen
ein unbedeutender Corvus
ohne Drachenfell
schnell jagte 
ich im ersten Licht
deine Silben
als ich jedoch die Daten berührte
hinterließen sie Bites
auf meiner Haut
mein Körperschatten erbleichte
zu Pfützen aus Sehnsucht
deine Silben rasten
wie Kometen ins All
uneinholbar
für einen unbedeutenden Ritter
ohne Drachenfell

Harald Kappel: Homunkulus

die willkürliche Herstellung
von Menschen und Blumen
auf chemischem Wege
ist eine Möglichkeit im System
in bizarrer Abstraktion
werden die Gebärden der Gesetzlichkeit aufgelöst
werden Muttersöhnchen erzeugt
ein realistisches Detail
aus kläglichen Menschenschemen
die digitale Körnung
ist merkwürdig
die Schwächlichkeit
ein Programmfehler
die Liniengräben wie Ackerstreifen
ein Magnet
der Lebensfunke
das Bewusstsein 
eine Matrix
die willkürliche Herstellung
von Menschen und Blumen
auf chemischem Wege
ist möglicherweise
merkwürdig

Harald Kappel: das Ende der Wünsche

Lächelnd warten
dein Haus
eine milde Kathedrale
gefüllt mit Enttäuschung
der Duft flimmernder Blätter
im moorigen Morgentau
gebiert nur Übelkeit
auf den Lippen
müder Mohn
der nichts verändern kann

Lächelnd warten
lange Tage
die Gedanken gefüllt mit Garnichts
dein feuchter Leib
flattert nicht mehr so jung
unter deiner Frau
ein Nagelbett
das Schweigen der Münder
ein letzter kleiner Tod
die Krone der Kirschbäume
dornenreich
in den Gipfeln
ein ferner Traum
unbesteigbar
die Felder blutrot
nett gewellt
in Schnaps getaucht

Lächelnd warten
lange Nächte
in der Bucht
ruft eine goldene Glocke
nach dir
du lauscht
den alten Klängen
als es das Glück noch gab
da war ihr Duft die Sonne
nun
schleichen Schatten ins Geläut
hauchen leise
unentrinnbar
das Ende der Wünsche
in deine Gedanken

nicht mehr lange
Lächelnd warten

Harald Kappel: gebeizt

in deiner Abwesenheit
mische ich den Mohn
getröstet
schreib ich am Pult
wortfreie Verse
auf der Schallplatte
kratzen meine Nägel
eine Melodie
ein keimendes Kissen
meine Nahrung

in deiner Abwesenheit
vergesse ich meine Herzkammern
arrhythmisch
bewirte ich die Unterkühlung
auf dem Bries
eiskalte Schläge
eine Melodie
aus Rammstein
und Treppenhaus

in deiner Abwesenheit
mische ich den Mohn
schreibe am Pult
stumm und todlos
beize die Haut der Katze
meine Nahrung
in deiner Abwesenheit
ungetröstet

Harald Kappel: im Labor

ich traf Dich gestern
im Labor
nachmittags
wurde der Igel überfahren
seine Mutter gefressen
Hunde und Katzen
sahen zu

ich traf Dich gestern
beim Hochsprung
nachmittags
wurde Dir die Haut abgezogen
der liebe Gott gekreuzigt
Menschen und Ratten
sahen zu

ich treffe Dich
nicht mehr
nachts
weine ich
wegen Deiner Geburt
keiner und niemand
sieht mir dabei zu