Margit Heumann: Schlagerschnulze

Einst war ich eine verlassene Frau
es wäre für mich der Supergau
wenn ich unbemannt bliebe.

Was tut eine Frau, wenn es wirklich hakt
auf der Jagd nach dem Liebeskick?
Sie googelt und tindert und sucht Kontakt
und findet im Netz ihr Glück.

Einen Gentleman hab ich gefunden
wie‘s ihn nur einmal gibt,
Hals über Kopf in wenigen Stunden
war ich in Hannes verliebt.

Es folgten Zeiten voller Glück,
Hannes war in allem mein Held,
drum gab ich ihm alles und hielt nichts zurück,
Weder Liebesbeweise noch Geld.

Nicht lang, denn kaum war das Konto leer,
auf den letzten Cent geräumt,
da war er weg, der feine Herr,
und mein Liebestraum ausgeträumt.

Und die Moral von der Geschicht‘:
Bist du auf Männersuche,
trau keinem Gentleman nicht
sonst schlägt das Minus zu Buche.

Jutta v. Ochsenstein: im Schatten

es gibt die Inhalteprüfer 
für die Metafacebook-Sauberkeit:
Menschen kauern vor Bildschirmen
Bildschirme mit Gewaltfilmen 
jede Gewalt: menschliche Abgründe

Inhalteprüfer sind aus ärmsten Ländern
von täglichen verstörenden Bildern traumatisiert
für ein sauberes Meta für uns alle

es gibt die Doku: Im Schatten der Netzwelt
kämpfen Inhalteprüfer für ihre Behandlungskosten 
im Schatten der Milliarden

Jakob Leiner: HELLSEHEN

es ist sehr gut möglich 
dass ich nachher unter 
dem einfluss eines glas 
rotweins mich an den 
schreibtisch begebe und 
schnell aus einer idee 
ein gedicht entwerfe 
das der stimmung an 
gemessen ist ihr sogar 
schmeichelt das kommt 
ganz darauf an was  
das gedicht möchte  
ich für meinen teil werde 
dasitzen und höchst 
wahrscheinlich denken 
man man ist das meta.  

Lena Kratzer: Fiat Panda

Immer hat es dich getragen,
von Ort zu Ort gefahren
über Autobahnen und Landstraßen.
Ein Dach über dem Kopf,
am Lenkrad deine Fingerabdrücke.

Ein Geruch von Abenteuer mischt sich
mit dem Gegenwind vergangener Sommertage.
Erinnerungen in Nebelscheinwerfern,
Musik als Begleitung.

In den Ritzen der Sitze
Erdnussreste der letzten Fahrt.
Doch da umarmt schon bald wieder
der Panda die Frau Meisendraht.

Lea Schlenker: Die Auktion

Als ich die Auktion betrat
Hatte ich ja keine Ahnung
Als ich die Auktion betrat
Hatte ich ja gar keine Wahl
Wo sollte ich denn sonst hin
Auf der Suche nach ein bisschen roher Emotion

Die Welt wurde an den Bestbietenden verkauft
Und nun ist die Auktion beendet
Alle stehen auf und wollen ein Stück von mir
Ein Stück Leber und eine Träne und die zwei Augen
Meine Zähne und eine Haarsträhne ausgerissen und zwischen zwei Buchseiten geklemmt
Dieser Ausverkauf flasht mich überhaupt nicht mehr
Gar nicht so wie früher oder
Vielleicht war ich auch gar nie auf der Suche nach irgendwas

Mein Streikbrecher und ich sind wild wie Wölfe
Und rot wie das brennende Athen
Mein Streikbrecher und ich sind wild wie Wölfe
Wo bist du mein Kleiner?
Wir haben uns doch mal zu Musik im Supermarkt geküsst
Zwischen Mangos und Avocados
Haben Coupons zerrissen und ein Feuer gemacht
Ruth Bader Ginsberg zur rechten und Mariah Carey zur linken

Wir sitzen in einem Restaurant und geben unsere Daten nicht an
Eine fette Pappmachepuppe starrt uns an
Sie starrt uns während des Hauptgangs an
Sie starrt uns während des Desserts an
Sie sieht uns sogar beim Weinen zu als wären wir Fische in einem Aquarium
Ich sehe zu Dladlinia rüber und sie schluckt und sagt
Ohne Acid kann ich diese Weltuntergangsstimmung einfach nicht richtig geniessen
Verstehst du was ich meine

Denke an kleine Metallteile in der Luft
Und ich langweile mich
Und ich hasse das
Und ich hasse diese Hitze gefolgt von Regen gefolgt von Kälte gefolgt von Feuer
Die Stadt und die Menschen
Die den Olymp bestaunen und ein Foto machen
Solange er noch steht
Während im Hintergrund die Flammen lodern
Und riesige Fluten von Asche und Blut auf uns zu kommen

Und ich bereue dass ich an dieser Auktion dabei war

Stephanie Mehnert: Zwischenzeilen, abgefallene

Es ist so still. Da
liegt die Asche auf den Lidern
liegt auf den blassen Mündern
und dort im Park, wo wir erst gestern waren

Wir leben in Legenden weiter, viel besser als wir sind
hast du geflüstert, wenn wir beieinander lagen
und scharrende Taubenfüße zählten
die gerade Zahl für Zukunft
die ungerade

Jetzt nisten Vögel in den schwarzen Fenstermäulern
das Uhrwerk spuckt Sekunden in die Nacht
und wir welken wir am Erlebten
die Träume in Trümmern
unausgesprochen

Es ist so still. Da
liegt der Morgen auf den Wangen
liegt auf den Dächern, die noch sind
und schau doch nur: der Tag beginnt im Osten

Angelina Roth: Watching a Crime

Ich sinke in Gedanken.

Die Treppen zur U-Bahn hinunter.

Sehe Menschen.

Höre Schreie.

Weine leise.

Ich fliege in Gedanken.

Durch die Straßen von Kiew.

Sehe Soldaten und erkenne nicht,

zu welchem Heer sie gehören.

Unter mir mein Schatten.

Oder bin das ich?

Am Fenster steht ein Kind.

Oder ist es schon erwachsen?

Der Himmel dröhnt.

Was war, ist auf einmal wieder, was sein wird.

Nichts kann meinen Flug durch die Stadt stoppen.

Ich sauge den Schmerz auf,

gerate in Taumel,

und mein Körper stirbt im Bombenhagel der Vergangenheit.

Ich stehe auf und laufe zu Fuß weiter.

Es ist Krieg.

Heute und morgen gibt es nicht mehr.

Es gibt nur noch diesen Krieg.

Lea Schlenker: Ich kann nicht über den Krieg schreiben

Ich kann nicht über den Krieg schreiben
Mein Blut ist
Ignazio Cassis
Und ein bisschen
Emmanuel Macron
Auf dem Weg zur Arbeit im Labor
Fallen mir die Earpods aus den Ohren
Nach dem Aufstehen mache ich mir einen Tee
Aus Schweizer Alpenkräutern
(seit zehn Jahren denselben)
Ich kenne
Ich will
Stabilität

Ich kann nicht über den Krieg schreiben!
Wenn ich die Nachrichten lese halte ich mir
Die Hand vor den Mund
Und greife dann zur Fonduegabel
Ich lese von
Demonstrationen
Bin aber schon ein bisschen müde
Ich döse ein wenig in einem Kinosessel
Mitten in meiner Stadt
Meinem Monbijou
Während in einer nicht allzu weit entfernten Stadt
Die Filmrollen explodieren

Ich kann nicht über den Krieg schreiben
Ich plane meinen sweet thirty in Montreux
Und einen Weekendtrip nach Paris
Drinks in Basel und St. Louis
Die Zeit vergeht wie im Flug während draussen
Die Bomben knallen

Ich kann nicht nicht über den Krieg schreiben
In meinem Kopf Geschrei
Und in meinen Beinen
Ich drehe Runden wie ein geschlagener Hund
Alles was ich denke
Alles unter der Sonne
Und dem blauen Himmel

Ich kann nicht nicht über den Krieg schreiben
Nie würde ich für mein Land kämpfen
Nie würde ich für ein Land sterben
Ich würde Abrüstung schreien
Ich kenne
Ich will
Stabilität

Ich kann nicht über den Krieg schreiben
Und ich kann nicht nicht über den Krieg schreiben
Live Ticker und Panikattacken
Was heisst Neutralität
Es heisst Grau wo normalerweise Farbstufen wären
Emmanuel Macron telefoniert
Schon wieder?
Ich wasche mein Gesicht
wie jeden verdammten Morgen