Katrin Rauch: Beichte

Ich letztens so: Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

und der Pfarrer so: Gott, der unser Herz erleuchtet, schenke dir wahre Erkenntnis deiner Sünden und seiner Barmherzigkeit. Amen.

und ich so: Ich bin nicht ganz so sicher, ob ich das richtig mache. Meine letzte Beichte ist schon ein bisschen aus… Aber ich glaube, man sagt sowas wie: Ich bekenne vor Gott, dass ich folgende Sünden begangen habe:

Ich habe mal bei einer Senftube in der Mitte draufgedrückt statt hinten. Ich habe mit der Knopfleiste der Decke beim Gesicht geschlafen. Ich habe einmal eine Tasse auf der unteren Ebene des Geschirrspülers einsortiert. Ich habe meine Unterhosen nicht gebügelt und den Bettbezug auch nicht und die Geschirrtücher. Ich habe erst nach dem Staubsaugen staubgewischt und meine Bücher nicht sortiert, nicht mal nach Farbe. Ich habe mehrere Tage in Folge komplett im Sitzen gearbeitet, obwohl mein Schreibtisch höhenverstellbar ist und hab Feierabend gemacht, bevor ich alle E-Mails beantwortet habe. Ich habe letztens beim Auflegen am Telefon auf WiederSEHEN gesagt, jemandem die Hand hingestreckt, während die andere Person zur Umarmung angesetzt hatte, jemanden nochmal nach dem Namen gefragt, obwohl die Person ihn mir schon genannt hatte. Ich habe auf den Geburtstag meiner Oma vergessen UND auf den des Hamsters meiner Cousine. Ich kann mir überhaupt ganz schlecht Geburtstage merken.

Ich habe länger als drei Minuten mit warmem Wasser geduscht und das Wasser beim Haare einseifen einfach laufen gelassen. Beim Geschirrspülen hab ich das Wasser einfach laufen lassen. Beim Händewaschen hab ich das Wasser einfach laufen lassen. Ich habe unlängst etwas in Plastik Eingeschweißtes gekauft, obwohl es das im Unverpacktladen auch gegeben hätte und hab vergessen, dass es nicht meine alleinige Verantwortung ist, das Klima zu retten. „Jeder Einkaufszettel ist auch ein Stimmzettel.“ Ich hab‘s letzten Samstag schon wieder nicht auf den Bauernmarkt geschafft und kann mir dort den Käse nicht mehr leisten.

Ich gebe mehr als 50% meines Einkommens für meinen Wohnraum aus. Ich bin finanziell vom Staat abhängig. Von meinem Einkommen geht keine Steuer ab, weil es zu wenig ist. Ich kann meine Kinder nicht auf die Sprachreise schicken, auf die die ganze Klasse fährt, und zum Abendessen gibt es s-Budget Steinofen Weckerln zum Fertigbacken und Wasser. Ab und zu gönnen wir uns einen Burger vom Mäci um 1,40. Ich habe einfach keine Zeit, frisch zu kochen.

Ich bin der ganze Twitter-Tread: „What’s considered trashy if you’re poor, but classy if you’re rich?“, die Kinder von jemandem anders großziehen lassen, ein richtig altes Auto fahren, tagsüber saufen, Junkfood essen, keinen Job haben, den Wohnort wechseln, weil woanders die Lebensbedingungen besser sind und die Antwort: „Im Grunde alles.“ Ein Kind sein, alt sein, ein Mann sein, eine Frau sein, keins von beiden.

Ich habe noch nie ein Schild gebastelt, auf dem ein lustiger Demospruch steht, wie zum Beispiel: „Nazis essen heimlich Döner!“, oder „Remigriert euch ins Knie!“, oder „Kein Sex für Nazis!“, oder „Mehr Geschichtsunterricht für Nazis!“, oder „Lebe stets so, dass die FPÖ etwas dagegen hat.“ oder „Ich bin so wütend, ich hab sogar ein Schild gebastelt!“. Ich war zu wenig wütend, um ein lustiges Schild zu basteln. Alter, ich war zu wenig wütend, um überhaupt ein Schild zu basteln. Ich fühle mich offenbar zu wenig betroffen von der Aushöhlung des Sozialstaats, von der klaffenden Vermögensverteilung, von der neoliberalen Leistungslüge, von Heterosexismus und Patriarchat, von Hate Speech und Hetze. Ich bin nicht betroffen von Armut oder rassistischen Deportationsfantasien, aber damit ich mir nicht ganz so privilegiert vorkommen muss, habe ich letztens nachgerechnet, ob ich zur Mittelschicht gehöre und war zufrieden, als untere Mittelschicht das Ergebnis war.

Ach ja, und fast vergessen: Ich bin aus der Kirche ausgetreten.

Das sind meine Sünden. Es tut mir von Herzen leid, dass ich Gott beleidigt habe, i guess…

und der Pfarrer so: Im Namen Jesu: Ich spreche dich los von deinen Sünden im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Jetzt kannst du in Frieden gehen. Amen.

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