Wir standen unter dem großen Thermometer, das einer Siegessäule gleichend wie in jeder anderen Stadt auf der Erde mitten auf dem Marktplatz errichtet war.
Ein Raunen ging durch die Menge, als der Bürgermeister endlich anfing, rückwärts zu
zählen. Die Menschen hatten stundenlang, tagelang geduldig in der schattenlosen Hitze ausgeharrt, splitternackt, schweißüberströmt, Tücher und Schirme über die Köpfe haltend.
»Zehn, neun, acht«, klirrte die Stimme aus dem blechernen Trichter.
Die Spannung wurde unerträglich, der Menschengestank gerann zu Flocken wie Milch wenn du Zitronensaft hinein tropfst. Sogar die Mücken, die wie eine graue Wolke über dem Platz schwebten, schienen den Atem anzuhalten.
»Drei, zwei, eins…«
Dann war es soweit. Die rote Flüssigkeit, die in dem gläsernen Zylinder mehrere
Stockwerke hoch stand, fing an zu flimmern.
Die obere Kante, die auf der Skala bis zur 55-Gradmarke reichte, wackelte. Dann sank zum ersten Mal seit Jahrzehnten die Temperatur.
Der Trick, den sich die Wissenschaftler in letzter Sekunde ausgedacht hatten, funktionierte: die Welt war gerettet.
Wir brüllen und tanzten, schrien, lachten, sprangen und weinten.
Freude grenzenlos, Ekstase total.
Nach einer Viertelstunde sagte dann der erste: »Mir wird’s langsam zu kalt.«
Kategorie: Prosa
Andreas Lugauer: Schme(c)kstase
Schme(c)kstase – erstaunlich, dass uns die Lebensmittelreklame noch nicht mit diesem Begriff traktiert hat. Wie man es auch in die Internetsuchmaschine eingibt – ob mit k oder mit ck
–, es werden keinerlei Treffer angezeigt. Dabei wäre es ein so schönes Kofferwort, beziehungsweise, wie sich die Werbedeppen frech bei der Linguistik abgeschaut haben: ein so schönes Portmanteau aus »schmeck« und »Ekstase«. Wie zielgruppenpassgenau könnte man der Multiplexkinogesellschaft entgegenjodeln:
»Schme(c)kstase – schlemm’ Dich in Verzückung!«,
oder schamlos nicht nur vorne, sondern auch hinten den religiösen Ausnahmezustand zitierend schalmeien:
»Schme(c)kstase – die Geschmacksoffenbarung!«,
oder die Leute auf die übliche Tour granatendumm bombardieren mit:
»Schme(c)kstase – erlebe die Schme(c)ksplosion auf der Zunge!«
Wobei es, die Internetsuchmaschine präsentiert es stolz, die »Schmecksplosion« leider schon gibt oder gab oder was, wenngleich nur als Kinderkochsendung im Kinderkanal KiKA. Anders als die Schme(c)kstase wäre die Schmecksplosion für Lebensmittelreklame jedoch auch kaum empfehlenswert, assoziiert doch die eine oder andere womöglich mit Explosionen im Mundraum gleich Mord-, wo nicht Terroranschläge; was der Armen nicht einmal bewusst sein müsste, sie dennoch zum Konkurrenzprodukt greifen ließe.
Dass es die Schme(c)kstase noch nicht gibt, es ist eigentlich ein kleiner Grund zur Freude. Denn womit werden einigermaßen empfindsame Gemüter von der Reklameindustrie nicht alles gemartert: Zu den Verursachern neuerlicher Höhe- beziehungsweise Tiefpunkte zählen die Berliner Umweltinitiative »Trenntstadt Berlin« und der Eisteefabrikant Lipton.
Die Initiative »Trenntstadt Berlin« kümmert sich um, das heißt, richtiger: wirbt für Mülltrennung und warf dafür die Aufforderung »trennt« sowie die ganze »Trendstadt Berlin« in den Müllverbrennungsofen, um aus dem lavazähen Gewalke ganz unten die Verschmelzschmarrung »Trenntstadt Berlin« herauszuharkeln. Man möchte, mit einer solchen Spottgeburt von Wortupcycelung konfrontiert, sofort im Garten zum Fleiß seinen Stapel alter Autoreifen verbrennen oder – dem Internetmeme »Throwing Your Old Car Batteries into the Ocean« folgend – seine alten Autobatterien ins Meer schmeißen.
Jetzt mag eins einwenden und erwidern und einwerfeln: »Jamei, dann ist das halt ein gewollt-gewitzigter Name – aber die Kampagne als solche ist doch prima, also was soll’s!« Woraufhin man dann den Facebookauftritt der Kampagne aufsucht und sich recht bald folgendem Bild gegenübersieht: Ein hipper Kerl im lilafarbenen T-Shirt sitzt Zeitung lesend – er liest freilich die »TrenntZeitung« – auf einem Abort. Seine Jeans ist, dem Anlass angemessen, heruntergelassen, seinen Schritt verdeckt die Zeitung, die weiße Unterhose aber blitzt unter dem untersten T-Shirtrand hervor – erst daran merkt man, dass der heruntergelassenen Hose keine wiederum Unterhose aufliegt. Ein Bildbeschiss, von dem jedoch der große Haufen leerer Klopapierrollen links neben dem Protagonisten abzulenken trachtet – der Haufen türmt sich nämlich bis zur Höhe der Brustwarzen des Defäkierenden (ein gutes Wort für Kot ist übrigens Dejekt – denkt daran, wenn ihr am Kassettenrekorder wieder auf »Eject« respektive »eject« drückt), und stellenweise ragt er, der Klopapierrollenhaufen, auch empor zu des – pardon my french, aber jetzt wird alliteriert: empor zu des Scheißers Schultern. Rechts unten im Bild wurde ein Textkasten affichiert. (»affichieren« habe ich in anderem Zusammenhang bei Adorno gelesen und bedeutet ›ein Plakat ankleben, befestigen‹.) In dem Textkasten steht wortspielelnd-gewitzt: »Wir brauchen ein neues Rollenverhalten.« Haha, wegen Klorollen und des Dejektors Verbrauch hehe. Und weiters steht die Aufforderung: »Trenne Papier und Pappe in der Papiertonne.« Freunde, scheltet mich einen Barbaren, aber ich sage: Es ist den Zellstoffverwertern wurscht, ob Papier und Pappe in der Papiertonne getrennt, beieinander, nebeneinander oder sogar durcheinander liegen. Und sakrament, lest’s euch halt euren Schamott halt noch einmal durch, bevor ihr ihn plakateweise in der Gegend herumaffichiert. Und sage niemand, es sei ja gar nicht so gemeint gewesen oder immerhin nur fast oder wie.
Der Eisteefabrikant Lipton hinwiederum macht sich schuldig, indem er auf die Plastikbanderole seiner 1,5-Liter-PET-Flaschen neuerdings »Aufdrehen & Loserleben!« draufdruckt. Ob es bei der Firma jemandem aufgefallen ist, dass mit dem notabene und verkehrterweise großgeschriebenen »Loserleben« auch das Loser-Leben dortsteht – es ist vor der Tatsache, dass die Reklameindustrie allen Ernstes bei der gleißenden Granatenidiotie »los-erleben« angekommen ist, fast auch schon wieder wurscht. Von welcher Seite man es auch betrachtet: Mich erfüllt das nur mit heißer Trauer und stummer Wut.
Herrmann Asien: Kalle ist nur einmal im Jahr
Holger steht vor dem Terminal C des Flughafen Tegel. In seiner rechten Hand der verlängerte Arm seines Rollkoffers. In der anderen die Hand seines Freundes Kalle, der einen großen Reiserucksack schultert. Kalle blinzelt wild mit den Augen. Speichel tropft aus seinem Mundwinkel auf die wetterfeste Gore-Tex-Jacke. Sie spannt sich wie ein Zelt über seinem enormen Kugelbauch.
“Wie wir das besprochen haben: Du gehst, wenn ich gehe, du stehst, wenn ich stehe, du lässt meine Hand nicht los.”
Kalle muss cool bleiben. Er ist eigentlich recht klar im Kopf, nur die Menschen machen ihn wirr. Zu viele sind es hier. Sie warten an den Eingängen, sie stehen vor den Geschäften, schlängeln sich vor den Schaltern und drängen sich auf den Toiletten. Und dazwischen die Polizisten mit ihren lackierten Maschinengewehren. Kalle muss da einfach hingucken. Holger hat Mühe, seinen schweren Freund auf Kurs zu halten. Er nickt den Polizisten zu, die meist zu zweit an den Biegungen stehen. Die Polizisten denken, dass Kalle behindert ist und nicken deshalb freundlich zurück.
Kalle ist einfach sehr weich heute. Er ist von Kopf bis Fuß auf Reise eingestellt. Vorhin im Zug, als die Unruhe trotz Xeplion, dass Holger ihm erst am Morgen gespritzt hatte, nicht mehr auszuhalten war, hatte Kalle noch eine Benzodiazepin nachgeschoben. Die lässt jetzt seinen Mund leicht offenstehen und knipst das Krokodilgehirn an. Kalle sieht die Maschinengewehre matt glänzen wie Haribo-Lackritzschnecken. Er möchte hineinbeißen. Vor dem Zeitungsladen bleibt er so abrupt stehen, dass Holger ins Stolpern gerät.
“Mensch Kalle, du gehst, wenn ich gehe!”
Kalle murmelt ein dumpfes “Tschuldige” zwischen seinen trockenen Lippen heraus; es rollt aus seinem Mund wie ein Wollknäuel. Regentropfen aus Schweiß sammeln sich auf seiner Stirn. Kalle stöhnt und japst und im offenen Gang zwischen Terminal C und D weht ein so kühler Wind, dass ihm ganz kalt wird im Kopf. Am liebsten würde er sich jetzt hinsetzen, aber Holger zieht mit aller Kraft voraus. Kalle konzentriert sich auf jeden einzelnen Schritt und zählt dabei die Fliesenkacheln, die unter seinen Füßen nachzugeben scheinen. Viel zu häufig tritt er über die Fugen hinaus; Zeit sich darüber zu ärgern, bleibt ihm nicht. Aus den Lautsprechern schallt eine lärmende Frauenstimme, die auch Holger nicht verstehen kann. Irgendjemand verpasst seinen Flug. Eine sechsköpfige Familie verperrt ihnen den Weg; alle haben mit ihren eigenen Gedanken zu tun und Kalles Beine fühlen sich an wie Kartoffelbrei.
Vor der Sicherheitskontrolle wird Kalles Kopf ganz dick. Er schwillt von innen an, drückt gegen die Stirn, quetscht sich an die Backenknochen vorbei, quillt ihm aus der Nase. Kalle bekommt den Reißverschluss seiner Gore-Tex-Jacke nicht auf, dabei soll er sie doch auf das Fließband legen. Der Rucksack ist schon durchleuchtet und wartet auf der anderen Seite. Gleich berstet Kalles Kopf, er kann es schon spüren, es knirscht zwischen den Blumenkohlohren, gleich platzt er auf wie eine zusammengeprügelte Piňata. Holger hilft, so gut er kann, aber Kalles Riesenhände krampfen sich fest, er kommt nicht dagegen an. Da ist nichts zu machen. Als Kalle den Reißverschluss endlich aufbekommt, stöhnt er so tief und laut, dass sich auch die Leute in der Schlange gegenüber nach ihm umdrehen. Er hört nicht, was Holger zu ihm sagt, er versteht auch die Sätze der Securitas-Leiharbeiterin nicht, die auf ihn einredet, er sieht nur, dass sich ihre Lippen bewegen und dass ihre schwarzen Schuhe glänzen. Nicht wie Lakritz, sondern wie eine kalte Bierdose von 5,0. Kalle nimmt alles zugleich wahr: Das Fließband, dass sich links neben ihm bewegt, das Piepen der Metalldetektoren, die Fugen zwischen den Bodenfliesen. Das Knistern der Stille.
Gleich knallt es.
Aber zuerst muss er mit seinem roten Zementballon, der auf seinen Schultern schwankt, auf die andere Seite gelangen. Kalle überlegt, ihn einfach hinüber zu werfen, über die Sicherheitsleute drüber, über den Metalldetektor bis in den Duty Free Bereich zu den Parfüms und der Schokolade.
Holger fasst ihm von hinten mit beiden Händen an die Schultern. Das gibt ihm einen Schub. Kalles Elefantenbeine stampfen vorwärts. “Immer geradeaus”, hört er Holger sagen, der zwar hinter ihm steht, aber doch ganz weit weg ist.
Die Securitasangestellten sind sehr nachsichtig. Kalle darf sogar seine Schuhe anbehalten, bevor er durch das Stargate schreitet. Während der persönlichen Kontrolle macht die Sicherheitsfrau Witze, als stünde ein kleines Kind vor ihr und kein einsneunzig Goliath samt seiner hundertdreißig Kilo. Kalle will lachen, doch er schnaubt nur laut durch die Nase und sprüht kalte Schweißtropfen auf ihren dunkelblauen Dienstpullover. Als Holger den platschnassen Kalle wieder vollgepackt hat, grummelt er sich dunkel durch den Duty Free Bereich. Geschafft, denkt Holger. Er sieht seinen Riesen langsam durch das Schlaraffenland wanken.
“Scheiß drauf!”, sagt Holger laut, er singt es fast und die Leute drehen sich nach ihm um. “Scheiß drauf!”, ruft er erneut, lauter dieses Mal. Die Worte dringen in ihrer Bedeutung nicht durch Kalles Wattemauer, aber ihr Singsang tut es. Kalleparty im Schädel, Bühnenbeleuchtung, Arm in Arm mit fremden Menschen. Alle kennen die Texte. Kalle bleibt stehen. Jetzt lächelt er.
Es gibt einen Riesenknall.
“Scheiß drauf!”, donnert es durch den Duty Free. Ein Erdbeben von Jil Sander bis Toblerone. In Kalles Kopf tanzen die Neuronen nur einmal im Jahr. Scheiß drauf.
Carolin Wabra: Ekstase
Die Leere erfüllt meinen Körper.
Nimmt Besitz, alle Serotonine verbraucht, hinausgeschossen ins ewige Licht, in Dunkelheit, ins Strobolicht.
Wochenenden in Hellgrau glitzernd, bunte Murmeln umherrollend im Schatten, in dir, in mir.
Heute alles leer, gestern alle voll.
Abstürze tief.
Haltestelle verpasst, der Zug fährt weiter, vielleicht immer weiter, egal wohin, einfach weg, raus fort.
Warum wohin.
Rien ne va plus and so on.
Brigitte Hallbauer: Pfeifen und gucken
…Pfeifen und gucken. Pfeifen und gucken. Pfeifen und gucken. Pfeifen und gucken. Schreibt man gucken groß? Egal. Pfeifen und gucken. Pfeifen und gucken. Und immer tiefer: Pfeifen und gucken, ganz entspannt, beim Pfeifen und Gucken, ganz ruhig. Gucken mit G nicht K. G ist entspannt.
Briefkasten gucken und pfeifen oh je, ganz ruhig der Briefkasten, ebenfalls ganz entspannt im Hier und Jetzt der Briefkasten wird leer, ganz leer, nix ist drin außer Pfeifen und gucken mit G wie Gummi, noch ein bisschen tiefer, jaaa, Pfeifen und Gucken, Pfeifen die Elster und Gucken wie Hans in den Briefkasten gucken die Elster.
Jetzt reichts aber gucken, fragt jemand, ganz da, pfeifen gucken Briefkasten, im Hier und jetzt, tiiiief einatmen und wieder aus. Die ganzen Geschichten ausatmen und dann wieder pfeifen, gucken, pfeifen, Teekessel, Lokomotive, Alarmanlage, Guck! Guck! Was noch pfeift. Der Star die Elster, die Lunge oh Gott, guck nicht! Der Briefkasten! An der Straßenecke steht er und guckt tiief hinab in den Abgrund der Städte, worin die Elstern … pfeifen … Orgelpfeifen… es gucken die Geister von den Friedhöfen.
Straßenecke! Was guckt der Geist und pfeift, Herrgott pfeift. Ich bin ganz ruhig und guck wie es pfeift, so Straaaßenecke wo man gucken und pfeifen kann, wenn man steht, haha. Die Harfe hat viele Seiten an den Straßenecken des Himmels, guck, die Pfeifen! Herrgott hören Sie auf zu pfeifen und gucken Sie nicht so blöd, ich bin kein Schlachtvieh!
Ach, das ganze Backwerk an den Straßenecken mein Herz! mein Herz! Es stolpert und fällt, du musst wieder aufstehen, das Ding, die Runde, mein Herz. Pfeift und guckt dumm aus der Wäsche an der Straaßenecke und auch die scharfen Kanten, die es hat, autsch! Da bröckeln die Straßenecken am Herz, mein Herz, mein Herz, ein Arzt! Mein Herz, mein Herz, mein Herz! Verloren! Pfeift… guckt… ein Loch drin… OH GOTT!
Esther Gleuwitz: Rauch, Staub und Niesel
Zunächst fand ich es gar nicht so toll. Wenn auch erfreulich und besser als nichts. Es war nicht sonderlich groß. Freundlich und leicht ölig, eine Spur reserviert vielleicht. Nach einiger wacher Betrachtung meinerseits jedoch entwickelte sich schleichend eine vom oberen Bauch aufsteigende flatternde Leichtigkeit, die in eine kleine Welle floss, mit einem Mal von innen gegen den Brustkorb klatschte und sprudelnd Richtung Stirn schwappte. Wie angewurzelt blieb ich stehen, während mein schneller Atem ein Kribbeln durch den gesamten Körper pumpte. Die Fingerspitzen begannen zu pochen und unter der Bauchdecke drückte sich fiebrige Unruhe nach außen. Drängte immer stärker in alle Richtungen. Und so zerbarst ich schließlich und vollkommen. In kleine und in große Teile. In Rauch, Staub und Niesel. Krachte in einer großen Druckwelle durch Gemäuer und Glas. Irgendwann kamen die feinen Partikel zur Ruhe und legten sich als dünne Schicht über die Reste. Wenn ich das geahnt hätte, hätte ich dir vorher deine Sachen zurückgegeben und zumindest nochmal tschüss gesagt.
Matt S. Bakausky: Techno, Sauerstoff und Softpornos
Ja irgendwann ist man mitten drin in der Ekstase. Wie das eine Mal als ich im Stadtpark chillte, leicht hypomanisch drauf. Hypomanie ist die Vorstufe der Manie. Sehr verbreitet in den USA, da viele der ersten Einwanderer verrückt genug waren, um eine lange, risikovolle Reise auf sich zu nehmen. In der Hypomanie ist man sehr selbstbewusst, gut gelaunt, risikobereit, kann aber noch klarer denken als in einer voll ausgewachsenen Manie. Auf jeden Fall war ich da auf einer der blauen Liegen aus Metall am Stadtparksee gelegen und lauschte der Musik vom Parkcafe. Ich trug eine Sonnenbrille obwohl Nacht war. Irgendwann bekam ich Lust ins Parkcafe zu gehen. Da war irgend so eine Softporno meets Techno Veranstaltung. Ich ging also selbst bewusst auf die Türsteher zu und der Alpha meinte, dass ich ihm zu cool wäre mit der Sonnenbrille. Da nahm ich die Brille ab, schaute ihm in die Augen. Er meinte: Schon besser. Ich fragte ob es keine Möglichkeit gäbe, dass ich heute reinkomme. Ich trug eine Lederjacke und ein T-Shirt names Kleberuniversum, dessen Abbildung wie Spermaflecken aussah. Dazu eine enge schwarze Jeans. Er schaute mich an und meinte: Pack die Sonnenbrille in die Hosentasche und du kannst rein. Und so kam ich auf diese Party namens Club Bizzarre. Innen schaute ich mich erstmal um. Geil aussehende Menschen überall und ich war mitten drin. Ich ging auf Toilette und machte erstmal Atemübungen – eigentlich zum Relaxen – doch irgendwann geriet ich in Ekstase. High vom Sauerstoff. Ich ging raus, strahlend und die Leute wichen mir aus. Der Barkeeper kam sofort zu mir und nahm die Bestellung eines Red Bulls auf. Das Portmonee hielt ich zitternd in der Hand und der Barmann musste die Münzen selbst rausnehmen. Ich stand unter Strom. Ich ging in den leereren Bereich mit vielen Sitzgelegenheiten und auf dem Weg dahin fasste mir jemand an den Hintern. So eine Party war das. Auf einem sehr bequemen Sofa setzte ich die Atemübungen fort, weiterhin weit weit oben. Über mir gegenüber waren Fernseher mit Softpornos. Die betrachtete ich ein wenig zum reinhauenden Technobeat. Während ich da so offen in Ekstase grinsend da saß beobachtete mich eine hübsche Frau. Ich hatte kein Interesse sie anzusprechen, war mein Zustand doch schon hoch genug. Sie beobachtete mich weiter, traute sich wohl nicht. Da kam eine Frau mit Cowboyhut und setzte sich zu mir. Sie sah gut aus, sagte Hallo und ich fragte sie was sie sucht. Sie sagte wie Frauen nun mal sind: Ich suche meine Freunde. Ich lachte. Irgendwann am nächsten Morgen genoß ich weiterhin die Ekstase und fragte mich wie lange sie anhalten würde. Für ein paar Tage blieb sie, die Hypomanie blieb noch einige Wochen und schwenkte dann um. Was bleibt sind schöne Erinnerungen und eine Geschichte, die ich dir erzählen kann.
Natalia Breininger: Echo
Ἠχώ (Echo)
Noch bist du nicht fort, aus meinen Träumen, noch hallt die Stimme, erscheint das Gesicht, der Weg, wir unter den Bäumen der Alleen, auf verschiedenen Seiten des Flusses schlafend, ein paar Straßen voneinander entfernt, im Herbst, im Taxi, erst murmelnd, dann ein wenig still, zwischen Schachpartie und Schwarzem Meer, während der Wagen rollt, in der Nacht, schließlich wird es ein Patt, und du wirst dich durch meine Träume ziehen, sporadisch, nicht viel sagen, aber da wird etwas sein, eine Umarmung wie immer, ein Abschied, und ich, zwischen den Gleisen, Rolltreppen, Dunst und Waggons, die Biegung der Pferde, wie die der Bahn, ein uneingelöstes Wiedersehen – in deinem meinem Blick.
08 / 01 / 2019
Da ist noch das Bier zwischen uns, und der Stuhl, und die Stimmen der anderen, die vorbeirauschen, wie Autos, es regnet, das Theater knurrt, hier war mal was, hier spielten andere Stücke, wir reden über Weinl und dir flirrt immer noch die Angst in den Augen, ich stelle mir vor, wie du durchs Fenster türmst oder über das Parterre, was an mir mag es wohl sein, dass dich in die Flucht treibt und immer wieder zum Anschauen zwingt, – und doch – trink noch eins, bleib noch für ein halbes Stündchen, sagst du, Etappen der Scheu – wovor? – mit einem Lächeln dazwischen, im Laub sitzt die Hoffnung vergraben und raschelt, morst, dass es … sie noch gibt, dass es noch blühen muss, atmen, aus dem Versteck heraus, und der Einsatz auf Glück auch mal gewinnen, statt nur zu verlieren, wir zünden die Stille an mit Blicken, und ich locke dich wie einen Straßenhund aus der Reserve – weißt du Frisch und Pasternaks Schiwago und Hemingways Mann am Meer – ein wenig Vertrauen, ein wenig … bevor es schneit, und dann der Schnee schmilzt, und alles vorüberzieht, und wird wie immer … leuchtet das Nikotin am Ende unserer Münder auf, in der satten Dunkelheit der Straßen, ich hebe die Hand zum Abschiedsgruß an in der Bahn, mit einer Nasenspitze voll Regen, und rolle davon, der Nacht entgegen.
26 / 10 / 2018
Anna Hofmann: Etwas
Immer wieder sehe ich auf den Tankstand und vergewissere mich, ob genügend Sprit bleibt. Seit eineinhalb Stunden lenke ich das Auto über eine völlig unbefahrene Straße, es verändert sich nichts an der Kulisse um die Windschutzscheibe. Bäume ziehen groß und dunkel an uns vorbei. Türme aus Samt oder aus Stahl, ich weiß es nicht. Ich versuche sie nicht anzusehen. Die Dunkelheit umschließt uns schon seit die Sonne unspektakulär und schnell irgendwo hinter uns untergegangen ist.
Er sitzt auf dem Rücksitz und ist eingeschlafen, kostbar liegt er ganz matt in seiner Schale. Ich sehe oft in den Rückspiegel, ob er noch da ist. Es kommt mir noch immer so vor, als könnte er einfach verschwinden.
Das Autoradio rauscht Störgeräusche in unsere Kapsel, ich suche nach einem Sender und tatsächlich schafft es einer und rastet ein. Klassik perlt leise auf den Beifahrersitz. Ich denke an Autofahrten mit meinen Eltern, an Klassik, die ihre Streitigkeiten untermalt. Ich saß immer auf dem linken Rücksitz und schaute aus dem Fenster. Dann stellte ich mir vor, taub zu werden. Es war nicht so einfach, aber wenn ich mir ausmalte, meine Ohren würden von innen zuwachsen, musste ich das Geschrei nicht mehr hören. Manchmal klappte es, dann war Ruhe. Am Ende schrie mein Vater sie immer an: Jetzt beruhige dich doch, verdammt nochmal!
Meine Augen werden müde, aber ich konzentriere mich auf den Lichtkegel vor mir: ein beständiges Immer an Straße und Bäumen. Wir müssten das Haus ungefähr in einer Stunde erreichen. Als Erstes trage ich ihn aus dem Auto und bringe ihn ins Haus, werde ihn ins Bett legen, dann noch einmal kurz rausgehen und die Taschen nach Innen tragen. So mache ich es. Und morgen früh holen wir dann zusammen im Dorf Brötchen. Es gibt nur einen Bäcker in der Ortschaft, aber die Frau hinter dem Tresen ist freundlich und freut sich immer uns zu sehen.
Aus dem Nichts kommt etwas von links. Ich kann nicht sagen, was passiert, ich weiß nicht, was es ist. Etwas Großes, dünnes. Blitzschnell bewegt es sich auf die Straße und ich drücke auf die Bremse, ich drücke sie ganz durch, und dann sehe ich zwei leuchtende Augen. Das Auto quietscht, es schlingert, ich beginne die Kontrolle zu verlieren. Dann knallt es. Es macht einen Ruck durchs ganze Auto, ich schreie, er wacht auf und stöhnt.
„Mama“, sagt er.
Und ich sage noch:
„Ja!“
da kommt das Auto zum Stehen und ich höre ihn atmen und mich atmen. Ich drehe mich um und frage panisch, ob ihm was weh tut.
„Bist du ok? Oh Gott, alles wird gut. Alles wird gut.“
Am Beifahrersitz stütze ich mich so ungelenk ab, als ich mich versuche zu ihm umzudrehen, dass etwas in meiner Schulter knackt und ich greife nach seiner Hand. Was ist passiert? Ich will die Zeit zurückdrehen. Nur ein paar Sekunden.
„Mama, was war das? Ich hab geträumt, …“
„Ist gut, alles ist ok! Wir können gleich weiter, ja?“
Mir wird schlecht. Ich steige aus und gehe ums Auto herum.
Alles ist ok.
Alles ist ok.
Ich öffne seine Tür, er sieht mich mit dem verwirrten Blick an, der mich am meisten schmerzt. Vorsichtig taste ich ihn ab, kein Blut. Er ist ok.
Alles ist gut.
„Mama, du hast da was im Gesicht“, sagt er und ich fasse mir an die Stirn. Ok, hier ist Blut, das muss warten. Ich küsse ihn auf den Kopf und sage:
„Schlaf ruhig weiter, ich bin gleich wieder da!“
Vorsichtig schließe ich die Autotür und drehe mich um. Ich ziehe mein Handy aus der Jackentasche und schalte die Lampe darauf ein. In kleinen Schritten laufe ich die drei Meter zu dem Etwas zurück und halte das Licht darauf. Das Etwas bewegt seine Lippen, es öffnet den Mund. Ich will sagen: Nein, sprich nicht. Es blutet am Bauch oder am Rücken, der Asphalt glänzt ein bisschen. Ach du Scheiße, denke ich.
Das Etwas wird vor meinen Augen zu einem Reh, es nimmt organische Gestalt an, es entwickelt sich zu einem Tier. Ein Tier, das ich angefahren habe. Was mache ich denn jetzt ? Ruft man in so einem Fall die Polizei? Den Tierarzt, Jäger oder Förster? Ich bin mir nicht mehr sicher, ob es atmet, ich leuchte es erneut an und es blinzelt. Alles wird gut, sage ich und weiß in diesem Moment schon, dass das eine blöde Lüge ist. Für uns wird alles gut, für meinen Sohn wird das ein Schreck bleiben, für mich eine schlimme Nacht aber du, du wirst mir hier jetzt wegsterben und ich kann nichts dagegen tun. Plötzlich überkommt mich eine geballte Woge Schuld, ich fange an rotzend zu weinen und in der Zeit, in der ich mein Handylicht von ihm kurz abwende und es wieder darauf richte, bewegt es sich nicht mehr.
Mein Körper zittert. Ich warte darauf, dass etwas passiert, aber es bleibt dunkel und still. Ich stehe auf und sehe mich um, kein Auto ist weit und breit zu sehen. Aus dem Wagen höre ich ihn Mama rufen. Es ist ein fragender Laut, ein unsicheres Wimmern. Ich renne zu ihm und öffne die Wagentür. Er sieht mich verschlafen an und fragt:
„Was machst du?“
„Alles wird gut“, sage ich und beginne mich zu sortieren. Es gibt Dinge zu tun, denke ich.
Ich schalte das Handylicht aus und wähle die Telefonnummer der Polizei. Kurz danach meldet sich ein Mann mit erschöpfter Stimme, im Hintergrund hört man Telefone klingeln und ruhige Stimmen. Ich stelle mir vor, dass es dort warm ist und dass sie bestimmt Filterkaffee trinken und Sudokus ausfüllen. Jetzt muss ich sagen, warum ich anrufe.
Ich nenne ihm meinen Namen und die Landstraße, auf der sich mein Auto mit meinem Sohn befindet, auf der ich stehe und auf der dieses Reh liegt. Ich sage ihm, dass es mir leid tut und frage, was jetzt zu tun sei.
„Gibt es Verletzte?“, murmelt er.
„Ja, das Reh ist tot.“
„Nein, ob es Verletzte gibt? Sind Sie verletzt?“
„Uns geht es gut. Aber hören Sie, das Reh ist glaube ich gerade gestorben.“
„Dann stellen Sie ein Warndreieck auf und fahren Sie weiter. Wir schicken jemanden. Wenn Sie möchten, können Sie beantragen, dass man Ihnen ein neues Warndreieck zuschickt. Das Formular können Sie auf unserer Website downloaden.“
„Und das Reh? Was machen Sie mit ihm?“
Er schweigt und ich höre wieder Telefonläuten im Hintergrund, ein Kollege ruft einen anderen und ein Stuhl quietscht.
„Das können wir zu diesem Zeitpunkt nicht sagen. Wir schicken jemanden.“ sagt er noch einmal.
Ich will ihn fragen, was das bedeutet. Ich will wissen, wer das Reh holt und was mit ihm geschieht, aber er hat bereits aufgelegt.
Langsam gehe ich zurück zu dem Häufchen auf der Straße. Es liegt ganz still da und ich überlege, es wiederzubeatmen oder einen Krankenwagen zu rufen, aber es wird wohl zu spät sein, denke ich, es ist wohl zu spät. Ich atme tief Nachtluft ein und muss husten. Es wird ein Anfall, der sich zu einem erneuten Weinen zu entwickeln droht. Abrupt drehe ich mich zum Auto und öffne den Kofferraum. Das Warndreieck liegt da und sieht mich an
Ich habe dir doch gesagt, du würdest mich mal brauchen.
Als ich zurück laufe und versuche das Dreieck so aufzustellen, dass es vorbeifahrende Autofahrer früh genug bemerken und dann einen Bogen darum fahren können, überlege ich das Reh im Wald zu vergraben. Ich könnte versuchen es über die Leitplanke zu heben und wenigstens mit etwas Moos bedecken. Ich würde es schon schaffen, irgendwie. Ratlos sehe ich es mir an und schätze sein Gewicht.
Es gibt Dinge zu tun. Ich wende mich ab und laufe zurück zum Wagen. Langsam öffne ich die Fahrertür und setze mich. Als ich den Schlüssel in die Zündung stecke und den Wagen anlasse, leuchten die Lichter der Amatur auf, Klassik beginnt sich um uns auszubreiten. Er ist schon wieder eingeschlafen, als wir langsam beginnen die Landstraße weiter zu fahren. Ein Blick durch den Rückspiegel lässt nicht mehr erahnen, wo das Reh liegt. Ich hätte bei ihm bleiben sollen, denke ich.
Ruben Trawally: Ein Brief
Heute habe ich meinen Briefkasten geleert, und einen schönen Stapel Briefe seit gestern erhalten. Man muss wissen, ich schaue jeden Tag auf dem Weg zur Mülltonne am Briefkasten vorbei, um potentielle Friseurwerbung zu entsorgen. Aber Briefe, öffne ich gespannt. Doch was dann geschah, versetzte mich sofort in Aufgeregte Stimmung. Der Briefkasten quoll vor Goldenen, ja sogar eisernen Briefen über, die sich wie folgt lasen:
Guten Tag lieber Begünstigter
Sie erhalten diese Post von der Robert Bailey-Stiftung. Ich bin ein pensionierter Regierungsangestellter aus Harlem und ein Gewinner des Powerball Lottery Jackpot im Wert von $ 343,8 Millionen. Ich bin der größte Jackpot-Gewinner der New Yorker Lottogeschichte, United States of America. Ich habe diese Lotterie am 27. Oktober 2018 gewonnen, und ich möchte Ihnen mitteilen, dass Horst Seehofer in Verbindung mit Microsoft Ihre Postadresse auf mein Ersuchen hin übermittelt hat, dass Sie einen Spendenbetrag von 3.000.000,00 Mio. EUR erhalten.
Ich spende diesen Betrag in Höhe von 3 Millionen Euro an Sie, um den Wohltätigkeitshäusern und den Armen in Ihrer Gemeinschaft zu helfen, damit wir die Welt für alle zu einem besseren Ort machen können.
Bitte antworten Sie mir bald, damit wir weiter vorgehen können, damit die verantwortliche Bank Ihnen eine Geldautomatenkarte im Wert von 3 Mio. EUR erstellen kann, die Ihnen zusammen mit dieser Bankkarte geliefert wird den PIN-Code für den Zugriff auf die Spendengelder.
Freundliche Grüße,
Robert Bailey
* * * * * * * * * * * * * * * * *
Powerball Jackpot-Gewinner
Das erfreute mich.
Der zweite Brief, leicht mit dem Dosenöffner aufgebogen, klang aber bedrohlicher:
Kein Scherz: Das kosten neue Fenster wirklich!
Nutzen Sie schnellstmöglich unseren kostenlosen Fenster-Angebotsvergleich und profitieren Sie von staatlichen Zuschüssen und Fördermitteln von KfW und BAFA – Für den Guten Durchblick.
Oha, das wusste ich nicht.
Nummer Drei:
ieber Kunde von unsere Bank
Wir haben Ihr Abwasser aufgrund von Problemen vorübergehend gesperrt
bei der überprüfung Ihrer Angaben.
Sie müssen Ihre Informationen überprüfen, um unseren Service weiterhin sicher nutzen zu können.
Bitte überprüfen Sie Ihre Kontodaten, indem Sie unten auf den Link drücken und uns ihre Daten und Pin zuschicken. Erst dann wird ihr Abfluss wieder freigegeben.
Ich mach das dann mal.