Carsten Stephan: Elegie mit Schnee

Man wird am Morgen aus dem Schlaf gerissen.
Vorm Fenster schiebt wohl jemand diesen Schnee.
Man möchte nicht aus seinen warmen Kissen.
Der Wecker lärmt. Dann regt sich das Gewissen.
Man rafft sich auf und gurgelt mit Kaffee.

Man friert im Dunkeln an der Haltestelle.
Die Bahn fällt aus. Drei Flocken haben Macht!
Das Herz spielt auf wie eine Brasskapelle.
Man kommt zu spät in seine Großraumzelle.
Und auf dem Heimweg ist es wieder Nacht.

Man wird zuhaus im trüben Licht verstiegen,
Trägt drei Pullover und hat alles satt.
Man möchte in der Tropensonne liegen.
Nur hat man leider Angst vorm Fliegen
Und kauft bloß Birnen mit eintausend Watt.

Wenn man den Winterschlaf so richtig schliefe!
Man hat nicht mal in Süßem einen Halt.
Die Heizung rauscht. Die Nase schwillt im Miefe.
Man stürzte sich am liebsten in die Tiefe,
Doch ist es draußen eben viel zu kalt.

Man niest mit Fleiß und spuckend wie ein Lama.
Man geht sehr früh zu Bett und träumt konfus.
Vom Plansch im warmen Südseepanorama,
Vom Hai und eignen Bein … Ein ganzes Drama.
Dann schreckt man auf und tastet am Pyjama,
Denn ungern friert man nur an einem Fuß.

Carsten Stephan: Froh begeistert, leicht gefiedert

Aus dreizehn Versen Mörikes

Und nun fliegt mit uns, ihr Pferde,
In den Braus der Meereswinde!
Mädchen! schlingt die wildsten Tänze
Und ein Heer gekrümmter Fische!

Dunkel wölbe sich die Wimper,
Unter uns vergeh die Erde!
Rudert! Wie der Kranich ziehet
Und die Wachtel dort im Fenster!

Durch die Lüfte zu dem Meere,
Querfeldein! Durch Qualm und Schwüle!
Und vor Freude trunken schwärmen,
Dazu liebliche Radieschen!

Arabella Block: Euphorie

Wenn ich
gerade noch ich
genug bin
um zu spüren
dass ich
gar nicht mehr ich bin
das ist ein Gefühl
kann ich dir sagen.
Wie damals mein Kater
am Straßenrand
voll überrollt
vm LKW.
Das rosige Innere blüht
außen auf dem Asphalt
der noch bebt.
So ist das.
Nur reversibel.
Wenn ich dann wieder
ich bin
mit Knochen unter der Haut
und einem Spiegelbild
das sagt: komm
nicht unter die Räder.
Und putz mal das Bad.
Das ist ein Gefühl, sag ich dir.

Marlene Steidele: Gött*innen

Wünscht es gäbe Gött*innen
Doch einen Gott wie euren brauch ich nicht
Will ich nicht
Der queere Menschen ablehnt
Der Femizide zulässt
Der schweigt
Trotz Hass und Leid
Rassismus, Kapitalismus
Sexismus und Ableismus
Krieg und soziale Ungleichheit
Gott schweigt
Wünscht es gäbe Gött*innen
Einfühlsam und Gerecht
Voll liebe und Gütigkeit
Die durchs Weltall schweben
Und uns beschützen
Doch einen Gott wie euren brauch ich nicht
Will ich nicht
Der Hexen verbrennen lässt
Menschen erzrinken lässt
Gott schweigt
Stille
Bis in alle Ewigkeit
Ich habe meine Gött*innen bei mir Meine Freund*innen
Und wir kämpfen zusammen
Und wir schweigen nicht

Peter Reus – Instagram Folgen

I
Ich vor Ayers-Rock
Ich vor Machu-Picchu-Inka-Stadt (oder Maya-Stadt oder …?)
Ich vor Empire-State-Building
Ich vor den Pyramiden von Gizeh
Ich vor Gletscher
Ich vor Naturkulisse

II
Ich vor Robbenbaby
Ich vor Flamingos
Ich vor den Big Five (Giraffe, Elefant und … ach, die andern halt)
Ich vor Blauwal
Ich vor Naturschauspiel

III
Ich vor Feuerwalze
Ich vor Murenabgang (oder Lawine?)
Ich vor Überschwemmung
Ich vor Naturkatastrophe

IV
Nach mir
Die Sintflut

Harald Kappel: Erbarmungslos

in der flimmernden Hitze
schmilzt der Asphalt
vor meinem Fenster
und die Hoffnung
in meiner Weißen Substanz
es gibt kein Entrinnen
keinen Luftzug
Gott kennt kein Erbarmen
und keine Freunde
das Denken
ein dramatisches Zögern
in der flimmernden Hitze
schmilzt mein Verständnis
vor meinem Fenster
wartet Dein Abschied
Gott kennt
wirklich
kein Erbarmen