M.S. Bakausky: Familienspiel

Ein Abend im Kreis der Familie. Stell dir vor kurz nach Weihnachten oder so. Alle kommen zusammen. Papa Michael, Mutter Hilde. Die erwachsenen Kinder Robert und Julia. Vielleicht sind auch noch Großeltern dabei. Sagen wir Großvater Helmut. Der letzte seines Stands, der alle überlebt hat, vielleicht alle überleben wird mit seinen 103 Jahren auf dem Buckel. Sie sitzen da rum, haben gegessen und ihnen ist langweilig. Sie haben schon die üblichen Themen abgearbeitet:

Sohn Robert, was macht die Arbeit?

Tochter Julia, hast du endlich jemanden kennengelernt? Jemand festen?

Mutter Hilde, was macht deine Arthritis?

Vater Michael, was macht der Hobbykeller?

Großvater Helmut, wann müssen wir dich spätestens zurück ins Altenheim bringen?

Alles war gefragt und beantwortet worden. Wie bei jedem dieser Zusammentreffen.

Also saß man da und wusste nicht was zu tun ist. Da kam Robert auf eine Idee: »Wollen wir nicht ein Brettspiel spielen?«

Papa Michael schaut kritisch zu Mama Hilde, sie sieht so aus als würde sie sich schämen. Sie atmet tief ein und aus und lässt dann kleinlaut den Satz heraus: »Ich habe die Spiele verschenkt, an die Nachbarskinder.«

»Das waren unsere Spiele!«,jammert Robert.

Dann ist das Thema irgendwann vom Tisch und man weiß immer noch nicht was zu tun ist.

Jeder ist dankbar als Julia mit einem Vorschlag kommt: »Lasst uns ″Lügen″ spielen, dazu braucht man nichts.« Großvater Helmut beginnt eine Erzählung von seinem Urlaub auf Rügen im Alter von zwölf Jahren. Die erwachsenen Kinder schauen sich an und können sich das lachen kaum verkneifen. »Ach Opa«, sagt Julia, »Nicht Rügen, LÜGEN!« – »WAS?«, fragt er und greift sich ans Ohr. »LÜGEN!«, schreit Julia jetzt. »Ach so«, sagt der Großvater und schiebt sein Gebiss zurecht. »Und wie soll das gehen, Schwester?«, fragt Robert interessiert. »Die Regel ist einfach«, erzählt Julia, »Jeder darf so viel Lügen wie er will.«

»Und das soll Spaß machen?«, fragt Mama Hilde skeptisch. »Ich bin dabei!«, ruft Papa Michael begeistert. »Ich bin ein Papagei und lebe im Regenwald!«, sagt er. »Das ist doch albern!«, sagt Mutter Hilde. »Komm, gebt Julia eine Chance«, fordert Robert. »Ich habe euch alle sehr gerne«, sagt Opa Helmut. »Papa, du verstehst das Spiel nicht, wir sollen lügen«, stellt Vater Michael fest. »Ja und?«, fragt Opa. Die Kinder lachen. »Ich habe einen Mann kennengelernt, wir werden bald heiraten«, sagt Julia. »Das ist schön, wie sieht es mit Urenkeln aus?«, fragt Opa. »Ich bin schwanger. Bald werde ich meine Leidenschaft für die Innenarchitektur aufgeben und mich nur noch um den Haushalt kümmern«. Die Eltern schauen böse. »Das ist ein blödes Spiel«, sagt Mama Hilde. »Im Altenheim ist es schrecklich, ich will da nicht mehr hin. In der Tat werde ich euch alle enterben, falls ihr mich dahin zurückschickt«, sagt Opa Helmut. Die Kinder lachen nicht mehr. »Mir wurde gekündigt«, sagt Robert. »Das ist fantastisch, dann kannst du endlich deinen Roman schreiben«, sagt Julia. »Nein, mir wurde wirklich gekündigt«, sagt Robert. »Ich war schwanger und habe abgetrieben«, sagt Julia. Mutter und Vater schauen entsetzt. Vater sagt »Ich bin nicht euer Vater«. Mutter sagt: »Ich will die Scheidung«.

Keiner sagt mehr was.

Mutter Hilde starrt auf den Tisch.

Papa Michael verlässt den Raum.

Julia schluchzt leise in sich hinein.

Robert schaut bedrückt.

Opa lacht.

Opa sagt: »Tolles Spiel. Lügen. Das sollten wir öfters spielen. Jedoch müsst ihr mich langsam zurückbringen, es ist viertel zehn. Bald ist die Nachtschwester nicht mehr da.«

Şafak Sarıçiçek: Wodnew

Die Kartographen haben uns verschlafen.

Prolog

„Sie sollen Ihren Namen nennen.“
„Anton Wodnew.“
„Wo wurden sie geboren und in welchem Jahr?“, übersetzt die Dolmetscherin.
„St. Nichts-Burg, 1. Oktober 1994.“
„Sprechen Sie mir nach. Hiermit schwöre ich die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen.“
Ich spreche es nach, laut und deutlich.
„Setzen Sie sich.“

Der Richter aus dem Tao-Land blickt mich ernst an. Ich blicke unbeeindruckt zurück.

Sie wollen jetzt selbstverständlich wissen, wie ich, gebürtiger Wodnew aus Groß-Nordland, vor einem Tao-Land-Gericht gelandet bin.

Dazu müssen wir nach St. Nichts-Burg zurück. Und zwar viele Wochen. Wochen, die ich in ihrem Verlauf so nicht erwartet hätte. Nicht in meinen absonderlichsten Träumen. Das ist ganz ernst gemeint: Gestern etwa träumte ich von einem Groß-Nordland-Agenten, der eine Matrjoschka war und auseinandergezogen wurde und dessen kleinere Imitate beständig Reigen tanzten, mit Trunkenheitsflaschen in der Hand. Nein, was mir die vergangenen Wochen zustieß, ließ meine Träume alt aussehen.

TEIL I

St. Nichts- Burg

Wie schon gesagt, bin ich im immerzu frierenden Osten Groß-Nordlands, in St. Nichts-Burg geboren. Irgendwann muss die staatliche Kartographiebehörde unsere Stadt vergessen haben. Ich stelle mir vor, wie der für unseren Bezirk zuständige Beamte, kurz vor der Verzeichnung meiner Heimatstadt, einen Krampf in der Wade bekommt, der ihn schon ewig plagt und jetzt sein Fass zum Überlaufen bringt. Der gehässige Beamte beschließt, die nächste zu registrierende Stadt zu vergessen.
So muss es gewesen sein. Meine Kindheit, wie auch meine Jugendjahre verliefen zum größten Teil in diesem blinden Fleck der Weltkarte. In der Umgebung gab es einfach nichts, was für einen jungen Mann wie mich von Interesse gewesen wäre. An der Stadtgrenze sollte stehen: „Willkommen in St. Nichts-Burg. Eine famose Lebenszeit im Nichtstun erwartet Sie. Ihre  Bürgermeisterin. P.S: Wie haben Sie nur hergefunden? Die Kartographen haben uns verschlafen.“

Meine Mutter starb, als ich noch sehr klein war. Darum kann ich mich nicht an sie erinnern. Wie Sie sehen, ist es so eine Sache mit der Erinnerung in St. Nichts-Burg.

Ich weine meiner Mutter nicht nach. Es erfüllt mich nur mit einer ständigen Wut.
Früh habe ich verstanden, was die Welt für ein hungriger Ort ist, essen oder gefressen werden, auch wenn Sie das als gebildetes Publikum vielleicht belächeln.

Es ist mir äußerst zuwider, belächelt zu werden.

Dem Lachen entkomme ich zumeist, indem ich mitlache. Nur manchmal gelingt es mir nicht und Entsetzen erfasst mich, weil man mein wahres Abbild sehen könnte.

Sehen Sie, ich habe manchmal kuriose Gedanken. 

Und ich habe mich in meinem Inneren schon immer für ein Krokodil gehalten.

Denken Sie jetzt nicht, ich habe den Verstand verloren. Nein, biegen Sie ihre Mundwinkel nicht zu diesem höhnischen Lachen. Ich will mich kurz erklären.

Für mich ist das Krokodil ein Jäger, der zum Gejagten wurde. Ein wahrer Herrscher, den man in Käfige steckte, als Delikatesse verzehrte, zu einer Kinderattraktion verkommen ließ. 

Ein König in Fesseln. Ein Prädator, den man fälschlicherweise nach St. Nichts-Burg verschiffte, weil ein Beamter mit einem fiesen Krampf in der Wade zwischenzeitlich wohl in das Ministerium für Zooangelegenheiten gewechselt war und an seiner persönlichen Vendetta gegen St. Nichts-Burg weiter Gefallen fand.

Aber ich schweife ab. Wenden Sie sich nicht fort!

Ich bin mir dessen bewusst, nur eine einfache Putzkraft zu sein. Jawohl, ich stehe dazu, die Kloaken und kotverschmierten Toiletten, den von Essensresten fettigen Boden einer Fast-Food-Kette St. Nichts-Burgs vertraglich gebunden reinigen zu müssen.

Aber ich bin gebildeter Abschaum. Wissen Sie, in der Vergemeinschaftungszeit Groß-Nordlands bildete man das Proletariat aus und es gab Volksschulen. Ich schweife ab. Jedenfalls hatte mein Vater zuhause Bücher vorrätig. Jack London insbesondere. Aber auch den einen oder anderen Tolstoi und Dostojewskij. Die las mein Vater früher.
Der Sergej Wodnew, Held der Groß-Nordländischen Arbeit. Jetzt Alkoholiker.
Jawohl, er ist Alkoholiker. Ein elender Trinker.
Ich sag es offen und schreie es ihm auch gerne ins Gesicht. Elendiger ALKOHOLIKER! Zum Kotzen bist du! Zum Kotzen ist diese beschissene Bude! Ich hasse dich. Verdammt.
Es tut mir leid, ich bin zu ablenkbar, zu fahrig.

Eben ist die Staatsanwältin aufgestanden und ich muss sagen, sie ist verdammt attraktiv. Die Toilettenreinigung. Genau. Bei einer Fastfoodkette die es nur in St. Nichts-Burg gibt. Mit drei Filialen. Allesamt weiß, wie der die Stadt unter sich begrabende Schnee. Mit großen rosafarbenen Smileyinstallationen auf dem Dach, die unaufhörlich  zwinkern. Und die Reinigung obliegt mir.
Dort nahm es seinen Lauf.

An einem Montag war ich auf dem Weg zu einer Filiale. Der rosa Smiley drehte sich und grinste mir zu. Ich betrat das Gebäude. Ich machte einige Schritte in Richtung Putzkammer. Diese befand sich in der Toilette.

Ein blutverschmierter Mann lag in der Ecke der Filiale am Boden.
Sein Anzug war khakifarben. Die Krawatte mit Flecken, die ungewollt erschienen. Die Kassiererin, wie auch der einzige weitere Bedienstete des Geschäfts waren nicht zu sehen. Als wäre alles abgesprochen. Es waren keine anderen Leute im Geschäft. Angesichts der fortgeschrittenen Zeit nicht verwunderlich. Die Tür zur Küche schwang dann auf und heraus trat eine mit einer Skimaske vermummte Gestalt. Nicht besonders groß, aber außergewöhnlich breit. An der Skimaske hing noch das Verkaufsetikett. Er hielt ein Jagdgewehr in der Hand und richtete es auf mich.

„Ich putze hier nur.“ sagte ich unbeholfen, noch nicht ganz begreifend, was hier passiert war.

„Dann fange in der Toilette an“ antwortete mir mein Gegenüber. Seine Stimme klang nach Stimmbandproblemen. Sie raspelte. Er war in einen schweren Pelz eingewickelt und der Saum streifte den verdreckten Boden.

„Bleib dort. Schließe die Tür und halte deine Klappe. Vielleicht erschieße ich dich dann nicht.“ Ich nickte und bewegte mich langsam zur Toilette. 

„Schneller du Scheißhaufen!“

Ich stürzte durch die Toilettentür und schwer atmend verriegelte ich sie mit meinem Angestelltenschlüssel. Es war still. Ich verharrte auf dem Boden und versuchte langsamer zu atmen. Einen kühlen Kopf zu bewahren. Eisige Nachtluft drang aus einem gekippten Fenster. Ich saß auf dem Boden. Aus irgendeinem Grund dachte ich an den Smiley der über mir und über dem Dach in die Dunkelheit von St. Nichts-Burg zwinkerte.
Inzwischen atmete ich wieder regelmäßig und wischte den kalten Schweiß auf meiner Stirn weg. Eine Tür fiel zu. Das Geräusch drang nur schwer und von fern in meinen Kopf.
Dann sah ich die Schraube. Sie lag unter dem Putzschrank.  Ich stand auf und mit dem Aufstehen entwich die Nachtluft aus meinem Kopf. Ein Blick zu dem Lüftungsschacht erhärtete den Verdacht. Mit einem Schraubenzieher aus dem Putzschrank löste ich den metallenen Schutz. Ein lederner Koffer kam zum Vorschein.
Erst traute ich meinen Augen nicht recht, doch meine Instinkte nahmen schnell überhand. Keineswegs war ich zu überrascht gestapelte Groß-Nordland-Rubelbündel vorzufinden.
Meine lebhafte Phantasie hatte diese Möglichkeit selbstverständlich als erste erdacht.

Ich überschlug die Geldbündel grob und kam zu dem Schluss etwa 4 bis 6 Millionen Groß-Nordland-Rubel in der Tasche vor mir zu haben.
Die Tasche steckte ich sofort in den Putzschrank. Schob Waschmittel und Utensilien davor, bis sie verdeckt war. Innerlich dankte ich dem Mann, mich in die Toilette eingesperrt zu haben.
In dem Moment war er für mich ein Botschafter der höheren Vorhersehung. Schicksal, wenn man so will. Die Rettungsleine aus der nicht existenten Stadt.

Was ich mir dabei gedacht habe, als ich die Tasche einsperrte, um sie später mit zu nehmen?
Gar nichts besonderes. Es war die natürlichste Handlung, die es für mich geben konnte. Kein Unterschied dazu, seine Notdurft zu verrichten.

Der Pelzmann hatte die Tasche im Lüftungsschacht nicht gefunden, sonst hätte er mich nicht in die Toilette beordert. Der wahrscheinliche Inhaber war tot, mit einer Kugel in seinem Kopf. Die Polizei würde frühestens am nächsten Morgen oder vielleicht auch niemals da sein. Die Autowege waren verschneit, die Filiale etwas außerhalb von der Stadt und es eilte nicht. 
Ich war arm. Mein Leben bisher ziemlich sinnlos und die Tasche bedeutet ungeahnte Träume, die wahr werden könnten. Einfache Mathematik.

Bei meinem Weg aus dem Fast-Food Laden heraus fiel mein Blick auf die Leiche in der  Blutlache. Das Gesicht des Toten war merkwürdig verzerrt und wirkte ein wenig zufrieden. Der Urheber dieses Ausdrucks war nirgends zu sehen. Leise stahl ich mich davon. Schloss vorher die Tür ab und zog die Rolläden herunter.

Ich habe Recht. Als ich spätabends zurückkomme, ist die Szene unverändert.

Das Blut, in dem der Typ liegt, ist zäher geworden. Die Tasche befindet sich noch immer im Putzschrank. Erleichtert atme ich auf.

Den Abend bis zum Sonnenaufgang verbringe ich am Bahnhof. Niemand ist da. Es fahren zwar Züge in die Stadt und auch welche raus, aber vollkommen ohne Plan. Sie werden von Privaten betrieben, nach dem Prinzip des organisierten Chaos. Wer Kohle hat, kommt raus. Rein kommt man nur aus Versehen oder weil man in St. Nichts-Burg geboren wird.

Ich nutze die Zeit zum Überlegen. Was ich bestimmt weiß ist, dass ich hier weg muss. Nicht nur, dass ich Verdächtiger einer Straftat bin. Ich habe auch selber mit meinem Leben in Groß- Nordland abgeschlossen.
Etwas, ein messerscharfer Gedanke durchtrennt alles was mich hier noch festhalten könnte. ICH MUSS WEG.
Aber wohin? Ich blicke um mich und hoffe auf eine Eingebung von irgendwo her. 
Lasse meine Blicke über die Geschäftsschilder schweifen. WÄSCHE steht da auf Groß-Nordländisch, RESTAURANT in neonfarbenen Buchstaben, dann wandere ich noch einmal mit meinen Augen umher. Und an zwei Wörtern bleibe ich hängen. Völlig aus dem Zusammenhang gerissen. FREE und SHOP.

FREE SHOP denke ich, Free Shop. Wieso Free Shop. Das scheint keinen Sinn zu ergeben. Und wieder fühle ich mich ferngesteuert, eine höhere Macht bedient sich meines neuronalen Schaltwerkes, meiner Synapsen, der Transmitter in meinem Gehirn. 
Die Puzzleteile fallen zusammen: FREE SHOP. Eine Kindheitserinnerung.
Ich war neun und in einer Kneipe. Mein Vater. Er trinkt. Mit seinen Freunden.

Tosendes Gelächter, debiles Stammtischlachen.
Er erzählt einen Witz. Sein Gesicht ist puterrot und Schweiß rinnt seine Stirn herunter.

„Und damals im Grenzland!“ schreit er. „Damals war noch alles gut. Zur Zeit des Groß-Gemeinschaftlichen Paktes.“ Die gesichtslosen Masken der eingeschworenen Trinkrunde nicken einhellig zustimmend. „Damals“, fährt er fort, „gab es die Free Shops. Wisst ihr noch? Da gab es den guten Kram. Das Zeugs, das man wirklich brauchte, aha haha!“.

„Verdammt, ja !“ schreit ihm einer von der gesichtslosen, in den Schatten liegenden, Menschen zu und schlägt auf den Tisch.
Er heißt Kolja, fällt mir in diesem Wachtraum plötzlich dazu ein.

„Haushaltsgegenstände, gute Zigaretten, Schnaps vom feinsten, Whiskey… Jawohl, die Free Shops“.
Mein Vater hebt drohend die Hand.
„Still! Aber…“, erhebt er seine donnernde Stimme, „wir konnten da ja gar nicht hin. Das haben ja die Politbüros so geregelt.“ Einhelliges Nicken.
„Nein. Dazu brauchten wir andere. Andere vom Groß-Gemeinschaftlichen Pakt. Die durften das.“

Eine Kunstpause. ,,Dazu nutzen wir die Tao-Länder! Hohoho, jawohl. Die Exoten waren dazu gut zu gebrauchen. Nicht? Hohoho. Von denen hatten wir ja reichlich Arbeitskräfte.“
Alle stimmen in sein Gelächter ein. ,,Genau, hohoho, die ham das für uns gemacht.“ Das Gelächter verebbt langsam.

Mein Vater wird leiser, die biergetränkte Mannhaftigkeit schwankt: „Aber die ließen sich nicht an der Nase rumführen nicht? Nee. Die waren geschäftstüchtig. Machten aus der Sache ein Geschäft die Schlitzohren. Und wir waren dann die Dummen.“

Er schweigt. Plötzlich brechen alle in ein wohlwollendes Gelächter aus. Er stimmt ein: ,,Hohoho“.

Die Erinnerung stürzt wie ein kaputtes Gebäude zusammen.

Zwei Scheinwerfer scheinen in die Gegenwart, ein Zugzielanzeiger verkündet:

TAO–LAND

Ich steige ein.

Şehbal Şenyurt Arınlı: Brief I

Nürnberg, 18. Oktober 2018

Çalışma masamın üzeri karmakarışık. Kafamın içi, içimin labirentleri de… Çalışma masamın üzeri darmadağınık. Hayatımın kendisi de… Bir çalışma masamın olması çok iyi… Bir de toparlayabilsem! Her akşam toparlıyorum. Sabaha huzurla masamın başına geçebileyim, iki satır ilerleyebileyim diye. Ama her nasılsa, galiba, gece yarıları kalkıp yeniden ortalığı karıştırıyorum. Ne düşünüyorum, nerelere gidip geliyorum ucu bucağı belirsiz. Karışık, karmakarışık işte! Darmadağınık. Belki bu mektupları yazarken biraz toparlanırım. Mesela, şimdilik şu dil kursu kitaplarımı raflara tıkıştırabilirim; yeni geldiğim bu memleketi tanıyacağım diye ortalığa yığdığım onca kitabı, broşürleri, etkinlik tanıtımlarını, programları… Yazmaya çalıştığım, kıvranıp durduğum bana göre ütopya/kimine göre distopya notlarımı çekmeceye sokuşturabilirim; önceleri yazılmış ama yayınlanmamış, yayınlanması için çalışsam iyi olur diye ortalıkta tuttuğum yazılarımı unutabilirim. Ya da memleket dergilerine yazmak için sıralayıp durduğum makaleler/denemeler için aldığım notları, okumam gerekenleri… Neyse ki, film tasarımlarımı çoktan sümen altı etmişim. Şişindiği yerden arada bir burnunu uzatmaya çalışsalar da pek kulak vermiyorum onlara. ‘’Şimdilik film işi çok ağır gelir, bekleyedurun!’’ diyorum. Bu yeni memlekette ‘’tutunma’’ projeleri dosyalarımı da toptan ortadan kaldırmalıyım. Zaten burada bir işe yarar mı belli bile değil! Hadi, ya… en önce ‘kendine haksızlık etme’ klasörünü geri dönüşüme göndersem iyi olacak! ‘’Bu kadar karmaşa içinde, bir yılda bir sürü bir şeyler yapıp durdun işte, daha ne istiyorsun!’’ diyerek yani. Çalışma masamın üstünde bir telaş, bir telaş… Farkındayım, bedenimin hücreleri de zıp zıp zıplıyor! Ne oluyor kardeşim?.. Bir sakin ol! Dölek dur! Velhâsıl masamı toplasam iyi olacak! Sevgili Terezia Mora, Rastlantıların hiç de öyle rastgele olmadığını düşünmüşümdür hep! Rastlantı gibi olanların; başka rastlama maceralarıyla olgunlaşarak özgün bir varoluş kazandıkları yerlerden, gelip geçtikleri/dallanıp budaklandıkları/derleyip topladıkları/değişip dönüştükleri ile zaten oraya varmaktan başka çarelerinin olmadığını… Bulunduğum yerden kademe kademe geriye/dörtbir yöne/gündelik hayatın kılcallarına doğru giderek beni oraya taşıyan tesadüfleri izleme oyununu çok severim. Çok eğlencelidir! Şimdiki soru; ‘’Hangi tesadüfler zinciri bizi bir araya getirdi’’? Bir öneri, iki kabul! Öneriyi yapanın tesadüfler zinciri neydi? Bu öneriye hangi yolculuklardan sonra ve nereden/nasıl gelmişti?… Bir insan tanımadığı birine neden mektup yazar? Yani, şimdi, ben size neden yazıyorum? Siz benimle yazışmayı neden kabul ettiniz? Bunlar, ya ‘gerek’ler, ya ‘zorunluluk’lar, ya ‘ihtiyaç’lar üzerinden yaşayan; yapıp ettiklerini bir temele oturtmadan rahat etmeyen biri olarak bir zemin arayışı soruları galiba ve şimdi buna verebilecek bir cevabım yok sanırım. Gerçi, bu soruların bir önemi var mı, onu da bilmiyorum ya! Belki de cevabı yazışmaların ilerleyen süreçlerinde –birbirimizi tanıdıkça- birlikte keşfederiz, kim bilir?………….


übersetzt von Sabine Adatepe

Nürnberg, 18. Oktober 2018 

Auf meinem Schreibtisch herrscht Tohuwabohu. Ebenso wie in meinem Kopf und den Labyrinthen in mir. Auf meinem Schreibtisch herrscht wildes Durcheinander. Wie auch in meinem Leben. Wie gut, dass ich einen Schreibtisch habe. Wenn es mir nur gelänge, Ordnung zu schaffen! Jeden Abend räume ich ihn auf. Damit ich mich in Ruhe und Frieden am nächsten Morgen daransetzen kann und zwei Zeilen vorankomme. Irgendwie aber stehe ich wohl mitten in der Nacht auf und bringe ihn wieder durcheinander. Ungewiss, was ich denke, wo ich mich herumtreibe. Durcheinander, Chaos! Wildes Chaos! Vielleicht gelingt es mir, beim Schreiben dieser Briefe ein wenig Ordnung zu schaffen. Jetzt könnte ich doch die Bücher vom Sprachkurs im Regal verstauen, ebenso wie all die Bücher, Broschüren, Veranstaltungsflyer, Programme, die ich ringsum aufgestapelt habe, um das Land kennenzulernen, in dem ich neu bin. Die Notizen zu der Utopie, manche meinen, es werde eine Dystopie, die ich mühsam zu schreiben versuche, könnte ich in die Schublade stopfen, könnte die unveröffentlichten Texte, die ich griffbereit halte, weil ich denke, es wäre gut, wenn ich mich um ihre Veröffentlichung bemühen würde, endlich aufgeben. Ebenso wie die endlos aufgereihten Stichworte für Artikel, Essays für Zeitschriften in der Heimat und all das, was ich noch lesen müsste. Immerhin habe ich Filmideen längst unter die Schreibtischunterlage geschoben. Wo sie sich allzu sehr drängeln, strecken sie zwar manchmal die Nase heraus, aber ich leihe ihnen kaum ein Ohr. „Filmemachen ist im Augenblick extrem schwierig, wartet ein bisschen“, raune ich ihnen zu. Auch die Akten mit Projekten, um hier im neuen Land „Halt zu finden“, sollte ich allesamt beiseite räumen. Ohnehin ist ungewiss, ob sie hier zu etwas nütze sein würden. Komm, los jetzt, es wäre gut, zuerst einmal den Ordner „Tu dir kein Unrecht“ auf Wiedervorlage zu verschieben. Mit Fug und Recht kann ich mir sagen: In dem einen Jahr hast du in all dem Wirrwarr doch eine Menge getan, was willst du mehr! Aufregung herrscht auf meinem Schreibtisch und Stress. Das weiß ich wohl, die Zellen meines Körpers hüpfen auf und ab. Was ist denn los? Komm runter! Relax! Kurz, ich sollte dringend meinen Schreibtisch aufräumen. Liebe Terézia Mora, seit eh und je denke ich, Zufälle sind gar nicht so zufällig! Denke, was wie ein Zufall aussieht, was, in anderen Zufallsabenteuern gereift, eigene Existenz gewonnen hat, mit allem, was es streifte, was es verzweigte und komplizierte, was es auflas und zusammensuchte, veränderte und verwandelte, hatte gar keine andere Chance, als genau an diesen Punkt zu gelangen. Ich liebe das Spiel, von meinem Standpunkt aus Stufe um Stufe zurück, in alle vier Winde, in die geheimsten Winkel des täglichen Lebens einzutauchen und all die Zufälle zu verfolgen, die mich hierher gebracht haben. Das macht richtig Spaß! Jetzt lautet die Frage: Welche Zufallsverkettung hat uns zueinander gebracht? Eine Offerte, zwei Mal Zustimmung! Was war die Zufallskette auf Seiten derer, die das Angebot unterbreiteten? Nach welchen Reisen, wie und woher kamen wohl sie auf diese Offerte? Warum schreibt man jemandem, den man nicht kennt? Warum also schreibe ich Ihnen jetzt? Warum haben Sie eingewilligt, mit mir zu korrespondieren? Fragen auf der Suche nach einem Fundament, von einer Person, die anhand von „Notwendigkeiten“ oder „Zwängen“ oder „Bedürfnissen“ lebt und keine Ruhe gibt, ehe sie das, was sie tut, auf ein Fundament gestellt hat, und für den Augenblick habe ich darauf keine Antwort. Ja, ich weiß nicht einmal, ob diese Fragen überhaupt von Belang sind. Vielleicht entdecken wir die Antwort in späteren Stadien unserer Korrespondenz, wenn wir uns näher kennenlernen, wer weiß?………………


Şehbal Şenyurt Arınlı

Aus dem Buch „Zwei Autorinnen im Transit – Ein Dialog“ 

Übersetzung von Sabine Adatepe

binooki Verlag

Zülküf Kurt: Kısa Devre

Kaldırımlar,

Bittiğinde başlayan yol çizgisi,

Karşıya geçmeyi bekleyen insanlar,

Kırmızı ışığa takılanlar, aralardan geçenler, yeşil bir uyarı almadan geçmeyenler, arabalar, kornalar, bize bir müziğin eşlik ettiğini gösteren kulaklıklar, solgun yüzler, yeni ütülenmiş gömlekler, birkaç gündür yıkanmadan giyilen kotlar, bir isyandan gelen sigara dumanı, parfüm kokuları, incitmeyen güneş, sesler ama hep sesler…

Biraz öncesinde kıyamet kopsa da belediyecilik anlayışıyla temizlenmiş olabilir bütün mekânlar. Bizi hayattan, hayatı bir diğerinden koparan bütün noktalar, betonlar ve ışıklar.

Karşıda doğayı unutmamızı engelleyen ağaçlar, altları plastik ilmeklerle birbirine ve toprağa yapıştırılmış çimenler, ıslaklığını güneşle daha fazla alımlı kılmaya çalışan yapraklar, sabahın o saatinde bankta oturanlar, önlerinden geçip işlerine gidenler, yüzler ama hep yüzler…

Nefes darlıklarımız, bağlandığımız sevinçler, yeni alınan ayakkabılarımız, daha güzel görünmemizi sağlayan bütün kıyafetler, bir düşünceyi adımlarla içimize sindirdiğimiz kısa yollar, yürüyüşler, haklarında konuştuğumuz insanlar, kafede yemek yerken haklarında konuştuğumuzdan bir daha hiç haberi olmayacak insanlar… Bir daha dinlemeyecek kadar çok dinlediğimiz ve bıkana kadar dinleyeceğimiz müzikler… Kapaklarını aklımıza kazıdığımız ve hep onlara yeni hikâyeler kattığımız kitaplar…

Suskunluklar ve hep susakalmalar. Bizi var etmeyecek her şeyi reddedişimiz. Çemberin içinde bir çember ve bir çember daha. Hiç durmadan ördüğümüz çemberler, dengeler, ifadesini değiştirdiğimiz o kısa etki anlarını arayışlarımız. 

Çok güvenmesek de dostlarımız. Sırlarımızı onlara hiç anlatmayacağımız, ama mesela hastalığımızı paylaşabileceğimiz arkadaşlarımız. Çocuklarının her anını hiç usanmadan ve aynı cümlelerle tekrar etmekten hiç bıkmayan, ama asla aynı zamandan bahsettiklerini bilmeyen anne babalar…

Üniversiteye yeni başlayan ve henüz düzenli davranmayı ihmal etmeyip dolmuş şoförüne adres sorarken bölümünü de söyleyen ve hepimizin onu ayakta alkışlamasını bekleyenler. Bir sonraki yıla kaldığı derslerle başlayan ve okul üniforması diye bohemlik kuşandıklarını belli eden üniversiteliler…

Her köşe başında kurulmuş tezgâhları, yorgunlukları ve tükenmeyen, tüketmemeye çalıştıkları ümitleriyle güne başlayan emekçiler. Tezgâhta duran iyi yaşam dilekleriyle, işine yetişmeye çalışanlar, koşanlar, koşturanlar, koşamayanlar…

Her yeşil ışıkta yüreğimizin depreşmesi. Bir hayali yanımızdan geçerken görüşümüz. Bir an zaman dursa. Bir kırmızı ışık yansa saatlerimize. Nereye gideceğimizi unutsak. Monologlarımız kesilse, sadece gözlerimiz kalsa geriye. Otobüslerdeki insanlar yollara inse sonra. Hafif bir rüzgâr çıksa, ellerimizde tuttuğumuz ders notları yollara, parklara dağılsa. Tüm tezgâhlardakilerini döksek. İsyan bu açlığımıza karşı. Boğazımızı sıkan kravatlar sökülse. Hepimiz ayakkabılarımızı çıkarsak. İlerde bir yerlerde bir müzikle eğlenen insanlar görsek. Her köşebaşında ya da. Taksiciler, bir yanımızda, durakta bekleyenler en önümüzde. Kimse kimseyi tanımasa, ama yine de mutlu olsa. Sonra koca bir meydanda buluşup bildiğimiz her şeyi unutarak öylece bakınsak. Ve hep ümit etmeye başladığımızda, yeşil ışık yansa…

Kaldırımlar,

Bittiğinde başlayan yol çizgisi,

Karşıya geçmeyi bekleyen insanlar,

Kırmızı ışığa takılanlar, aralardan geçenler, yeşil bir uyarı almadan geçmeyenler, arabalar, kornalar, bize bir müziğin eşlik ettiğini gösteren kulaklıklar, solgun yüzler, yeni ütülenmiş gömlekler, birkaç gündür yıkanmadan giyilen kotlar, bir isyandan gelen sigara dumanı, parfüm kokuları, incitmeyen güneş, sesler ama hep sesler. Suslar belki bir an belki de… 

İkinci bir ışığa kadar beklerken geçen bir ömür, ömürlerimiz. Yine de bekler miydin diye sorulan, cevabını bugün bile veremediğimiz sorular. Cevapları sonsuza kadar uzanacak sessizlikler. Bizi zamana, zamanı bize hapseden sıkışmalar. Yeşil ışık yanacak birazdan. Gitmeliyiz…


Kurzschluss

übersetzt von Aslı Uǧurlu und Tobias Schneider

Die Bürgersteige.

Die Straßenlinie, die beginnt wo jene enden.

Die Leute, die darauf warten, die Straße zu überqueren.

Diejenigen, die im roten Licht stecken bleiben. Diejenigen, die sich an Anderen vorbei winden. Diejenigen, die nicht passieren wenn sie kein grünes Licht sehen. Autos. Hupen. Die Kopfhörer, die uns zeigen, dass Musik uns begleitet. Die blassen Gesichter. Die frisch gebügelten Hemden. Die Jeans, die getragen und seit Tagen nicht gewaschen sind. Zigarettenrauch, der nach dem Aufstand aufsteigt. Parfümdüfte. Die Sonne, die nicht juckt. Das Gedröhne, und immer das Gedröhne…

Diese Orte, die nach Gemeinde-Standard gereinigt aussehen, obwohl einige Momente zuvor Weltuntergang war. Alle Punkte, Beton und die Lichter, welche uns vom Leben trennen, und vom Leben des Anderen.

Die Bäume dort drüben, die verhindern, dass man die Natur vergisst. Das Gras, an der Unterseite mit Plastik verstrickt und an die Erde geklebt. Die Blätter, die versuchen ihre Nässe durch die Sonne attraktiver scheinen zu lassen. Diejenigen, die bereits so früh auf den Bänken sitzen. Diejenigen, die jene auf dem Weg zu ihrer Arbeit passieren. Gesichter, und immer diese Gesichter.

Unsere Atemnot. Die Freuden, nach denen wir süchtig sind. Die neugekauften Schuhe. All die Kleider, die uns schöner aussehen lassen. Die Abkürzungen, wo wir Schritt für Schritt einen Gedanken verdauen. Die Spaziergänge. Die Leute, über die wir reden. Die Leute, über die wir reden wenn wir in einem Café essen und es nie erfahren werden. Die Musik, die wir so oft gehört haben, dass wir sie nicht mehr hören können und jene, die wir gehört haben bis wir gelangweilt waren. Die Bücher, deren Einbände sich einprägten und jene, denen wir immer neue Geschichten hinzufügen. Das Verstummen, und immer diese Sprachlosigkeit. Die Ablehnung von Allem, das uns nicht existieren lässt. Ein Kreis im Kreis eines weiteren Kreises. Die Kreise, die Gleichgewichte, die wir ununterbrochen weben, unserer Suche nach den Momenten der Wirkung, die wir verändert haben.

Unsere Seelenverwandten, denen wir nicht trauen. Unsere Freunde, mit denen wir niemals unsere Geheimnisse teilen werden, aber über unsere Krankheiten sprechen können. Die Mütter und Väter, die nie gelangweilt von Momenten ihrer Kinder werden und nie müde, die selben Sätze zu wiederholen, aber denen nicht klar ist, dass sie über die selbe Zeit sprechen.

Die Universitätsneulinge, die noch nicht abgelehnt haben ein ordentliches Benehmen zu zeigen, so dass sie, wenn sie den Busfahrer nach einer Adresse fragen, auch ihr Studienfach nennen und von uns allen stehende Ovationen erwarten. Die Studenten, die ihr nächstes Jahr beginnen und schon durch ihre Kurse fallen, die sich bürgerlich kleiden statt in Uniform…

Die Arbeiter mit ihren Stände an jede Ecke, ihre Müdigkeit, beginnen ihren Tag mit unerschöpflicher Hoffnung, die zerstört wird. Mit Wünschen auf gutes Leben stehen am Stand diejenigen, die versuchen ihre Arbeit zu erreichen. Die Gehetzten. Die Hetzer. Die Unhetztbaren…

Wie die Herzen bei jedem Grünlicht höher schlagen. Die Visualisierung eines Traumes, der an uns vorbeizieht. Wenn ein Moment stehen bleibt. Auf unseren Uhren würde ein rotes Licht leuchten. Wir würden vergessen wohin wir gehen. Unsere Selbstgespräche würden beendet werden, nur unsere Augen würden verweilen. Dann würden die Leute aus dem Bus die Straße hinuntergehen. Eine sanfte Brise würde aufkommen, die Kursnotizen, die wir in unseren Händen halten würden sich auf den Strassen und in Parks verteilen. Wir würden alles auf den Ständen um uns verteilen. Eine Rebellion unseres Hungers wegen. Wir alle würden unsere Schuhe ausziehen. Wir würden irgendwo vor uns Leute sehen, die Musik genießen. Anderenfalls an jeder Ecke. Taxifahrer. Neben uns.

Die Leute, die an der Haltestelle warten sind vor uns in der ersten Reihe. Niemand würde sich kennen und trotzdem glücklich sein. Dann würden wir uns auf einem riesigen Platz treffen und würden uns einfach nur umsehen, während wir alles vergessen, was wir wissen. Und jedesmal, wenn uns neue Hoffnung wächst, würde das Licht auf Grün wechseln.

Die Bürgersteige.

Die Straßenlinie, die beginnt wo jene enden.

Die Leute, die darauf warten, die Straße zu überqueren.

Diejenigen, die im roten Licht stecken bleiben. Diejenigen, die sich an Anderen vorbei drängen. Diejenigen, die nicht passieren, wenn sie kein grünes Licht sehen. Autos. Hupen. Die Kopfhörer, die uns zeigen, dass Musik uns begleitet. Die blassen Gesichter. Die frisch gebügelte Hemden. Die Jeans, die getragen und seit Tagen nicht gewaschen sind. Zigarettenrauch, der nach dem Aufstand aufsteigt. Parfümdüfte. Die Sonne, die nicht juckt. Das Gedröhne, und immer das Gedröhne…Die Stillen, vielleicht sofort, oder vielleicht…

Ein Leben. Unsere Leben. Die Vergehen, während wir auf das zweite Licht warten.

Würdest du trotzdem warten? Diese Frage können wir heute noch nicht beantworten. Die Stille, deren Antworten sich an Unendlichkeit lehnen. Der Druck, der uns an die Zeit bindet und die Zeit an uns.

Das grüne Licht wird bald leuchten. Wir sollten gehen…

Nian Cheng: 小厨房里的大道理

—聊聊东西方文化差异那点事

《礼记》中孔子提到的人生研究结论是:“饮食男女,人之大欲存焉。”这两件事 是人生最平实,最基本的两件大事。所以不管是在东方还是西方,食物在衣、食、 住、行中所占的份量是不言而喻的。其中还记载:“未有火化,食草木之实,鸟兽之 肉,饮其血,茹其毛。”意思就是,远古时代,人类还不会运用火来烹制食物,所以只 能生吃动物的血肉。随着人类的逐步进化,人类渐渐进入调制饮食阶段,开始利用各 种器具和方式烹制熟食。人类为了适应自然,以求自身的生存和发展,在饮食上完成 了从远古时代的生食到文明时代的烹制熟食,而在这个历史过程中也逐渐形成了人类 的饮食文化。到了现代,人们对烹制食物的要求越来越高,对制作食物的工具要求越 来越精,因此对制作食物的厨房也就显得尤为重要。 

来德国之前,在我的记忆中,中国人的厨房里总是带着各家各户的烟火味儿,北 方人性格豪爽,多喜食面食,因此厨房里多是跟制作面食相关的厨具,蒸笼、擀面 杖、压面机……,南方人性格内敛,多喜食汤类,厨房里多是各种砂锅,煲汤锅以及 各种滋补类食材。中国人认为食物不仅仅是维持生命的必需品,它更像是 门艺术。能 带给人精神上的享受,中国人对食物有很深入的研究,不只是考虑食物带给人的营养 还注重食物的色泽、鲜香。为了追求食物的美味,中国人主要采用炒 、蒸 、煮 、 炸 、烤 、烩等多样化并且操作复杂的烹饪方式。 在菜品上讲究色香味俱全,在制作 方式上突出的往往是刀工,火候,比如著名的扬州菜,“文思豆腐” 就是把一块嫩如布 丁的豆腐用中式菜刀切成细如头发丝儿而制成的鲜美汤羹,在中式厨房往往一把中式 菜刀能解决所有切、剁、片、削,足以称霸整个厨房。 

而进到德国人的厨房,可以用四个字来形容,琳琅满目。光是刀具就有几十种, 切土豆的,处理牛排的,削芦笋的……,还有各种量具锅具,炖煮锅,意面锅,土豆 锅,芦笋锅……, 仿佛置身于一个超级实验室。德国人的严谨,在厨房里也是体现的淋 漓至尽。任何一次食物的制作,所用食材、调味品的份量都必须精确到克。有一次我 去朋友家做客,做了一道红烧排骨,当我说道少许盐、少许糖的时候,她很惊愕的问 我少许是什么计量单位,我当时哈哈大笑,尴尬的解释道,Ein bisschen。 

因为制作工具的繁杂,德国人的厨房在设计上往往更偏向于开放式的设计,空间 相对大,家庭主厨们在制作美食的同时也可以边与家人朋友们聊天,德国厨房不仅仅 是传统制作食物的地方,也是朋友聚会,家人休闲聊天的场所。中国人在制作美食的 时候因为烹饪手法的原因,基本采用封闭式的设计,小空间紧凑而有序,小空间不能 兼顾娱乐消遣的功能,所以仅限于烹煮食物,这也是两国不同的生活饮食习惯决定 的。 

在人类发展的历史长河中,食物与人的生活总是息息相关,是人们赖以生存的重 要来源。中西方饮食在饮食观念、饮食结构,饮食习惯等诸多方面都存在着明显的差 异,而且各有独到之处。随着生活质量的提高,人们开始注重健康,已经不再满足于 单纯的美味或营养,讲究的是菜肴的味道与营养的双赢。现在的中餐在味道与美观的 基础上开始注重食物的营养搭配与烹饪的科学性,而西餐也在学习中餐对于食物在艺 术性上的创造性。通过不同饮食文化的相互融合,美食将不仅仅是一种美食,更是一 种情趣,是艺术的享受,不仅让我想起了宋代文学家苏轼《浣溪沙· 细雨斜风作晓 寒》里写的那句, 

“ 雪沫乳花浮午盏,蓼茸蒿笋试春盘。 
人间有味是清欢。” 


Das große Prinzip der kleinen Küche

Gespräche über die kleinen kulturellen Unterschiede zwischen dem Westen und dem Osten

übersetzt von Keewai Wong

Die Zusammenfassung aus den Beobachtungen des Lebens, die Konfuzius in seinem Buch der Riten gezogen hat, ist: „Essen, Trinken und der Sex sind die großen existenziellen Begehren der Menschheit.“ Denn diese beiden Dinge sind die einfachsten und grundlegendsten im Leben eines Menschen. Daher nimmt das Essen, ob im Osten oder im Westen, unter den Grundbedürfnissen wie Kleidung, Nahrung, Wohnung und Mobilität selbstverständlich eine große Rolle ein.
Er schreibt zudem: „Vor der Entwicklung des Feuers, wurden die Pflanzen und das Fleisch der Tiere in ihrem Wesen gegessen. Man aß Blut und Fell.“
Dies sollte bedeuten, dass die Menschen in alter Vorzeit, bevor sie Feuer zum Kochen der Speisen verwendet haben, das Blut und Fleisch der Tiere nur roh essen konnten. Mit der schrittweisen Entwicklung der Menschheit erreichte man allmählich die Stufe der Zubereitung von Speisen und Getränken. Man fing an, mit allerlei Gerätschaften und Methoden zu kochen und zu garen. Sich der Natur anpassend, hat der Mensch, um seinen Körper zu erhalten und zu wachsen, eine Entwicklung vom Rohverzehr von Nahrung im Altertum bis hin zur kultivierten Zubereitung von Speisen vollführt.
Im Rahmen dieses Werdegangs hat er auch allmählich eine Kultur des Essens geformt. Bis heute sind die Ansprüche an unser Essen immer höher, die Ansprüche an die Gerätschaften immer ausgefeilter geworden. Daher scheint auch die Küche, in der all diese Speisen zubereitet werden, eine besondere Stellung einzunehmen.

Bevor ich nach Deutschland kam war in meiner Erinnerung in der Küche der Chinesen stets der rauchige Geruch der jeweiligen Familien und Haushalte zu finden. Die offenherzige Natur der Nordchinesen liebt Mehlspeisen. Daher sind in ihren Küchen viele Utensilien für die Verarbeitung von Mehlspeisen zu finden: Dampfkörbe, Teigrollen, Nudelmaschinen.
Die Natur der Südchinesen ist reservierter, sie bevorzugen Suppengerichte. Ihre Küchen beinhalten öfter allerlei Arten von Steingutkochtöpfen, Suppentöpfen sowie diverse nahrhafte Zutaten.
Chinesen glauben, dass Nahrung nicht nur eine Notwendigkeit ist, um am Leben zu bleiben, sondern vielmehr eine Kunst. Sie bereitet den Menschen seelischen Genuss. Chinesen haben Nahrungsmittel tiefgehend betrachtet. Dabei wurden nicht nur ihre Nährstoffe für den Menschen betrachtet, sondern die Aufmerksamkeit auch auf Form und Farbe, Geschmack und Aroma gelegt. Für den Wohlgeschmack der Speisen benutzen Chinesen vielfältige Methoden wie vorrangig das Braten, Dämpfen, Kochen, Frittieren, Backen und Schmoren.
Zudem werden komplexe Formen der Kochkunst verwendet. Bei der Auswahl der Lebensmittel, wird auf alles Wert gelegt – Farbe, Aroma, Geschmack.
In der Zubereitung stechen besonders Messerschneidetechnik und Hitzekontrolle hervor.

Ein Beispiel ist das berühmte „Wensi-Tofu“-Gericht aus Yangzhou. Hier wird ein Stück Tofu, das zart wie Pudding ist, mithilfe eines chinesischen Küchenmessers in haarfeine Streifen geschnitten, um eine köstliche Suppe zuzubereiten. In der chinesischen Küche kann ein einziges Messer oft für sämtliche Schneide-, Hack-, Reibe- und Schälarbeiten verwendet werden, sodass es als König der Küche über allem thront.

Dagegen kann die Küche der Deutschen mit vier Zeichen beschrieben werden: 琳琅满⽬ (voll und glitzernd soweit das Auge reicht).
Allein an Messern gibt es schon dutzende Arten, Kartoffelmesser, Steakmesser, Spargelschälmesser…
Darüber hinaus gibt es noch allerlei Mess- und Kochutensilien wie den Schmortopf, den Spaghettitopf, den Kartoffeltopf, den Spargeltopf… Es ist als befinde man sich in einem hochmodernen Laboratorium.
Die Genauigkeit der Deutschen zeigt sich auch in einer extremen Form in ihrer Küche. Die Zubereitung jeder einzelnen Speise, die Menge aller Zutaten und Gewürze muss präzise bis aufs Gramm sein. Als ich einmal bei einer Freundin zu Besuch war, habe ich ein Gericht mit rot-geschmorten Rippchen gekocht. Als ich von ein wenig Salz und Zucker gesprochen habe, hat sie mich erstaunt gefragt, was „ein wenig“ denn für eine Zähleinheit sein soll. Ich habe damals laut losgelacht und dann ein wenig peinlich berührt erklärt, dass das „ein bisschen“ heißt.

Aufgrund der Diversität an Utensilien sind die Küchen der Deutschen in der Planung eher offen und vergleichsweise groß. Die Köche können sich während der Zubereitung der Speisen mit Familie und Freunden unterhalten.
Deutsche Küchen sind nicht nur traditionell der Ort, wo Essen zubereitet wird, sondern auch ein Ort zum Freunde treffen und ein Platz für Freizeit Gespräche mit der Familie.
Chinesische Küchen werden aufgrund ihrer Kochgewohnheiten grundsätzlich eher geschlossen konzipiert. Sie sind eher klein und kompakt, doch systematisch. Wegen der geringen Größe wird die Küche dem Aufenthalt in der Freizeit nicht gerecht, sondern wird ausschließlich für das Kochen verwendet. Dies wird auch durch die unterschiedlichen Lebens- und Essgewohnheiten der zwei Länder bestimmt.

In der Geschichte der Menschheitsentwicklung waren Nahrungsmittel und das Leben der Menschen immer eng miteinander verbunden. Sie sind eine wichtige Quelle, von der die Menschen in ihrem Überleben abhängig sind.
Chinesische und westliche Ess- und Trinkkonzepte, -struktur und -gewohnheiten beherbergen in vielerlei Hinsicht offensichtliche Unterschiede und jede Kultur hat ihren eigenen, ursprünglichen Platz.
Mit dem Anstieg der Lebensqualität fangen die Menschen an, auf ihre Gesundheit zu achten. Längst stillen sie nicht mehr einfach das Verlangen nach Wohlgeschmack oder Nahrhaftigkeit, sondern legen Wert auf die Vereinbarkeit von Aroma und Nährwerten.
Die heutige chinesische Küche hat angefangen, auf der Grundlage von Geschmack und Ästhetik die Nährstoffkombinationen und den wissenschaftlichen Charakter der Kochkunst zu betonen. Und auch die westliche Küche hat angefangen, von der Kreativität der chinesischen Küche in ihrem künstlerischen Charakter zu lernen.

Durch die gegenseitige Mischung unterschiedlicher Ess- und Trinkkulturen ist die Kulinarik nicht nur eine Kochkunst, sondern eine Vergnügung, ein künstlerischer Genuss.
Sie erinnert mich an den Satz aus dem Gedicht des Gelehrten Su Shi aus der Song-Dynastie:

„Schneeschaum und Milchblüten schweben mittags in der Teetasse.
Gemüse und Sprossen zieren den Frühjahrsteller.
Eine Prise Glück ist der beste Geschmack im Leben.“

Eve Massacre: Zombieträume

Es ist sonnig, die Luft ist zäh wie die Zeit, fast geronnen. Es treibt mich. Was, bleibt ungenau, aber die Angst sitzt im Magen. Unförmige Hände, glibbrig, glitschig, wabernde Haut, überall Körper, versuchen zu fassen, drängen, gleiten ab, gleiten ab, gleiten ab. Ich schiebe mich durch, dränge, renne, laufe, gehe, spaziere durch den Sommertag, die Straße liegt wieder leer vor mir. Häuser ohne Eingänge, Fenster wie gezeichnet. Ich erinnere mich selten an Träume, aber wenn, dann waren es in den letzten Jahren fast immer welche mit Zombies. Langsamen Zombies, wie es sich gehört. So auch dieser vor ein paar Tagen. Ich wache auf, es ist noch dunkel, die Furcht aus dem Traum hängt in den Schatten, aber ich weiß ja, im Haus bin ich sicher. Ich geh pinkeln, nur halb wach, bin so müde, will nicht ganz aufwachen, aber weiß, wenn ich jetzt weiterschlafe sinke ich wieder in diesen Traum. My private Elm Street. Ich schlafe wieder ein, träume den Traum weiter, und wache endlich erschöpft auf. Der Traum hängt den ganzen Tag in den Falten der Luft, immer nur einen Windhauch entfernt. Den ganzen verdammten sonnigen Tag, der so zeitlos verstreicht wie der vorherige. Corona hat neue Zeitempfinden geschaffen. Für die Daheimbleibenden ticken die Uhren anders als für die da draußen.

Ich muss an It Follows denken, einen hervorragenden Zombiefilm ohne Zombies. Er trifft den Zeitgeist indem er in einem seltsamen Zeitvakuum schwebend verharrt. Zombiefilm, weil es darin um untote Figuren geht, die dich verfolgen. Langsam, aber unausweichlich verfolgen. Du hast immer genug Zeit, wegzurennen, aber sie verschwinden nicht. Außer du hast Sex mit jemandem, dann überträgst du sie, wie eine Infektion, auf diese Person. Der Film spielt in einer zeitlosen Zeit, es gibt schwarzweiß Fernsehen, aber auch E-Reader, er legt sich auf kein wann fest. Diese ungewisse Zeit, ein Fehlen der Zukunft, eine Geschichtsenthobenheit, eine Gleichzeitigkeit aller Zeiten, ein hektisches Verharren, so wird unsere Ära gern beschrieben. In einem Faststillstand kurz vorm Weltuntergang gefangen. Wir sind nicht vor einer Zukunft und wir sind nicht nach etwas, wir sind jetzt, für mehr fehlt uns die Luft und wir fühlen uns, als wären wir auf Dauer damit beschäftigt, gegen die verdammten Zombies ankämpfen zu müssen, bevor wir ernsthaft eine Zukunft angehen können. Selbst die Zombiegeschichten selbst sind ihrer Geschichte enthoben, die, wie mich erst kürzlich ein Freund erinnerte, ja ihre Wurzeln in einer kolonialen Historie von haitiianischen Sklavenaufständen und Voodoo haben. Unter den heutigen sind die meisten der bekanntesten aber, von Walking Dead über Zombieland bis World War Z, auf einen pandemischen Gehalt reduziert, vielleicht noch mit ein bisschen Angst vor Überbevölkerung gespickt.

Zombies nicht nur in meinen Träumen, sondern auch als Hype der Stunde, mal wieder. Als Bild liegt das nahe, und wer kann, verschanzt sich drinnen vor dem Rest der Menschheit, der zum Fremden, zum unverstehbaren feindlichen Element geworden ist. Gerade als meine Selbstquarantäne wegen Corona anfing, habe ich einen Vortrag überarbeitet, in dem ich mich gegen Sicherheit ausspreche, angesichts einer Politik, die zunehmend unreguliertes öffentliches Leben als Bedrohung denkt, und prompt kommt die Pandemie, in der die Anwesenheit von vielen Menschen im öffentlichen Raum fast nur noch als potenzielle Gefahr gedacht werden kann. Danke auch.

Zombies also. Simon Pegg und Nick Frost haben einen kurzen Clip mit Corona-Tipps gedreht, in dem sie Shaun of the Dead wiederaufleben lassen. Es gibt jetzt schon einen Film namens Corona Zombies. Es gibt ein Meme, das eine sonst vielbefahrene Straße in Atlanta zeigt, die wegen der Corona-Ausgangssperre menschenleer ist, und daneben ein Bild derselben leeren Straße aus einer Szene in The Walking Dead. Ein anderes Bild, das zum Meme wurde, zeigt schreiende Protestierende in Ohio, die an eine geschlossene Glaseingangstür drängen und fordern, dass die Geschäfte wieder aufmachen. Eine Frau mit USA Flagge, ein Mann mit Trump-Käppi, ein Mensch mit Anonymous-Maske im Hintergrund, es wirkt wie eine Szene aus einem Romero-Film, und das Bild wurde schon mit allen möglichen kommentierenden Titeln wie “28 Business Days Later” oder “Dawn of the Braindead” gepostet.

Ach ja, eher Zufall, aber auch Zufälle gehören zur Hypebildung: Das Video zum Cranberries-Hit “Zombies” erreichte vor ein paar Tagen eine Billion Views auf Youtube. Daniel W. Drezner schreibt auf Foreign Policy darüber, wie uns Zombieapokalypse-Filme auf die Pandemie vorbereitet haben: Sie beschreiben meist den hohen Grad von Hilflosigkeit von nationalen Regierungen und Bürokratien angesichts einer internationalen Katastrophe. Er verweist aber auch auf die Lücke, die Zombiefilme haben: Sie zeigen nie lange die Übergangszeit, den Zusammenbruch der Gesellschaft, sondern immer bald kleine Gruppen übriggebliebener Menschen, die den anderen Menschen zum Wolf geworden sind. Da stimme ich ihm zu: Die Solidaritäten, die sich derzeit bilden, die kreativen Seebrücken-Demos, die Masken-Nähenden, die Menschen, die nicht müde werden, darauf hinzuweisen, dass die sogenannten systemrelevanten Berufe viel zu schlecht bezahlt sind, und die nach mehr sozialer Hilfe für alle rufen – sie tauchen in den modernen Zombiegeschichten nicht auf.

Laurie Penny schreibt auf Wired über das Gegenteil wie Drezner, nämlich darüber, auf was uns die ganzen Zombieapokalypse-Filme nicht vorbereitet haben. In ihnen sind Menschen immer abgeschnitten vom Rest der Welt, die Fernseher, Computer, die Nachrichten erlöschen nach und nach. So auch in Tim Maughans Science Fiction Infinite Detail vom letzten Jahr, in dem er durchspielt, was gesellschaftlich passiert, wenn es plötzlich kein Internet mehr gäbe. Menschen sind komplett auf Kontakte in ihrer lokalen Umgebung zurückgeworfen. Er hat sich schon auf Twitter beschwert, dass jetzt das Gegenteil eingetreten ist: Wir sind in unserer lokalen Umgebung physisch isoliert, aber das Internet erhält unsere soziale Verbundenheit aufrecht, Webcams sind ausverkauft und das Netz glüht vor Videokonferenzen und Livestreams, und versorgt uns mit Nachrichten von überall her, Onlineproteste und -diskussionen organisieren sich. Wir bekommen alles mit, können alle Facetten der Ereignisse mit Menschen aus aller Welt diskutieren.

Eins meiner ersten Auffangnetze in der Selbstquarantäne war ein Slack, das ein britischer Twitterbekannter aufgemacht hat, der in Barcelona in kompletter Ausgangssperre daheim saß, und in dem sich vor allem Menschen aus den verschiedensten Ecken Europas trafen, die sich zum Großteil nicht kannten, und sich ihren Alltag erzählten, sich emotionalen Support holen konnten, sich Film- und Musiktipps gaben, von Projekten erzählten, an denen sie gerade arbeiten und natürliche alle möglichen News und Einschätzungen und Politikdiskussionen zu Corona. Eine kleine Wahlfamilie für eine Weile, für mich sehr tröstend in ihrer Internationalität. Ich liebte sie schon immer, meine Internet-Zufallsfamilien.

Aber zurück zu meinen Zombieträumen. Sie würden sich nicht als Filme eignen, weil viel zu wenig passiert. Der eigentliche Horror liegt in der dauernden Angespanntheit und Wachsamkeit, zu der sie mich zwingen. Wie ein Hai, der ständig in Bewegung bleiben muss, weil er sonst erstickt. Ich mag Zombiefilme. Theoretisch. Praktisch kommen sie mir inzwischen manchmal zu nah, seit mir die Welt immer mehr aus den Fugen zu geraten scheint, ich mich bei aller Aktivität oft ohnmächtig fühle. Private Ohnmacht, weil große Teile meiner Tätigkeit und Möglichkeiten erst wegen einer Brandstiftung für Monate lahmgelegt wurden, und jetzt durch die Pandemie. Politische Ohnmacht, angesichts nicht verödender frauenfeindlicher und heteronormativer Strukturen, menschenverachtender Flüchtlings- oder HartzIV-Politik, aber auch Ohnmacht angesichts von Menschen, die in Verschwörungstheorien oder weirde Ideologien hineinrutschen, und nicht mehr durch Worte zu erreichen sind. Worte, für die ich auch nicht mehr so oft die Geduld aufbringe. Vielleicht auch deswegen Zombieträume: Wegen einer Gesellschaft, die dir scheint, als gäbe es in ihr immer mehr Menschen, die du nicht mehr erreichen kannst, die keine solidarische soziale Basis mit dir teilen. Oder ganz ins abstrakt Psychologische gehend: Vielleicht auch einfach Angst, dass Menschen, die dir etwas bedeuten, zu Fremden werden könnten. Ein Leben führen, das so anders ist, mit Zielen und Träumen, die sich so weit von deinen entfernen, dass wir einander Zombies werden. Eine der anderen, einer dem anderen. Wir müssten einander die Hirne nicht nur aus den Schädeln zerren, um einander zu verstehen, wir müssten sie fressen. Dantons Untod. Einander fremd werden zu können, hat mir schon immer mehr Angst gemacht als Fremde.

Das Gefühl des unausweichlich kommenden Horrors, den ich nur hinauszögern, aber nicht abwenden kann, den mein Zombietraum hinterließ, begleitete mich einen ganzen Tag lang in leisen Echos. Nicht dauernd präsent, eher wie Wellen, die sich zurückziehen und manchmal dann doch wieder so weit den Strand hochschwappen, dass sie dir um die Knöchel spielen. Bis in den späten Nachmittag hinein spürte ich immer mal wieder eine leise Furcht vor dem nächsten Schlaf, in dem ich wieder zurück in diese Welt geraten könnte. Je näher das Einschlafen rückte, desto ruhiger wurde ich aber und spürte ganz antiklimaktisch: heute wird keine dieser Nächte sein. Heute kriegen sie mich nicht.

Daphne Elfenbein: Der Mundschutz-Hype

Corona Corona Corona – das ist mein neuer Song.

Ich sing ihn von früh bis spät. Außer ich trag den Mundschutz, dann kann ich nicht singen. Mundschutz ist das Accessoire unserer Zeit. Ich hab schon ein Gewerbe angemeldet dafür. Alles online. Raus darf man ja nicht. Die Welt steht ja still. Jetzt vertreibe ich Designer Mundschutze übers Internet. Leute ich mach die große Kohle aus der Krise und sing dazu: Corona Corona Corona, während ich an der Nähmaschine hocke und die schönsten Stoffe zu den schönsten Masken nähe. Rot mit weißen Punkten. Weiß mit grünen Punkten, Glencheck, Burlington, Japanese, Karo mit Edelweiß, Regenbogen, Orientalisch, Jugendstil, Asiatisch, Vintage, Dalmatiner-Look, ein ganzer Katalog.

Wenn ich jetzt noch wie gewohnt zu meinem Nagelstudio, zur Massage und Kosmetik gehen könnte wie gewohnt, dann wär mein Leben perfekt. Stattdessen hat mir mein sehr geschätzter Göttergatte heute früh eröffnet: Du kotzt mich an. Bloß weil ich mal etwas länger in der Badewanne gesungen habe. Für mich ist eine Welt zusammengebrochen. Ich hab mich dann schön gemacht (das Vintage Kleid mit den Riesen-Orchideen, Parfum und Bambi Hütchen), und bin flanieren gegangen. Roter Mundschutz mit weißen Punkten. Passend zum Outfit. Und Abstand halten!

Prompt hat mich an See ein Jogger angerempelt. Ich hab geschrien und ihm ein Bein gestellt. Dann fuhr zufällig die Polizei vorbei. Sofort stand ein Pulk von Gaffern um uns herum. Ich will sofort ins Krankenhaus! Hab ich geschrien, einen Seuchen – Test machen. Ich lass mich doch von diesem dahergelaufenen Jogger nicht infizieren. Der Kerl wand sich am Boden und hustete mein Pfefferspray aus. Na ja, vielleicht überleg ich’s mir noch, ob ich ihn anzeige, ich zeig ihn sicher an.
Jedenfalls hatte ich dann, umringt von besorgten Leuten aus meiner Nachbarschaft, Gelegenheit meine Designer-Mundschutzmodelle vorzuführen, ich hab die ja immer dabei. Ich hab Riesen-Aufträge mit nach Hause gebracht.

Und kaum bin ich zu Hause… hab ich die nächste Geschäftsidee, obwohl mein Göttergatte schon wieder die Augen rollt deswegen.
„Unter Masken zu singen!“ Yes we can! Diese Krise macht mich reich! Ich biete online Seminare an, wie man unter der Maske singt. Corona Corona Corona… und dann texte ich einen Krisen-Song. schließlich war ich mal Opernsängerin… Es wird einen YouTube Kanal geben.

Huch! Es klingelt, das ist meine Delikatessen Lieferung. Schatzi, mach den Schampus auf. Es gibt was zu feiern.

M.S. Bakausky: Sie haben Geschichte geschrieben

Manchmal gibt es einen Musik-Act, der einfach den Nerv der Zeit trifft. Leute wie Elvis Presley,  die Beatles, Falco oder Madonna. Doch in den frühen neunziger Jahren gab es nur eine Band, die überhaupt etwas zu sagen hatte: Scooter.
Mit dem äußerst genialen Frontmann H.P. Baxxter.
Im Jahre 1994 gab es nur ein Lied, dass man hörte, wenn man auf sich etwas hielt: „Hyper Hyper“ wurde international, weltweit auf allen Sendefrequenzen und in jedem angesagten Club auf und ab gespielt.
Natürlich hatte auch ich die Single auf CD gekauft. Ich war damals acht Jahre alt und konnte den Refrain auswendig. Ganz zum Missfallen meiner Eltern. Während andere Kinder noch Flöte spielten, bettelte ich um Synthesizer-Unterricht. Doch den gab es in meiner Stadt zu der Zeit einfach nicht. Ich schrieb einen Brief an den Hans Peter Baxxter.

„Sie sind mein Idol. Ich bin so aufgeregt. Ich kann es gar nicht glauben, dass Sie diesen Text lesen werden. Scooter ist die beste Band. Hyper hyper ist ein Meilenstein. Ich könnte platzen vor Freude. Also ich würde gerne Synthesizer-Unterricht nehmen. Können Sie mir einen Tipp geben? Hochachtungsvoll, …“

Jeden Tag nach der Schule ging ich in das Büro meines Vaters und fragte, ob ich Post bekommen hätte. Ich ließ mich auch nach Tagen nicht entmutigen, baute mich wieder auf, indem ich „Hyper Hyper“ in meinem Zimmer herauf und herunterspielen ließ. Meine Mutter war langsam genervt davon. Stellte einmal sogar den Strom am Sicherungskasten ab. Sie schien meine Liebe zur elektronischen Tanzmusik nicht zu teilen.

Nach drei Wochen war es so weit. Ich kam von der Schule, ging in Vaters Büro und fragte nach der Post. Er sagte erst, ich muss dich leider enttäuschen, wieder nichts! Kurz bevor ich das Zimmer verlassen hatte, sagte er dann noch: „Warte, doch da ist etwas!“ und übergab mir den Umschlag.
Ich rannte in mein Zimmer und öffnete behutsam den Briefumschlag. Ich fingerte eine Autogrammkarte und ein gedruckter Brief heraus. „Hallo … vielen Dank für deinen Brief. – wir sind per du, dachte ich. Er hat mich sehr inspiriert. Als kleines Dankeschön schicke ich dir anbei eine Autogrammkarte. Beste Grüße H.P. Baxxter“

Ich war außer Rand und Band. Ich platzte fast vor Freude. Bis ich merkte, dass Hans Peter gar nicht meine Frage nach dem Synthesizer-Unterricht beantwortet hatte. Es stand als Absenderadresse ein Postfach in Hamburg. Da war mir klar – ich muss nach Hamburg! Hier in Nürnberg geht nichts. Doch meine Eltern waren nicht erfreut über meine Umzugspläne. Ich hatte es mit Quengelei probiert, mit Argumenten und mit Dauerspielen von „Hyper Hyper“. Bis mein Vater in mein Zimmer kam, mich anschrie was ich eigentlich mir dabei denken würde, dass er Ruhe brauche um zu Arbeiten, dass er mit dem Kopf arbeitet. Er nahm die Stereoanlage und die CD mit. Er kam zurück mit leeren Händen und nahm die Autogrammkarte von der Wand. Ich schrie: Nein, nicht die! Und wollte sie ihm aus der Hand reißen, doch er hielt sie stärker, sodass er und ich jeweils eine Hälfte in der Hand hatten.

Meine Mutter kam kurz darauf und tröstete mich. Zeigte mir eine Broschüre vom Klavierunterricht. Sagte, dass wenn ich erst einmal Klavier spielen könnte, klassische Musik, würde es mir besser gehen. Von nun an musste ich täglich vier Stunden Klavier spielen. Meine Eltern waren auch sonst strenger geworden. Ich durfte nicht mehr meine Freunde sehen. Nach der Schule hieß es Hausaufgaben machen. Dann Klavier spielen. Zweimal die Woche kam ein Klavierlehrer zu mir.

Die Jahre schritten voran. Ich vergaß Scooter völlig.Kurz nach meinem 18. Geburtstag packte ich meine Siebensachen ein und zog aus. Ich hatte schon länger kein Wort mehr mit meinem Vater gewechselt. Jetzt nahm er mich kurz zur Seite und reichte mir einen braunen Umschlag. „Das hier gehört dir“, sagte er. Ich steckte den Umschlag mit zu den anderen Sachen in einen Karton. Als ich ihn ein paar Tage später öffnete, kamen zum Vorschein:

Die Single „Hyper Hyper“ und eine fein säuberlich geklebte Autogrammkarte.

Ich war sofort wieder angefixt.
Tage, Nächte, lang hieß es bei mir nur noch „Hyper Hyper“.
Doch es war nicht mehr dasselbe, es wurde einfach nicht mehr wie 1994.
Vielleicht passte Scooter einfach gut in die Neunziger Jahre, vielleicht waren die jetzt vorbei.

Als ich das begriff, stellte ich den CD-Spieler aus, legte ich mich aufs Bett und weinte, weinte und weinte.

Carolin Wabra: Fidgetspinner

Etwas liegt in meiner Hand. Es ist silber glänzend mit rosa-türkisfarbenen Streifen. „Metallic“, hat die Verkäuferin gesagt. „Total angesagt zur Zeit. Das geht weg wie..naja sie wissen schon…warme Semmeln, frische Schrippen, brandneue Brötchen. Meine Neffen haben das auch fährt sie fort. Und deren ganze Klasse. Zweimal hab ich schon eine neue Lieferung bestellt. Die Leute reißen es mir aus der Hand. Nur 7,50 Euro, kostet das und ist dabei jeden Cent wert. Das beruhigt die Nerven, sagt meine Tochter auch, das ist nicht nur Spielzeug für die Kids, sondern auch was fürs Hirn. Ich hab so viele Kunden die darauf schwören, wegen dem ganzen Stress heutzutage…wird ja alles immer schnelllebiger, die neuen Medien und die Erreichbarkeit. Naja sie wissen schon.“

„Das nehm ich“, habe ich gesagt. Habe das Geld aus meinem schwarzen, durchgegessenen Geldbeutel gefischt und in ihre rauen Hände gelegt, deren Fingerkuppen schon ganz wund waren.

Jetzt halte ich es in meiner Hand. Ganz kalt ist es, aber auch wenig weich. Es liegt gut darin. Ich stupse es leicht an als es auf meiner Fingerspitze liegt. Ganz behutsam bringe ich es in Bewegung, so als würde ich den kleinen Hundewelpen meiner Nachbarin das erste Mal mit vor die Tür nehmen, um ihm diese große weite Welt zu zeigen.

Ganz tapsig dreht sich auch das schimmernde Ding auf meinem Finger. Es strauchelt etwas, fängt sich aber schnell und kommt in Bewegung. Immer schneller wird es je öfter es seine Runden auf meiner Fingerkuppe dreht. Die Geschwindigkeit zieht mich in den Bann, kleine Reflexionen die, die das Licht auf der Oberfläche zeichnet laufen die Wände meines Zimmers entlang. Es ist so schön. So unfassbar schön.

Das habe ich geschaffen. Alleine, ich, hier, in meinem Zimmer. So stolz war ich das letzte Mal nach dem Abitur. Glaube ich. Habe ich aber vergessen.

Vermutlich war ich nie wirklich stolz. Auf was denn auch. Die abgebrochene Ausbildung und den Job an der Tanke, den ich habe seitdem ich 15 bin. Stolz kann man darauf nicht sein. Vor allem nicht, wenn alle, um dich herum etwas Richtiges studieren.

Als sie noch studierten konnte ich auf sie herabblicken. Schließlich hatte ich ein festes Gehalt, arbeitete 40h. Begrüßte Kunden, füllte Regale auf, langte Kaffee und Leberkäse über die Theke und nahm mir Samstagabend die liegengebliebene Motorsport und die Zeitungen ab 18 mit nach Hause. Ein systemrelevanter Arbeitsplatz würde man wohl sagen. Damals haben sie mich noch beneidet, redete ich mir ein. Sie, die mit dem Fahrrad zu mir kamen und Bier und Zigaretten zu kaufen, sie die mit weniger als 800 Euro im Monat auskamen und den Kopf voller unwichtiger Texte hatten von Menschen die schon längst nichts mehr zu sagen hatten.

Die langen Studienjahren holen die nie wieder auf, glaubte ich. Bis ja, bis sie ihr Studium beendet hatten, ihre Haare kürzten, ihre Moralvorstellungen gegen regelmäßige Gehaltseingänge und das Fahrrad gegen die neue C-Klasse tauschten. Dann merkte ich dass ich es war der sie beneidete.

Jetzt grinsten sie mich halb feixend, halb mitleidig an, wenn sie zu mir kamen. Na, immer noch hier? Ja, ja, doch. Macht Spaß, gut bezahlt. Ja, ja. Gehört dir der Laden mittlerweile? Ne, nee. Ich bin da bescheiden, so. Ist ja auch schwierig so ohne Abschluss. Naja, der steinige Weg ist der lohnende und so…sie wissen schon. Da habe ich bemerkt, dass ich es war der die ganzen Studienjahre nicht mehr aufholte, der, der stehengeblieben war. Der, der es zu nichts gebracht hat in dieser Gesellschaft in der es doch alle irgendwie zu irgendwas bringen müssen.

Aber jetzt. Jetzt bringe ich etwas in Bewegung. Kein Stillstand mehr in meinen Händen, nur noch Geschwindigkeit, Fortschritt. Ich bin gottgleich, allmächtig. Ich bin alles. Ich bin alles durch dieses metallische Geschöpf. Der dreifaltige Kreisel in meinen Händen. Ein beruhigendes Zischen füllt die Stille um mich herum aus. Ich stelle mir vor, dass wir gemeinsam abheben. Dass sich das schimmernde Ding von meiner Fingerspitze bewegt, nach oben steigt und mich mitzieht an die Decke meines Zimmers. Dann stoßen wir beide gegen den rauen Putz. Ein dumpfes Geräusch macht das. Dann ist. der Hype vorbei.

Theobald O.J. Fuchs: Isolation

Dr. Venkatraman trat vor das Hochhaus ins pralle Sonnenlicht. Er legte seine Stirn in Falten, als er hinauf in den blauen Himmel blickte. Dort kreiste ein schwarzer Pulk Krähen. Vielleicht ein Zeichen, dachte Venkatraman. Fast unsichtbar kleine Farbpartikel, die sich vom roten Punkt zwischen seinen Augenbrauen gelöst hatten, bröselten zu Boden. Doch ein Zeichen für was? fragte sich Venkatraman. Wenn er nur mit jemandem darüber sprechen könnte! Doch Rajiv Lakshminarayanan war seit Tagen nicht mehr im Dienst erschienen, das ganze Bürogebäude war menschenleer, niemand interessierte sich mehr für die Arbeit der Behörde.

Venkatraman ging vor bis zur Ecke, wo die East Coast Road die Hundred Feet Road kreuzte. Dort stand ein alter, krummer, von Staub und Abgasen gebeutelter zementgrauer Baum. In einem Riss zwischen den steinharten Wurzeln war ein kleiner Schrein eingesetzt, welke Blumen lagen darunter, auf einen Grashalm gefädelt weiße und orangefarbene Blüten, ein feuerroter elefantenköpfiger Götze streckte seinen goldenen Handteller den Vorübergehenden zum Gruß entgegen. Wenngleich heute kein einziger Mensch außer Venkatraman hier vorüberging. Die roten Ziegelsteine, mit denen der Gehweg ausgelegt war, knirschten unter seinen Füßen. Venkatraman blieb stehen. Seine Flip-flops waren schon sehr abgelaufen und sahen schäbig aus. Würde es mir vielleicht helfen, den letzten Rest Würde zu bewahren, wenn ich mir neue Schuhe kaufte? ging es ihm durch den Sinn. Venkatraman hätte darüber gerne mit Lakshminarayanan diskutiert, doch sein Kollege hatte sich nicht einmal von der Arbeit abgemeldet. Er war spurlos verschwunden. Wie alle anderen.

Wie auch der einäugige Scherenschleifer, Giundy, der doch immer hier an der Ecke saß und auf Kunden wartete. Auch Giundys Frau Anandyanjaswinder war nirgendwo zu sehen. Für einen kurzen Augenblick stieg Panik auf in Venkatraman. Ihn packte die Angst, dass in seinem Kopf etwas nicht mehr in Ordnung sei und er nicht mehr wisse, wo er war. Vielleicht war das gar nicht die Ecke an der East Coast Road…? Vielleicht schien in Wahrheit auch die Sonne nicht und es war mitten in der Nacht? Das Herz schlug ihm bis zum Hals, hinter den Augen staute sich sein Blut, in seiner Kehle bildete sich schon ein zu seinem Gemütszustand passender Schrei.

Doch dann sah er den Fleck. Eine schwärzliche Verfärbung der Steine dort, wo Anandyanjaswinder gewöhnlich jeden Mittag einen Topf duftender scharfer Blumenkohlsuppe zubereitete, mit frischer Milch von der Kuh, deren Revier die Gasse hinter dem Amt war. Nein, Venkatraman hatte seine fünf Sinne beisammen, alles war gut, sein Kopf funktionierte. Oder dann doch wieder nicht, oder? Denn wo waren sie alle? Er zog das Handy aus der Tasche, bereit, das letzte Mittel zu ergreifen, das er sich vorstellen konnte.

Er wählte die Nummer von Krishnan Balamsubramanian, seinem obersten Chef und stellvertretendem Vizeminister für mittelschwere und leichte Sozialfragen. Venkatraman warf einen schnellen Kontrollblick in jede Richtung. Kein Mensch war zu sehen, die Straßen waren völlig verlassen. Sogar die Affen in den Baumwipfeln schwiegen. Richtig, dachte Venkatraman, die Affen? Keine Spur von ihnen… Wann habe ich das zuletzt erlebt? Habe ich überhaupt schon einmal erlebt, dass die Welt so menschenleer war, fragte er sich, während er darauf wartete, dass im Telefon der Rufton summen würde. Doch da tutete nichts. Da war nur noch das Geschrei der Krähen hoch oben und das Schaben seiner Sohlen auf den Steinen.

Venkatraman hatte das traurige Gesicht Balamsubramanians vor Augen, als er ihm zum letzten Mal begegnet war. Vor drei oder vier Tagen, auf dem Flur, beim Trinkwasserspender. Krishnan, der mit seinen dunkelblauen Augen hinter den dicken Brillengläsern noch stets jeden Bittsteller mit einem guten Gefühl im Herzen entlassen hatte. Sei vorsichtig, Venkat, hatte er ihm nachgerufen. Klar doch, hatte er geantwortet, aber dann war der Strom im ganzen Viertel ausgefallen und die Hitze war so unerträglich geworden, dass er vergessen hatte, worum sich das Gespräch überhaupt gedreht hatte und was als nächstes zu tun sei.

Venkatraman leckte über den Zeigefinger seiner rechten Hand, schloss die Augen und presste die Fingerspitze gegen den roten Punkt auf seiner Nasenwurzel. Die Energieströme schlossen kurz, er erdete sich selbst und näherte sich dem Nirwana.

Großer Ganesha, dachte er, so einfach hatte ich mir das nicht vorgestellt.

Er spürte eine wundervolle Wärme durch seinen Körper fließen und im nächsten Augenblick durchbrach er die Isolation seiner Seele…