inmitten der Arbeit der Nacht
bade ich im Schwarzen Gold
die rauchigen Schlote
werfen Ungemach auf Unterwäsche und Laken
dunkle Schwerkraft
durchdringt unsere private Stille
das Dich und Mich
Käfer fallen im Novemberdunst
in die Kälte des nebligen Wassers
das letzte Grubenpferd lahmt
auf dem Heimweg
die Augen gewöhnen sich
an seine Langeweile
mein Fernseher schreit
in den meisten Ohren wächst wildes Grün
ich will es nicht hören
verdammter Mond
halbfertige Novembernacht
in den Kanälen rauschen Worte
erwartet
und blöd
ein dünner Draht
verbindet die Unterwelt
mit der katholischen Messe
in eigenen Binnenmeer
sprechen Fische
unerwartet
der Neubau der Sprache
hellt die seltsame Befindlichkeit auf
und ich sehe
in der Arbeit der Nacht
ungestrichene Sinnlosigkeit
nur
wer hilft dem Grubenpferd
auf dem Heimweg
zu sich selbst?
Du?
Ich?
nicht
Kategorie: Lyrik
Lea Schlenker: Tagesschau bleibt statisch
Zwei blaue Augen
klar wie Gletscherwasser
ich habe schon Messerstiche gefühlt
während ich auf deinen Ruf wartete
Die Sonne ist kostenlos
Die daraus resultierenden Geschehnisse
eher kostspielig
Ich möchte nachts draussen sein
Treffe dort alle Barkeeper und Dealer und Geschöpfe der Nacht
Und höre dein Rufen nicht mehr
Wenn ich dich nicht vergessen möchte
und das werde ich
eher früher als später
dann kratze ich jeden Morgen alle Erinnerungen an dich zusammen
was ich trug was ich sagte was du wolltest was ich nicht habe
und dass ich nie wieder die Bücher lese die du mir empfohlen hast
während ich Koffein auf schlechtem Magen trinke
ich sehe mich selber
den ganzen Tag im Pyjama und ohne Schokolade zuhause
schreibe in mein Motivationsschreiben
dass mich die Menschenrechtssituation in China ankotzt
Heute soll angeblich der heisseste Tag des Sommers sein
Ich mache die Augen zu und wenn ich wieder wach werde
Dann ist der Sommer verschwunden
Frank Zappa macht niemandem mehr Angst
Ich schreibe ein Gedicht
während im Hintergrund der Fernseher läuft
Ich wurde zwar einmal von einem Auto angefahren
aber was ich so aus den Nachrichten mitbekomme
ist schlimmer als alles was ich jemals erleben werde
Lea Schlenker: Astronomische Denkweise
77 Gedichte
gelangweilt aneinandergereiht
sie gleichen sich wie falsche Freunde
und leiten eine Katastrophe ein
ein Autounfall auf einer Seitenstrasse im Verzascatal
77 Deutschschweizer Touristen
sterben dumm beim Einparken
Ich habe gemischte Gefühle
wenn es um meine Familie geht
sehe meine Grossmutter unter Rosen
schön aber auch giftig
sehe meine Mutter in meinem Spiegelbild
schön aber auch gefährlich
77 Gedichte
lieblos in die Tastatur gehauen
ich kann nicht mehr einschlafen
ohne sie und dich und dem Wissen
dass ein Sextape von mir im Umlauf ist
Ich schaue es mir an
Ich vermisse dich
Ich weiss nicht
Ob Gedichte wirklich helfen
Ich weiss nicht
Wo mein Kopf aufhört und mein Herz beginnt
Ich weiss nicht
ob das Aufschreiben nicht alles nur noch schlimmer macht
ich habe schon sehr viele Freunde an die Wörter verloren
ausserdem
spüre ich die Laken nicht mehr unter mir
oder auf mir
viele Decken mit denen du dich bettest
sind fettig und alt und dunkelrot
Jupiter Mars Saturn
auf dem Badezimmerteppich
ausgelegt wie auf dem Bügelbrett
wie meine 77 Gedichte
bevor ich sie
aneinanderreihte
ich hole mal
das Telefon
Zeha Schmidtke: Ein Tag vor dem Abend
Ich lief durch die Felder und tollte
und streichelte zart einen Baum
er rauschte mir zu, dass er’s wollte
früh morgens und halb noch im Traum
Dann biss ich mich in fremdes Leben
und liebte und wollte doch fort
wer liebt, muss die Freiheit aufgeben
gebunden an Mensch und an Ort
Wir schworen bis mittags noch Schwüre
und gaben der Wahrheit dann Laut:
wär besser, wenn ich jetzt führe
ans Meer oder aus meiner Haut.
Ich ging, kreuz die Stadt, ihre Knoten
begegne dem Wahn und sei’m Sinn
sprech mit Lebenden, spreche mit Toten.
spür, wie müd und wie wach ich doch bin
Der Abend, der Körper braucht Ruhe
Kehre ein, find als Gast einen Platz
warmer Ort und ich öffne die Schuhe
auf dem Schoß schnurrt vom Gastwirt die Katz.
Zartheit, Suche, Flucht und Verwirrung
Bot mein Tag. Als ich von ihm sprach
zu dir. Sitznachbar. Zufallsbegegnung,
da fragst du, was ich eigentlich mach.
Denn da war gar nix dabei, was sich rechnet
und man muss auch was tun, was sich trägt
gern gehaltvoll, solang es Gehalt gibt
das dann das, was man schafft, auch belegt
„Komm, ich kauf dir was ab“, lacht und brüllt er
von der Lyrik, da fehlt es ihm eh
und dann wäre doch alles erfüllter:
seine Ehe und mein Portemonnaie
Einen Tag, nein, nichts halbes, wir tauschen
Wolkenkuckucks- und Eigenheim ganz
Er wird mit meinen Geistern plauschen
und ich leb einen Tag in Konstanz.
Und da lachen wir beide so traurig
wer ist Abel und wer ist jetzt Kain?
Katze leckt mir die Hand, doch die brauch ich
Außer: „Zahlen“ fällt mir nichts mehr ein.
Vincent Eivind Metzger: Feuerzeugklicken.
Feuerzeugklicken.
Flamme.
ich liebe den Moment
wenn der Rauch
wenn die Asche
in die Lunge zieht
wenn ich huste
wenn ich keuche
dann fühle ich mich
dann fühle ich mich lebendig.
Was ist Freiheit?
Freiheit ist
den Untergang der perfekten Welt
das Gefängnis zwischen Mensch und Tier
in meiner Lunge zu fühlen.
Freiheit ist den Tod zu fühlen.
Matt S. Bakausky: Frei sein
Freiheit ist ein Wort.
Harald Kappel: eigenartiges Radio
ich bin ein kreiselndes Geschöpf
am Toten Punkt
jenseits der Jetztzeit
die Uhren beben
und laufen ab
nur für mich
das Transistorradio verkündet
meinen Einschlag auf den Mond
und im Dorf
haben sie es ja schon immer gewußt
Massen versammeln sich am Horizont
meine verklebten Augen
sehen den Würgereiz ihrer Gesichter
im Stall stopfen sie mir trockenes Heu
ins freche Maul
reglos ertrag ich die Fütterung
nach Vorschrift des Führers
im Graben
ist die Strömung zum Erliegen gekommen
und das Denken
dort liegt die Freiheit im nassen Sarg
ich falle quer hinein
dieser Bruch wird nicht verheilen
ein scharfer Schatten
seziert meinen falschen Mut
das Transsistorradio verkündet
meine Läuterung
Harald Kappel: ihr Ratten
ich habe mein Bett
unter euer Fenster gerückt
gleich morgen
werde ich etwas aus dem Leben machen
mein Wein wird sauer
wann er will
Ratten können gehen
wohin auch immer
nur ich
ich
ich bin gefangen
Durst ist mein Käfig
ich kämpfe hart
habe keine Furcht
nur
vor der Freiheit
aber ich werde
euch Allen verzeihen
euch Alle bezahlen
euch Alle lieben
ihr Ratten
ich werde etwas aus dem Leben machen
ich habe mein Bett
unter eure Freiheit gerückt gleich morgen
Hanne Mausfeld: Endlich frei
Mal Fehler machen,
rebellieren,
sich nicht genieren
und drüber lauthals lachen.
Mit Wonne in den Fettnapf
treten und heimlich
beten, dass es jeder sieht
und akzeptiert,
was dazu führt,
dass man und frau es
ab dann
leichter machen kann.
Ganz offen lästern
überall –
frech, geistreich, bis es andern
wird zur Qual.
Setz dies und jenes in den Sand,
gereich der Familie zur Schande,
tu endlich das,
was keiner will.
Dann brauchst du
keine rote Kappe,
hältst nie mehr deine Klappe
und sagst dir:
Mir ist alles
einerlei,
ich werd so richtig
narrenfrei –
übertreib die Schminke
und winke
als Nathan
von der Bühne.
Das Jony und der Sebel: Meine Freiheit deine Freiheit
Text: Georg Kreisler
(Rechte: Preisler Records, 1985)