Schubsen: Mosaike

Wenn du begreifst, was war
Und verstehst, was ist,
Wenn du erkennst, wo du stehst
Und der Dunst so langsam geht,

Wenn du siehst, was wird
Und daran denkst, wie es kam,
Wenn du vermutest, was du siehst
Und der Regen langsam weiterzieht

Wenn du weißt, wer du bist
Und darauf vertraust, wie es werden kann,
Wenn keiner spricht, du weiter schweigst
Und dir niemand mehr die Aussicht zeigt,

Warum hören wir keinen Knall,
Bevor wir die Tragik verstehen?
Warum schreien wir „Zerfall“,
Bevor wir Mosaike sehen?

Es sind die einfachen Fragen, mit denen alle rechnen.
Es sind die einfachen Taten, von denen alle sprechen.
Man kann es nicht mehr ertragen
Wenn all die Antworten zerbrechen.

Der Abriss ist vollbracht.
Halb bewusst, halb ausgedacht.
All die Mosaike ergeben wenig Sinn
All die Mosaike ergeben keinen Sinn


Lyrik:


Lyrics:

Nino Berry: Der Soldat

er zieht die sneaker an zum kiosk kippen kaufen
und kauft kippen und n pack präservative
aus gewohnheit gegen tripper
vielen ank sagt er wie immer der kassierer lacht wie immer
und er schlendert so wie immer heim ins fensterlose zimmer
jepp ich bin back motherfuxxer denkt er bei sich
während der fernseher läuft und er geschnetzeltes isst,
von gestern abend wo alles eben war wies immer war
er kam heim schuhe aus füße rauf und sie war da
er denkt scharf nach
what the fuck is passiert
er steht auf kollabiert und schlägt auf.
als er da liegt direkt neben seiner frau bauch an bauch
sehen sie beide aus wie traurige clowns.
er war soldat sein fronteinsatz war hart
aber beendet wobeis ein happy end wohl so nicht gab
sein kamerad erlag nem streckschuss
sein konvoi der zerbrach durch einen bombenanschlag
wo fast sein ganzes team verstarb.
seitdem fehlt ihm ein arm,
zum glück wars nich sein schwanz
ey für diesen joke gabs lacher und soziale akzeptanz
von untergeben, vorgesetzten, der familie und dem arzt
und weisste was… das wichsen schaffte er mit links… yeah…
gegen die schmerzen gabs morphin
später nahm er heroin
er war lethargisch depressiv
ausserdem trank er zuviel da traf er sie
und zeigt ihr seine ordensammlung aus dem krieg…
sie mochte ihn er war zwar oft sehr aggressiv
doch unter der sehr rauhen schale war er eigentlich ganz lieb
das meinte sie sie weinte viel
und wenn er tobt sperrt sie sich ein und leidet still.
sie war verschlossen er benommen
von visionen und traumata seine aura war zerschossen ey
millionen tiefe krater wirkten nach –
mit jedem tag trug er mehr dazu bei dass sie vor ihm erschrak.
es gab momente da benahm er sich entspannt
aber dann griff er sie an
als wäre sie ein kombattant und er im kampf…
und einma geschah es er sah sie als roughneck
und brach ihr den hals auf dem teppich des schlachtfelds…
vergingen tage oder wochen
sein blick is wie üblich verschwommen
er erwacht auf dem boden und er dreht den gashahn auf
und er setzt sich auf die couch
will eine rauchen aber leider hatter grad keine zu haus.
er zieht die sneaker an geht raus zum kiosk
kauft sich kippen und n pack präservative aus gewohnheit gegen tripper
dann daheim schlüssel raus türe auf kippe an türe zu…
und es macht boom.


Lyrik:


Lyrics:

Hoteltiere: GOLDENE ZEITEN

die andern bin ich
nimzo-indisch
wie gut dass niemand weiß
ich mache liebe mit schafen
am hafen

auf offener straße sing ich mit
mit der gebotenen schärfe
alles is neu
ich land im heu
schönes bayern drei zwei viaaa!!!

das sin die goldenen zeiten
und die wolln dir begleiten
das sin die goldenen zeiten

das änderte nichts
danke für jetzt und
wie gut dass niemand weiß
die janzen görlies beschlafen
die braven

auf offener straße sing ich mit
mit der gebotenen schärfe
alles is neu
ich land im heu
schönes bayern drei zwei viaaa!!!

das sin die goldenen zeiten
und die wolln dir begleiten
das sin die goldenen zeiten

          wer ist die andern?
die andern bin ich
wer ist die andern?
die andern bin ich
wer ist die andern?
die andern bin ich

          wer ist die andern?

i’m calling calling calling you
i’m calling calling calling you
i’m calling calling calling
i

schönes bayern drei zwei viaaa!!!

das sin die goldenen zeiten
und die wolln dir begleiten
das sin die goldenen zeiten


Lyrik (gelesen von Bernadette Rauscher):


lyrics:

Christine Wiesel: Kurzschluss

Du machst Schluss sagt die Morgenluft oder die Wienerluft,
die den Prater mit der wilden Maus
von Hader und Braunschlag zugleich betupft.

So hüpft die Luft langsam zum Autobahnbegrenzungsdutt und sagt matt:
ich habe Durst meine liebe Lust.

Bleib mir vom Hals du alte Musch,
hole mir jetzt einen anderen Duft.

Andreas Lugauer: Die Zerstörung der Martin Suter’schen Twitterlyrik

Wer einmal wirklich ~grauenvolle~ Lyrik lesen will, besuche den Twitter-Account des Schweizer Schriftstellers Martin Suter: twitter.com/martinsutercom. Suter, dem Publikum in erster Linie bekannt als Romancier, nicht aber als Lyriker, twittert dort ausschließlich und fast täglich Gedichte. Dies jedoch allem Anschein nach ohne besondere Qualitätsansprüche.

Nach ein wenig Durchgescrolle frage ich mich ernsthaft, ob Suter seine ›Gedichte‹ voller dichterischer Selbstüberzeugung twittert, oder ob ich einen oder gar mehrere Ironielayer nicht gette. Ein erstes Beispiel:

»Die US Präsidentenwahl
Hat der Welt den Nerv getötet.
Sogar der Mond ist vom Skandal
Deutlich sichtbar leicht errötet.«

Gemeint ist in diesem Gedicht vom 21. Januar 2019 der an diesem Datum aufgrund einer totalen Sonnenfinsternis rot erscheinende, sogenannte »Blutmond«. Dass der Mond mit dem Erröten fast genau zwei Jahre zu spät dran ist – Trump wurde am 20.01.2017 inauguriert – und dass sich seit Trumps Amtseinführung vier weitere Mondfinsternisse ergeben haben, ja mei, was soll’s, wenn’s uns halt grad so ein schönes Gedichtlein zum Twittern hergibt.

Zumal Suter ja jeden Mondschmarrn zu verarbeiten scheint, noch so einen, der monatlich auftritt wie etwa ein fast (!) voller Mond: Ich zitiere:

»Eine stille Winternacht,
Die Welt wie unbewohnt.
Und über diese Stille wacht
Ein fast voller Mond.«

Gehen wir einmal davon aus, dass es ihm ernst ist mit seinen ›Gedichten‹: Dann handelt sich nicht nur um Banalitäten ersten Ranges, die nur aufgrund der Reimwörter aneinandergeleimt werden können, sondern, was noch vorher wehtut, um Gedichte, die mindestens in jedem dritten Vers derart holpern, wie man es allerhöchstens Onkel Erwin bei Gelegenheitsgedichten zum Geburtstag oder ähnlichem nachsehen würde; zumindest dann, wenn man schon vier Bier getrunken hat. Ich zitiere Suter vom 19. Januar dieses Jahres:

»Ich bin auf einem weissen Berg.
So hoch liegt überall der Schnee,
Dass ich gar nicht darüber seh.
Bin wieder wie als Kind ein Zwerg.«

Martin Suter also, hoch oben aufm Berg, noch höher nur der Schnee, der ihn ringsum überragt, so dass er nicht mehr »darüber« sieht (der dritte Vers passt wieder nicht, quod erat demonstrandum). Wahrscheinlich hat ihm jemand eine Schneise durch die Schneemassen geschaufelt, durch die er jetzt durchlatscht. Weil wenn der Herr Dichter auf dem meterhoch eingeschneiten Berg umherwandeln will, soll er das natürlich tun können müssen. Wo kämen wir schließlich hin, wenn er, wie jeder andere Mensch auch, einfach vernünftigerweise im Tal bleiben müsste. Was, wenn ihm eine Winterwanderung wie diejenige Goethes auf den Brocken im Harz verwehrt bliebe, aus der immerhin dessen Gedicht »Harzreise im Winter« hervorging, das Goethes Dichterruhm ja wohl nunmal endgültig besiegelte? Nein, das kann niemand wollen, und deswegen schicken wir die Schneekatze hoch, metertiefe Schneisen zu pflügen. Und dass Suter sich darin dann fühlt nicht wie ein Halbgott, sondern wieder zwergenhaft wie ein Kind (richtig wäre hier: Kleinkind), damit muss er entweder selber klarkommen, oder er dreht selbst das noch ins Poetische rüber.
Anderntweets macht er sich manchmal Sorgen:

»Wenn wir uns bereits am Morgen
Schon auf den Abend freuen,
Mache ich mir manchmal Sorgen,
Dass wir es einst bereuen.
Denn viel länger wirkt das Leben,
Wenn wir von dem dazwischen,
Uns ein wenig Mühe geben,
Auch etwas zu erwischen.«

Von der grauenvoll stümperhaften Form abgesehen: Da macht er sich also manchmal, während er sich am Morgen so richtig schön auf den Abend freut, Sorgen, eben dies irgendwann mal zu bereuen. Freilich macht er sich dabei nicht immer Sorgen, oder hört gar einfach auf, sich am Morgen auf den Abend zu freuen. Denn so tief scheint die ›Erkenntnis‹ nicht zu rühren, dass das Leben »viel länger wirkt« (?!), wenn er sich den ganzen Tag über, von morgens bis abends, nur »ein wenig Mühe« gibt, »etwas« davon »zu erwischen«, dass es ihn beim Sich-Sorgen-Machen immer aus der Sorgenbahn trägt oder er es halt gleich ganz bleiben lässt und stattdessen versucht, was vom Leben – das sich verhuschelt-wuzelig zu entziehen scheint wie ein Eichhörnchen – zu erwischen.

Und worauf freut er sich eigentlich, unser Herr Dichter? Auf den Flug der Minerva etwa, die diesen laut Hegel bekanntlich erst abends startet? Ohne die Antwort apodiktisch vorwegnehmen zu wollen, stelle ich sachte zur Diskussion: Wohl kaum.
Jetzt mag natürlich jemand einwenden: »Freilich, hier mords rumkritisieren, aber selber wieder keinen geraden Vers zusammendichten können!« Dieser Vorwurf wäre zwar Quatsch, aber dennoch stehe ich nicht an, hier meine kleine Martin-Suter-Huldigung vorzutragen:

Lieber Martin Suter,
Hör bitte auf zu dichten,
Denn du bist kein Guter.
Es reicht halt nicht mit Reimen
Zeilen zusammenzuleimen.
Und von den Metren zum Beispiel
– Hier passt was mit Freistiel! –
Beherrscht du nicht mal die schlichten. [das reimt jetzt auf »dichten« im zweiten Vers!]
Drum sage bitte »auf Wiederschaun«,
Und produziere nicht mehr so einen Schaum.
Vielen Dank!
Dein Andreank

Pauline Füg: zwei morgen wach

zwei morgen wach
und keine nacht dazwischen
nen morgen land zurückgelegt
wir wollten wach, wir wollten weg sein.
Und blieben doch an einem Ort

Seit der Sommer begonnen hatte, wohnten wir weiter draußen.
Vania trat in die Pedale, ich zögerte noch, wir sagten nichts.

Manchmal wichen wir ein paar Enten aus, ich legte mich immer falsch in die Kurve. Der Schotter wurde Schlamm und wir schlitterten durch engbezaunte Gassen, in denen sogar Dreirad fahren verboten war.

Mir fiel ein, dass man seine Kleidung im Dschungel nicht waschen soll, sie trocknet dann nicht mehr, wegen der Luftfeuchtigkeit, weißt du.

zwei morgen wach
und keine nacht dazwischen
nen morgen land zurückgelegt
wir wollten wach, wir wollten weg sein.
Und blieben doch an einem Ort

Jetzt waren wir schon so weit gekommen, raus aus den hohen Häusern, wir wohnten seit Wochen in einer seltsamen Art von Stille, aber ich war so wach und ich wollte so viel sehen und ich wusste nicht wo und wie.

Ich hatte schon geglaubt, die Zeit der Lampions war vorbei. Aber im einzigen ärmlichen Kastanienbaum hingen Lichter und ich konnte nicht wegsehen.

Ich konnte nicht wegsehen und suchte nach Fremden, die ebenso wach und irritiert waren wie ich.

Es wurde dunkel, die Belichtungszeit hatte sich verlängert.

zwei morgen wach
und keine nacht dazwischen
nen morgen land zurückgelegt
wir wollten wach, wir wollten weg sein.
Und blieben doch an einem Ort

Vania stieß mich an und ich schreckte auf, es erinnerte mich an unser Zucken beim Ton des Weckers, die Zeit, in der wir versucht hatten, uns einen Rhythmus anzugewöhnen, der uns bewerbungschreibentauglich und arbeitsmarktfähig machte.

Ich schloss beim Blinzeln das Lid länger als nötig und dachte daran, dass überall auf dem Mount Everest tote Bergsteiger lagen, an denen man vorbei muss auf dem Weg nach oben, die Ötzis von später, und man würde fast dankbar sein, dass es so teuer ist heutzutage, die Verunglückten zu bergen aus solcher Höhe. Aber das hat nichts mit irgendetwas zu tun, deswegen vergaß ich es die meiste Zeit.

zwei morgen wach
und keine nacht dazwischen
nen morgen land zurückgelegt
wir wollten wach, wir wollten weg sein.
Und blieben doch an einem Ort

zwei nächte wach und kein dazwischen
wir sind ja anfangs noch gerannt
ich wollte wach, ich wollte weg sein
ich wollte weg und ging verlorn.

Ich wollte so viel nicht hören, ich wollte nichts hören von Sätzen, die ich nicht glauben konnte, weil sie von Fremden gesprochen wurden, die nur halb so irritiert und wach waren, wie ich.

Wir schliefen und am nächsten Morgen wusste ich, wir hatten von nichts geträumt.

Vania starrte auf die braune Fadentapete, sie sagte: „Ein Brief kam von der Stadt. Übernächste Woche müssen wir raus.“

Ich nickte.

zwei morgen wach
und keine nacht dazwischen
nen morgen land zurückgelegt
wir wollten wach, wir wollten weg sein.
Und ich blieb doch an einem ort

zwei nächte wach und kein dazwischen
wir sind ja anfangs noch gerannt
ich wollte wach, du wolltest weg sein
du wolltest weg und gingst verlorn.
ich blieb und sah dir lange nach

in dem moment
verschwand die richtung
ich lag danach noch lange wach


Christine Wiesel: Auflösung in der Nacht

Kontaktlos verbringen wir die Zeit
Raum bleibt molekularlos
Galaktische Körper schwirren umher.
Blockaden im Kopf
das Herz im Asphalt
wird wortlos umverteilt


Sprecherin: Selina Früchtl

Diana Ruhe: Ihr sagt

Ihr sagt,
das ist doch ganz einfach.
Die schaffen es nicht,
weil sie persönliche Probleme haben.
Da muss man einfach an sich arbeiten.
Alle haben schließlich die gleichen Chancen.
Die Plattformen sind da.
Die versuchen es nur nicht genug,
haben kein Herzblut investiert.
Es wäre schön, wenn das selbstverständlich wäre
und wir darüber nicht reden müssten.
Ihr sagt das,
weil euch nie Steine in den Weg gelegt worden sind,
weil ihr alle Privilegien, alle Unterstützung und
alle Macht habt, diese zu behalten.
Weil ihr nicht in andere Schuhe schlüpfen könnt.
Oder warum?

Gerwin Weinknoth: Spießdeutsche Pretiosen V – Der Kloß

Oh, güldengelbe Seele vom Potack,
aus Bulwens Leib geborenes Gezier,
von Erdenäpfeln bestgeratner Erb,
Die Götter lachten und es strahlte schier
der Himmel, als Bramburo dich gebar.
Schneeweiß liegst du auf unsern Tellern hier
wie Alabaster oder Marmor gleich.
Oh, feisteste der Speisen, sieh dich an!
Gibt es ein Ding auf Koches weiter Flur,
das Rundungen so reizvoll hat wie du?
Wie Meißners Porzellan, so schön und pur
liegst du wie Aphrodite in der Schal.
Noch nicht wie sie, oh unschenante Hur,
gehst schwanger du, mit Brot in deinem Leib.
Wir blicken deine Rundung an und nur
der Anstand hält uns fern, dass gierig wir
dich händisch in den Schlund uns stopfen rein.
Derweil saust uns das Blut aus Kopf und Hirn
und kindlich-reine Freude ins Gebein.
Du brandest unsre darbend Kehlen an,
die Lippen kräuseln sanft sich um das Dein.
Die Zunge, sorgenschwer benetzt dich gut,
der Zahn dringt ohn Erbarmen in dich ein
der eisge Speichel netzt dein weißes Fleisch.
Die Speiseröhr, die derbe, drückt dich klein.
Du wartest bis man Zutritt dir gewährt,
gemessnen Schrittes gehst du alls hinein.
Der Magen schließlich haucht dein Leben aus.
Du lässt es tapfer, ohne Kummer, zu
und schenkst dich her, du selbstlos nobler Schmaus.
Dein Opferwill bald größer als sichs ziemt:
„Oh, Heiland!“, rief so mancher schwärmend aus,
weil Leben und Erquickung du ihm gabst.
Augapf der Götter, schön bist du und gut.
Du schützest uns vor Pommesfritzens Harm.
Schon Omas von gebrechlichstem Gebein,
dich bargen unter ihrem weichen Arm.
Wes Vater mahnte nicht vor Schmerz durch Reis?
Wes Mutter schlug bei Nudeln nicht Alarm?
Oh, Kloß, du lieber, sakrosankter Glob,
Wir danken dir.
Vom Teller bis zum Darm.