Margret Bernreuther: Systemische Beratung

Du redest ohne Unterlass.

Ich höre dir zu. Ich hänge an deinen Lippen. Ich habe mich dir zu Füßen gesetzt und lausche deinen Worten. Du sprichst nicht mit mir. Du erwartest keine Antworten.

Du berichtest von deiner gescheiterten Beziehung und was dir angetan wurde.
Ich versuche das Verstandene mit Blicken und langezogenen Hmmms zu bestätigen.

Ab und zu stehe ich auf und wechsle die Schallplatte. Meine Musikauswahl lässt du unkommentiert. Darum geht es ja nicht und ich versuche auch hier möglichst unemotional zu bleiben.

Dass du überhaupt wieder hier sitzt, grenzt für mich an ein Wunder.

Vor Wochen hattest du dich von mir verabschiedet. Mir gesagt, dass aus uns nichts werden kann.
Dass es noch so viel zu bearbeiten gibt in deiner eigenen Welt.

Du bist auch noch verliebt. In eine andere Frau, die dich nicht will und wo du dich nur von mir hast trösten lassen.
Und wie gut ich das kann. Wie mir ständig etwas einfällt um dich auf andere Gedanken zu bringen.
Gedanken und auch Gefühle lassen sich doch steuern.

Immer wieder verfolge ich da einen verhaltenstherapeutischen Ansatz.
Was tut man wenn sich die Gedanken immer wieder um dieselbe Sache drehen?
Eine Sache die sich durchdenken aber nicht lösen lässt.

Ich muss also versuchen, anders über diese Sache zu denken, oder sogar versuchen überhaupt nicht mehr darüber nachzudenken.

Diese Sache also, mit der anderen Frau. Und wie du mir sogar erklärst, wie sich die Rollen getauscht haben. Du auf einmal der Gewollte bist und nicht mehr der Verschmähte.

Dieses Mal meinst Du mich.
Ich bringe dir Verständnis entgegen.

In meinem Kopf ist es genauso, dass das noch passieren wird.
Du hast nun schon so einen mutigen Schritt getan.
Mir geschrieben das du einen Fehler gemacht hast und das du sehr dumm warst und das mich vermisst.

Aber jetzt sitzt du bei mir und redest von der anderen Frau. Ich kann dir bestimmt helfen.
Ich kann es schaffen, dass du sie vergisst. Du musst nur auf mich hören.

Ich bin aber still. Ich sage dir nichts. Wohlwollend lasse ich dich verbal auf mir abwichsen.

Es ist wie in einem Porno, nur ohne Sex.

Es ist Abend und wird dunkel. Du hast dich leer geredet. Dich über mir zu ergießen hat dir aber keine Erleichterung verschafft. Du musst jetzt nach Hause. Gemeinsames Abendessen?

Vielleicht ein andermal.


Michael Schmidt: Professor Wuiser und der Sex

„Haben S‘ das schon gehört? Also, bei dieser Kultursendung am Radio da reiten sie ja wirklich alles durch. Da bringen sie diesmal sogar was zum… zum Sex. Ja, zum Sex. Tatsächlich!
Der Sex ist ja fest in unserer Kultur verankert. Und dass der Sex und die Kultur fest zusammengehören, das sieht man eben daran, dass die Kultursendungen sich intensiv mit dem Sex auseinandersex… äh auseinandersetzen.
Und da braucht man auch nicht gleich rot werden deswegen! Der Sex ist halt mal eine biologische Angelegenheit. Ja, der ist bio! Der ist Fakt! Der Sex! Fakt!

So wie das Schnaufen auch.
Sie müssen sich vorhalten: Ohne den Sex gäb’s keine Leut!
Und ohne Leut keine Kultur! Oder mögen Sie sich eine Kultur ohne Leut vorstellen?! Na, eben! Sehen Sie! Ich auch nicht!
Ohne den Sex tät die Kultur am Ende noch aussterben!

Und weil das mit dem Sex so derartig kulturbegründet ist, haben Sie auf den Tisch gehauen und gesagt: ‚So, jetzt machen wir auch mal was zum Sex! Wir machen’s einfach! Wir nehmen den Sex zu uns ins Programm! Weil alle reden über den Sex, bloß wir nicht! Und darum machen wir jetzt den Sex! Knallhart! Und reden einmal offen und ehrlich darüber!
Aber‘ , haben Sie dann gesagt, ‚aber wir müssen vorher noch einen Experten fragen. Einen Fachmann!‘ Und dann sind sie aufgestanden und sind zum Telefon gegangen und haben den Professor Wuiser angerufen und gleich gefragt, was er vom Sex hält. Und da war der Professor Wuiser gleich ganz euphorisch.
Hat er gesagt, dass er sich auf das Thema ganz besonders freuen tät. Weil einen Sex hat sogar er selber noch nie gehabt.
Nein, wirklich nicht!

Der Herr Wuiser sagt das sogar ganz offen. In seiner Rente hätt er auch gar keine Zeit mehr dafür, hat er noch dazugesagt.
Und tät außerdem ja auch gar keine Notwendigkeit verspüren dazu.
Weil die Wuisers, hat er erklärt, pflegen nämlich immer noch die traditionelle Fortpflanzungsmethode der holistischen Zellhaufenteilung.“

Matt S. Bakausky: Gefühlte Zeit

Rutsche auf dem Bürostuhl hin und her. Starre auf den Monitor.
Draußen, tief unten, stehen Autos im Stau. Umleitung.
Weißt du noch damals als der Helikopter gelandet ist und der Pilot sich einen Döner geholt hat?
Okay, das war wohl nur ein Tagtraum.
Seiten aufrufen. Nachrichten die täglich gleich aussehen, nur dass unsichtbar das Wort „Neu“ davor steht. Immer sichtbar die Uhrzeit in der Startleiste. Die Zahlen verändern sich umso seltener, je öfter du darauf schaust.

Dein Kollege gegenüber macht Tippgeräusche auf seiner Tastatur und sagt etwas zu dir. Zumindest denkst du für einen kurzen Moment, dass er ein Gespräch beginnt. Doch ein Blick verrät, dass er ins Telefon spricht. Eine Fliege liegt bewegungslos auf dem Fensterbrett. Die hat für heute bereits genug getan. Du breitest deine Flügel aus und fliegst durch das Fenster über die Autos hinweg ins Paradies. Ein weiterer Tagtraum.

Der Kaffee ist kalt und schmeckt wie kalter Kaffee schmeckt. Du hörst ein Klingeln, willst an die Tür gehen, doch dein Kollege ist schneller. Der Paketbote ist an der Tür, abgehetzt. Zack, zack, schnell hier unterschreiben. Dein Schreibtisch sieht tipptopp aus. Du hast ihn vorhin aufgeräumt. Laut der Uhr in der Menüleiste ist seitdem erst eine viertel Stunde vergangen.

Webseiten öffnen. Uninteressante Nachrichten. E-Mails abrufen, keine neuen Nachrichten. Nicht mal ein Newsletter. Der Spamfilter ist fleißig. Die Autos unten bewegen sich in müden Schritten.
Du überlegst an deinem Hobbyprojekt zu arbeiten. Die Computermaus steuert den Mauszeiger langsam Richtung Menüleiste.

Dein Blick wandert wieder auf die Fliege.  Sie ruht sich immer noch aus. Wahrscheinlich ist sie tot. Ja, sie ist hier gestorben. Das musst du wohl zugeben. Sie ist hier gestorben. Aus Langeweile.
Noch ein Schluck vom kalten Kaffee, der wie kalter Kaffee schmeckt.
Du nimmst einen Kugelschreiber und schiebst damit die Fliege in den Mülleimer. Die stört das gar nicht.

Michael Schmidt: Workaholic

Die von der Sucht droben werden mit der Corona viel zu tun kriegen. Haben ja alle jetzt viel genug Zeit gehabt, um daheim zu hocken und eine Flasche nach der anderen runterzulassen. Im Neudeutschen: Home Office. Und da läuft’s halt umso geschmierter, wenn die Promille stimmt. Und der Chef wundert sich, warum auf einmal sämtliche Mitarbeiter, die vorher kein Wort herausgebracht haben, mit Schnapsideen kommen, als ob sie der Daniel Düsentrieb selber wären. So manch einer hat in der Zeit sogar ein Buch geschrieben und veröffentlicht. Unser Nachbar ja auch. Letzt‘s Mal im Supermarkt hab ich ihn drauf angesprochen. Sagt er, er sagt’s mir ganz ehrlich: Er tät gar nicht mehr wissen, worum’s in seinem Buch eigentlich geht. Aber signiert hat er mir’s trotzdem noch spontan. Dafür hab ich ihm auch die Flasche Korn übernommen. Sag ich: Legen Sie die einfach bei mir auf’s Kassenband. Das war ja das Mindeste, wie ich mich bei dem Mann hab bedanken können. Und dann ist er wieder zu sich heim. Hat ja wieder ins Home Office müssen. Aber ich denk, irgendwann muss auch der hinauf in die Sucht. Und dann ist’s nicht mehr lustig. Aber schämen muss man sich deswegen heutzutags nicht mehr. Gibt ja lauter prominente Beispiele, wer schon alles in der Sucht war. Sogar der Professor Wuiser hat mal eine Therapie gemacht. Bei den anonymen Workaholikern. Und da hat der Therapeut gesagt, dass es gut wär, wenn sich der Herr Wuiser mal Zeit nimmt und hinsetzt und in sich geht und zusammenschreibt, wie es ihm als Workaholic so geht. Am Anfang ist ihm gar nichts dazu eingefallen, weil ja ein Workaholic gar nicht groß darüber nachdenkt, was er so den ganzen tag tut. Und dann ist es doch geflossen. Das bringt er jetzt auch als Buch heraus: „Die Kulturgeschichte des Workaholismus.“
In acht Bänden und im Schuber.

Elmar Tannert: Innerer Monolog eines Kaffeetrinkers

… jeden Abend dasselbe … ich bin so müde … aber ich kann nicht schlafen … nicht einschlafen … das kommt vom Kaffee … nein, das kommt nicht vom Kaffee … Kaffee trink ich nur in der Früh … den brauch ich … sonst komm ich nicht in die Gänge … heute früh war ich so müde … viel zu wenig geschlafen … und dann um sieben aufstehen … das geht nicht ohne Kaffee … zwei Tassen … schwarz … aber das reicht dann auch … erstmal … dann komm ich ins Büro … und im Büro läuft immer die Kaffeemaschine … irgendjemand schaltet die immer ein … Frau Kramer schaltet die immer ein … dabei trinkt die daheim auch schon Kaffee … genau wie die anderen … aber trotzdem macht sie immer Kaffee für alle … und dann bietet sie ihren Káffe* an … Káffe sagt die immer … dieses Káffemonster … dabei heißt das Kaffée … und ich sag jedes Mal „ja“ … warum sag ich jedes Mal „ja“? … mir reichen meine zwei Tassen Kaffee am Morgen … aber ich kann den anderen einfach nicht beim Káffetrinken zusehen … jetzt sag ich selber schon Káffe statt Kaffée … Kaffée heißt das … morgen werd ich sagen, ich nehm koffeinfreien … nein, das mach ich nicht … sonst denken alle, ich bin herzkrank … und außerdem, ohne Koffein hat der Kaffee gar keinen Sinn … dann braucht man überhaupt keinen Kaffee trinken … ohne Koffein hat der Kaffee keinen Sinn … da gibt’s doch ein Lied … “was hat der Kaffee für an Sinn ohne Koffein“ … das singt irgendein Österreicher … Peter Alexander … Quatsch, der war‘s nicht … aber ein Österreicher war‘s … nein, der Franz Morak auch nicht … aber natürlich ein Österreicher … die trinken dauernd Kaffee … aber das merken die gar nicht … weil die immer Melange bestellen … und Einspänner … Franziskaner … kleine Braune … große Braune … a Schalerl Gold … aber Kaffee bestellen die nicht … deswegen können die Österreicher ruhig schlafen … aber ich kann nicht schlafen, weil ich kein Österreicher bin … dabei trink ich Kaffee nur am Vormittag … ab Mittag trink ich keinen Kaffee mehr … bloß einen Cappuccino nach dem Essen … mit viel Milch … sonst kann ich nicht schlafen … ich schlaf eh immer so schlecht in letzter Zeit … immer Termine … Termine jeden Tag … alle sind so hektisch den ganzen Tag … das kommt vom Kaffee … nein … das kommt nicht vom Káffe … heißt das jetzt Káffe oder Kaffee? … egal … ich kann nicht schlafen … der Kaffee am frühen Abend … der ist gefährlich … egal, ob er Káffe oder Kaffee heißt … aber ich hab am Abend gar keinen Kaffee getrunken … bloß einen Latte Macchiato … das ist gar kein richtiger Kaffee … aber einen Kaffee trinken und dann gleich ins Bett … das geht … da merkt man nichts … hab ich schon öfter gehört … ja … das probier ich jetzt aus … ich steh nochmal auf … und mach mir einen Kaffee …

Michael Schmidt: Wuiser und die Ausgangsbeschränkung

Ja, das mit dieser Ausgangssache tut keinem von uns so richtig gut. Trotzdem gibt’s Leut, die damit besser umgehen können als andere. Die sehen dann das alles dann viel gelassener.

Das muss noch angeblich von den Genen herkommen. Von den menschlichen Genen her. Von der Eiszeit. Da haben die Leut ja auch eine Zeit lang nicht von der Höhle rausgekonnt, wenn der Gletscher die erst mal zugeschoben hat. Die haben dann halt abwarten müssen, bis der Gletscher wieder weggetaut war. Freilich, ein, zwei Mammuts hat da auch jeder im Vorrat gehabt. Oder ein Riesenfaultier. Was halt gerade da war. Was man am Wasserloch halt noch so alles vorgefunden hat, wenn nicht die anderen Höhlenmenschen schon dagewesen war’n und alles weggeschnappt haben. Da hat man auch schnell sein müssen. Weil einen Kadaver oder ein Aas hat keiner gern genommen.

Jäger und Sammler, sagen die Forscher dazu. „Der Mensch, ein Jäger und Sammler“. Und weil das so lange gegangen ist, hat sich das Ganze dann halt in die Gene abgesetzt. Ja, freilich, das sieht man heute noch! Hat man die letzten Wochen ja gut wieder im Supermarkt gesehen. Hat man gut beobachten können: Tagsüber warn sie noch im Home Office, und am Abend dann sind alle zu Jäger und Sammler geworden. Das ist der Instinkt, der sich da einschaltet. Dann legen alle den Jäger- und Sammler-Turbo ein. Bloß, dass man heut noch an der Supermarktkasse vorbeimuss, bevor man die Beute heimbekommt. In der Eiszeit war das dann so was wie ein zugefrorener Felsspalt. Da haben sie dann auch alle so komische Laute gemacht. Das kann man heute noch an der Supermarktkasse hören, diese unheimlichen Urlaute. Wie sie mit der Beute dastehen und warten müssen, bevor sie sich damit davonmachen können.

Wie damals am zugefrorenen Felsspalt. Da hat sich nichts groß geändert. Das kann Ihnen der Herr Wuiser auch bestätigen.

Der Professor Wuiser steht die Tage nämlich öfters neben der Supermarktkasse und nimmt da mit dem Tonbandgerät auf. Ganz hervorragende Urlaute. Und wenn er zu den Leuten sagt, dass er von ihnen einen solchen Urlaut braucht, weil er ein Forscher ist, dann kriegt der den auch prompt. Und wenn er Glück hat, sogar gleich mehrere. Weil das ist eine wunderbare Gelegenheit, dass man einmal die echten Urlaute hören und aufnehmen kann, hat der Professor Wuiser gesagt und, dass wir darum heut eigentlich in einer ganz ertragreichen Zeit leben täten.“

Andreas Lugauer: In die Wirtschaft am zweiten Advent

»Ich gehe jetzt Bier trinken.

Meine Spezln, die Sauhund’, sind noch in der Kirche, aber wegen der Weihnachtsfeier gestern, es is’ ja zweiter Advent – ja Menschenskind, ham mir uns in der Boar die Rüscherln neipfiffn, ja do legst di nieder, Bluatsakrament! Dawei ham wir am Amfang, noch bevor d’ Wirtin ’s Weihnachtsschweinerne hergstellt hat, scho ein jeder vier Weißbier dringhabt – also wegen dieser Weihnachtsfeier – ›Wehrmachtsfeier‹, wie der Girgl im Spaß allweil sagt, ’haha! –, wegen dieser Weihnachtsfeier, die wie jedes Jahr sehr schön war, konnt’ ich da ums verrecken nicht aufstehn für die Kirchn, und jetz geh ich eimfach gleich zum Frühschoppen. Aber einmal geht das schon, wie’s bei uns gern heißt, mords einen Brand hab ich eh zum löschen. Außerdem ham wir uns ja gestern zur Weihnachtsfeier auch praktisch ad majorem Dei gloriam getroffen, zur größeren Ehre Gottes also, nicht wahr. Das kann man schon einmal als quasi vorgezogenen Gottesdienst betrachten, nicht wahr, schließlich hat’s auch Weihnachtsgebäck und einen Christbaum gegeben und die Grundschüler ham gesungen, und einen Weihnachtspunsch hat’s auch geben, aber von dem trinkst am besten bloß eine Tass’, weilst sonst a so Sodbrennen kriegst. Naa naa, der Herrgott hat, glaub ich, schon ein Verständnis dafür, daß wir auf ihn mit einem Weißbier anstoßen bzw. mit sechzehn. Die eine Tass Wehrmachts-…, zefix, jetz fang ich auch schon damit an, die eine Tass’ Weihnachtspunsch ist aber auch gar nicht verkehrt, weil dazu kann man dann auch ein paar Platzerl essen, weil des süße Zeug paßt ja zum Weißbier eimfach nicht dazu, weil es sich geschmacklich eimfach beißt. Aber jetz halten S’ mich nicht länger auf, weil ich einen solchernen Brand hab, und wenn ich jetzt nicht gleich meine Konterhalbe krieg, dann konst an Sanka ruaffn, weil ich’s dann nimmer daback. Oiso, schöna Sonntag Ihnen, gell!«

Liebe Hörer*innen und Hörer, weil dieser Bericht von mancher und manchem, die des Bayerischen nicht in zertifikatwürdiger Weise mächtig sind, womöglich nicht ganz verstanden worden ist, haben wir als kostenlosen Service den stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten, Hubert Aiwanger, zu uns ins Studio eingeladen. Er wird Ihnen den Text nun noch einmal im besten Hochdeutsch vortragen, zu dem er fähig ist:

»Ich gehe jetzt Bier trinken.Meine Freunde, die Sauhunde, sind noch in der Kirche, aber wegen der Weihnachtsfeier gestern, es ist ja zweiter Advent – ja Menschenskinder, haben wir uns in der Bar die Rüscherln hineingepfiffen, ja da legst du dich nieder, Blutsakrament! Dabei haben wir am Anfang, noch bevor die Bedieung das Weihnachtsschweinerne auf den Tisch gestellt hat, schon ein jeder vier Weißbier drinnen gehabt – also wegen dieser Weihnachtsfeier – ›Wehrmachtsfeier‹, wie der Georg im Spaß immer sagt, ’haha! –, wegen dieser Weihnachtsfeier, die wie jedes Jahr sehr schön war, konnte ich da ums Verrecken nicht aufstehen für die Kirche, und jetzt gehe ich einfach gleich zum Frühschoppen. Aber einmal geht das schon, wie es bei uns gerne heißt, einen sehr großen Brand habe ich eh zu Löschen. Außerdem haben wir uns ja gestern zur Weihnachtsfeier auch praktisch ad majorem Dei gloriam getroffen, zur größeren Ehre Gottes also, nicht wahr. Das kann man schon einmal als quasi vorgezogenen Gottesdienst betrachten, nicht wahr, schließlich hat es auch Weihnachtsgebäck und einen Christbaum gegeben und die Grundschüler haben gesungen, und einen Weihnachtspunsch hat es auch geben, aber von dem trinkst du am besten bloß eine Tasse, weil du sonst solches Sodbrennen kriegst. Nein nein, der Herrgott hat, glaube ich, schon ein Verständnis dafür, dass wir auf ihn mit einem Weißbier anstoßen bzw. mit sechzehn. Die eine Tasse Wehrmachts-…, zefix, jetzt fang ich auch schon damit an, die eine Tasse Weihnachtspunsch ist aber auch gar nicht verkehrt, weil dazu kann man dann auch ein paar Plätzchen essen, weil dieses süße Zeug passt ja zum Weißbier einfach nicht dazu, weil es sich geschmacklich einfach beißt. Aber jetzt halten Sie mich nicht länger auf, weil ich einen so großen Brand habe, und wenn ich jetzt nicht gleich meine Konterhalbe kriege, dann kannst du den Notarztwagen rufen, weil ich es dann nimmer derbacke. Also, schönen Sonntag Ihnen, gell!«

Michael Schmidt: Wirtschaft

„Frühers hat man’s ja leichter gehabt mit der Wirtschaft. Da hat man immer gewusst: Ich kauf was und das krieg ich. Heute ist das alles viel zu kompliziert geworden. Und Sachen, die man früher gut verkaufen konnt, auf denen bleibt man heute gerne sitzen. Da haben sich schon manche dumm im Spiegel angeschaut nachher. Sind einfach nicht mit der Zeit gegangen. Haben gedacht: Was schert mich die Zeit. Aber die Zeit hat sich – im Gegenteil – nichts um sie geschert. Gar nichts. So ist das gewesen. Und so geht es immer weiter, bis sich die Menschheit einmal verabschiedet.

Auch der Herr Professor Wuiser hat das schon mal mitgemacht, so wie man einfach alles mitmacht, wenn man ein Professor ist. Der hat damals noch gesagt, dass in der Kohle die große Zukunft liegt. Hat so viel Kohle bestellt, dass keiner sie nie verheizen hat können. Und ist dann darauf sitzengeblieben. Ein ganzer Berg Kohle. Sogar in seiner Zwölfquadratmeterwohnung hat er die gehabt, einen ganzen Haufen, weil er nicht gewusst hat, wo er mit der ganzen Kohle aus soll:
Pechkohle, Braunkohle, Eßkohle, Magerkohle, Glanzkohle. Alles mögliche an Kohle.

Und wie das mit der Kohle sich dann schließlich abgezeichnet hat, hat er sich einen Stuhl genommen, seinen Denkerstuhl, wie er dazu sagt, ist damit den Kohleberg rauf, hat sich ganz oben hingesetzt und hat überlegt. Einen Tag lang und eine Nacht.

‚Nein, Wuiser, du gibst nicht auf!‘, hat er sich am Ende gedacht: ‚Ein Professor und aufgeben! Das hat’s noch nie gegeben, und du ausgerechnet wirst jetzt nicht damit anfangen!‘

Dann ist er wieder runter von dem Berg und hat sich an die Arbeit gemacht. Was er dann getan hat? Ich weiß nicht, waren Sie schon mal im Darknet drin? In diesem Darknet? Müssen Sie unbedingt auch mal reingehen. Da ist der Herr Wuiser nämlich auch seither. Weil er sich gedacht hat, so ein Haufen Kohle, wie er einen hat, passt gut zum Darknet dazu. ‚Schnell zu Kohle kommen?‘, steht auf seiner Darkbook-Seite. Aber nicht, dass Sie jetzt denken, dass er dorten die ganze Kohle verschenkt. Ist bloß ein Werbespruch. Nein, der Herr Wuiser hat es viel schlauer angestellt und hat dort eine eigene Währung gegründet.

Kennen Sie dieses Bitcoin? Ja? Weil was das Bitcoin im Internet ist, ist das Kohlecoin jetzt im Darknet drin. Eine Währung, die an der Wuiser-Kohle hängt. Währungseinheit ist ein Kohlecoin oder ‚Koincoin‘, wie man bei uns in Bayern sagt. Und zehn Koincoin sind ein ‚Wuiser‘. Und zehn ‚Wuiser‘ sind dann ein ‚Professor Wuiser-Coin‘. Und wenn man zehn ‚Professor Wuiser-Coin‘ kauft, gibt’s dann schon einen Darknet-Artikel gratis. Eine Kalaschnikow. Oder ein Pfund Koks. Oder eine Waschmaschine, die sich um ihre eigene Trommel dreht.
Sie können sich’s aussuchen.“