Bastian Kienitz: Vor Anker

 

wer weiß wohin die Reise geht, ich nicht
von minutiös wächst mir der Horizont
ins Nachlicht und erinnert sich
an das alte Fotogen und Spuren, die gekonnt
die Sichtverschiebung stark ins Blau verschieben:
im Sommer haben wir gesonnt
im Winter bleibst du ziellos liegen
und zählst das Raufaser in deiner Hand
die Linien, die nicht mehr verzweigen,
geformt zu einem Strom und einem Band…

Bastian Kienitz: [Der Staub der Kanäle]

Der Staub der Kanäle, das Wechselprogramm,
die Zeitschrift ein Muster für Taten und Drang:
du zappst durch die Stunden (erst vor, dann zurück)
inmitten des Raumes; was hast du doch Glück.

Ein Kind in den Armen, der saugende Mund
in einem Fahrzeug, ich suche dich und
nach einem Zentrum, einer Mitte, die Stadt:
ich fahre und fahre, dass Kind trinkt sich satt.

Bastian Kienitz: STEHENDE RÜSTUNGEN

(aus der Serie Rüstkammer-Phantasien, Blankosonett)

du schweigst im Schatten, Dasein, Vielgesagtes
ALT vor den der, im Kreis der Wirklichkeit
glänzt Altes neu und neues Umkehrbar
durchleuchtet und durchdrungen, Feinabrieb



der lieben Leiden Wiederholungsmuster
und Rüstzeug, um uns wärmer anzuziehen
erst gestern war es Frühling, heute Winter
geknickte Blumen und geknicktes Gras



schon glänzt das Altmetall in trauter Runde
Gouache-Grau und Bleistift auf Papier
den Winkel alter Taten neu zu leben



Traumfolge I: Rüstkammer-Phantasien
die von der Minne bis zur Muse reichen
sang schon die Nachtigall tandaradei


Bastian Kienitz: THE STOREHOUSE

Vergessen liegt in alten Kartonagen
vergilbt am Grau, dass sich erinnern will
erst war es still, dann hörten wir Licht krachen
nein, eine leere Dumpfheit war es, die

dazwischen Worte suchte, ein Geräusch
das etwas blechern und eintönig klingt
erwacht aus einem hohlen Farbenraum
der monochrom im Geisterhaften steht

nie wieder, hieß das Unscharf aus den Zweifeln
der Bruchstücke, die wie ein stummer Film
vorüberziehen und sich überschreiben

die alte Schreibmaschine macht klick klick
um aus dem Staub den Untergrund zu schlucken
der brach nach Lethe schmeckt im Morgenlicht…

Bastian Kienitz: Pleasantville II

früher: das Monochrom einer gelebten Wahrheit im Dezimalrausch der RÖHREN GLAS OBERFLÄCHE bis zum kleinsten Geräusch hinein auf Nu l l / T o n gestellt und heute: die bewegten Bilder von damals wie ein Déjà-vu aus alten Begebenheiten heraus. es war der Schnee. fällt leise, weil…

Bastian Kienitz: Neujahr

Gestern war er alt, heute ist er älter geworden und sehnt sich
nach den spitzen Zweigen im Wald, dem Anstrich der ihm eben
bei Laune umso bewusster wird. Die Stachelbeeren schmecken
grün sauer und jeder Riss auf seiner Haut liegt aufgebahrt auf
bleichen Knochen und jedes Weinglas, das er trinkt, erinnert ihn
an diese Zweige, in dem er die Kratzer in den Falten bewahrt.

Bastian Kienitz: Schiff Ahoi!

meine Lippen l e s e n deine
unruhigen Minuten in denen sich die Realität
hinter den Flusen des Zigarettenrauches
im Barlicht verliert

du hattest das GRAU an
(gezogen) und ich:

ihm Schatten gespendet

bis alles im Dunkeln o f f e n lag
und sich im Kerzenschein des neuen Morgens
als Schicksalsvogel offenbarte…