Frau Hunke: Monsterfakten (listicle)

KING KONG
erstmals 1933 „King Kong und die weiße Frau“ von Wasei Kingu.
Neueste Version 2017 Jordan Vogt-Roberts. Insgesamt wurden 9 King Kong Filme gedreht. In den Anfangszeiten kam er auf eine Größe von ca 15 Meter. In der neuesten Version „Kong Skull Island“ kommt das Affenmonster auf 30Meter, ähnlich wie Godzilla.

THE CLOVER
in der Filmreihe Cloverfield von J.J. Abrams handelt es sich um ein alienartiges Monster. The Clover genannt, der von U-Booten im Atlantik geweckt wurde und sein Unwesen in New York treibt. Seine Größe zu Beginn der Filmreihe belief sich auf ca 91 Meter.
2018 wuchs er in The Cloverfield Paradox auf 4000 – 6000 Meter.
KRAKEN
aus dem Film „Kamf der Titanen“ von 1981 stammt das Seeungeheuer Kraken, welches von Zeus und Hades erschaffen wurde. Das Monster war in dieser Version von Desmond Davis 15 Meter groß. In einer weiteren Verfilmung aus dem Jahr 2010 kam der Kraken schon auf 91 Meter.
GODZILLA
in der Ursprungsversion unter der Regie von Ishiro Honda von 1954 wurde der Dinosaurier aus der Jura-Periode von Atombomben aufgeschreckt. Seine monstermäßige Größe: 50 Meter.
In weiteren Verfilmungen wurde das Monster immer größer. 2014 108 Meter, 2016 118 Meter und 2017 im Anime Film „Godzilla Earth“ war er so groß wie der Eiffelturm, also 300 Meter.

DRACHEN
in „Drachenzähmen leicht gemacht“ aus dem Jahr 2010 freundet sich der kleine Wikingerjunge Hicks mit dem vermeintlichen Monster an und gibt im den Namen Ohnezahn. Ohnezahn ist ein freundliches Monster und misst ganze 158 Meter.

SANDWURM
David Lynch brachte 1984 „Dune der Wüstenplanet“ in die Kinos. Bei den auf dem Planeten Arrakis lebenden Monster handelt es sich um Sandwürmer, welche die mentale Droge -das Spice- produzieren und auf die monströse Größe von 400 Metern kommen. ( 40 Meter kleiner als das Empire State Building).
Irgendwo geistert auch eine Geschichte der Sandwürmer rum, die 2778 Meter groß sein sollen.

KRONOS
das Stein- und Lavamonster spielt in „Zorn der Titanen“ eine Rolle. Das Monster Kronos ist der Vater von Zeus und Hades und ganz 500 Meter groß.

EXOGORTH
die Monster aus „Starwars – Das Imperium schlägt zurück“ von 1980 unter der Regie von Irvin Kershner sind Weltraumschnecken. Exogorth genannt. Sie leben in Asteroiden und sind zwischen 10 und 100 Metern groß. Ein seltenes Exemplar kommt auf 900 Meter.

SUMMA-VERMINOTH
Summa-Verminoth sind Monstertiere, die in den Tiefen des Akkadesischen Mahlstroms leben und einer Art Kraken zugeordnet werden. Han Solo bekommt es mit ihnen in „Solo-A Star Wars Story“ von 2018 zu tun. Ihre Größe beträgt 7,432 Meter.

GROß A´TUIN
Die Sternenschildkröte Groß A´Tuin gehört zur Gattung Chelys Galaktica und trägt in Terry Prattchets Scheibenwelt vier Weltenelefanten, die wiederum die Scheibenwelt tragen. Groß A´Tuin gehört zu den freundlichen Giganten und ist vom Kopf bis zur Schwanzspitze 1000 Meilen lang.

MONSTERTRUCKS
in der aufklärenden Dokureihe Truckerbabes handelt es sich um Damen, die sogenannte Monstertrucks beherrschen. Einige dies Monstertruck haben ganze 400 PS und sind … nun ja das ufert jetzt aus.

Jörg Hilse: Das Monster

Am Bettgestell knackte irgend so ein Teil. Tobias fuhr hoch und sah auf die Uhr. Mist, in fünf Minuten fing die Gruppentherapie bei Frau Stein an. Das verdammte Tavor machte einen ganz malle, mit hektischen Bewegungen tauschte er die Jogginghose gegen seine schwarzen Jeans. Wenigstens der Themenhefter lag schon griffbereit auf dem Tisch. Nichts war für ihn schlimmer als zu spät zu kommen. Hastig lief er über den Flur und klopfte an die Tür vom Fernsehraum. Frau Stein machte auf, die Stühle standen wie bei Gruppentherapien üblich, im Kreis. Er setzte sich und André sein Zimmernachbar, reichte ein Blatt Papier herüber. Es handelte sich um zwei sonderbare Zeichnungen, direkt übereinander. Oben kam ein Wanderer an eine Weggabelung, linker Hand führte ein Pfad direkt zum Strand, traumhaft wie eine Südseeinsel. Doch davor stand ein Monster, eine wild zähnefletschende Mischung aus Grizzlybär und Riesengorilla. Rechts kam man an dem Vieh vorbei, aber der Weg führte durch ein weites Tal ins Gebirge über dem ein Unwetter niederging. Auf dem unteren Bild hatte das Monster nur noch die Größe eines Schimpansen und hockte frustriert auf einer Art Handwagen. Und unser Wanderer zog mit zuversichtlicher Miene den Wagen hinter sich her zum Strand.
Toby mochte das untere Bild nicht.
Das Ding sah aus wie eins dieser oberschlauen Spruchbilder bei Facebook.
Sein eigenes Monster, das waren die Leute, die zu ihm sagten, der passt nicht, den wollen wir hier nicht. Jeder Versuch Anerkennung zu finden, es allen recht zu machen, scheiterte. Und das Monster in ihm wurde größer und größer. Er merkte auch das es sich nicht zähmen ließ, man konnte es nur killen. Hemingway und Virginia Woolf hatten ihre Monster gekillt. Doch verlor er jedes Mal den Mut, wenn er zum Gleis ging und ein Zug ganz nah heran raste. Seine Hausärztin gab ihm eine Überweisung für die Klinik. „ Möchte jemand zu den Bildern etwas sagen ?“ fragte Frau Stein in die Runde. Alle schwiegen, als ob Sie darauf warteten das Tobias den Anfang machte. Neben ihm saß eine neue Patientin, und schaute, eigenen Gedanken nachhängend zu Boden. „ Ja“ begann Toby „ gibt’s sowas wie ne Bauanleitung für den Handwagen da? Die könnte ich gut gebrauchen.“ „ Genau das möchten wir ihnen hier an die Hand geben.“ sagte Frau Stein am Ende der Stunde . „ Einen Weg wie Sie mit ihrer Erkrankung umgehen können. Dafür steht der Handwagen.“
Nach dem Abendbrot las Tobias noch etwas, sah nach der Spülmaschine und ging noch mal raus. Um diese Zeit saßen immer ein paar Patienten auf der Terrasse im Innenhof und genossen die Abendsonne. Toby grüsste im Vorbeigehen. Er blieb ganz gern für sich. Plötzlich stand jemand neben ihm. Es war die Neue aus der Gruppentherapie vom Nachmittag. Sie trug ein T Shirt und ihre nackten Arme waren übersäht mit langen hellen Kratzern . Ein dunkelroter Streifen lief quer über den Unterarm, die Wunde sah frisch aus. „Magst Du zu uns rüber kommen“ fragte Sie. Tobias wusste nicht ganz wie ihm geschah. Ein Mädchen, in deren Augen er wahrscheinlich ein alten Mann war, lud ihn ein mit ihr und den Anderen zu quatschen. Kaum , saß er neben ihr kamen Hanna und Viktoria, beide von der 93/2, auf die Terrasse. Hallo Svenja, sagte Hanna und setzte sich neben Sie. Vicki will mir ein bisschen die Haare schneiden. Magst Du auch? Muss nicht, aber danke sagte Svenja und drehte sich eine Zigarette. Toby erfuhr das Sie von der 93/3 kam. Der Abend war besser als jede Therapiestunde. Hier sprach man aus, was man woanders lieber verschwieg. Toby blieb bis halb Zehn und ging dann mit einem nie gekannten Gefühl schlafen. Er war Dingen nachgerannt, hatte immer versucht irgendwo dazuzugehören. Hier gehörte er einfach dazu.
Einen Abend später, Svenja telefonierte und dabei kam irgend was in ihr hoch. Sie weinte. Man sah das oft hier. Toby wünschte sich manchmal, er könnte es. Aber in dieser Armee der Traurigen lernte man eins. Achtsamkeit, für sich und den Anderen. Dani war grossartig. Obwohl Sie oft selbst mit sich kämpfte saß Sie neben Svenja und hielt ihre Hand. Die legte den Kopf an Dani’s Schulter während immer noch Tränen über ihr Gesicht liefen. Später beruhigte Sie sich und um sie auf andere Gedanken zu bringen fragte Toby: „Sag mal Svenja, was hast Du eigentlich früher ganz gern gemacht.“ „ Du meinst, bevor ich mich geritzt hab“ gab Sie zurück. „Ja, davor.“
„Tja, ich bin ganz gern Skateboard gefahren.“
Immer Freitags fand die Visite mit dem ganzen Ärzteteam statt. Am Ende des Gesprächs sagte Dr. Grimm. „ Hier drin scheint es ihnen ja langsam besser zu gehen. Aber wir würden gerne wissen wie es so draußen für Sie ist.“ Toby überlegte, während der Arzt weitersprach. „ Wie wäre es wenn Sie diesmal das ganze Wochenende zu Hause verbringen statt nur einen Tag. Und am Montag reden wir, wie es denn so war.“ „ Einverstanden“ sagte Tobias. „ Gut, wann ist die letzte Gruppentherapie heute?“ „ Um 14 Uhr bei mir“ antwortete ihm Frau Lamprecht. „ Wunderbar, danach können Sie nach Hause fahren und das sogar vor uns“ scherzte der Doktor und wünschte ein schönes Wochenende. Etwa gegen drei stand Tobias an der Haltestelle nahm aber prompt die falsche Straßenbahn, weil die Anzeige wieder mal nicht richtig funktionierte. In Flussnähe stieg er aus. Toby lief über die Brücke und setzte sich ans Ufer. Zwei Skateboard Fahrer rollten vorbei. Tobias fiel auf das ihre Bretter etwas länger als normal waren und musste dann an Svenja denken. Abends saß er dann ziemlich lange vor dem Fernseher. Es lief noch eine Talkshow.„ Wir begrüßen einen Mann“ kündigte der Moderator seinen Gast an „der eine Trendsportart aus den USA zu einer in Deutschland gemacht hat. Herzlich willkommen, Eberhard „ Cäsar“ Kaiser.“ Der Name sagte Toby irgendwas. Die Cäsar Skateboard Läden, gab es in jeder großen Stadt. Für Tobias eine fremde Welt. Aber irgendwie steckte ihn das Charisma dieses Mannes in seinem Hoodie und der Wollmütze an. Er sprach über Begeisterung, innere Motivation, Hinfallen und wieder Aufstehen. All das, was einem die Therapeuten mit großer Mühe auch begreiflich zu machen versuchten. Nur viel überzeugender. „ Was haben Sie uns da mitgebracht.“ fragte der Moderator und zeigte auf ein längliches Rollbrett. Toby erinnerte das Gefährt ein bisschen an heute Nachmittag „ Das ist ein Longboard“ sagte sein Talkgast „ damit fahre ich morgens meine Brötchen holen. Die Kunst ist übrigens, auf dem Rückweg die Brötchentüte nicht zu verlieren“
Tobias nahm sein Tablet und fand bei YouTube jede Menge Clips übers Longboarden, auch auf Deutsch. Am Samstagmorgen stand er in der Cäsar Filiale. „Hi, was brauchst Du.“ fragte die junge Verkäuferin in lockerem Ton. „ Äh, so’n Longboard, am besten eins, äh“ Tobias guckte verlegen „ ich wills halt erst lernen“ „ Ja am Besten ist da eins wo die Achsen durchgesteckt sind. Man steht tiefer und fühlt sich sicherer .“ Sie nahm eins der Bretter aus dem Ständer. Hier, steig mal drauf ob für Dich die Breite stimmt“ Es war eine wackelige Angelegenheit, das erste Mal auf so einem Ding zu stehen. Aber Toby blieb zuversichtlich. Denn Skaten würde für ihn immer eine gute Erinnerung sein. An seinen Weg zurück ins Leben und an alle die ihn mit ihm gingen. Besonders aber an Dani und Svenja.
Dazu kam noch etwas Anderes.
So ein Board war der Wagen, auf dem sein inneres Monster keinen Platz hatte, groß zu werden.

Björn Bischoff: Mitternachtsschwarze Erde


»Niemand dringt hier durch
und gar mit der Botschaft eines Toten.
Du aber sitzt an deinem Fenster
und erträumst sie dir,
wenn der Abend kommt.«
(Eine kaiserliche Botschaft. Franz Kafka.)

In dem verstecktesten Winkel ihrer Zweizimmerwohnung, dort,
wo sich die durchgesessene Couchgarnitur in eine Ecke drückt,
sitzt Sunja und blättert durch einen Stapel alter Fotos, Briefe und
Postkarten, die ihre Familie ihr schickte und hinterließ,
Erinnerungen, die Sunja begraben hatte, weil sie ihr damals
fremd waren, und die nun wieder, exhumiert, auf ihrem Schoß
liegen, als der Wolf mit ihr spricht.
Sunja hält inne. Außer ihrem Atem hört sie nur den leichten
Regen, der gegen ihr Fenster klopft.
Sie schaut auf und sucht im Wohnzimmer nach der Stimme.
Doch da ist nichts, außer den alten Möbeln mit ihrem Geruch
nach Staub und Essig.
Stille.
Einbildung, denkt sie, Einbildung, wie so oft in diesen Räumen.
Sie will den Stapel weiter durchsehen, von dem obersten Foto
blickt ihre Mutter als junge Frau sie an, diese dürre Gestalt, der
sie nie ähnelte, nicht damals, nicht heute, daneben ein Baum, der
in dem Schwarzweiß des Bildes unscharf ist, aber vielleicht sieht
sie dort nur die Zeit auf dem Fotopapier wirken, denkt Sunja, auf
jeden Fall scheint es für sie so, als ob der Baum Federn statt
Früchte trüge. Mit dem Daumen strich sie bereits mehrmals über
die Stellen, nicht sicher, was sie damit bewirkt. (Nichts.)

Sie legt das Foto auf den Stapel neben sich, dreht es um, ihr sind
die Blicke der Toten unangenehm, und, über diesen Haufen an
Erinnerungen hinwegschreitend, steigt sie in das Revier des
Wolfs.

Sunja hält eine Postkarte in der Hand, eine billige Reproduktion
eines Gemäldes vom Anfang des 20. Jahrhunderts, so viel ist ihr
vom Studium der Kunstgeschichte geblieben, dass sie das
erkennt. Noch so eine Erinnerung, die Sunja vor langer Zeit
begrub. Auf der Karte das Rotkäppchen mit leuchtenden Wangen
und knubbeligen Fingern. Gehüllt in seinen Mantel, einen
verschlossenen Korb vor sich, füllt es fast die ganze Karte, hinter
sich nur der Wald, angedeutete Bäume, die Sunja kaum erkennt,
weil sie auch gar nicht hinschaut, nur Flecken im Hintergrund,
weil sie nur Augen für den Kopf hat, der da zu Füßen des
Rotkäppchens liegt.
Der Schädel, im Dunkel der Karte, in der letzten unteren Ecke,
halbverwest, die Ohren gespitzt, umrandet vom klumpigen Fell,
die Lefzen gebleckt, obwohl ja bereits tot, offensichtlich, denn der
Rest des Wolfs fehlt. Unter dem Kopf sammelt sich Blut, in der
Lache Flecken, die Sunja nicht genauer anschauen will. Maden
ziehen durch das Fell des Wolfkopfs, so viel sieht sie auf der Karte
noch, seine Augen bettelnd auf sie gerichtet. Und während Sunja
auf ihn starrt, nach Pinselstrichen sucht, blinzelt der Wolf mit
schweren Lidern.
Der Wolf erzählt Sunja, wie er einst nicht nur Kinder, sondern
ganze Dörfer verschlang, sein Maul weitaufgerissen, ein Hunger,
der kein Ende kannte, der vor der Sonne und dem Mond keinen
Halt machte, ein Vieh, das sich durch den Himmel und die Hölle
fraß, bevor es sich mit seinem fetten Bauch unter einen der
letzten Bäume legte, wo es im Schlaf ein Mädchen überraschte.
Ein Kind, das mit einem Stein den Bauch aufschlitzte, mit seinen
kalten Händen im Inneren wühlte und den Himmel und die

Hölle, Nieren und Leber, Dörfer und Menschen, Gedärme und
Milz herausriss und auf die mitternachtsschwarze Erde unter
dem Baum legte. All das erzählt der Wolf, während aus dem
Regen vor Sunjas Wohnung ein kaum hörbares Nieseln wird.
Und dann äußert der Wolf seine Bitte.
Sunja hört genau zu. Jedes Wort. Jede Silbe. Alles, was aus dem
verrottenden Maul kommt. Zuerst versteht sie nicht. Der Wolf
würgt kurz und Sunja fragt sich, ob ihm eine Made über die
Zunge in die Kehle kroch, aber was will so ein Kopf schon allein
gegen eine Made machen? Dann erinnert sich Sunja.
Sie erinnert sich an Thomasz, den Austauschstudenten, den
Mann, mit dem sie zum ersten Mal schlief, bei dem sie zum ersten
Mal an die Liebe glaubte. Die langen Nächte, in denen sie bei
einer Flasche Bordeaux in ihrer Studentenwohnung
zusammensaßen, die Gespräche über Gott und die Welt und wie
sie beide so darüber sprachen, als ginge sie nichts etwas an. Wie
Thomasz erzählte und sich dabei mit dem Daumennagel
zwischen den Zähnen kratzte.

Sie erinnert sich an einen Sommernachmittag mit ihren Eltern in
einer großen Stadt, in der ihr die Möglichkeiten endlos schienen,
obwohl sie erst elf Jahre alt war. Sunja sah in diesen Straßen die
Menschen, die lebten wie in den Serien im Fernsehen, Freunde,
Liebhaber, lange Abende in Bars und Restaurants, während an
einer Ecke jemand in seinem Erbrochenen saß.
Sie erinnert sich an ein Weihnachtsgedicht, das sie als Kind an
Heiligabend aufsagte, an ihr Stottern, obwohl nur ihre Eltern im
Wohnzimmer hockten, ihre Gesichter direkt vor ihr, und wie sie
nach der Bescherung am Tisch saßen und ihre Mutter die Haut
von der gebratenen Gans aß, weil dies der beste Teil des Vogels
sei.
Sie erinnert sich an einen Popsong, in dem es um verpasste
Entschuldigungen und zu Staub zerfallende Knochen geht, den sie so oft auf der Rückbank im Honda ihrer Eltern hörte,
während sie in den Sommerhimmel schaute und glaubte, dass sie
der Unendlichkeit nie näherkäme.
Sie erinnert sich an den Ohrfeige ihres Vaters, als er sie mit einer
Zigarette in ihrem Zimmer erwischte, danach rauchte sie nie
wieder.
Sie erinnert sich an die Hände ihres Vaters.
Sie erinnert sich an die leeren Augen ihrer Mutter, als sie im
Pflegeheim neben deren Bett stand, darin der Körper, der sie als
Kind so oft hielt.
Sie erinnert sich an die Tränen, während sie in ihrem Bett mit der
weißen Bettwäsche in dem weißen Raum lag, ihre Arme
bandagiert.
Sie erinnert sich an die brüchige Stimme ihres Bruders auf dem
Anrufbeantworter, der ihr erzählte, dass mit ihrem Vater etwas
passiert sei und sie unbedingt zurückrufen solle.
»Und?«, fragt der Wolf, der nach dem Würgen wieder zu Luft
kommt, obwohl ihm ja die Lunge fehlt. Sunja taucht auf. Sie
blickt dem Wolf in die Augen. Ihr Atem geht schnell, sie spürt
ihren Herzschlag im ganzen Körper. Sie nickt.
»So soll es sein.«
Sunja sitzt in der Küche. Ihre rechte Hand hat sie auf das
Holzbrett gelegt, in der linken Hand hält sie das Küchenmesser,
das, mit dem sie sonst das Geflügel für ihr Essen schneidet, aber
jetzt holt sie Luft und setzt das Messer an ihrem Handgelenk an.
Sie spürt die Kälte an ihrem Handgelenk. Das Messer liegt auf
ihrer Haut, zwischen Muttermalen und ersten Altersflecken.
Dann drückt sie zu.

Eine Klinge gleitet leicht.
Eine Klinge bewegt sich vor und zurück.
Eine Klinge trifft Hartes.
Eine Klinge schneidet durch das Harte. Mehrere Versuche.
Eine Klinge trifft wieder Hartes.
Eine Klinge gleitet, schneidet, sägt
Umständlich, schwer, aber sie sägt.
Mehr Kraft.
Mehr Rot. (So viel Rot, denkt Sunja.)
Dann gleitet die Klinge noch einmal kurz.
Durch.
Sunja laufen der Fleischsaft und das Blut über Kinn und die

verbliebene Hand, die ihr abgetrenntes Gegenstück hält, das
kaum noch zu erkennen ist, weil Sunja hungrig ist.
Den rechten Stumpf hat Sunja in ein Küchenhandtuch gewickelt
und notdürftig mit einem Gürtel abgebunden. Ihr läuft kalter
Schweiß über die Stirn, sie kann sich kaum auf dem Küchenstuhl
halten. Neben ihr der Stapel mit Postkarten und Briefen.
Ihr Blick verschwimmt.
Sunja rutscht vom Tisch ab, fegt den Stapel mit Briefen, Fotos
und Postkarten um, sie kann den Erinnerungen nicht mehr
folgen, sie kann nicht tiefer gehen, auf dem Boden alles ein

Haufen, der sie nicht mehr kümmert, alles Dinge, die ihr so egal,
so nichtig erscheinen, wenn sie an das schwarze Loch denkt, das
in ihr tobt, sich ausbreitet und alles mit sich nimmt, alle
Erinnerungen, alle Weihnachtsbäume, alle Liebe, alles Stottern,
alle Knochen, all den Tod, alles ins Dunkel mit sich reißt.

Vor dem Küchenfenster schiebt sich die Sonne durch die Wolken
und legt einen rostfarbenen Schleier auf die Welt. Zwischen
ihrem Stöhnen und den Schmerzen ist Sunja, als würde etwas
nahe ihres linken Ohres schmatzen.

Miriam Gil: Monster

Ich glaube nicht an Monster.
Als Teenager war ich selbst eines.

Ich fürchte mich nicht vor Dämonen
Doch manchmal lähmen mich meine eigenen.

Ich fürchte mich nicht in der Dunkelheit.
Doch manchmal
Betrete ich die leere Wohnung alleine und spät
Kuck ich schnell unters Bett und in alle Räume
Bevor ich mich hinlege.

Ich fürchte mich nicht vor Drachen
Doch geh ich alleine auf dunklen Straßen
Blick ich mich um.

Die Zeit verfliegt
Heute werden die Kinder meiner Freunde schon langsam zu kleinen Monstern.

Könnt ich doch nur die Zeit zurückdrehen
Dann ward ich selbst auch noch einmal zu einem

Würd aber schon vieles anders machen.
Mich anders verhalten.

Was soll`s.

Miriam Gil: Das Monster Zeit

Das größte Monster unserer Zeit ist die Vergänglichkeit – man sieht die Menschen um sich herum älter werden.
Diejenigen, die für einen einst immer stark fangen an schwach zu werden.
Um sich selbst sorgt man sich noch am wenigsten
Denn man hat ja Zeit.
Es wird nie genug Zeit geben mit denen deren Zeit schwindet.
Menschliche Beziehungen sind
Erstmal
Etwas Unendliches.
Der menschliche Geist ist nicht auf Abschied programmiert.
Noch nicht.
Und in manchen ganz innigen Fällen
Nie.
Die Zeit heilt keine Wunden.
Gesichter verschwimmen
Gerüche verblassen.
Die Wunden sie heilen nicht.
Wie kann ein Universum sterben
Und eine Welt bleibt.
Das Monster Zeit.
Es ist das Unvorstellbare
Und doch ist es nahe.

Theobald Fuchs: Schwimmende Erinnerung

1, ein Tag im Sommer, die beiden Grazien – wie hießen sie nochmal? Ilka und Ingrid, Anja und Anette, Sabine und Sonja? -, zwei ganz unterschiedliche, frische Jungmädchen in schwarzen, nass glänzenden Badeanzügen, die eine noch flach wie ein Junge, die andere schon mit wogendem blonden Walkürebusen. So paddelten sie am Beckenrand, schauten hoch zu den horny boys, wohl wissend, dass sie Lichtjahre voraus waren in jedem Aspekt der Geschlechtlichkeit. Wie weiß doch ihre Haut war, damals, dass man meinen möchte, es habe in jenen Sommern die Sonne nie geschienen. Als wäre schon damals der Himmel über den nackten Leibern und den saftigen grünen Wiesen verdunkelt gewesen von den atomaren Wolken, deren Eintreffen wir tagtäglich aus dem Osten erwarteten, wo das Reich des Bösen unser Leben bedrohte. Als wären unsere Alpträume von der nuklearen Apokalypse nur Erinnerungen gewesen und wir hätten uns arrangiert mit allem, dem Tod, der Traurigkeit, den vergeblichen Mühen, indem wir uns außerhalb des Schwimmbades in schwarze Klamotten hüllten und uns heftig betranken so oft wir alle zusammen und ein jedes für sich einsam waren. Tanzend betranken, nie ohne die Bierflasche in der rechten Hand, mit der linken die Gitarren in den Lautsprechern dirigierend, ein Bein nach vorne, eines fest im Springerstiefel am Boden, so tanzten wir, vor und zurück, vor und zurück, jeder für sich. Und am folgenden lichtlosen Tag wieder die Begegnungen unter der nicht existierenden Sonne, am Schwimmerbecken, und auch unsere Badeklamotten waren schwarz, traumschwarze Hosen, Bikinis, Badeanzüge. Schlappen besaß noch niemand, nur die Handtücher – jeder ein anderes, ein persönliches Exemplar, und es gab keinen traurigeren Anblick als die auf die Wiese unregelmäßig hingeworfenen bunten Streifen Frottee, nichts zeigte mehr unsere absolute Hoffnungslosigkeit.

2, der Stern unseres Lebens war in rot auf eine Rakete gemalt, die vor Sonnenaufgang aus der unendlich-unerforschlichen Gegend heranflog, welche irgendwo hinter der Oberpfalz lag. Da wo sich die Amerikaner regelmäßig tage- oder wochenlang mit ihren Panzern und Kanonen austobten. Unser einziges Ziel war, die Sache so schnell wie möglich hinter uns zu bekommen. Endzeitschauder, nukleare Holocaust-Sehnsucht, Verliebtheitsmassensterben, Atomblitzlust, letzte Liebe im Hitzehagel. Ab ins Bad mit der Dauerkarte für die frischen Hormone. Wozu noch abwarten, dachten wir, wir fühlten uns doch eh schon so durchsichtig, als stünden wir in einer Strahlung, die uns an die Wand des Sanitärkomplexes projizierte. Der helle Tag hatte nicht die geringste Chance, das Dunkel aus unseren Köpfen zu vertreiben, aber unsere Herzen glühten, so wie das Wasser, die Luft, das Gras, die Vögel. Nichts ist trauriger als jung zu sein und schöner zugleich.

3, kalte, feuchte Haut, der Geruch nach Chlor, die feinen, beinahe durchsichtigen Härchen auf dem Unterarm, die sich aufstellten, wenn der Wind einen kriegskalten Gruß aus dem Osten schickte. Doch wie war es umgekehrt? Wie dachten sie, die da im Wasser plantschten und die wir anhimmelten, ohne es zu zeigen, wodurch wir uns natürlich noch viel mehr offenbarten, denn unsere vorgespielte Selbstsicherheit und unsere aus dem Fernsehen übernommene Arroganz waren so leicht durchschaubar wie das blassblaue Wasser, durch das sich Linien und Kanten schlängelten, wenn die Schimmer heftig aus roten Mündern prustend ihre Bahnen zogen? Vielleicht war es ganz anders und umgekehrt, und wir waren die letzte Hoffnung der Jungmädchen? Was natürlich fast ebenso traurig gewesen wäre wie überhaupt keine Hoffnung zu haben. Ohne Zweifel: jeder von uns hätte es am Ende dann doch sein können, der Gefährte, die starke Schulter, der verlässliche Partner – wenn uns nur jemand einmal verraten hätte, dass auch wir dazu in der Lage waren, tatsächlich. Was wie Selbstliebe daherkam und mit durchgedrücktem Rücken unendlich lässig am Beckenrand schlenderte oder sich gegenseitig begleitet vom unvermeidbaren stimmbrüchigen Kreischen zwischen die fluchenden Schwimmer ins Wasser schubste, war alles andere als das. Wir waren freilich nur mit uns selbst beschäftigt, hatten nicht die geringste Idee, wie man sich in die Träume von Jungmädchen hineinverliebt, selbst wenn wir es gewollt hätten, um zur richtigen Zeit die richtigen Worte zu sprechen. Oder die falschen unausgesprochen wieder hinunter zu schlucken, ein Mund voll Chlorwasser schmeckte widerlicher.

4, wir waren unfähig, das Gegenüber zu erkennen, aber das lag an der unbeschreiblichen Überlastung, die es bedeutete, hier und jetzt in dieser Gestalt unter dieser Sonne an diesem Becken bei diesen Jungmädchen in diesen schwarzen Badeanzügen mit diesen gelben Locken und jenen geschmeidigen Fingern zu stehen, mit denen ein paar elegante Tropfen Chlorwasser am Hals und im Nacken verrieben wurden, so dass die buschigen Haare in der Achselhöhle einen Blick nach draußen warfen und auf einen selbst deuteten. Es war nicht haargenau so, dass wir sie enttäuschten, und sie uns, aber nahe daran kam dieses Gefühl schon, das wir erst Jahre und Jahrzehnte später in uns entdeckten, wie eine hinter dem Sofa verlorene staubige Salzstange, das Relikt einer Geburtstagsparty vor 1000 Leben. Wie komisch: wir spürten nicht die Zeit, die verlief, keiner von uns könnte sagen, wie lange damals ein Sommer dauerte – drei Monaten, fünfzehn Monate, fünf Jahre, eine ganze Schulzeit lang –, wie viele Sommer an sich es waren, wie viele Stunden, Tage, Wochen wir am Beckenrand standen und mit den Jungmädchen Blicke tauschten, weil nichts, worüber wir sprechen wollten, sich in Worte fassen ließ, und abgelenkt von der eigenen Ungelenkigkeit flutschten uns die Gefühle aus den Händen wie Fische, die dem Fänger entwischen und wieder eintauchen in das Wasser ohne Tiefe, in dem alles versinkt, die jungen Sommer, die nassen straffen Körper, kühl und fest, unsere lächerlichen Tänze und Handtücher, die Zeit der vergessenen Hoffnung. Und wer weiß, vielleicht ist der letzte Schmerz, den wir empfinden werden, die Trauer darüber, dass am Ende die Welt doch nicht unterging. Wie schön wäre es doch gewesen, jung und kraftvoll und in schwarzen Klamotten in den Tod zu tanzen.

Jörg Hilse: Werwolf

Es hauste ein Werwolf
im Stadtwald bei Nied.
den drückte der Weltschmerz
ganz schwer aufs Gemüt.
Laut Heulen bei Mondschein wurd ihm zur Qual
Sein Rudelchef meinte
er wär nicht mehr normal .
Und Hausarzt Dr. Wolfssohn
sprach, Ab ins Spital.

Drin lernte der Werwolf
um zu genesen,
Statt immer Netflix zu glotzen
viel mehr zu lesen.
Und er entdeckte, man weiß nicht mehr wie,
Heinz Erhardts Gedichte als Lachtherapie.
Die Wirkung der Verse war kaum zu fassen.
Schnell wurde der Werwolf wieder entlassen.

Das Rudel staunte, Du bist ja fröhlich wie nie.
Wie hieß denn die Wundertherapie?
Und unser Werwolf grinste ganz breit.
Das war kein Wunder, bloß Achtsamkeit.