Katrin Rauch: Warum Potemkin keine Romane hätte schreiben sollen

oder:
lest mich als buch

und reißt mich in seiten

vielleicht bin ich auch gar nicht

manuel neuer

Ich bin gekommen, um euch die Wahrheit zu sagen, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, die komplette, ungeschönte Wahrheit, lücken- und schonungslos, full disclosure, volle transparenz in my opinion to be honest. Es wird nichts vage und keine Antworten schuldig geblieben, keine Fragen offen gelassen sein und werden, kein Zweifel soll auf- … Ich bin gekommen und als offenes Buch will ich gehen, was sag‘ ich, als loser Stapel Zettel, Fetzen, Phrasen, Buchstaben. Ich werde mich komplett auseinandernehmen und ihr dürft mich nach Lust und Belieben wieder zusammensetzen, vielleicht ja:
Ja, vielleicht ja zu jemandem, was einen Hund besitzt, seit Neuestem erst, und leicht überfordert ist damit, aber das Internet weiß zum Glück, wie oft man einen Bernhardiner füttern muss am Tag und womit überhaupt. Das Internet weiß viel zu viel darüber, wie oft man einen Bernhardiner füttern muss am Tag und womit überhaupt. Vielleicht bin ich jemand, was jetzt ein bisschen enttäuscht ist, weil der Bernhardiner nicht so flauschig ist, wie er bei Heidi ausgesehen hat, oder, weil ein Bernhardiner nicht in einer Stadtwohnung wohnen kann und weil ein Chihuahua ein schlechter Ersatz ist für einen Bernhardiner, vielleicht hasse ich Hunde auch. Allein wie sie riechen, obwohl sie doch selber angeblich so einen guten Geruchssinn haben, da passt irgendwas nicht zusammen, something does not add up here! Das ist mir alles nicht ganz geheuer, ja und vielleicht hab ich ja auch krass Angst vor Hunden, so ganz grundlos, oder weil mir mal das Nachbarskind als Hund verkleidet in den Unterarm gebissen hat, so mittelleicht, aber bissi Abdrücke waren da halt schon.
So wie damals, wo mir endlich der Gips vom Unterarm gesägt wurde, diese Abdrücke von den gipsgetränkten Netztüchern auf der weißen, von der Sommersonne und dem Seewasser unberührten Vorschulkindhaut. Aber vielleicht ist das gar nicht passiert und ich hab‘ mir vielmehr mit 17 den Haxen, mit 29 das Schlüsselbein, oder als Baby die Schädeldecke gebrochen.
Sagt ihrs mir! War ich Punk als Teenager oder Goth oder Krocha? Hab‘ ich mir damals so exzessiv die Haare gefärbt, dass sie nun aus Not so kurz sind, oder hab‘ ich erst vor kurzem zum allerersten Mal Strähnen blondiert? Oder doch vielmehr Färbephase mit späterem Abschwören in der Ökohippie unverpackt anti-Konsum Mehrweg era, die als letztes Aufbäumen der inneren Pick me nötig war für die nächste mittelfristige, sich aber endgültig anfühlende Lossagung von eh allem.
Wie alt bin ich überhaupt? Wie hoch ist die Zahl, die die mehreren oder wenigeren Jahre in diesem Leben ausdrückt und was ist mir in diesen ganzen Jahren passiert? Wurde ich etwa geboren? Hab‘ ich geschrien und gegessen? Wurde ich fallengelassen, Stichwort Schädeldeckenbruch, und wenn ja mit welcher geilen Story erklärt sich das, dass ich das überlebt habe? Wollte ich einen Hund als Kind oder eher unbedingt im letzten Sommer, die keine Schulferien waren, mit Anlauf und kopfüber in den See springen mit der Schädeldeckenbruchnaht voraus? Hab ich das gemacht, oder hatte ich einen dies verunmöglichenden Gips am Unterarm, hab ich mir die Schädeldeckenbruchnaht an der Seewasseroberfläche wieder aufgeschlagen? Apropos überlebt, hab‘ ich meine Mutter schon überlebt? Meinen Vater? Und bin ich überhaupt alt genug, dass das eh nicht richtig richtig schlimm wäre? Wie viele meiner Großeltern leben noch, habe ich überhaupt welche? Habe ich Augen, eine Lunge, wie viele Nieren hab ich noch, habe ich Beine? Vielleicht habe ich keine Beine, oder welche, die ich ablegen kann, vielleicht hat sie mir ein Löwe abgebissen, oder ein Nachbarskind oder ein Chihuahua oder ein als Nachbarskind verkleideter Chihuahua. Vielleicht hab‘ ich so viele Beine, dass eines weniger eh nicht richtig richtig schlimm wäre.
Was meint ihr? Vielleicht habe ich ja die Schule abgebrochen, vielleicht drei Mal oder das Studium, vielleicht drei davon, vielleicht auch eines drei Mal oder war ich überhaupt auf der Uni oder überhaupt in der Schule, sondern wurde vielmehr von einem Rudel Wölfinnen gelehrt bis mir ein Bart wuchs und Sackhaare und dann musste ich zu den Ottern oder Flamingos übersiedeln, die alle eine Variation von Arethra hießen: Enethra, Aneetra, Anita, Enita, Evita, Elvira, Elvis und so weiter und vielleicht ist mein engster Bezugsflamingo Antje ums Leben gekommen, als sie mich vor einem Alligatorangriff rettete und ich musste vor Trauer vergehen und dann aus Scham abhauen.
Vielleicht ist das aber auch gar nicht passiert und ich bin von zwei liebevollen, aber normalen, sogar heterosexuellen Menschen, sogar genau von denjenigen, die mich auch erzeugt haben, aufgezogen worden und ich hab‘ nicht mal die Schule abgebrochen. Vielleicht hab ich sogar echt weirde Sachen gelernt in der Schule, Russisch zum Beispiel und bin jetzt ganz stolz drauf, dass ich weiß, dass Potemkin gar nicht Potemkin sondern Потёмкин (Potjomkin) heißt und das e inmitten von Potemkin nur ein Transkriptionsfehler ist. Da hätte ich die Schule auch abbrechen können, habe ich aber nicht, ich hab mir nicht mal die Haare gefärbt, geschweige denn selber, nicht mal ein Piercing hab ich gehabt oder einen gebrochenen Finger, nicht mal ein gebrochenes Herz. Okay, ja, das ist effektiv zu absurd.
Lest mich als Buch und reißt mich in Seiten, vielleicht bin ich gar nix davon. Vielleicht bin ich Manuel Neuer und gleichzeitig auch NICHT Manuel Neuer, vielleicht bin ich unheimlich gelangweilt, dass diese alte Werbung noch immer zitiert wird, vielleicht bin ich diese Werbung oder diese eine Kühlregalsüßigkeitenwerbung! Vielleicht bin ich sie alle sowie sämtliche Dinge, die bekannte Werbungen haben, die ich hier aufführen wollte, aber vielleicht hasse ich ja Werbungen so sehr, dass ich sie nicht mal in künstlerischer Entfremdung reproduzieren will. Auch wenn oder vielleicht vor allem deshalb, weil es für so scheiß viele Dinge Werbung zu machen gibt. Aber es gibt halt wirklich einfach auch andere Kühlregalsüßigkeiten.
In eurer Zusammensetzung der Zettel und Fetzen bin ich vielleicht chronically online, vielleicht bin ich ein meme (ich denke, wir nähern uns der Sache): so drake meme: oben kein Internet, unten Internet und voll fein damit und gar nicht belastet, oder doch Güterzugmeme auf dem Bus steht Katron oder was auch immer mein Name ist und auf dem Zug steht zu viel Internet genauer gesagt viel zu viele fucking Kurzvideos oder das Meme mit der Animefigur, die auf einen Schmetterling zeigt und darunter steht „is this noch gesund?“ und auf dem Schmetterling steht meine Bildschirmzeit oder vielleicht bin ich auch Mitglied der Amish und bin gar nicht im Internet, sondern einfach nur erstaunlich gut im mitteleuropäischer Durchschnittsmillennial-Cosplay, dafür, dass ich nicht im Internet bin.
Vielleicht mache ich auch selber Internet und habe zu diesem Zweck einen Podcast namens Gerösteter Brühwecker mit Max, Werner, Doris und Jürgen und dort reden wir über alles, was schön ist und uns nicht das Hirn zersetzt und durch diese liebe, kreative Tätigkeit heilen wir ein bisschen, weil wir uns mit jeder cuten Idee in unseren Podcaststüberln ein wenig selber finden wie in einem sehr kleinen Ort im Tiroler Oberland. Vielleicht ist dieser Podcast auch eine Kurzvideoserie oder eine Blueskycommunity oder ein Discordchannel oder ein Forum für Fanfiction oder eine Lesebühne oder eine Communityradiosendung und ich habe diesen Text fünf Minuten vor Beginn des Podcasts, der Kurzvideoserie, der Blueskycommunity, des Discordchannels, des Forums für Fanfiction, der Lesebühne oder der Communityradiosendung geschrieben, vielleicht improvisiere ich gerade darüber, was mir passiert ist und was nicht, was ich bin und was eben nicht,…
oder vielleicht habe ich mein Leben lang, all die 67 Jahre lang an diesem Text gesessen. Vielleicht reihe ich die Seiten gerade schon fein säuberlich in der „richtigen“ Reihenfolge vor euch auf, vielleicht trete ich auch in eure Stapel, denn es kann keine gute Zusammensetzung geben. Vielleicht sitze ich an einem Endgerät für Podcasts, Kurzvideoserien, Bluesky, Discord, Fanfictions oder Radiosendungen in einer mittelgroßen Stadt in Mitteleuropa und höre und sehe und lese einen Text, wie zum verstreute Seiten durchforsten und zum frenetisch zu einem sinnhaften Buch zusammensetzen, oder wie zum Zauberwürfel lösen oder wie zum Fehlersuchen im Quellenverzeichnis einer wissenschaftlichen Publikation oder wie zum durch eine Straße gehen und hinter den Fenstern flackert kein Licht, da schaut keiner fern, da sterben keine Pflanzen, auch wenn sie keiner gießt. Da ist meist nur eine Wand vorne und die schaut zutraulich und liest und liest und liest mich fort zur nächsten Wand und zur nächsten und zur nächsten Wand und zeigt mir die Straße, mit der sie mir die ganze Stadt erklären will, mit dieser Filmsetstraße mit von klapprigen Gerüsten getragenen Wänden gesäumte Straßen in einer mittelgroßen Stadt in Mitteleuropa, die es gar nicht gibt. Vielleicht lerne ich an diesen Wänden mehr über die Stadt als von denen, die zu einem vollständigen Gebäude gehören, das sogar unterkellert ist vielleicht, wo die Abgründe eingewext in der selbstgetischlerten Holzstellage vor sich hin fermentieren. Aber vielleicht will ich die Häuser gar nicht kennenlernen, vielleicht bin ich Katharina die Große und ihr seid Потёмкин (Potjomkin) und ich bin absolut zufrieden mit den Zettelstapeln, die ihr mir hingestellt habt und ich schlendere mit meinem Troß durch die hübschen Reihen und erfreue mich an der ästhetischen Glätte.
Aber hinter manchen Fenstern flackerts halt doch.
Lesevorschläge:
Bitte den/die Titel mitlese
Finde recht hohes Tempo ganz schön bei dem Text, das dann ab „was ich bin und was eben nicht…“ langsam rausgenommen wird für ein getragenes Ende.
Bei „Katron oder was auch immer mein Name ist“ kann Lesi deren eigenen Namen statt „Katron“ einfügen, bei Interesse.
Potjomkin muss nicht doppelt gelesen werden, Klammer nur als Aussprachehinweis, falls Lesi nicht kyrillisch lesen kann.

Katrin Rauch: wawiwië

vater mutter kind kegel haus hund
vater mutter kind kegel haus hund
vater mutter kind kegel haus hund

kater futter rind schlegel haut huhn
pater luther sind flegel chaos kund
vater mutter kind kegel haus hund

water kutter wind pegel raus rund
dater butter find wegel laus mund
vater mutter kind kegel haus hund

mater vutter grind egel graus schund
zater zutter zind zegel zaus zund
vater mutter kind kegel haus hund

lager gucker bim efe paut lund
 a e   u  e   i    e e   au   u
vater mutter kind kegel haus hund

wawe wuwwe wIw wewew wau wu
error error error error error error
vater mutter kind kegel haus hund
vater mutter kind kegel haus hund

https://archive.org/embed/k-rauch-wawiwie

Katrin Rauch: Der Musenanruf

ein versehen

ideen ohne ende
rinnen durch meine hände,
während ich nach worten suche
und die eine verfluche,
die zuständig wäre,
für jene kunst, die hehre,
die neben ruhm und ehre
erstmal eines verspricht:
ein hübsches gedicht.

wobei, „hübsch“ ist ja bekanntlich der kleine bruder von „nett“
und das die kleine schwester von … „nicht gut“
und das ist mir also wirklich auch nicht genug.
eine symphonie will ich schreiben, eine große
am besten in c-dur!
ja, aber das da, was ich bis jetzt hab da
das ist ja noch nicht mal ein lied
noch nicht mal ein ton und explizit
noch keine stocker, und auch kein fritz
und schlimmer als ein schlechter schmäh.
und überhaupt: c-dur, das ist doch auch nur französisch und bedeutet so viel wie c’est dur.

psst … du da!
du willst etwas großes schreiben, nicht wahr?
etwas mächtiges
etwas gewaltig beträchtliches
etwas, das tränen treibt
wenn einverleibt
das zwerchfell bald zum bersten neigt,
das beeindruckt
bis das bein drückt
bis aufstehen beim applaus unvermeidbar bleibt.

warte nicht länger,
denn für einen banger
ist jetzt die beste zeit,
da jene nun zur hilfe eilt,
die zuständig wäre
für jene kunst, die hehre,
die neben ruhm und ehre
erstmal eines verspricht.
entschuldige die verspätung, so bin ich eigentlich nicht.

ja, nice! ja, endlich!
jetzt wird mir auch verständlich,
dass die dauerfermate
auf deren fine ich warte,
nicht mein stumpfsinn bestellte.
es war die muse, die mir fehlte.

ja, dann! mal her mit den metaphern,
den anaphern, den trochäen,
immer her mit den chiasmen, den ellipsen,
den prolepsen und sarkasmen,
immer her mit kreuzreim, paarreim, stabreim
und hie und da ein ströphchen prosa.
nach bestem wissen und gewissen sag‘ ich:
schluss mit den verrissen, sag‘ ich:
schluss mit dem verhau!
auf zur derben putzung
der ungeputzten sau!

hä? was? bitte wie?
ja, bist du denn nicht die muse der poesie und der epischen dichtung?
nein, und du offenbar auch nicht der meister der liedkunst?
wer? schubert?
nein, dein onkel hubert, ja sicher franz schubert. …
du weißt nicht zufällig, wo der wohnt?
du, ich glaub, der ist tot…

nau geh, das ist jetzt dämlich.
der schubert, der hätt nämlich
eine große schreiben sollen
und ich hätt ja bleiben wollen,
doch beim ludwig hats auch zwickt.
jetzt bin ich doch dort pickt.
hm,… was für ein mist
so ein guter komponist
und ich hab’s einfach verpennt!
wirklich schade ums talent.

well,… du wirst es nicht gern hören,
doch der franz ließ sich nicht stören.
der hat die große schon geschrieben
neben siebentausend liedern
fünfzig opern, hundert messen
für chöre und orchester
fantasien für vier hände
symphonien mit und ohne ende
und das noch vor einunddreißig.

ja, soll das etwa heißen
der hat mich gar nicht gebraucht??
die ganze zeit hab‘ ich geglaubt
ich wäre völlig unentbehrlich.
ohne mich, wären wir ehrlich,
laufe gar nichts, was sich kunst nennt.
wenn dein werk nur durch den dunst rennt,
führte ich dich richtung lichtung!
ach … vergiss es, nicht mehr wichtig….

upps… [verlegenes lyrisches ich, kleine überlegepause]
ähm, du? muse?
ich hätt da so einen text
und es ist fast wie verhext
der klemmt mir hint‘ und vorn
und nervt mich ganz enorm
wenn ich denk dran wird mir übel
ich will ihn eigentlich längst kübeln
und den hut draufhauen,
aber vielleicht magst doch du mir da noch mal drüberschauen?

Katrin Rauch: Beichte

Ich letztens so: Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

und der Pfarrer so: Gott, der unser Herz erleuchtet, schenke dir wahre Erkenntnis deiner Sünden und seiner Barmherzigkeit. Amen.

und ich so: Ich bin nicht ganz so sicher, ob ich das richtig mache. Meine letzte Beichte ist schon ein bisschen aus… Aber ich glaube, man sagt sowas wie: Ich bekenne vor Gott, dass ich folgende Sünden begangen habe:

Ich habe mal bei einer Senftube in der Mitte draufgedrückt statt hinten. Ich habe mit der Knopfleiste der Decke beim Gesicht geschlafen. Ich habe einmal eine Tasse auf der unteren Ebene des Geschirrspülers einsortiert. Ich habe meine Unterhosen nicht gebügelt und den Bettbezug auch nicht und die Geschirrtücher. Ich habe erst nach dem Staubsaugen staubgewischt und meine Bücher nicht sortiert, nicht mal nach Farbe. Ich habe mehrere Tage in Folge komplett im Sitzen gearbeitet, obwohl mein Schreibtisch höhenverstellbar ist und hab Feierabend gemacht, bevor ich alle E-Mails beantwortet habe. Ich habe letztens beim Auflegen am Telefon auf WiederSEHEN gesagt, jemandem die Hand hingestreckt, während die andere Person zur Umarmung angesetzt hatte, jemanden nochmal nach dem Namen gefragt, obwohl die Person ihn mir schon genannt hatte. Ich habe auf den Geburtstag meiner Oma vergessen UND auf den des Hamsters meiner Cousine. Ich kann mir überhaupt ganz schlecht Geburtstage merken.

Ich habe länger als drei Minuten mit warmem Wasser geduscht und das Wasser beim Haare einseifen einfach laufen gelassen. Beim Geschirrspülen hab ich das Wasser einfach laufen lassen. Beim Händewaschen hab ich das Wasser einfach laufen lassen. Ich habe unlängst etwas in Plastik Eingeschweißtes gekauft, obwohl es das im Unverpacktladen auch gegeben hätte und hab vergessen, dass es nicht meine alleinige Verantwortung ist, das Klima zu retten. „Jeder Einkaufszettel ist auch ein Stimmzettel.“ Ich hab‘s letzten Samstag schon wieder nicht auf den Bauernmarkt geschafft und kann mir dort den Käse nicht mehr leisten.

Ich gebe mehr als 50% meines Einkommens für meinen Wohnraum aus. Ich bin finanziell vom Staat abhängig. Von meinem Einkommen geht keine Steuer ab, weil es zu wenig ist. Ich kann meine Kinder nicht auf die Sprachreise schicken, auf die die ganze Klasse fährt, und zum Abendessen gibt es s-Budget Steinofen Weckerln zum Fertigbacken und Wasser. Ab und zu gönnen wir uns einen Burger vom Mäci um 1,40. Ich habe einfach keine Zeit, frisch zu kochen.

Ich bin der ganze Twitter-Tread: „What’s considered trashy if you’re poor, but classy if you’re rich?“, die Kinder von jemandem anders großziehen lassen, ein richtig altes Auto fahren, tagsüber saufen, Junkfood essen, keinen Job haben, den Wohnort wechseln, weil woanders die Lebensbedingungen besser sind und die Antwort: „Im Grunde alles.“ Ein Kind sein, alt sein, ein Mann sein, eine Frau sein, keins von beiden.

Ich habe noch nie ein Schild gebastelt, auf dem ein lustiger Demospruch steht, wie zum Beispiel: „Nazis essen heimlich Döner!“, oder „Remigriert euch ins Knie!“, oder „Kein Sex für Nazis!“, oder „Mehr Geschichtsunterricht für Nazis!“, oder „Lebe stets so, dass die FPÖ etwas dagegen hat.“ oder „Ich bin so wütend, ich hab sogar ein Schild gebastelt!“. Ich war zu wenig wütend, um ein lustiges Schild zu basteln. Alter, ich war zu wenig wütend, um überhaupt ein Schild zu basteln. Ich fühle mich offenbar zu wenig betroffen von der Aushöhlung des Sozialstaats, von der klaffenden Vermögensverteilung, von der neoliberalen Leistungslüge, von Heterosexismus und Patriarchat, von Hate Speech und Hetze. Ich bin nicht betroffen von Armut oder rassistischen Deportationsfantasien, aber damit ich mir nicht ganz so privilegiert vorkommen muss, habe ich letztens nachgerechnet, ob ich zur Mittelschicht gehöre und war zufrieden, als untere Mittelschicht das Ergebnis war.

Ach ja, und fast vergessen: Ich bin aus der Kirche ausgetreten.

Das sind meine Sünden. Es tut mir von Herzen leid, dass ich Gott beleidigt habe, i guess…

und der Pfarrer so: Im Namen Jesu: Ich spreche dich los von deinen Sünden im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Jetzt kannst du in Frieden gehen. Amen.

Katrin Rauch: 42 verse zur lage der g-fläche

luft dunkler nebelsache
begreifen was da ist
liegt streicht schwebt
sich räkelt um die taille
nasses knistern verteilt
mit küssen geflissentlich beträufelt
das auge blitzt begehren umher
der blick flickt zusammen
was aus nähe nur vereinzelt
schichtet wangen in handflächen
und finger in den nacken
ins haar gleiten fassen
schwimmen strähnen
le lobe de l’oreille comme l’aube
le soleil a la veille de s’lever
chère chair de poule
moulée sur ton souffle
zungenspitzen in taillentälern
über schlüsselbeine ziehen
die hüfte erhebt sich
süße hügel zu bewandern
sanfter wellengang

wen interessiert schon das rohe
das pimmelgelutsche das unempfindliche
wenn ich dein aufbäumen gegen
brachiale mythen haben kann
wie das jungernhäutchen
das es auch noch zu verletzen gelte
wer sich diesen schmarrn schon wieder ausgedacht hat
kann kein glücklicher mensch sein
wer sich das mit dem stecker in der steckdose
mit dem bleistift im spitzer
mit dem braten in der röhre
mit dem würschtel im apple pie
hat noch nie ein gefühl
und noch seltener eine fähige hand gehabt

luft dunkler nebelsache
zerfließe in strömen bitte
tauche meine handrücken
fest neben meinen ohren
in das weiche heiße rauschen
die wogen zu plätten.

Katrin Rauch: We can always tell

Körper sind Spektren.
An manchen ist Speck dran,
an manchen Spinat,
Gewürze, Glutamat.
Gekocht und gebraten,
roh in Salaten,
mit Zimt und Zucker,
Butter und Panad‘,
und biologisches Geschlecht ist ein witziger Serviervorschlag.

Was du bist, ist ein Körper, leblose Materie, ein Zellhaufen, ein gewaltiger, zu gewaltig, wenn du mich fragst, da könnten schon ein paar Zentimeter weg hier und da, und dort ein paar dazu, das mundet dem Auge besser, das macht dich verständlich und einordenbar, denn das da,… das hat da ja eigentlich gar nichts zu suchen, denn …

We can always tell! Ich sag‘s mal so: Dein Körper ist eine Box und du ragst halt leider aus deiner heraus, denn …

We can always tell! 1. Nein. 2. Ähm, du, also, ähm, du hast da so einen, also, wie soll ich sagen, also … du hast einen Damenbart.

We can always tell! 1. Nein. 2. Hawara, das ist kein Damenbart, das ist ein Bad-Ass-Bitch-Bart.

We can always tell! 1. Nein. 2. Ich habe einen Körper und der wird mich verraten. Mein Körper wird dir sagen, ob das auch ja zusammenpasst, was du über mich annehmen magst.

Ich kann in einer Gruppe Cis-Dudes sitzen, drei davon haben längere Haare als ich, wir haben alle ähnliche Kleidung an, wir trinken alle dasselbe Getränk, sitzen alle gleich da, einer hat lackierte Fingernägel und ich bin ja eigentlich eh froh, deiner Trinkanimation zu entgehen, aber bitteschön 1. nicht mit den Worten „Du bist a Frau, du darfst aussetzen.“ und 2. werden meine Freunde trotzdem dazu genötigt, sich noch drei Stamperl in ihre maskulinen Münder an ihren maskulinen Stimmbändern vorbei in ihre maskulinen Mägen zu ballern, denn ihre maskulinen Lebern sind ja für sowas gemacht.

We can always tell! 1. Nein. 2. Ich habe einen Körper und der ist müde. Ich kann mich drehen und wenden, anders stehen, verändern, mit Füßen und Händen rudern und kentern, solange ich nicht an mir herumschnipseln lasse oder Substanzen zu mir nehme – und das kann man ja wollen, aber ich will es aber nicht wollen müssen – wird das erste, was Leute über mich glauben zu wissen, sein, dass … ja, was überhaupt …

We can always tell! 1. Nein. 2. Wofür? Was hast du davon? Was willst du mit diesem Halbwissen anfangen, wenn du nicht meine Ärztin bist? Dass mein Körper wenig bis gar nichts mit meinen Lebensgewohnheiten zu tun haben muss, es sei denn, jemand zwingt mich dazu, ist hoffentlich inzwischen bei halbwegs allen angekommen, also was willst du mir damit sagen?

We can always tell! 1. Nein. 2. Es ist wirklich nicht meine Schuld, dass ihr die Boxen so klein macht, dass kaum jemand reinpasst.

We can always tell! 1. Nein, das könnt ihr nicht 2. Ich weiß, dass die nun folgende Ausführung kein zielführendes oder diskursfreundliches Argument darstellt, aber haltet doch einfach die Fresse!

We can al [unterbrochen durch ein:] schschschsch…

Liebe Cis-Typen mit feinen Gesichtszügen,
Liebe Buben mit Manboobs,
Liebe Siegfrieds unter 1,70,
Liebe Ingrids über 1,70,
Liebe Damen, die mehr Bart als ihre Brüder haben,
Liebe Homofrauen mit Monobrauen,
Liebe Gören mit Girldicks,
Liebe men-struierenden Männer,
Liebe Mannsweiber, Zniachtl und verhunzte Burschen,
Liebe Kings mit kleinen Knien,
Liebe Queens mit kantigem Kinn,
Liebe Non-Binary-Dynasty,

Körper sind Spektren.
An manchen ist Speck dran,
an manchen Spinat,
Gewürze, Glutamat.
Gekocht und gebraten,
roh in Salaten,
mit Zimt und Zucker,
Butter und Panad‘.
und biologisches Geschlecht ist ein witziger Serviervorschlag.

So ein Rezept aus den USA, bei dem die Mengen nie stimmen und die halben Zutaten nicht erhältlich sind:
– „Oh, nein, zu dumm aber auch, da müssen wir wohl umdisponieren.“
– „Ach, scheiß‘ aufs Rezept, wir improvisieren.“