Bastian Kienitz: Du Musst

Du musst anfangen das weiße Blatt zu bemalen, mit einem
Bleistift fremde Zeichen, Hieroglyphen stanzen: in Rom wird
eben Weltgeschichte geschrieben vllt. auch deine Geschichte
oder das deiner Väter >> zumindest das deiner Vatersväter:

genug um auf den Hügelgräbern: Schachtelhalme, Moos zu
betten, flechten die Pflanzen und unterm Vordach mauern
sich Schwalben in ihre Nester ein, tauchen wieder auf, Luft-
wirbel in der Zwischenwelt / Tropopause: Fernsicht deutlich
erhöht

er nimmt die Spinne, überdeckelt sie mit Glas: m u r m e l t
(willkommen in meiner Welt, in der Gott und der Teufel ein
Spiel spielen). Rauch…

Bastian Kienitz: Moderne Ansichten

flitzt so vorbei so ein Flitzpiepen baut sich sein Nest
zwischen den Häusern u. denkt wohl er könnte hier
einen auf Natur machen der Kleine rackert sich ab
schmeißt mit Kehllauten um sich u. plustert sich auf
bis es Licht wird der denkt wohl es wäre schon
Frühling

Harald Kappel: Hermaphrodit

im gelben Wasser
bewegen sich die Hermaphroditen
auf seltsame Weise
ein Spiel und eine Einbildung
zwischen Seepferdchen und Rettungsschwimmern
in der Fantasie
nimmt ihr Neopren
einen mysteriösen Raum ein
zwischen oneirisch und paradox
doch in den Wellen
hat das Drama einen nassen Unterton
jeder Gesang verklingt
im sauren Bauch der Wale
und wenn ich romantisch wäre
könnte ich sagen
wie es ist
und nicht
wie man einen Menschen zeichnet
ich meine
einen richtigen Menschen
und nicht seine Antithese
das ist was für helle Köpfe
und nicht
für eine Kreatur
im gelben Wasser
zwischen Seepferdchen und Rettungsschwimmer

blumenleere: hitzerisse

& so, also, lautet die geschichte, wie wir zu wasser kamen, & zwar naemlich gerade als die sengende hitze einer gnadenlos unbarmherzigen sonne & das knirschen zwischen unseren schier erbaermlich panisch klappernden zaehnen unsere ausgedoerrten maeuler mit senkrecht aufkreischender verzweiflung bestrich & uns, beinahe, hinweg ueber die wanderduenen des unertraeglichen – sprich: der indifferenten wueste des todes … – gen nirwana – eine fata morgana …? – trieb: da, ja, da rief uns ploetzlich meine mutter rein, indem sie uns mitteilte, die sandkastenzeit waere nun wohl oder uebel vorbei & wir sollten uns besser einen schluck klaren nasses goennen, uns unserer dreckigen klamotten entledigen & den schatten der wohnung linderung & die notwendige basis fuer eine regeneration unserer kraefte entziehen, statt drauszen gleich raeudigen hunden unter wogen schmutzigen staubs zu krepieren. ach, & weil unsere sonst durchaus relativ nennenswerten widerstaende gegen erwachsene machtausuebungen & anweisungen jedweder art mitterweile leider fast vollkommen vertrocknet waren, gehochten wir, kaum murrend, & stillten unseren durst, brav & untertaenig & gierig, am heimischen busen beziehungsweise herd …

Bastian Kienitz: Yachten

im Fokus, ein Mehr, an der Ostsee bei Deep
das Wasser fiel ruhig in Stufen gedacht
und rieb an der Mole, sehr fest und sehr tief
sehr ruhig in Form, fast zum Spiegel gemacht

fast gläsern im Sommer, modellhaft ein Schiff
es läuft in den Hafen und bricht wie ein Stern
im Wettlauf mit Wolkengebilden am Licht
an Schichten gelehnt, die am Himmel flimmern

so Segel ganz schnell in die Weite hinaus
an wärmeren Tagen bis hinter das Meer
aus flüchtigen Träumen zum Horizont raus
und fliege der Seeluft dem Meer hinterher…

Bastian Kienitz: Schupp den Aal

schupp den A a l schrupp durch deine Fingerglitschen am
Schenkel entlang diese Stromlinienform so ein Spitzmaul
von einem so etwas wie Fisch

so ein bisschen geschleckt an der heißgeriebenen Schote
verliert noch die Kiemen, die Luft zum Atmen,
die Elastizität beim Übergang vom Wasser zum Öl | ganz
steif wie der sich gibt

blumenleere: burnin‘ ur furniture may lead to a celebration of life

schlag das haus auf, die wohnung. darin prothesen, dir, laut massenwahn, deine mehr bis minder alltaeglichen taetigkeiten zu erleichtern, sowie semistationaere aufbewahrungsbehaelter fuer kuenstliche abgelegte haeute & allerlei zeug, dessen scheinbare notwendigkeit deiner blanken unfaehigkeit entspringt, dich den umstaenden & dir begegnenden ereignissen ohne ein pathologisches horten von vorsichtsmasznahmen & gegengiften zu unterwerfen: du, also, verstellst dir den raum mit pervers geknechtetem material – wider seine natur mit viel aufwand zum vermeintlichen stillstand gezwungen –, seinen wandel verdraengend, abnutzungserscheinungen verfluchend … aber, wieso, nur, wo dir doch klar sein muesste beziehungsweise sollte, dass seine erosion dadurch zwangslaeufig beschleunigt wird, nutzt du es denn dann, um ruecksichtlos darauf zu liegen, sitzen, speisen, scheiszen, kopulieren? willst du in einer zeitkapsel vor dich hinvegetieren, dich in deiner nahezu grabkammer dem quirligen leben entziehen & dir die luft zum atmen von letztlich primaer industrieware rauben lassen, die das, was du zuhause nennst, mit seiner widerlich sperrigen anwesenheit verseucht …?

Bastian Kienitz: LINIENLAND

(Blankosonett)

in meinem Zimmer ist es praktisch einfach
puristisch konstruktiv, klar definiert
hier eine Ecke, übereck ein Spiegel
dazwischen Kreuzungspunkt und Bindeglied

aus Linien, Formen eines Vektorraumes
in einem Raum der Fläche zum Quadrat
und dessen leerer Kern um eine Mitte
die alles irgendwie zusammenhält

das ist Geworfensein in dieses Leben
an dem das ungreifbare Wirkgeflecht
wie Wellen an den Strand des Daseins spülen

nur nachts, da liege ich noch lange wach
und fühle, ich bin frei von jeder Sorge
wenn ich das Leben lebe, wie es ist…