Jasper Nicolaisen: Sex-Adventskalender

Geschäftsidee:
Ich mache dieses Jahr so einen Sex-Adventskalender, in dem aber ungewöhnliche, teils wirklich anregende, teils bisschen „esomäßige“, aber auch absurde und traurige Überraschungen in jedem Säckchen sind. Bestallung mal so aus der Hüfte wie folgt.

1. Tasse mit Klitorisverherrlichung

2. Ein Fisch aus Schokolade

3. Ein altes Sega-Spiel, wo aber die Kontakte feucht glänzen

4. Ein Hund aus Kastanien

5. Badezusatz (Rosmarin/Rose/Sand)

6. Erdnussbutter

7. Eine neckische Satinmaske, wo über beiden Augen Augen aufgemalt sind

8. Das Rezept für Sperma, das mal in der testcard war

9. Zwei fickende Nikoläuse

10. Ein Zettel mit einer besinnlichen Frage zu „Slow loving“

11. Kleiner Pflaumenschnaps

12. Schokoriegel (wegen der Geschichte mit Mick Jagger und dem Schokoriegel)

13. 50g Mehl, 50g Zucker, 1 Tasse Öl

14. Eine Walnuss, ein Stück von einem Gartenschlauch, das Mundstück einer Posaune und mehr Öl, zum Üben von Analverkehr

15. Sprühsahne, leicht überm Haltbarkeirsdatum

16. Eine Peitsche aus Wolle

17. Ein Musterbuch mit ganz kleinen Stoffstücken (auch Kunststoffe) zum „Fetischschnuppern“

18. Hundekostüm zum Ausschneiden (Ohren, Nase, Schwanz)

19. „Zauberpille“, die dich in einen Mann verwandelt (Süßstoff)

20. Streichhölzer, die aussehen wie ein Harry-Potter-Zauberstab

21. Ein Zentimetermaß

22. Holz

23. Sehr klein gedruckte Werkausgabe von James Joyce

24. Unterwäsche in Obstform

25. Alles von vorne.

Juliane Kling: Dynamit

Wie du da jetzt vor mir stehst, weiß ich nicht, wie ich dir jemals das Gefühl geben konnte, dass du nicht schön genug bist. Dass du es nicht wert bist, geliebt zu werden, nicht von dir, von mir oder von irgendwem.
Die Luft ist schwer und feucht, ballt sich rund um dein Gesicht, das von der heißen Dusche  leicht gerötet ist. Du nimmst das Handtuch und du schaust mich an.
Fragst stumm, ob ich noch warten kann.

Am liebsten fällst du, wenn du ganz alleine bist. Du weißt, dass mir das nicht gefällt, aber im  Grunde ist es das, was uns zusammenhält. Und ja, mein Herz, ich weiß, wie sehr du dich zerrissen hast. Dich gebeugt, geflickt und wieder aufgehoben hast.

Und um nicht nochmal zu brechen, bist du gerannt. Hast deine Hölle weit ins Innerste verbannt.
Und als du in deinen Schuhen nicht mehr laufen konntest, bist du barfuß gegangen, um den Regen zu spüren und den Asphalt unter deinen Füßen.
Ich hab gesagt, ich trage dich, doch du meintest, ein Vergessen gibt es nicht. Nicht in einem Kopf, in dem die Wände Augen haben und Erinnerungen Waffen tragen.

Ich hab gekämpft um dich und mich, aber schlussendlich hast du doch gewonnen, mir mit deinen Argumenten jedes Wort genommen. Du hast gemeint, wo willst du hin mit mir, mit dieser ewigen, verfluchten Suche nach dem Wir?

Und so blieben meine Bitten haltlos wie der Wind, der in seiner Halbherzigkeit nicht einmal Papier zum Fliegen bringt. Du lässt das Handtuch fallen und du siehst mich an. Sagst, dass du es leid bist, den Karren immer wieder selbst aus dem Dreck ziehen zu müssen. Und dass du nur mit mir fickst, um nicht mehr denken zu  müssen.
Ich weiß, dass du mich bloß verletzten willst, weil dein Hass dir gleich beim Springen hilft. 

Mein Blick wandert an deinem Körper entlang, vom Hals bis zu den Beinen schau ich dich an. Du bist  so schön, dass es mir die Sprache raubt. Du öffnest die Arme und mein Atem wird laut.
Und als ich dich anfasse, spüre ich das Dynamit in deiner Brust, fühl die Wut und den Schmerz und den tiefen Verlust. Und ohne Sinn und ohne Verstand verlierst du dich in meinen Händen, erlaubst mir, dich zu lenken und den Sturm abzuwenden.
Und als du kommst, schlägt dein Herz ganz wild und frei, du bebst und du seufzt und dann ist es vorbei. Du weichst schon zurück, streichst dein Haar aus der Stirn, weigerst  dich partout, mir in die Augen zu sehen. Denn so nah wir gerade zusammen waren, so fern sind wir uns, wenn sich die Rauchwolken legen.

Nicht nur einmal hab ich dich zu oft verlassen, hab mich selbst bekriegt und dich in einem Minenfeld gelassen. Und Liebste, es kommt viel zu spät, doch du hast jedes Recht, mich in Sprengstoff zu kleiden und meinen Anblick zu meiden. Denn was bin ich mehr als  eine Reflexion, von der Welt gemacht zu deiner wutentbrannten Illusion? Und wie du da jetzt vor mir stehst, inmitten von Explosionen und Detonationen, hoffe ich, dass dich irgendwann irgendjemand fragen wird, nach all den Jahren, nach all den Schlachten, nach all der Zeit?

Und dass du dann wissen wirst, was dir am Ende bleibt.

Dass du dich umdrehst, mit dem Handtuch in der Hand.

Weg vom Spiegel, weg von mir,
denn letztendlich gehörst du nur dir.

Michael Schmidt: Professor Wuiser und der Sex

„Haben S‘ das schon gehört? Also, bei dieser Kultursendung am Radio da reiten sie ja wirklich alles durch. Da bringen sie diesmal sogar was zum… zum Sex. Ja, zum Sex. Tatsächlich!
Der Sex ist ja fest in unserer Kultur verankert. Und dass der Sex und die Kultur fest zusammengehören, das sieht man eben daran, dass die Kultursendungen sich intensiv mit dem Sex auseinandersex… äh auseinandersetzen.
Und da braucht man auch nicht gleich rot werden deswegen! Der Sex ist halt mal eine biologische Angelegenheit. Ja, der ist bio! Der ist Fakt! Der Sex! Fakt!

So wie das Schnaufen auch.
Sie müssen sich vorhalten: Ohne den Sex gäb’s keine Leut!
Und ohne Leut keine Kultur! Oder mögen Sie sich eine Kultur ohne Leut vorstellen?! Na, eben! Sehen Sie! Ich auch nicht!
Ohne den Sex tät die Kultur am Ende noch aussterben!

Und weil das mit dem Sex so derartig kulturbegründet ist, haben Sie auf den Tisch gehauen und gesagt: ‚So, jetzt machen wir auch mal was zum Sex! Wir machen’s einfach! Wir nehmen den Sex zu uns ins Programm! Weil alle reden über den Sex, bloß wir nicht! Und darum machen wir jetzt den Sex! Knallhart! Und reden einmal offen und ehrlich darüber!
Aber‘ , haben Sie dann gesagt, ‚aber wir müssen vorher noch einen Experten fragen. Einen Fachmann!‘ Und dann sind sie aufgestanden und sind zum Telefon gegangen und haben den Professor Wuiser angerufen und gleich gefragt, was er vom Sex hält. Und da war der Professor Wuiser gleich ganz euphorisch.
Hat er gesagt, dass er sich auf das Thema ganz besonders freuen tät. Weil einen Sex hat sogar er selber noch nie gehabt.
Nein, wirklich nicht!

Der Herr Wuiser sagt das sogar ganz offen. In seiner Rente hätt er auch gar keine Zeit mehr dafür, hat er noch dazugesagt.
Und tät außerdem ja auch gar keine Notwendigkeit verspüren dazu.
Weil die Wuisers, hat er erklärt, pflegen nämlich immer noch die traditionelle Fortpflanzungsmethode der holistischen Zellhaufenteilung.“

Andreas Lugauer: Blue Velvet

Wer von den Hörer*innen hat schon mal den Film »Blue Velvet – Verbotene Blicke« von David Lynch gesehen?
Der Verfasser dieser Zeilen jedenfalls hat ihn nicht gesehen – aber er hat einmal nur anhand des Filmtitels eine Inhaltsbeschreibung verfasst:

In »Blue Velvet – Verbotene Blicke« geht es um einen Privatdetektiv (daher der Untertitel »Verbotene Blicke«), der sich in eine Frau verguckt, die er beobachten soll. Denn – was er da zu beobachten hat, gefällt ihm schon ziemlich gut, muss er sagen. Er macht sich also an sie ran – natürlich erfolgreich, denn er sieht aus wie ein Filmstar mit schneidiger brünetter Kurzhaarfrisur (so voll ange80ert) und Brusthaar, und zwar von genau der richtigen Üppigkeit. Außerdem ist er sehr eloquent und charmant und hat blaue Augen, in deren weichen, doch klar konturierten Blicken er Leute samten betten kann (daher der Obertitel »Blue Velvet«). Logisch, dass die beiden erstmal ordentlich Sex haben – aber noch mehr so tastend und suchend und nicht gleich aus dem Vollen schöpfend, denn sie kennen sich ja noch nicht so gut und außerdem gebietet dies die Sexfilmdramaturgie.

Freilich findet sie, die Ausgespähte, heraus, dass er als Detektiv auf sie angesetzt ist. Es wird ihr von einem Bekannten erzählt, in einem Café, und sie hätte niemals damit gerechnet. Der Bekannte sagt nicht, woher er das weiß, alles ist sehr geheimnisumwölkt. Beim nächsten Treffen der ProtagonistInnen – er, der Detektiv, hat Blumen dabei – gibt es Streit, sie ist sehr sauer auf ihn, es fallen böse Worte von ihr und besänftigende von ihm, die aber – zurecht – bei ihr alle ins Leere laufen. Sie wirft ihm den Blumenstrauß an die Birne, wobei der Topf daran kaputt geht, von dem kaum jemand weiß, wo der jetzt eigentlich herkommt, denn Blumen kauft man ja in so Papier eingewickelt – und zu Dates bringt man nicht schon Töpfe mit.

Spätabends, wieder alleine, vertraut sie ihrem Tagebuch an – man hört sie aus dem Off sprechen –, dass sie es eigentlich ganz anregend und aufreizend findet, von ihm beobachtet worden zu sein, und sie hofft, er habe ihr auch beim Umkleiden zugeschaut. Sie erinnert sich an ihr letztes, wie immer erotisches Umziehen – man sieht die Erinnerung, abgesetzt durch starken Weichzeichner – und den Zuschauer*innen wird klar, warum es für den Detektiv auch rentabel gewesen wäre.

In dieser Nacht schläft unser Detektiv mit seiner Auftraggeberin, mehr einfach so und es wird auch gar nicht klar, warum (es… gibt aber gute Bilder her). Wahrscheinlich hat er ihr Auftragsergebnisse vorgeflunkert, ohne zu erwähnen, dass er aufgeflogen war. Logisch, dass die beiden davon heiß aufeinander werden, also ist es doch nicht so unklar, warum sie es im letzlich Straßenlichtschein tun.

Am nächsten Tag oder vielmehr eine Woche drauf dann die große Versöhnung unserer beiden ProtagonistInnen, es gibt bald auch Sex, logo. Dann lernt die Ausgespähte irgendwie die Auftraggeberin des Detektivs kennen und auch sie schlafen miteinander.

Zufällig stößt danach, die beiden liegen noch sich bezärtelnd beieinander, der Detektiv dazu, er kommt gerade vom Sport. Und dann haben alle aber noch genug Energie und veranstalten eine menage à trois, wo sämtliche Sexregister gezogen werden und wirklich alle auf ihre Kosten kommen. Leider werden irgendwann die Credits eingeblendet und am Ende fadet das Bild der ekstatisch wogenden Drei einfach aus. Kabel-1-Werbung wird eingeblendet und dann Werbung normal

Theobald O.J. Fuchs: SEX (eine wahre Begebenheit)

Kalte Hände auf heißen Armen, Frösteln im Schatten, die Augen zusammen gekniffen.
Lichtreflexe über dem Wasser, nackte Beine, glatte Haut. So sieht das Setting aus.
Außerdem: Sich durch Badeanzugsstoffnässe drückende Brustwarzenhofkonturen.

Die Zeit steht, das Frösteln, die Helle.
Die Zeit steht, steht seit einer Weile,
Vielleicht Tage oder Wochen oder Monate,
Steht ununterbrochen.
Aber es muss ja weiter gehen.

Mit Sex. Mit Sex.

Mit Sex, nasser Haut, kühlen Füßen.
Sex wälzt Gras platt, Gras stachelt Sex an.
Gewicht hat Sex mit unseren Körpern.
Wir sind Körper, wir sind kein Gewicht.
Sex, der ganze Kopf voller Sex.

Ein Frösteln, ein warmer Luftwind,
die festgefahrene, stehende Zeit.
Still. Fest. Still. Stand.
Total geil, für immer geil.

Endstufennähe, näher geht nicht, noch näher hieße schmieden, wäre verschmolzen. Noch näher hieße, nicht mehr zu trennen, wie zwei Farben, vermischt bis zum letzten Ende.
Weißbunt. Atomblitz. Sternschlag.

Oder so: Ein Kuchenteig, den echt keiner mehr zerlegen wird in Butter und Zucker.

Es dauert noch, hält noch kurz.

Dann.

Vorbei.

KARO: Come here

Come here, you destroyer
you black hole
you sad eyes
you dangerous fool
you desperate saint of desire

Come here, you breaker
you fleeting moment
you tempest
you lost boy
you wonderful child of defeat

Come here, you unchecked queen
you lonely planet
you (spinning out of control)
you (empty space)
you missing peace of mind

Come here, you
for
I see you
for
who you are
is no more
or less
than
anyone else

but you.

Katja Engelhardt: Troye Sivan und der Sex in der Popmusik

Das angebliche Erfolgsrezept von Popmusik ist ihr universeller Charakter. Demnach ist ein Popsong dann erfolgreich, wenn sich besonders viele Menschen mit ihm identifizieren können. Daraus folgt: Texte von Popmusik sollten die Hörer nicht ausschließen. Im Idealfall ist das love interest bei Liebessongs immer ein „you“ – also ein „du“, kann dann prima Mann oder Frau sein und die Herzen aller Hörer beginnen ganz schrecklich aufgeregt zu pochen, weil sie gerade ihre Romanze in der Schablone Liebessong aufgehen sehen.
Es ist also nicht allzu unlogisch, dass es so wenige queere Lyrics in Popsongs gibt. Immerhin müsste der Künstler oder die Künstlerin erstens überhaupt Lust darauf haben, die eigene Vorliebe zu thematisieren – und hätte Elton John das zu Beginn seiner Karriere gewollt? eher nicht. Zweitens müssten die Künstler*innen sich das trauen. Und drittens: Würden sie theoretisch auf eine Gruppe von Hörern verzichten. Nach den Gesetzen des allround universellen Pop. Zumindest wird die Beziehung zwischen Interpreten, lyrischem Ich und Konsumenten erschwert.
Troye Sivan hat dieses merkwürdige Konstrukt herausgefordert. Und das wirklich sehr schlau: Queer und kompatibel.
Eine der Singles zu seinem Album „Bloom“ ist der gleichnamige Song – Bloom. In dem es um Analsex geht. Und die war Radiomaterial. Troye Sivan ist offen schwul, mit dem Wissen im Hinterkopf geht als also auf jeden Fall um Analsex von zwei Männern miteinander. Aber verpackt in Codes. Troye Sivan will jemandem seinen „Garten zeigen“, da soll Gas in den Motor fließen, die Fontänen sprudeln, alles dabei. Und der Titel Bloom, also blühen, ist das sich öffnen, was dafür notwendig ist. Und weil Troye Sivan singt, er blühe nur für seinen Counterpart, wissen wir gleich sehr viel mehr über sein Sexleben als ich nach jahrelangem Fan Girling über das von Britney Spears. Einfach so.
Weil „Bloom“ eben in Codes erzählt wird und mit viel Popdrama und Melodie ummantelt ist, checkt man nicht so schnell, dass es um Analsex geht. Und genau das erhöht natürlich auch die Chance, im Mainstream-Radio zu landen.
In anderen Songs streut Troye Sivan sehr gezielt immer wieder männliche Pronomen ein und lässt uns wirklich nie daran zweifeln, dass er auf Männer steht: „My boy like a queen“ im Song „Lucky Strike“ – den Song „Animal“ nennt er sogar selbst eine Ode „an den boy, den er liebt“. Das heißt auch wenn im Radio jegliche Queerness überhört wird, klären diese männlichen Personalpronomen in den anderen Songs auf dem Album restlos auf.
Bei allem gesellschaftspolitischem Mut, kommt trotzdem nie das Gefühl auf, dass Troye Sivan schockieren wollen würde. Er will niemanden überzeugen. Das hier ist kein Agit Pop. Troye Sivan tut einfach nur das, was weirder Weise oft viel radikaler ist: Er ist ehrlich. Männliche Pronomen und Zuschreibungen fallen bei ihm nämlich meistens dann, wenn es um Sex geht und, nun ja, da ist ja nun mal ein Unterschied, ein physischer. Würde der verschwiegen, dann wäre der Text eines offen schwulen Mannes nur weniger authentisch. Überhaupt: Die Regel des universellen Pop scheint schlecht gealtert zu sein. Taylor Swift ist sehr erfolgreich und verweist in ihren Texten ständig auf ihr Privatleben, das ist auf die Fans zugeschnittene Gossip Verwertung und funktioniert 1a. Dabei können sich die allerwenigstens damit identifizieren eine bildschöne weiße blonde Frau zu sein, die von anderen Promis in tweets kritisiert wird. Pop muss nicht universell sein, indem er immer schön vage und uneindeutig getextet ist. Die verbindende Kraft von Pop sollte 2019 nicht sein, dass alle alles hineininterpretieren können.
Vielmehr sollten Popsongs so individuell wie möglich sein, aber so gut gemacht, dass wir alle verstehen und mitfühlen können, egal von wem der Song kommt. Damit wir uns alle über diese Geschichten besser kennenlernen und vermeintliche Gräben zwischen uns überwinden. Dann erfüllt Pop sein Potential zu verbinden nämlich wirklich – nicht als Klebstoff innerhalb einer Gruppe, sondern zwischen uns allen.