Bastian Kienitz: PHOTOSHOP CS

(Blankosonett)

du bist so Foto, du auf einer Feder
gebettet in ein nacktes Kleid aus Nichts
im Sucher meiner Retroperspektive
und einem Hauch dazwischen, der verlockend wirkt

verflogen, wie der Farbabriss verflüchtigt
in diesen Schein aus Werbung eingetaucht
ich glaube Venus vor dem V und lese
mit diesem Pinsel deine Ware, Wirkung auf

ich bin real geneigt, dein Spiel zu glauben
den deine Lippen ausgesprochen jetzt
in diesem Augenblick mir sagen wollen

vielleicht hast du sie dir geleckt und ich
ich höre diese ungesagten Worte
dass du mich willst, weil du mir so gefällst…

Bastian Kienitz: Amazon

(Blankosonett)

das ist in etwa die Gemengelage
in der wir uns befinden, kurz von vorn
es sind unendlich viele Päckchen, Kisten
in einer Lagerhalle auf dem Weg

zu dir, dem Konsumenten plus Ist-Zustand
dass dies letztendlich immer weiter geht
gleich einem Rad im Kreislauf des Planeten
mal immer wieder Neues produziert

die Marke Made hat sich bereits verschlissen
denn alles dreht sich um die Quantität
der Ware aus ganz billigen Produkten

selbst du als Mensch bist leider gar nichts wert
wenn du nichts kaufst und deine ganze Zeit
im Rausch des Mangels weiter konsumierst…

Bastian Kienitz: AFFEN

Blankosonett

die Diebesbande, nennen wir sie Affen
sind auf dem Kriegspfad, in den leeren Straßen
der Stadt, ich glaube, dies heißt wildes Leben
um von dem Naschmarkt süße Süßigkeiten

die ihnen nicht gehören, zu stibitzen
das ist ein riesengroßer Spaß für alle
und bietet Nahrungsanbot in Fülle
zum Nulltarif plus sich nicht schmutzig machen

der Erste, das ist Hanamu der Wilde
Piratenfürst auf dem Schoß einer Touristin
die lacht schrill auf, der zieht ja seine Waffe

[Huch P18] sie meinte schon Banane
der Affe zetert über Stock und glattem Stein
du siehst: als Gott genießt man(n) Narrenfreiheit…

Christian Knieps: Räum auf!

Letztens kam ich in das Zimmer meines pubertierenden Sohnes und es sah aus, als hätte er den nicht ernst gemeinten Auftrag ernst genommen, jeden Quadratmillimeter seines Bodens mit irgendeinem Gegenstand zu bedecken. Zwischen dem Gefühl der Freude, dass mein Sohn etwas mit einer solchen Konsequenz betrieben hatte und dem aufwallenden Zorn, dass mein eigentlich gemeinter Auftrag wieder einmal völlig ignoriert worden war, fand ich im hinteren Bereich des Zimmers eine kleine Ecke, wo ich den Boden sehen konnte – und das Gefühl der Freude hatte keine Chance mehr. Ich nahm tief Luft und ließ den Zorn über meine Stimmbänder entweichen, doch die erwartbare Reaktion meines Sohnes zeigte mir, dass er seine Legierung mit Teflon überpinselt hatte, denn es kam nicht mehr der zarteste Hauch einer Kritik bei ihm an. Doch, o Wunder, bemerkte ich plötzlich eine Regung in seinem Gesicht und ein noch etwas unausgereifter Blick der Überlegenheit – man möchte nicht gleich sagen: Überheblichkeit! – zeigte sich.

»Dein Vorwurf, lieber Vater«, begann er mit einer viel zu freundlichen Stimme, »läuft ins Nichts, da Chaos im Griechischen weiter, leerer Raum bedeutet, und ich interpretierte das so, dass mein leeres Zimmer nicht unaufgeräumt sein kann!«

Ich gebe zu, ich war baff, aber vor allem musste ich mir selber eingestehen, dass das Gefühl der Freude plötzlich die Oberhand hatte. Mein Sohn sah und genoss seinen klaren Sieg, drehte sich um und ging zurück ins Wohnzimmer, wo er sicherlich die Momente des Bildschirmanbetens maximieren würde.

Auch ich nahm mein Handy aus der Tasche und wollte mich nicht so einfach geschlagen geben, denn ein verlorener Kampf macht noch keine verlorene Schlacht, und ich wühlte mich durch eine Vielzahl an unwissenschaftlichen Meinungstexten, ehe feststand, dass er zwar gewonnen hatte, es aber allenfalls ein Pyrrhussieg sein würde! Ich stapfte meinem Sohn hinterher ins Wohnzimmer, stellte den Ignoranten, wie er seinen Bildschirm anbetete, und fabulierte über die Zusammenhänge der griechischen Mythologie, redete über Chaos, Kosmos, Gaia, Nyx, Tartaros, Erebos, Eros und wie sie auch alle hießen, ehe ich zu dem Punkt gelangte, den ich vor allem machen wollte, und zwar den etymologischen Beweis, dass sich die Bedeutung des Wortes über all die Jahrhunderte verändert hatte und nun einfach nur Unordnung bedeutete, doch da war es wieder, das Teflon! Ich bemerkte viel zu spät, dass mir mein Sohn so gar nicht zugehört hatte, und vor meinen Augen stand das Endergebnis dieser Schlacht: 3:0 für ihn. Tief in mir sammelte sich etwas, das sich wie die Urwut anfühlte, doch bevor ich meine letzte Elternwürde aufs Spiel setzte, sollte ich ihn anschreien, sprang ich über meinen Schatten und bot an, sein Zimmer mit ihm zusammen aufzuräumen. Auch wenn ich dann sicherlich mehr als drei Viertel der Arbeit machen musste, würde unser Leben von einer großen Unordnung wieder ein klein wenig mehr in Richtung Ordnung geschoben – die Seite des Lebens, die ich einfach viel mehr mag!

Lena Speckmann: (Un)Ordnung

„Ordnung ist das halbe Leben!“

Junge, wie ich diesen Spruch hasse. Ich weiß gar nicht mehr, ob das Mama war oder Papa, aber diesen Spruch bekam ich früher ständig zu hören. Meganervig. Was ich am meisten daran hasse? Auf der einen Seite, dass er stimmt. Man spart wirklich wahnsinnig viel Zeit, wenn man immer weiß, wo was liegt. Auf der anderen Seite frage ich mich seit meiner Kindheit, woraus denn nun aber die andere Hälfte des Lebens besteht, wenn Ordnung als solche einfach mal 50% einnimmt. Aus Steuern? Bonbons? Oder am Ende ganz profan: aus Unordnung? 

Ordnung ist praktisch. Sie spart allerdings nur dann Zeit, wenn man sie konsequent anwendet, „konsequent“ being the operative word. Denn wenn man – wie ich – eher zur Unordnung neigt und irgendwann ausnahmsweise mal etwas vernünftig und ordentlich wegsortiert, dann aber vergisst, dass man zur Abwechslung mal ordentlich war, tja, dann ist die Ordnung vollkommen unnütz. Wie oft mir das schon passiert ist, vermag ich gar nicht zu sagen, denn ich bin, richtig, sehr unordentlich.

Ich betreibe Ordnung auf andere Art. Ich sortiere lieber meine Gedanken als meine Gegenstände, und wenn sie sortiert sind, schreibe ich sie auf, das funktioniert eigentlich ganz gut. Auch bei Serien ist mir Ordnung wichtig. Ich kann Serien nicht so gut bei Folge zwei oder drei anfangen. Eigentlich ist das ja wurst, weil man fast immer super auch später in Serien einsteigen kann, die Drehbücher sind ja oft absichtlich so geschrieben, aber ich mag das einfach nicht. Das muss schon seine Ordnung haben. Einmal bin ich bei Staffel zwei einer Serie eingestiegen, die mein Freund schon kannte. Ich konnte die Serie aber erst wirklich genießen, als ich unabhängig von meinem Freund die erste Staffel nachgestreamt hatte. Bei so einem banalen Mist ist Ordnung auf einmal relevant, bei meiner Steuer und den gesammelten Belegen scheiß ich drauf.

Als Teenager stieß ich irgendwann auf den sogenannten „Sponti-Spruch“ „Wer aufräumt, ist nur zu faul zum Suchen“ und so hielt ich es mein Leben lang. Hab es ohne größere Zwischenfälle bis zur 50 geschafft.

Ich mag Ordnung als Konzept. Ich liebe auch Symmetrie. Sehr. Aber Asymmetrie liebe ich genau so. Allerdings nur, wenn sie ordentlich umgesetzt wird. Auch die Asymmetrie hat einer gewissen Logik zu folgen, damit man merkt, dass man es hier mit Asymmetrie zu tun hat und nicht mit irgendeinem Zufallsprinzip. Aleatorische Anordnungen machen mich verrückt, die mag ich nicht. Die erfordern zu viel Aufmerksamkeit. Zu viel Denkleistung, die vorausgesetzt wird. Asymmetrien sind als solche offensichtlich, bei Randomness versucht man instinktiv erst mal eine gewisse Ordnung darin zu finden. Selbst wenn es nur ein oder zwei Sekunden sind, die man vergeudet, diese Sekunden sind weg und über eine Zeit von fünfzig Jahren läppert sich das. In Summe zu viel verschwendete Gehirnkapazität, über die man noch verfügen könnte, wenn Dinge symmetrisch gewesen wären.

Wie gesagt, ich mag Ordnung. Aber ich möchte sie nicht selbst herstellen. Das verlangt mir zu viel ab. Geduld und Lebenszeit. Wenn ich sie brauche, bring ich die Geduld halt auf und quäl ich mich durch (Steuererklärung einfach jedes Jahr ein Drama, seit 25 Jahren…), ansonsten erfreue ich mich an einem außerordentlich unordentlichen Leben.

Und das ist völlig in Ordnung.

Carsten Stephan: Wenn nicht mehr Qualen und Glasuren

Novalisoulipo

Wenn nicht mehr Qualen und Glasuren
Sind Schüssel aller Partituren,
Wenn die, so singen oder küssen,
Mehr als die Tadelnswerten wissen,
Wenn sich das Zelt in freie Reben
Und in das Zelt wird zurückbegeben,
Wenn dann sich wieder Pflicht und Ratten
Zu echter Wahrheit werden gatten
Und man in Härchen und Gerichten
Erkennt die ew’gen Spukgeschichten,
Dann fliegt vor Einem geheimen Hort
Der ganze verkehrte Besen fort.

Carsten Stephan: Das Mosaik von Magda Meste

Dreigroschenoulipo

Und der Halo, der heischt Zähren
Und die trenzt er im Gesims
Und Madam, die heischt ’ne Meste
Doch die Meste siezt man nicht.

Ach, es soggt der Halo Flöze
Rund, wenn dieser Bob vergipst
Magda Meste tränzt ’nen Hangar
Drauf man keine Unze löst.

An des Thorax gschupfter Watsche
Laden poco Lieken um
Es jappt weder Pferch noch Cordula
Doch es hievt: Magda münzt um.

An ’nem schrohen brachen Sorgho
Lockt ein tumber Mansch am Streb
Und ein Mol girrt um die Eder
Dass man Magda Meste nippt.

Und Schnat Meinolf blökt versotten
Und so mancher reife Mansch
Und sein Gest heischt Magda Meste
Der man nichts bewurzeln kann.

Jochem Trafik watscht’ gehenkelt
Mit ’ner Meste in der Brut
Und am Kalb girrt Magda Meste
Die von allem nichts gezwirnt.

Wo jappt Amin gleich, das Fuzerl?
Koppt es je am Spangenschuh?
Wer es immer wricken könnte
Magda Meste welkt es nicht.

Und der grüne Fiat in Solveig
Sieben Kirben und ein Griebs
In der Merle Magda Meste, der
Man nichts franzt, und die nichts welkt.

Und der ministrable Wocken
Dessen Nandu jeder welkt
Wölkte auf und watscht’ geschliffen
Magda welches watscht’ dein Propst?