Andreas Prucker: Warum

Tvb7ub9 tollwütiges Tanzhaus Liebe.
6ghu als Aluhut-Aber-glaube einer Vergangenheit, was gegenwärtig weiter bestehen bleibt.
Warum?
Baustelle Kultur ist die Baustelle der Zwänge im tollwütigen Eingriffsraum von verzerrter nicht verstandener Liebe. Ich will eine Eingriffszange für mein Gehirn, damit es sich um 180° drehen kann und ich diese neue Dissonanz in der Welt besser verstehen kann. Schon bekommt der Begriff Zangengeburt ein anderes Gewicht.

AI als authority income wird uns subtil und leise, wie feige zum neuen Aberglaube bewegen und es ist nicht meine Aufgabe als Care Arbeit, dies falsche verstehen von Sprache zu befrieden und zu verhindern ansieht. Ja, Chat GPT als neuen Aluhut finde ich folglich gut.
Ein auflösen von kulturellen Zwängen ist nur dann möglich, wenn ich es über meine Art für mich allein machen kann, was aber in prägender Erziehung kaum akzeptiert wird, da ich mich nicht ganz konform bei Lösungen außerhalb der autoritären Elektronik bewege.

Der kulturelle Krieg als Trieb ist ein manipulativer Eingriff in die Vorstellungen von Liebe und
folglich eine dumme Liebe, oder täusche ich mich und Missstände sollen ja bewusst Missstände bleiben, um damit profitable Geschäftsmodelle, über neue kulturelle Zwänge, als Trend im Zeitgeist über falsch verstandene Sprache zu erziehen.

Wir alle rügen sprachlich alle kriegerische Aktionen und verdienen an politischer sprachlicher Rüstung ungemein dazu und diese kriegerischen Missstände sollen doch deswegen, bitteschön Kriege bleiben.

Ist wie: Das unberechenbare an Trump, ist an den Börsen berechenbarer für neue Gewinne. Also eine schizophrene Welt, die man sich hier erstellt. Man muss nur für sich lernen, damit umzugehen. Somit ist dies alles eine Baustelle von verzerrten Wahrnehmungen, die wir für ein orientieren lieben.

Ja. Die Entfremdung des Menschen von sich selbst nimmt dadurch verstörende Züge an.
Uns Delphine macht es furchtbar traurig, das mitanzusehen.
Ich denke, wir werden euch bald Adieu sagen müssen.

blumenleere: in memoriam novalis


als schwindelnder taumel der tanzenden saiten/erloeschen wir brennend/noch ehe wir sehen/was hinter den bergen & taelern wohl liege/wohin all die stuerme in zukunft uns wehen//& drehen wir rueckwaerts die fastblinden augen/behaupten wir zaghaft verschwimmend konturen/eines heute/laengst gestern/einst morgen gewesen/die stimmen der zeiten/erinnerungsspuren//auch bleibt uns der sand nicht/es leeren sich haende/ach/wirklich/na welche/laengst selbst ja zwischen traeumen verloren//einzig/vergaenglich/zum schwingen des lebens/des augenblicks lupe/durch welchen wir ziehen//

Theobald Fuchs: Wenn die Zukunft mit voller Absicht am Wartehäuschen vorbeifährt

Jetzt hatten sie schon so lange über das Wesen der Zeit nachgedacht, dass es langsam echt Zeit wurde. Für eine Antwort, wie und was das alles, woher sowieso, die Leute waren schon recht ungeduldig geworden.

Mit immer neuen Ausreden waren DIE DORT dahergekommen, hatten wirres Zeug geredet, um Zeit zu gewinnen. Dass es ein beträchtliches, also ein echt arschschwieriges Problem sei, hatten SIE gesagt, alleine wenn man daran dächte, wie mörderkurz die Gegenwart sei, jammerten SIE, eigentlich nur der Bruchteil eines Moments und dazu davon noch ganz viele, weil ja jeder Ort im Universum ein eigenes Hier und Jetzt habe, also sei man mit unendlich vielen Gegenwarten konfrontiert, klagten SIE, was per se keine schöne Situation sei, und dann auch noch der Druck von der Straße. Leute, die fordern, endlich die Wahrheit mitgeteilt zu bekommen, Leute, die nicht länger warten wollen. jetzt Ergebnis her, aber zack! Sonst Schluss, es reicht, ihr hattet genug Zeit.

Unterm Strich, global betrachtet keine einfache Gemütslage. Umso erstaunlicher, dass es dann doch noch klappte, das mit der Antwort, dass also wirklich DIE DORT die Lösung fanden, alles erklärt werden konnte, komplett in Einklang mit dem Dings, der Relativität, nicht wahr? Und dem Trick mit den Uhren, mit der Urzeit ohne サhォ auch – muss man gar nicht weiter ausführen, weil das ja automatisch folgt, wenn man die Lösung kennt.

In einem Wort: Wahnsinn! Die Lösung verblüffte alle. Wegen ihrer Einfachkeit mit サkォ zum einen, das war kaum zu glauben, wie simpel, dass da vorher, also vor DENEN niemand darüber gestolpert war, aber na gut, manchmal findet man ja selber etwas nicht, und am Ende sitzt du auf der Fernbedienung. Und andererseits – was war das nochmal, jetzt muss ich selber nochmal kurz nachdenken, Moment… ach ja, die Lösung ließ sich absolut verständlich in unter einer Minute erklären, als ob es ein Nichts wäre, aber das hatten wir schon, genau.

Und zum anderen wurde klar, dass wir es halt auch schon immer gewusst hatten, bloß halt nicht kapiert, dass das so ist. Dass man wirklich soo lange auf dem Schlauch stehen kann – geschenkt. Auch zwei Mal wegen mir. Aber eigentlich hätten DIE DORT schon etwas früher darauf kommen können, ich meine, wie stumpf kann man sein? Niemand wartet gerne. Da sind SIE wirklich in der letzten Sekunde rübergekommen mit Brauchbarem, arschknapp. Aber jedenfalls hat sich diesmal das Warten echt gelohnt, mega Hammer die Auflösung, wirklich echt. Soderle, und ich muss jetzt wirklich weiter, Tschaui!

Silke Gruber: Wie Schwer Es Ist

Herrin im Haus der Seele zu sein
wo der Strom häufig ausfällt
wo Untermieter Probleme machen
wo das teure WLAN nicht bis zum Balkon reicht
die Nachbarn sich über den Wildwuchs beschweren
aus baurechtlichen Gründen kein Carport gebaut werden darf
für den Seat Ibiza den ich mir nicht leisten kann
den ich manchmal vorbeiflitzen sehe vom Balkon aus
wo ich kaum mehr Platz finde wegen der Dornen
die aus dem Garten herauf ihn sich genommen geholt haben
zu Tausenden als wären sie über Nacht gewachsen
während ich von einem hundertjährigen Schlaf träumte
in dem der Koch noch nicht dem Küchenjungen
der mir immer schon leid tat wie alle Kinder mir leid tun
die sie nichts dafür können
wie niemand etwas dafür kann
dass wir hier sind

in uns selbst zu Hause sind
wo uns ein Wille antreibt
und ein anderer dagegenzerrt
wo uns ein Kopf ein Gefühl vermiesen will koste es was es wolle
wo uns ein Gefühl den Kopf verdrehen will koste es was es wolle
die Gurgel umdrehen

wo eine Horde aus Stimmungen ständig große Pause hat im Pausenhof
große Pause hat im Pausenhof an einem Starkföhntag
und am nächsten Tag Wandertag
aufgezwirbelt, kurz bevor der Schnee kommt, aber ohne Aufsicht !
Die Stimmungshorde kann niemanden fragen, wie weit es noch ist
sie weiß nichts über das Ziel (welches Ziel?)
liegt es außerhalb
oder in uns
wo wir zu Hause sind
(in unserm Seelenhaus)
wo wir Herrinnen und Herren sein sollen
alle Räume mit Brandschutzmeldern versehen haben sollen
anstatt sie einfach abzuschrauben: regelmäßig deren Batterie austauschen sollen
wissen sollen wo im Brandfall die Brandschutzdecke liegt
die wir bei Bezug gekauft haben sollen und wo der Feuerlöscher
für dessen regelmäßige Wartung wir ebenfalls selbst zuständig sind
den Fluchtplan kennen. den Notfallplan! die Notausgänge!
den sichersten und gleichzeitig schnellstmöglichen Weg hinaus !!
aber
aus dem Seelenhaus
gibt es keinen Weg hinaus

es ist eine Seelenwelt

die wir nicht verlassen können
und sei es nur für einen Kurzurlaub übers Wochenende
und sei es nur für das first date mit der älteren Frau (Ende 50 wird sie sein)
in deren sanftmütigen Blick wir uns via Internet verliebt haben
wegen unserem Mutterkomplex

nicht einmal für einen Kaffeebesuch bei einer lieben Freundin auf ein Glas Wein
nicht einmal das, überallhin tragen wir es mit
das Seelenhaus mit seinem Saustall
können ihn nicht einmal eine halbe Stunde hinter uns lassen
und in ein sauberes frisch-geweißeltes frisch-bezogenes frisch-renoviertes restauriertes anderes Seelenhaus gehen
höchstens einen Blick können wir werfen von „daheim“
nur aus dem Fenster können wir uns beugen mit dem Fernglas
immer müssen wir im eigenen bleiben
und uns kümmern: um Silikonfugen
um mögliche Schimmelspuren in Silikonfugen
um Energiesparlampen
um ausreichend Geschirrspülsalz im Geschirrspüler
um regelmäßiges Stoßlüften (das Seelenhaus will durchlüftet sein)
um halbjährliches Drücken der Kontrolltaste im Sicherungskasten
um den Austausch von Silikonfugen
um den Austausch von undichten Dichtungen
um den Austausch –

um die Kontrolle der Stimmungshorde (um ihre Beaufsichtigung)
um das eine Gefühl das besonders kleine
das sich im Keller eingerichtet versteckt hat
vor dem anderen mit dem Schwanz
das im Dachboden sein nachtaktives Unwesen treibt
das dort Nacht für Nacht Fotze serviert (aber nur dem eigenen Spiegelbild)
das den Ausgang aus dem Dachboden vergessen hat
den Abgang nicht mehr findet
weil es seit Jahrzehnten nur noch den Blick in den Spiegel kennt
aus dem die servierte Fotze herauslacht mit ihrem mega Outfit
das anti-peoplepleasing schreit und „Schau mal endlich auf dich selbst!“
zur stetigen Innenschau will die servierte Fotze verfluchen
mit ihrem Selbstbewusstsein
das sie sich aus streng vernähten Wunden hart erarbeitet hat
an das sie fast schon selber glaubt
wie sie auch schon fast glaubt an das eine winzige Gefühl
das sich im Keller eingerichtet hat
oder sind es mehrere

wie schwer es ist Herrin im Seelenhaus zu sein
wo es keinen Weg gibt hinaus höchstens in den Garten
wo die Buche vielleicht gefällt werden muss
was den Nachbarn nur recht wäre
die froh sind dass es kein Carport gibt
auf dem kleinen Kiesplatz neben dem Eingang
wo sich das Unkraut bewegen darf quasi frei bewegen darf
wo ich meinen Müll. trenne. in drei. große. Tonnen.
meinen Haus-Müll mehrmals die Woche
aus dem Haus hinaus in den Garten
der selbstverständlich zum Haus gehört
für den ich genauso verantwortlich bin
obwohl ich die Buche nicht einmal selbst gepflanzt habe
dass sie sich der Gemeindegärtner einmal ansieht bitte
während ich vielleicht höchstens am Balkon
der längst den Dornen gehört
über die sich die Nachbarn beschweren zwecks Ortsbild

die Nachbarn bei denen viel öfter Pakete abgegeben werden
bezogen aus ihrem WLAN das sie am Dachboden und im Keller nutzen können
wo sie (nach dem Vorbild der Nachbarn)
ihre eigenen Fotzen servieren dem eigenen Spiegelbild
neben den E-Bikes und Gravelbikes die den Winter überdauern dort
wo Amadeus, das Übungsvoltigierholzpferd der Tochter, den Winter überdauert
wo sie hingehen zum Lachen und Saufen und um Dinge zu über-lauern
und um zu trainieren nicht nur auf der Hantelbank
für den nächsten Firmenlauf wo sie diesmal achteinhalb Kilometer anpeilen
und am Zielfoto unbedingt besser aussehen wollen als beim letzten Mal
wo sie vorher nicht im Solarium waren
wo noch die Nachbarin mitgelaufen ist
bei der wesentlich öfter Pakete abgegeben werden
(die am Foto aber auch nicht besser aussieht Gott sei Dank wird schon am Fotografen liegen)
die sich früher gern über die Carports beschwert hat
die nie zur Eigentümerversammlung kommt (sie tut mir irgendwie leid)
die anscheinend was mit dem Gemeindegärtner hat
die hundertprozentig lesbisch ist (wann Outing!?)
die man in letzter Zeit überhaupt nicht mehr zu Gesicht bekommt
die ihr E-Bike das ganze Jahr draußen stehen lässt
von der man eigentlich schon nichts mehr hört
seit sie es für sich allein hat: das ganze, schöne Haus (die glückliche!)

FD: Jetzt

Sie fand sich in einer Art Bibliothek wieder, nur dass in den Regalen keine Bücher standen, sondern
Glaskugeln lagen, ordentlich nach Datum und Uhrzeit sortiert, in denen – ähnlich wie in einer Schneekugel – Farben und Bilder wirbelten. Bei genauerem Hinsehen fielen ihr die Beschriftungen auf: Schaukel, Nordseeurlaub, 24.07.1993; Geburtstagskuchen, 01.10.1995; verschüttetes Wasserglas, Grundschule, 16.04.1997. Je weiter sie an den Regalen vorbeiging, desto weiter schritten die Daten voran. Sie ging an „Chemieunterricht, 8. Klasse, 09.05.2003“ vorbei, überging Schulwechsel, Abitur und Studienbeginn, arbeitete sich durch Auslandsaufenthalte, dramatische Trennungen, das erste Mal MDMA. In manchen Kugeln waren klarere Bilder enthalten, andere sehr verschwommen, wieder andere schienen sich im Moment des Daraufschauens zu verändern. Oder waren sie in einem ständigen Prozess der Veränderung?
In der Ferne konnte sie sehen, wie sich das Regal auflöste, klare Ordnung ging in eine Wolke über. Als sie ihr näher kam, wurde ihr klar, dass auch die Wolke aus tausenden kleineren und größeren Glaskugeln bestanden, alle gefüllt mit einer Art farbigem Rauch. Manchmal schien sich hier und da ein Bild zu manifestieren, bevor es sich plötzlich wieder auflöste. Alle paar Sekunden verfestigte sich in einer Kugel ein Bild und sie reihte sich in das letzte Regalfach ein. Sie las die Beschriftung der letzten Kugel, die gerade in das Regal gerollt war: Traum, Gedächtnisregal, letzte Kugel 20.05.2025, 15.34 Uhr. Dem folgte die nächste Kugel, darin zu sehen das Schildchen, das sie eben gelesen hatte: Traum, Gedächtnisregal, letzte Kugel, 20.05.2025, 15.34 Uhr. Darunter die Beschriftung: Traum, Regal, Beschriftung der letzten Kugel, 20.05.2025, 15.34 Uhr.
Neben ihr war in den letzten Augenblicken eine Figur erschienen, die sie nun mit strengen Augen ansah. „Vergangenheit und Zukunft. Deine Aufgabe ist es, den gegenwärtigen Augenblick einzufangen“, sagte die Figur und reichte ihr einen Köcher, mit dem man vielleicht Insekten oder Schmetterlinge fangen könnte. Sobald sie den Köcher in der Hand hatte, war die Figur wieder in die Ferne gerückt. Aber die Aufgabe schien ihr außerordentlich dringlich und mit der Nichterfüllung eine gehörige Strafe einherzugehen. So machte sie sich sofort daran, mit dem Köcher aus der Glaskugel-Wolke Glaskugeln zu fangen. Hatte sie jedoch erfolgreich eine Kugel mit dem Köcher erwischt, schien sich diese sofort in Luft aufzulösen, um dann augenblicklich mit Schildchen und Beschriftung versehen im Regal wieder aufzutauchen. Egal wie schnell sie versuchte, eine Kugel einzufangen und festzuhalten, sofort war sie wieder verschwunden.
„Glaskugel-Traum, Versuch Nr. 12, 20.05.2025, 15.35 Uhr“, las sie auf dem letzten Schildchen und schlug umso energischer mit dem Köcher auf die Kugeln ein.
„Das ist doch ganz unmöglich!“, schrie sie zu der Figur im Hintergrund.
Da wachte sie auf, etwas verschwitzt, aus dem Mittagsschlaf auf dem Sofa. Wo war sie? Welcher Tag war es? Ihre Uhr zeigte 15.36 Uhr.

Felix Benjamin: Emma Verreist

Hügel und Felsen ziehen vorbei. Papa fährt seit Stunden auf der Autobahn geradeaus, Mama blättert auf dem Beifahrersitz in einem dicken Reiseführer. Auf dem Rücksitz versucht Emilia zu verstehen, was Alice erlebt, nachdem sie durch ein wundersames Loch in der Erde gefallen ist.
Sie dreht die Lautstärke ihrer Kopfhörer so hoch wie es geht, doch vergebens. Das Hörspiel wird durch das monotone Brummen des Motors und das Wispern ihrer Eltern übertönt. Emilia blickt auf die bergige Wildnis, die sich entlang der Straße erstreckt, und stellt sich vor, dass es dort draußen Löcher gibt, durch die man in andere Welten geraten kann.
„Verdammtes Arschloch!“ brüllt Mama plötzlich und knallt das schwere Buch vor sich auf das Armaturenbrett. Papa hält den Blick stur auf die Straße gerichtet, verzieht keine Miene, seine Hände umklammern das Lenkrad.
„Hörst du mir überhaupt zu?“ schreit Mama und schlägt mit der flachen Hand gegen Papas Schulter, einmal, zweimal. Das Auto zieht leicht nach links, bevor er es wieder unter Kontrolle bringt. Er sagt nichts, reagiert nicht, als wäre Mama Luft für ihn.
„Lass mich raus, hörst du? Lass mich hier raus!“ Mama schnallt sich ab, der Gurt saust zurück, dann reißt sie die Tür auf und der Fahrtwind braust herein. Sie setzt einen Fuß hinaus, als wollte sie sich aus dem fahrenden Auto stürzen.
Papa bremst abrupt. Emilia kippt nach rechts, wird in den Gurt gedrückt und ihre Kopfhörer fallen herunter. Die Reifen quietschen und das Auto kommt auf dem Seitenstreifen zum Stehen.
Ohne ein Wort knallt Mama die Beifahrertür hinter sich zu und rennt los. Emilia sieht ihr nach, wie sie über die Leitplanke klettert.
„Mama!“ schreit Emilia. Während Papa regungslos sitzenbleibt und weiter geradeaus starrt, öffnet sie die Tür und läuft Mama hinterher. Als Emilia es mit aller Kraft über die Leitplanke geschafft hat, ist Mama ihr schon weit voraus. Ihre Gestalt wird immer kleiner, bis sie schließlich zwischen den Felsen verschwindet.
Emilias Herz klopft wild. Was, wenn Mama springt? Was, wenn sie sich von einem dieser riesigen Felsen in die Tiefe stürzt? Emilia hat solche Angst, eine alles verschlingende Angst, dass Mama gleich einfach weg ist. Für immer. Ihre Beine brennen, sie stolpert, schürft sich die Knie auf, aber sie läuft weiter. Sie schreit immer wieder nach ihr, kann Mama aber nirgends sehen.
Auf einmal hockt sie vor ihr. Emilia bleibt stehen und braucht einen Moment um zu begreifen, was Mama tut. Sie hockt da und pinkelt. Emilia starrt sie an, erleichtert und verwirrt zugleich.
„Was glotzt du so?“ faucht Mama und verengt ihre Augen zu schmalen Schlitzen. Sie steht auf, zieht ihre Hose hoch und wirft Emilia einen kalten Blick zu, als wäre sie die Schuldige an all dem. Dann geht sie langsam zum Auto zurück, neben dem Papa steht und die Landschaft fotografiert.
Mama steigt wieder ein und Papa setzt sich zurück ans Steuer. Emilia rührt sich nicht. Wie eingefroren sieht sie ihren Eltern nach. Sie fühlt sich plötzlich seltsam leer. Als in der Ferne ein Kaninchen vorbeihoppelt, folgt Emilia ihm, ohne zu zögern.

Christian Knieps: Quality-Time

Ich bin auf dem Weg in den Keller, um die Wäsche aus der Waschmaschine in den Trockner zu räumen. Tür auf, Wäsche raus, Tür zu, ausschalten, Tür vom Trockner auf, Wäsche rein, Tür zu, einschalten. Ich drücke den Rücken durch, atme tief ein und aus, lausche kurz, nehme mein Handy aus der Hosentasche und möchte ein paar Nachrichten lesen, als von oben ein durchdringendes Kindergeschrei zu mir dringt. Ich stecke das Handy weg, schalte es noch in der Hosentasche aus, laufe nach oben, sehe die Ursache des Geschreis, ärgere mich, worüber die Kinder sich geärgert haben, und erkläre beiden, dass die Spielsachen dafür da sind, dass beide damit spielen können. Ich verzichte für den Moment auf den spannenden Bericht, den ich in meiner Online-App gesehen hatte, möchte ihn mir für später merken und weiß jetzt schon, dass ich ihn nur per Zufall wiederfinden werde. „Nicht so wichtig“, sagt meine Frau immer, und sie hat recht, es ist bei weitem nicht wichtig, aber das Lesen des Artikels in völliger innerer und äußerer Ruhe wäre für mich reine Quality-Time, etwas, von dem ich nur noch eine vage Ahnung habe, was das einmal war. Das Spannende am Vaterwerden und der Übernahme von Babycare und erweiterten Haushaltsprozessen ist nicht so sehr die Veränderung im Verhalten, die damit einhergeht; nicht die aufbauende Bindung zum Baby, die man trotz aller Sorgen und Arbeit niemals infrage stellt, nicht das eigene Fertigsein und Arbeiten am Rande eines Burnouts, nicht die Streitereien innerhalb der Partnerschaft, die durch einen veränderten Fokus neu verhandelt werden müssen, nein, es ist das eigenständige und höchst freiwillige Aufgeben des eigenen Zufriedenseins, in dem festen Glauben, dass das Vatersein den Verlust nicht nur ausgleicht, sondern sogar übertrifft.
Dem ist – zumindest bei mir – nicht so; und mir wird langsam bewusst, dass es allen Beteiligten gegenüber unfair ist, das zu erwarten. Ich stecke in diesem Gedanken, als ich es rieche – schnappe mir das Kind, lege es auf den Unterarm, greife professionell in die Windel, schiebe sie weg, sehe und rieche den Haufen, mache Spaß mit dem Kleinen, bringe ihn zum Wickeltisch, hole eine neue Windel raus, Body auf, Windel auf, Feuchttücher, Windel als Paket zusammenfalten, ab damit in den Windeleimer, neue Windel an, Body zu, Kind wieder runter vom Wickeltisch – zum Glück ist Sommer, da geht das alles einfacher. Wo waren meine Gedanken? Ehe ich ihn wieder aufnehmen kann, erreicht mich die Frage – ist es eine Frage oder etwas anderes? –, ob ich mich um das andere Kind kümmern kann, da bei meiner Frau ein eigenes Bedürfnis ansteht. Ich nehme die Kleine, gehe zur Couch, setze mich, fange an zu spielen, da kommt der Große und reißt mir beinahe die Kleine aus der Hand. Schimpfen bringt nichts, die Kinder sind in dem Alter bei sich selbst, also werde ich zwar lauter, aber mehr körperlich, was den Großen zur Rauferei auffordert – ein klassischer Fall in meinem Leben, wo ich versuche, nonverbale Kommunikation mit dem Kind zu führen, es aber völlig anders verstanden wird – der Erfahrungshorizont und die Kontextualisierung und so. Hilft der Gedanke? Im Moment keinen Meter!
Das Kind auf dem Arm fängt bald das Nölen an; es hat Hunger und ich warte auf die Rückkehr meiner Frau, die das Kind doch hören muss. Stehe auf, laufe herum, wippe, gebe dämliche Laute von mir, die jedoch schon länger weit unterhalb der Schamgrenze sind, seitdem diese auch massiv verlegt wurde, stupse das Kind mit meiner Nase an seins, knutsche es, lache gestellt, doch als sich das zarte Lächeln bei ihr in einen Ausdruck bitterster Zitrone verwandelt, weiß ich: Es ist kurz vor der Eskalation. Zum Glück kommt meine Frau von ihrer Quality-Time zurück (a. k. a. Toilettenbesuch), fordert von mir einen obligatorischen, wie im Ergebnis unsinnigen Windelwechsel ein, den ich natürlich durchführe, und kaum, dass die Kleine an der Brust der Mama ist und ich den Gedanken an den Artikel aus dem Keller wieder greifen kann, kassiere ich die nächste Aufgabe und halte meinen Großen davon ab, auf meine Frau und das Baby zu klettern, wehre die zarten Versuche einer Rebellion gegen meine Umklammerung ab, gehe mit ihm in die Spielecke und teile meine Spielzeuggarage, in der er seine Autos parken möchte. Den Artikel habe ich längst vergessen, war aber wohl auch nicht wichtig.