Daphne Elfenbein: Der Mundschutz-Hype

Corona Corona Corona – das ist mein neuer Song.

Ich sing ihn von früh bis spät. Außer ich trag den Mundschutz, dann kann ich nicht singen. Mundschutz ist das Accessoire unserer Zeit. Ich hab schon ein Gewerbe angemeldet dafür. Alles online. Raus darf man ja nicht. Die Welt steht ja still. Jetzt vertreibe ich Designer Mundschutze übers Internet. Leute ich mach die große Kohle aus der Krise und sing dazu: Corona Corona Corona, während ich an der Nähmaschine hocke und die schönsten Stoffe zu den schönsten Masken nähe. Rot mit weißen Punkten. Weiß mit grünen Punkten, Glencheck, Burlington, Japanese, Karo mit Edelweiß, Regenbogen, Orientalisch, Jugendstil, Asiatisch, Vintage, Dalmatiner-Look, ein ganzer Katalog.

Wenn ich jetzt noch wie gewohnt zu meinem Nagelstudio, zur Massage und Kosmetik gehen könnte wie gewohnt, dann wär mein Leben perfekt. Stattdessen hat mir mein sehr geschätzter Göttergatte heute früh eröffnet: Du kotzt mich an. Bloß weil ich mal etwas länger in der Badewanne gesungen habe. Für mich ist eine Welt zusammengebrochen. Ich hab mich dann schön gemacht (das Vintage Kleid mit den Riesen-Orchideen, Parfum und Bambi Hütchen), und bin flanieren gegangen. Roter Mundschutz mit weißen Punkten. Passend zum Outfit. Und Abstand halten!

Prompt hat mich an See ein Jogger angerempelt. Ich hab geschrien und ihm ein Bein gestellt. Dann fuhr zufällig die Polizei vorbei. Sofort stand ein Pulk von Gaffern um uns herum. Ich will sofort ins Krankenhaus! Hab ich geschrien, einen Seuchen – Test machen. Ich lass mich doch von diesem dahergelaufenen Jogger nicht infizieren. Der Kerl wand sich am Boden und hustete mein Pfefferspray aus. Na ja, vielleicht überleg ich’s mir noch, ob ich ihn anzeige, ich zeig ihn sicher an.
Jedenfalls hatte ich dann, umringt von besorgten Leuten aus meiner Nachbarschaft, Gelegenheit meine Designer-Mundschutzmodelle vorzuführen, ich hab die ja immer dabei. Ich hab Riesen-Aufträge mit nach Hause gebracht.

Und kaum bin ich zu Hause… hab ich die nächste Geschäftsidee, obwohl mein Göttergatte schon wieder die Augen rollt deswegen.
„Unter Masken zu singen!“ Yes we can! Diese Krise macht mich reich! Ich biete online Seminare an, wie man unter der Maske singt. Corona Corona Corona… und dann texte ich einen Krisen-Song. schließlich war ich mal Opernsängerin… Es wird einen YouTube Kanal geben.

Huch! Es klingelt, das ist meine Delikatessen Lieferung. Schatzi, mach den Schampus auf. Es gibt was zu feiern.

M.S. Bakausky: Sie haben Geschichte geschrieben

Manchmal gibt es einen Musik-Act, der einfach den Nerv der Zeit trifft. Leute wie Elvis Presley,  die Beatles, Falco oder Madonna. Doch in den frühen neunziger Jahren gab es nur eine Band, die überhaupt etwas zu sagen hatte: Scooter.
Mit dem äußerst genialen Frontmann H.P. Baxxter.
Im Jahre 1994 gab es nur ein Lied, dass man hörte, wenn man auf sich etwas hielt: „Hyper Hyper“ wurde international, weltweit auf allen Sendefrequenzen und in jedem angesagten Club auf und ab gespielt.
Natürlich hatte auch ich die Single auf CD gekauft. Ich war damals acht Jahre alt und konnte den Refrain auswendig. Ganz zum Missfallen meiner Eltern. Während andere Kinder noch Flöte spielten, bettelte ich um Synthesizer-Unterricht. Doch den gab es in meiner Stadt zu der Zeit einfach nicht. Ich schrieb einen Brief an den Hans Peter Baxxter.

„Sie sind mein Idol. Ich bin so aufgeregt. Ich kann es gar nicht glauben, dass Sie diesen Text lesen werden. Scooter ist die beste Band. Hyper hyper ist ein Meilenstein. Ich könnte platzen vor Freude. Also ich würde gerne Synthesizer-Unterricht nehmen. Können Sie mir einen Tipp geben? Hochachtungsvoll, …“

Jeden Tag nach der Schule ging ich in das Büro meines Vaters und fragte, ob ich Post bekommen hätte. Ich ließ mich auch nach Tagen nicht entmutigen, baute mich wieder auf, indem ich „Hyper Hyper“ in meinem Zimmer herauf und herunterspielen ließ. Meine Mutter war langsam genervt davon. Stellte einmal sogar den Strom am Sicherungskasten ab. Sie schien meine Liebe zur elektronischen Tanzmusik nicht zu teilen.

Nach drei Wochen war es so weit. Ich kam von der Schule, ging in Vaters Büro und fragte nach der Post. Er sagte erst, ich muss dich leider enttäuschen, wieder nichts! Kurz bevor ich das Zimmer verlassen hatte, sagte er dann noch: „Warte, doch da ist etwas!“ und übergab mir den Umschlag.
Ich rannte in mein Zimmer und öffnete behutsam den Briefumschlag. Ich fingerte eine Autogrammkarte und ein gedruckter Brief heraus. „Hallo … vielen Dank für deinen Brief. – wir sind per du, dachte ich. Er hat mich sehr inspiriert. Als kleines Dankeschön schicke ich dir anbei eine Autogrammkarte. Beste Grüße H.P. Baxxter“

Ich war außer Rand und Band. Ich platzte fast vor Freude. Bis ich merkte, dass Hans Peter gar nicht meine Frage nach dem Synthesizer-Unterricht beantwortet hatte. Es stand als Absenderadresse ein Postfach in Hamburg. Da war mir klar – ich muss nach Hamburg! Hier in Nürnberg geht nichts. Doch meine Eltern waren nicht erfreut über meine Umzugspläne. Ich hatte es mit Quengelei probiert, mit Argumenten und mit Dauerspielen von „Hyper Hyper“. Bis mein Vater in mein Zimmer kam, mich anschrie was ich eigentlich mir dabei denken würde, dass er Ruhe brauche um zu Arbeiten, dass er mit dem Kopf arbeitet. Er nahm die Stereoanlage und die CD mit. Er kam zurück mit leeren Händen und nahm die Autogrammkarte von der Wand. Ich schrie: Nein, nicht die! Und wollte sie ihm aus der Hand reißen, doch er hielt sie stärker, sodass er und ich jeweils eine Hälfte in der Hand hatten.

Meine Mutter kam kurz darauf und tröstete mich. Zeigte mir eine Broschüre vom Klavierunterricht. Sagte, dass wenn ich erst einmal Klavier spielen könnte, klassische Musik, würde es mir besser gehen. Von nun an musste ich täglich vier Stunden Klavier spielen. Meine Eltern waren auch sonst strenger geworden. Ich durfte nicht mehr meine Freunde sehen. Nach der Schule hieß es Hausaufgaben machen. Dann Klavier spielen. Zweimal die Woche kam ein Klavierlehrer zu mir.

Die Jahre schritten voran. Ich vergaß Scooter völlig.Kurz nach meinem 18. Geburtstag packte ich meine Siebensachen ein und zog aus. Ich hatte schon länger kein Wort mehr mit meinem Vater gewechselt. Jetzt nahm er mich kurz zur Seite und reichte mir einen braunen Umschlag. „Das hier gehört dir“, sagte er. Ich steckte den Umschlag mit zu den anderen Sachen in einen Karton. Als ich ihn ein paar Tage später öffnete, kamen zum Vorschein:

Die Single „Hyper Hyper“ und eine fein säuberlich geklebte Autogrammkarte.

Ich war sofort wieder angefixt.
Tage, Nächte, lang hieß es bei mir nur noch „Hyper Hyper“.
Doch es war nicht mehr dasselbe, es wurde einfach nicht mehr wie 1994.
Vielleicht passte Scooter einfach gut in die Neunziger Jahre, vielleicht waren die jetzt vorbei.

Als ich das begriff, stellte ich den CD-Spieler aus, legte ich mich aufs Bett und weinte, weinte und weinte.