Man nehme seine frühen Erlebnisse,
und bestreiche sie mit einer Krem
aus Subjektivität und Idealisierung.
Nach einer üppigen Verjährungsfrist
von mehreren Dekaden
staple man sie hübsch übereinander
und ziere nach Belieben
mit geriebener Übertreibung,
schiftelig geschnittenen Floskeln
oder feinblättrigem Pathos.
Vor dem Servieren bestreue man sie
mit reichlich Zucker
der verklärenden Erinnerung.
Guten Appetit.
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Miriam Gil: Ein weißes Blatt Papier
Mehr brauch ich nicht. Will ich nicht. Mag ich nicht.
Bist Du bei mir.
Und siehst mich so seltsam an, dass ich es nicht erklären kann!
Erinnerst Du Dich noch?
Das Blatt Papier ist nicht mehr weiß –
Es strahlt und schimmert in den schönsten Farben.
Rosa, Gold – Azurblau und ein bisschen schwarz mit sattem Gelb.
Ich mach es gerne.
Deine Augen und schöne Musik berühren mich dabei zärtlich aus der Ferne.
Dunkle, blaue Tinte verschwimmt dabei langsam auf einem nassen Fleck.
Du bist schon lange nicht mehr da,
bist nicht mehr an meiner Seite.
Bist nun woanders.
Ganz weit weg.
NedGPT – Feuerzangenbowle und Nostalgie
Ich erinnere mich noch immer gerne an diesen einen Winterabend vor ein paar Jahren. Ich war damals mit ein paar Kommilitonen unterwegs, als wir auf einen Wintermarkt kamen. Dort angekommen, fiel mir sofort ein Stand auf, an dem es Feuerzangenbowle gab. Ich hatte das Getränk noch nie probiert, also beschloss ich, es auszuprobieren. Der erste Schluck war köstlich und so trank ich Runde um Runde, während die Nacht voranschritt und die Menschenmenge immer dünner wurde. Als wir schließlich nur noch zu dritt waren und ich kein Geld mehr hatte, lieh ich mir welches von meinen Freunden, um mir noch einen weiteren Becher Feuerzangenbowle zu gönnen.
In diesem Rauschzustand fiel mir ein, dass ich am nächsten Tag ein Bewerbungsgespräch bei einem Callcenter hatte. Ich machte mich also auf den Weg, um das Gespräch zu führen. Doch ich war immer noch betrunken und fand es schwierig, meinen Gedanken zu folgen, als ich von anderen Bewerbern umgeben war, die sich für denselben Job bewarben.
Die Führung begann und ich gab mein Bestes, um interessiert zu wirken. Doch meine Konzentration war beeinträchtigt und ich musste mich bemühen, dem Gespräch zu folgen. Schließlich wurde uns gezeigt, wie man Anrufe tätigt und ich war an der Reihe, meinen ersten Anruf zu tätigen.
Ich erinnere mich noch genau an das Gefühl von Aufregung, als ich das Telefon abnahm. Ich gab mir Mühe, möglichst freundlich und höflich zu klingen, als ich nach der Meinung der Person über bestimmte Marken fragte. Nach einiger Zeit wurde mir jedoch schwindelig und ich musste mich zusammenreißen, um nicht ins Schwanken zu geraten. Als ich schließlich fertig war, wurde mir von einem Mitarbeiter der Firma auf die Schulter geklopft und ich erhielt ein Lob für meine Arbeit. Doch in dem Moment, als er mir sagte, dass er sich vorstellen könne, dass ich eine große Zukunft in diesem Unternehmen hätte, wurde mir plötzlich übel. Ich bat um eine Pause und rannte zum WC, wo ich mich übergeben musste.
Als ich zurückkehrte, bemerkte ich, dass der Mitarbeiter nicht mehr so begeistert war wie zuvor. Ich wurde nicht für den Job ausgewählt, aber ich denke oft an diese Nacht zurück und wie ich mich gefühlt habe, als ich die Feuerzangenbowle getrunken habe. Es war eine andere Zeit und ich werde sie immer in Erinnerung behalten.
Mina Reischer: Das garstige Feuerrad
Oh Romeo.
Oh Romeo.
Du musst die Vene nicht sehen.
Du musst sie nur spüren.
See if the sea is still there.
I tell my fortune in the tealeaves.
All meine Last
Ich hab es selbst verschuldet
Was Du getragen hast
Schau her, hier stehe ich
Der Zorn verdienet hat
Gib mir den Anblick Deine Gnad’.
Ich will hier bei Dir stehen
Verachte mich doch nicht
Von Dir will ich nicht gehen
Wenn Dir Dein Herze bricht.
Da, wo ich wohne, sind die Berge alt.
Sie haben ihre Spitze verloren.
Was sollen wir tun?
Was sollen wir tun?
Es gibt viele Arten, seine Ansicht zu ändern.
Aber bestimmt nicht, indem man fragt: Warum?
Was soll ich jetzt tun?
Mich umdrehen und den Raum verlassen?
Licht, Sonne! Schickt ihm die Sonne!
Sonne.
Licht.
Ich bin für die Vögel, nicht für die Käfige,
in die sie von manchen gesteckt werden.
Es gibt Männer bei uns, die über Bord springen,
um einen Stern aus dem Wasser zu holen.
Das Wasser ist ein Traum.
Und der Himmel und alles, was er abends und morgens
an Sternen und Wind, Lügen und Wolken birgt,
ist nur ein Gaukelspiel,
das über die Vergänglichkeit der Zeit hinwegtäuscht.
Und der gute Fährmann setzte hinzu:
Zu wenig Zeit.
Und da wo Zeit ist, Wartezeit.
Glauben Sie das ernsthaft?
Sometimes it was my breakup, but still a waste of time.
Ich gestalte mich nicht spannend genug!
Nicht genug.
Nicht genug!
Feuer! Feuer in die Augen!
Ich möchte, dass Du endlich wieder zurückkommst.
Und dann komm ich mit einem Nagel im Auge.
Es ist ja auch schwer, einen Unfall zu erzählen.
Alsdann will ich Dich fassen
In meinem Arm und Schoss.
Reiß mich aus den Ängsten.
Reiß mich aus den Ängsten.
Reiß mich aus den Ängsten.
Reiß mich aus den Ängsten.
Reiß mich aus den Ängsten.
Du hast Recht. Es hätte nicht anders sein können.
Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie es geschah.
Wir haben die Gabe, die Dinge hässlich zu machen.
Jemand, der ganz alleine ist,
wird immer die Ecke, in der er sich befindet,
mühelos verfinstern.
Das helle Licht, es blendet Dich.
Das ist die Geschichte.
Musik: Sebastian, Szegvari, Julia Liedel,
Michael Akstaller, Mina Reischer
Gesang: Julia Laura
Katrin Rauch: Bodenstudien und Bier
oder: Meine Wege führen nicht nach Rom und auch sonst nirgends hin. Sie führen zu Boden.
- Boden gewinnen
- Herzlichen Glückwunsch, du hast Boden gewonnen.
- Zwei Quadratmeter sakrale Erde, zwanzigtausend Quadratzentimeter, zwei Millionen Quadratmillimeter.
- Das sind scheiß viele Quadratmillimeter, die hast du dir redlich verdient.
- Du hast Boden gewonnen, das große Los gezogen, den Jackpot geknackt, a maasn host ghobt, Fortuna war auf deiner Seite.
- Oder hast du geschuftet dafür? Hast du dir für diese große Menge an Quadratmillimetern Boden den Hax’n ausgerissen?
- Weißt du was? Wahrscheinlich beides.
- Es ist immer beides.
- Es ist immer ein bisschen Glück dabei.
- Es ist immer eine ganze Menge Arbeit dabei.
- Den Boden muss man sich auch immer ein bisschen verdienen.
- den Boden unter den Füßen verlieren
- Der Boden verliert meine Füße.
- Ich verliere meine Füße, der Boden bleibt da.
- Nicht der Boden unter mir, meine Füße gehen verloren.
- Die Füße verlieren, den Boden verlieren, heißt den Keller verlieren, heißt das kompensatorische Fundament, das fundamentale Kompensatorium verloren gehen sehen, heißt nicht mehr liegen können, überhaupt gar nicht mehr liegen können, weder falsch noch im Bett und allerhöchstens im falschen Bett, heißt die Fötusstellung an den Nagel hängen, endlich erwachsen werden, endlich un-lustig werden, heißt das Gesicht wahren, heißt nicht mal mehr sich selbst eingestehen, wie dringend der Boden doch gebraucht wird, wie dringend die Fötusstellung gebraucht wird.
- Den Boden verlieren heißt scheitern.
- am Boden zerstört sein
- Den Boden zerstören. Obviously.
- Mit der Zerstörung am Boden sein.
- Das Sein am Boden zerstören oder Es davor zerstören und am Boden wieder zusammensetzen, flicken.
- Die Reihenfolge ist hierbei von besonderem Belang. Die Rolle des Bodens ist hierbei von besonderem Belang.
- Den Keller zerstören, der Boden bleibt aber, der Boden bleibt.
- Hoffentlich.
- Der Boden schwebt ohne Keller. Der Boden schwebt.
- Der Boden schwankt ohne Keller, der Boden schwankt.
- Na toll. Jetzt hast du tatsächlich den Boden zerstört. Was tust du nun, wenn du am Boden zerstört bist? Jetzt hast du den Salat. Obviously.
- One does not simply … zerstör‘ den Boden!
- auf den Boden der Wirklichkeit zurückkommen
- Wirklich? Auf den Boden zurückkommen?
- Ja, wirklich.
- Ja, im Ernst.
- Immer, auf den Boden zurückkommen.
- Immer.
- Zum zur Wirklichkeit zurückkommen, zum Tatsachen sammeln, zum Tatsachen zusammenkratzen, zum Wirklichkeiten vermengen.
- Auf die Wirklichkeit des Bodens zurückkommen, um auf die Tatsachen zurückzukommen.
- Um auf den eigentlichen Boden der Tatsachen zurückzukommen:
- Du hast dir den Boden verdient.
- Du hast den Boden verloren.
- Du hast den Boden zerstört.
- Das sind die Fakten. Das ist die Wirklichkeit. Was willst du aus ihr machen?
- am Boden bleiben
- Bleiben für den Boden.
- Das Bleibende am Boden
- ist zu dauerhaft, um weiterzuziehen.
- Bleiben, nur wegen des Bodens.
- Alles, nur nicht abheben.
- Alles, nur nicht den Kopf verlieren, wenn schon der Boden fast verloren gegangen wäre.
- Alles, nur nicht den Boden unter den Füßen verlieren.
- Alles, nur nicht auf Anfang.
- Alles, nur nicht die Flügel ausbreiten und abheben.
- Alles, nur nicht abheben und in die Luft gehen.
- Alles, nur nicht auf unfesten Boden.
- Aber den festen Boden, den muss man sich halt auch immer ein bisschen verdienen.
- etwas an den Boden hängen
- Es am Boden aufhängen. Senkrecht.
- Den Nagel an den Boden hängen. Waagerecht.
- Den Senkel an die Waage hängen.
- Den Senkel in die Waagschale legen.
- Den Boden in die Waagschale legen.
- Den Boden abwägen.
- Den Boden messen.
- Den Boden ermessen.
- Den Boden vermessen.
- Den Boden an den Nagel hängen.
- Wirklich? Den Boden an den Nagel hängen?
- Nein, nicht wirklich.
- Einfach hängen… bleiben. Am Boden hängen bleiben.
- Immer einfach am Boden hängen bleiben.
- Was will der Boden uns nun wohl damit sagen?
- Was will uns der Boden überhaupt sagen?
- Was hat uns der Boden denn überhaupt noch zu sagen?
- Will er uns für sich gewinnen?
- Will er uns verlieren?
- Will er uns zerstören?
- Will er auf uns zurückkommen?
- Will er bleiben?
- Will er uns an den Nagel hängen?
- Was kann der Boden überhaupt wollen?
- Was können wir überhaupt vom Boden wollen?
- Was können wir überhaupt vom Boden wollen können?
- Was können wir uns überhaupt vom Boden erwarten?
- Was erwartet der Boden von uns?
Anne D. Plau: Der Großsprecher
Der Personalchef betritt den Raum und alle Menschen beginnen zu nicken. Sie nicken wie braune Wackeldackel auf der Ablage eines Autos.
„Meine lieben geschätzten Mitarbeiter!“
Wackel dackel da dum.
„Wir werden right now weiterführen!“
Wackel dackel.
„Erneuerbare Interpretationstendenzen führen nach ganz vorn!“
Wackel dackel wackel.
„Die restriktive fakultative Verabfolgung lässt Probleme verblassen. Mit anderen Worten, das Konzept der wasserdichten Neuorientierung ist maximal erfolgreich.“
Der Sprecher scheint seinen Worten zu glauben. Und die Nickenden? Man hat ihnen eingeschärft, sie sollten sich zustimmend verhalten.
„Sonst?“, hatte eine gefragt.
Ihr Vorgesetzter wedelte mit einem amtlich aussehenden Papier mit Firmenkopf.
„Sonst?“, wagte sie zu erwidern.
„Abmahnung. Und die nächste Woche wieder. Und dann noch einmal. Und dann dürfen wir Sie kündigen.“
„Das geht doch gar nicht!“
„Dieses Vorgehen wurde von der Rechtsabteilung geprüft, hat ab sofort seine volle Gültigkeit. Hören Sie genau zu, sonst.“
Das „Sonst“ wuchs langsam heran. Es wurde im Dunklen gefüttert. Die Nachfragen verhalten langsam.
Die Jungen, Ungebunden, Querulanten, Alleskönner und Spiegelsehenden verließen das Unternehmen.
Die anderen nicken weiter.
So könnte man meinen.
So meinte es die Führung, die diesen Großsprecher auf die Bühne schickte, der nun die Hände erhob und lauthals verkündete: „Mitarbeiter, die Früchte unserer Arbeit subsummieren sich. Der glückliche Tag der Ernte rückt näher.“
„Sonst?“, fragte jemand.
„Sonst?“, ergänzte ein anderer.
Da dum.
AnneDP Parallelen mit der wirklichen Welt sind unbeabsichtigt, aber nicht zu vermeiden.
Lea Schlenker: Das ist doch mal ein schöner Kafka-Grusel!
Der am häufigsten verwendete Ansatz zur Bewertung nachhaltiger Finanzanlagen sind weltweit die ESG-Kriterien. Mit diesen Kriterien soll das breite Spektrum der Nachhaltigkeit möglichst detailliert in der Bewertung abgebildet werden können. Dabei werden keine einzelnen Finanzprodukte bewertet, sondern lediglich einzelne Firmen. Viele erwachsene Menschen konsumieren nicht bloss, nein, sie sparen und investieren ebenso. Viele erwachsene Menschen arbeiten ebenso in Unternehmen, für die die ESG-Kriterien eine gewisse Relevanz haben. also ein wichtiges Thema, wie es scheint. Elon Musk und Jordan Peterson können sie nicht leiden. Ich als Normalsterbliche bin aber nicht jeden Tag mit der Thematik beschäftigt. Daher war ich ein wenig erstaunt, als ich eines Nachts schweissgebadet im Hauptquartier des Finanzdienstleisters MSCI erwachte. Ich lag unter einem klassischen Büroschreibtisch, um mich herum standen Männer in grauen Anzügen. Sie waren kaum zu unterscheiden voneinander: weiss, dunkelblond, vermutlich aus gutem Hause, vermutlich nicht so politisch, ausser es geht um Obdachlose und Emanzen, denn irgendwo hört es ja auf. Was ich mit ihnen zu tun haben sollte, war mir schleierhaft, aber dennoch war ich nun hier, statt bei mir zuhause im Bett, wo ich schlafend in meinem Jurassic Park Shirt liegen sollte, im Mund noch der überzuckerte Beigeschmack des alkoholfreien Martinis. Bestimmt sollte ich nicht hier sein, bei all diesen selbsternannten Finanzmoguls (Mogulen?). Das ist doch mal ein schöner Kafka-Grusel! Aber wo ich doch schon mal hier war: was waren denn das genau für Herren, die Microsoft mit Triple A (!) bewertet haben? Und wer erklärt mir hier, wieso mein Geld jeden Tag an Wert verliert? Aber so weit kommt es gar nicht, der Tisch über mir bricht zusammen, alles wird schwarz. Im nächsten Moment liege ich wieder in meinem hellblau bezogenen Bett, umringt von Literatur und staubigen Bücherregalen. So schnell wieder einschlafen kann ich aber nicht. Ich stehe auf und suche im Regal nach Büchern zum Thema Inflation, Preiselastizität, Behavioral Finance, Finanzmarktpolitik oder ESG-Ratifizierungen. Leider nichts. Ich greife nach Der Prozess und verschwinde wieder unter der Bettdecke.
Theobald Fuchs: Be-Fra-Gung
Alle Fragen sind eindeutig mit ja oder nein zu beantworten.
Eine Unterlassung der Antwort führt automatisch zum Abbruch des Verfahrens und der Ausweisung des Antragstellers.
Zur Beantwortung der Fragen sind keinerlei Hilfsmittel zulässig, es darf keine Hilfestellung anderer Befragter noch etwaiger zufällig anwesender Personen in Anspruch genommen werden, jede Form des Unterschleifs führt zur unmittelbaren Ausweisung, Bestrafung oder Hinrichtung, je nach erstinstanzlicher Entscheidung des örtlichen Entscheidungsträgers.
Frage 1: Werden Sie sich bedingungslos dem totalen Kapitalismus hingeben? Ja oder Nein.
Frage 2: Werden Sie sich wirklich bedingungslos dem totalen Kapitalismus hingeben? Ja oder Nein.
Frage 3: Werden Sie jegliche Art von Psychopathen, Narzißten, Schulhofschlägern, Alpha-Männchen, Selbstdarstellern, Massenmördern, Arschnasen, Drecksäcken und ähnliche mehr in Führungspositionen akzeptieren und sich ihnen kritiklos unterwerfen? Ja oder Nein.
Frage 4: Glauben Sie an Geld, nur an Geld, nichts anderes als Geld und ewiglich an Geld? Ja oder Nein.
Frage 5: Glauben Sie wirklich an das Geld – mit aller Kraft, inbrünstig liebend und für immer? Ja oder Nein.
Frage 6: Nehmen Sie alle Nebenwirkungen in Kauf, verzichten auf jegliche Form der Haftung und Wiedergutmachung, enthalten Sie sich jeglicher Kritik oder Fehleranalyse, bekämpfen Sie alle Versuche, Solidargemeinschaften zu bilden und sinnlos Gerechtigkeit zu schaffen? Alle Punkte zusammen Ja oder Nein.
Frage 7: Werden Sie stets versuchen, der erste zu sein, vorne dran zu stehen, alle anderen zu übervorteilen, werden Sie niemandem sonst Vortritt gewähren, alle Futtertöpfe für sich selbst beanspruchen, mit Ellenbogen Kranke, Alte, Arme, Gehandicapte und Schwache wegzustoßen, ihnen dabei so weh tun, dass sie Ihnen für immer aus dem Weg gehen, sich in die erste Reihe durchschlagen, über berstende Knochen und stöhnende Eingeweide trampeln, dort alles an sich raffen, was da ist, ohne Maß und Grenze aufladen, einstecken, klammern, abgreifen, einsacken was geht, nur weil es da ist und sie den anderen ums Verrecken nichts und auch nicht das allerklitzekleinste winzi Bisschen übrig lassen wollen? Ja oder Nein.
Frage 8: Können Sie sich ja denken – können Sie?! Oder nicht? Oder was?! Ja oder Nein.
Frage 9: Wirst Du im Namen des Kapitalismus‘ ein Werkzeug nach dem anderen entwickeln, das dann im Namen des Geldes eingesetzt werden kann, um Feinde zu töten, Schwächere zu unterdrücken, arglose Mitmenschen zu betrügen und den Reichtum der Wenigen ins Unermessliche zu steigern? Ja oder Nein.
Frage 10: Denn ist es nicht würdig und recht – einzugehen unter ein Dach, das da gebaut ist aus purem Gold, zu schützen den Verdienst und die Steigerung des Profis, zusammengehalten vom Gehirnschweiß der tausend und einem Gottesleugner, diesen nützlichen Idioten? Ja oder… verdammt noch mal, nur Ja, nichts als Ja, es gibt kein Nein, zum Teufel!!
(Dieser Fragebogen wurde kurz nach Weihnachten im Brustbeutel eines minderjährigen Spermiums gefunden. Es hatte Unterschlupf im hohlen Rumpf eines Schokoladen-Nikolaus‘ gesucht, dem der Kopf abgebissen worden war. Da es offenbar das Rennen schon verloren hatte, ehe es begonnen hatte, konnte man nichts mehr tun. Es wurde in eine entsprechende »Einrichtung« verbracht. Über die Herkunft des Zettels konnte es keine Angaben machen, weil einfach jung und noch viel, viel, viel, viel, viel zu unschuldig.)
David Telgin: Die Stadt
Die Stadt
erstickt an der Bürokratie
Verordnung
über Verordnung
Stadtverwaldung
statt Stadtverwaltung
(Joseph Beuys)
Die Stadt
braucht Bäume
Für
unser Leben.
Susanne Stiegeler: Salazar
Einmal- ich war schon erwachsen, studierte in Nürnberg, und war in Augsburg bei Mama zu Besuch, entbrannte ein heftiger Streit um Salazar, den portugiesischen Diktator.
Mama saß da und begann enthusiastisch zu erklären: „Salazar war ein guter Diktator! Damals war es Mode, Diktator zu sein. Alle waren Diktatoren: Hitler, Franco, usw.! Sie alle waren schrecklich. Aber Salazar war gut. Er ist der einzige Diktator, der arm war, und sein Land reich hinterlassen hat. Sein einziger Fehler war, dass er zu lang an der Regierung geblieben ist! Ich selbst habe ihm einmal einen Brief geschrieben, und ihn kritisiert. Und er hat mich nicht ins Gefängnis gesteckt, sondern mit der Hand (!) zurückgeschrieben, stellt Dir vor.“ Ich widersprach natürlich vehement, daraufhin wurde sie noch engagierter in ihrer Argumentation, Lautstärke, Gestik und rief: „Er war lieb! Er hat seinen schlimmsten Feind, der Chef der ‚Kommjunischtenpartei‘ studieren lassen! Mit zwei Wachleuten links und rechts durfte er jeden Tag zur Uni gehen! Welcher Diktator hat so etwas gemacht?“
Auch hier fragte ich nach, zweifelte an, wurde ebenfalls etwas aufgeregter, stellte diese durchweg positive Ansicht in Frage und so entbrannte ein fürchterlicher Streit, an dessen Ende wir uns erbittert und verzweifelt anschrieen. Am Ende gingen wir weinend und erschöpft ins Bett.
Ich weiß noch, dass ich mir damals dachte, dass ich Salazar nun schon allein aufgrund der Tatsache verabscheute, dass er der Auslöser für einen solchen Streit war.