Frédéric Schwilden: Gott

Das Erste, was irgendeinem Halbgebildeten wie mir zu Gott einfällt, ist natürlich Nietzsche. Aber Nietzsche muss man ignorieren. Ich habe mal, als ich wieder Herzprobleme hatte, im Bett liegend innerhalb einer Woche Nietzsches Gesamtwerk gelesen. Ich fand es amüsant. Aber es las sich so, als ob ein Typ auf Crystal Meth, der all sein Wissen aus Youtube-Videos hat, deepen shit schreiben wollte. 

Nietzsche hatte Syphilis, psychische und andere Krankheiten. Da ist so viel Wut in seinen Texten. Und so wenig Liebe. So viel Wahnsinn. Aber eben kein guter Wahnsinn. 

Wahrscheinlich hinderten ihn seine Krankheiten daran, zusammenhängende und sinnvolle Texte zu schreiben.  Das sage ich als jemand, der auch psychische und andere Krankheiten hat. Allein heute Morgen habe ich sieben Tabletten geschluckt. Ich habe allen Grund, wütend zu sein. Aber ich versuche, nur aus Liebe zu schreiben. Wut ist immer falsch beim Schreiben. Wer aus Wut oder Kränkung handelt oder schreibt, endet als Diktator. Deswegen glaube ich, dass wir Nietzsches „Gott ist todt“ ignorieren müssen. Ich halte die Aussage sogar für komplett falsch. Gott lebt.

Dass Menschen aus den Kirchen austreten, ist eine banale Tatsache. Im Jahr 2022 verließen in Deutschland 380.000 Menschen die evangelische und 522.821 Menschen die katholische Kirche. Das heißt aber nicht, dass die Menschen sich nicht mehr für Gott interessieren. Gott ist nicht mehr in der Kirche. Gott ist im Bitcoin-Wallet, im Fitness-Studio, bei der Fridays-For-Future-Gruppe. Gott ist auf dem CSD, Gott fährt Tesla, Gott isst vegetarische Mühlen-Würstchen oder Nackensteak.  Gott geht zum Drug-Checking und ist, wie ich auf dem evangelischen Katholikentag lernte, auch queer.  Das hat ein Pfarrer dort in Nürnberg in der Nähe des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes im Kongresszentrum gesagt. Ich war auch da. Und die üblichen Spießer haben sich natürlich über alles aufgeregt. Über das vegetarische Essen da. Das übrigens fantastisch war. Oder eben über den Pfarrer Quinton Ceasar, der sagte: „Gott ist queer“.

Aber wenn man die Bibel ernst nimmt, und das muss man ja, wenn man über Gott redet, dann liegt nichts näher, als anzunehmen, dass Gott queer ist. „Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn“, heißt es im ersten Buch Mose. Und wenn es auch nur einen einzigen queeren Menschen auf der Welt gibt, dann muss Gott queer sein. 

Es gibt ja sogar mittlerweile einen Queer-Beauftragten der Bundesregierung. Also ist Gott auf jeden Fall queer. Und natürlich auch Alkoholiker. Gott ist auch Kokainist. Und Investment-Broker. Und sehr wahrscheinlich auch AfD-Wähler und Wurstfachverkäuferin. Was ich sagen will, Gott ist die Magie, die die Unergründbarkeit des Menschen geschaffen hat. Gott ist der Wahnsinn, der die Möglichkeit von Schönheit und Verderben zulässt. Weil die Möglichkeit, die einzige Realität ist. Alles andere ist nichtexistent. Nur die Möglichkeit ist real. 

In Douglas Adams‘ „Per Anhalter durch die Galaxis“ ist die Antwort auf alle Fragen: 42. Und dieser literarische Kunstgriff ist genial. Denn natürlich ist diese Antwort Schwachsinn. Aber Schwachsinn ist die einzig mögliche Antwort. Es gibt keine Antwort auf die letzte Frage. Zumindest keine von Menschen denkbare. 

Ich verstehe, wie die Zeugung meiner Kinder funktioniert hat. Ich verstehe, warum ich auf der Welt bin. Ich verstehe, warum meine Eltern auf der Welt sind. Zwei Menschen, Samen, Eizelle – fertig. Und das kann man tausende von Generationen zurückrechnen. Aber woher kommen die ersten Menschen? Woher kommt das Leben? Woher kommt die Welt? 

Selbst, wenn man an so einen Unfug wie den Urknall glaubt, gibt es keine Antwort. Viele denken ja, dass der Urknall der Anfang der Entstehung unserer Welt oder unseres Sonnensystems ist. Aber tatsächlich entstehen im Urknall nicht nur unsere Planeten. Der Urknall ist der Beginn von Materie, Raum und Zeit. Und da setzt mein Vorstellungsvermögen aus. Wenn der Urknall der Moment ist, in dem die Zeit entstanden ist, was war denn vorher? Beziehungsweise ist diese Frage ja schon Quatsch. Denn ohne Zeit gibt es kein Vorher. Aber irgendwas muss ja vor dem Urknall gewesen sein.  Und da bin ich dann in der Endlosschleife meines beschränkten Denkens gefangen, die zu nichts führt.

Mein Vater war Wissenschaftler. Professor, Doktor, Doktor. Experimentelle Physik und Medizin. Ich bilde mir nichts darauf ein. Ich bin Bildungsabsteiger. Ich bin der erste in der Familie, der nicht studiert hat.  Ich bin der Junkie. Der Versager. Aber eine Sache habe ich von meinem Vater gelernt. Zumindest bilde ich mir das ein. Das war so ein Abend. Vielleicht war ich 18. Mein Vater hat gedacht, wir trinken jetzt Cognac zusammen. Am Ende war die Flasche leer. Das ist nicht wichtig. Wichtig war dieser eine Satz von ihm. Irgendwann meinte er: „Egal, wie viel wir herausfinden, irgendwann kommt der Punkt, wo es nur noch Gott gibt.“ Damals habe ich das nicht verstanden. Aber es stimmt.

Wir Menschen haben Teile Atome genannt. In der Wortbedeutung sind das: unteilbare Teilchen. Aber Atome sind teilbar, sagt die Physik.  Sie bestehen aus Elementarteilchen. Nebenbei: „Elementarteilchen“ ist einer der größten Romane der Welt. Was ich sagen will: Wir glauben, alles zu wissen und bennen zu können, und  dann ist es doch ganz anders. Das war mit dem geozentrischen Weltbild so,  es wird mit unser kompletten Gegenwart so sein. Wenn heute „die Wissenschaft“ irgendwas sagt, wird es in 150 Jahren absoluter Quatsch sein.. Heute verstehe ich das. Je mehr wir herausfinden und meinen, zu wissen, desto mehr Fragen poppen auf, die wir nicht mehr anders beantworten können als mit: Gott.

Was also war vor dem Urknall? Vor dem Raum? Vor der Materie? Vor der Zeit? Die einzig vernünftige Antwort ist: Gott.  Ich weiß bis heute nicht, was Gott ist. Schöpfer ist ja auch so ein Menschen-Wort. Ein Zustand? Klingt nach Richard David Precht. Gott ist unser innerstes ich, glaube ich. Der Ursprung von allem.

Wir Menschen wollen das Klima retten, Krankheiten besiegen. Wir Menschen konstruieren künstliche Intelligenz. Wir Menschen sind Gottes Versuch, selbst Gott zu sein. Darin können wir nur scheitern.

„If man is five then the devil is six […] and if the devil is six then God is seven“, heißt es bei den Pixies. Und das ist die größtmögliche Näherung an die Frage, was Gott eigentlich ist.

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